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Die 'Jesus-in-Indien-Legende' - Eine alternative Jesus-Erzählung?

AutorMark Bothe
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl100 Seiten
ISBN9783656050070
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Theologie - Biblische Theologie, Note: 1,3, Westfälische Wilhelms-Universität Münster (Seminar für Zeit- und Religionsgeschichte des Neuen Testaments), Sprache: Deutsch, Abstract: 'Wie Jesus wirklich starb' - so titelte der FOCUS im April 2010 kurz vor Ostern. Und die P.M.-History behandelte in einem Sonderteil 'Das Geheimnis des Jesus von Nazareth'. Tatsächlich wird kaum eine Person so intensiv be- und durchleuchtet wie die des Jesus von Nazareth. Bemerkenswert ist dabei jedoch, dass sich das Interesse nur selten auf die für die Theologie relevanten Fragestellungen nach etwa dem christologischen Selbstverständnis oder dem messianischen Anspruch Jesu richtet. Es geht vielmehr immer um die Person, um den Mann aus Nazareth und die Frage, wie er wirklich war. Hier wird ' [...] von vornherein eine Differenz statuiert zwischen dem Jesus, von dem die neutestamentlichen Schriften, besonders die Evangelien erzählen - darauf basiert die kirchliche Verkündigung - und Jesus als einer historischen Gestalt.' Dabei distanzieren sich solche Betrachtungen dezidiert von kirchlichen und theologischen Jesusbildern. Der Fragehorizont ist ein gänzlich anderer geworden, wie auch der Untertitel zur FOCUS-Ausgabe zeigt: '... und das Geheimnis um das Turiner Grabtuch'. Das Leben des Jesus von Nazareth wird als Kriminalgeschichte präsentiert, der es Geheimnisse zu entlocken gilt. Waren es lange Zeit allein Geisteswissenschaftler die sich mit der Leben-Jesu-Forschung beschäftigten, so ist der gesamte Komplex teilweise in ein neureligiös-esoterisches Feld abgewandert. In genau diesem neureligiös-esoterischen Feld ist die Jesus-in-Indien-Legende (im Folgenden kurz: JiIL) anzusiedeln. Ihre Ursprünge liegen in den Offenbarungen des Gründers der indisch-islamischen Ahmadiyya-Bewegung, die als erste die Auffassung vertrat, Jesus habe seine Kreuzigung überlebt, mit dem Ziel, seinen Anspruch als Mahdî und Messias zu festigen. Ungeachtet dieses Zusammenhangs wanderte die Idee von der überlebten Kreuzigung und mit ihr die Überzeugung, Jesus habe Indien besucht, nach Europa ein, wo sie auf ein geistiges Milieu stieß, das es ihr erlaubte, zu einer Form der Neuinterpretation des Lebens Jesu und schließlich der gesamten jüdisch-christlichen Geschichte zu werden. Erstaunlich dabei ist, dass es gerade trotz dieser Ursprünge zur Ausformung der modernen JiIL kommen konnte. Denn die heutige Form ignoriert, dass eine solche Geschichte und Quellenlage keine neutral-wissenschaftlichen Beweise ermöglichen, die jedoch von den Vertretern immer wieder behauptet werden. Auf diese Weise lässt sich bei der JiIL durchaus von einer Form post-moderner Wissenschafts-Religiosität sprechen.

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Leseprobe

2 Literaturkritik: Die Erzählstruktur der JiIL


 

Im ersten Teil war bereits zu sehen, wie sich die JiIL aufbaut und welche Argumentationswege sie beschreitet. Darüber hinaus greifen die Autoren jedoch auf ein Repertoire an Argumentationstechniken zurück, die beim Leser bestimmte Effekte hervorrufen sollen und letztlich alle dazu dienen, die Glaubwürdigkeit der Thesen zu erhöhen. Diese Techniken sollen anhand von Beispielen hier nachgezeichnet werden.

 

2.1 Die Wahrheit der frühen Zeugnisse


 

Allen JiIL-Autoren ist gemein, dass sie behaupten, ihre Beweisführung würde eine historische Wahrheit aufdecken, die bisher unentdeckt war. Vorausgesetzt wird, dass man dieser Wahrheit näher kommt, je älter die angeführten Beweise sind, und je näher sie der Periode kommen, die man zu beschreiben sucht[131]. Der Gedanke ist verzahnt mit der Frage, welche „alten Zeugnisse“ denn Wahrheit beanspruchen können:

 

„Heute exisitieren über 80000 Mongraphien zum Thema Jesus, doch bei der Erforschung der historischen Gestalt sind die Ergebnisse all dieser Bemühungen geradezu niederschmetternd. Wer war dieser Jesus? Wann wurde er geboren? Wie sah er aus? Wann wurde er gekreuzigt? Wann, wie und wo starb er? In allen Büchern, die in den ersten beiden Jahrhunderten nach unserer Zeitrechnung geschrieben wurden, finden sich nicht genug Hinweise, um irgend etwas über den Menschen Jesus Christus sagen zu können, und  die späteren Quellen sind fast alle ausschließlich tendenziöse Glaubensbekenntnisse und setzen den Glauben an Jesus als den Messias und Sohn Gottes voraus. […] Es bleibt also festzustellen, daß sich aus den bekannten Quellen keine Basis für grundlegende Erkenntnisse über die historische Persönlichkeit Jesus herleiten läßt. Die Schriften, die Nicolai Notovitch in Ladakh entdeckt hat, können somit eine äußerst wichtige Lücke im Leben Jesu füllen, für die es sonst keine geschichtlichen Dokumente gibt.“[132]

 

Wie bereits gezeigt, hatte schon Nazir Ahmad eine Gewichtung der Quellen hinsichtlich ihres historischen Wertes und des „Wahrheitsgehaltes“ vorgenommen. Diese Vorgehensweise bleibt auch bei den nachfolgenden Autoren bestehen. Innerchristliche Zeugnisse werden abgewertet oder zumindest in Zweifel gezogen, während außerchristliche Zeugnisse aufgewertet bzw. ihren christlichen Pendants gleichgestellt werden:

 

„Wer aber sagt, daß diese Quellen falsch waren? Wir wissen nicht einmal, ob manche der apokryphen Schriften nicht ein weit authentischeres Quellenmaterial zur Verfügung hatten als beispielsweise der Verfasser des Johannesevangeliums.“[133]

 

Als Ausgangspunkt für den Rückgriff auf außerbiblische Quellen werden sehr häufig die Lücke im Leben Jesu (ca. 12. – 30. Lebensjahr) und die Tatsache genannt, dass die biblischen Zeugnisse erst relativ spät nach Jesu Tod geschrieben und noch später zum heutigen Kanon formiert wurden.[134] Wie gesehen ist besonders Kersten darauf bedacht, ein neues Bild Jesu zu zeichnen, eines, das den „wahren“ Jesus zeigt. Seiner Ansicht nach sind alle Bilder von ihm kirchlich-theologisch überformt und daher nicht authentisch. Den historischen Jesus zu finden, bedeutet für die JiIL-Autoren jedoch zwingend die Richtigkeit ihrer Thesen. Wie gezeigt, wird üblicherweise „rückwärts“ argumentiert. Die JiIL wird als Tatsache angenommen, um von dieser Position aus die Schriftzeugnisse erneut zu lesen und im Lichte der Legende zu verstehen. Die historische Frage, die durchaus Ähnlichkeiten zur Frage nach dem historischen Jesus in der wissenschaftlichen Exegese aufweist, führt dabei zum nächsten Argumentationselement.

 

Exkurs: Antijüdische Tendenzen in der JiIL

 

Einige Kritiker weisen darauf hin, dass die JiIL einen bedenklichen Wesenszug trägt.[135] Denn die Verortung Jesu in das kulturelle und religiöse Umfeld Indiens hat in der Tat zur Folge, dass seine jüdische Abstammung in Frage gestellt wird: „Es ist also nirgends die Rede davon, daß Jesus tatsächlich beschnitten wurde.“[136] Diese Tendenz ist zwar nur bei Goeckel und Kersten zu beobachten, nimmt dort jedoch bereits abwertende Züge („semitische Primitivreligion“[137]) gegenüber dem Judentum an, welchem die jesuanisch-buddhistische Philosophie entgegengestellt wird. Es bleibt festzuhalten, dass eine solche Sichtweise dem von den JiIL-Autoren selbst postulierten Anspruch, niemandes religiöse Gefühle verletzen zu wollen, diametral entgegensteht. Nichtsdestotrotz erscheint eine antijüdische Grundstimmung als logische Folge aus den Inhalten des Essäerbriefes und der LIN. In ersterem wird Jesus als der leibliche Sohn eines Esseners dargestellt, in letzterem wird sein Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten geschildert, parallel zu Jesu Auseinandersetzungen mit den jüdischen Volksgruppen. Hinzu kommt die von Kersten und Goeckel gebrachte Idee, Jesus sei ein Boddhisattva, was ihn endgültig aus dem kulturellen, sozialen und religiösen Umfeld Israels herauslöst, das sich als Volk maßgeblich durch Geographie und Religion definierten. Der antisemitische Unterton gipfelt in einer Äußerung Goeckels:

 

„Die Kirche lehrt auch heute noch den armen Tischlergesellen, der von armen Eltern in einer Krippe geboren wurde. Tatsächlich ist der Galiläer aus dem Heimatland Galiläa, einer assyrischen Kolonie, der Sohn einer kultivierten, rein arischen, eugenisch ausgesuchten und unbefleckt empfangenen Mutter aus sehr wohlhabendem adeligen Haus und eines leiblichen ebenfalls reinrassigen Vaters, eines der bedeutendsten Denker seiner Zeit.“[138]

 

Die recht sorglos gewählten Adjektive sind hier nicht direkt einem antisemitischen oder gar nationalsozialistischen Kontext  zuzurechnen.[139]  Doch sie zeugen von der generellen Stoßrichtung, in die die JiIL bei diesen beiden Autoren in Teilen geht.

 

2.2  Aura der Plausibilität


 

Alle JiIL-Autoren versuchen, ihren Argumenten, jedoch vor allem ihren Beweisen, ein möglichst großes Gewicht zu geben. Dies geschieht, indem versucht wird Beweise möglichst glaubhaft zu machen und zudem der hintergründige Anspruch von Wissenschaftlichkeit erhoben wird:

 

a) Glaubwürdigkeitsverstärkung

 

Alle JiIL-Autoren versuchen, ihren Referenzen ein möglichst großes Gewicht zu verleihen. Dies geschieht auf der einen Seite durch schiere Masse. So bringen Choudhury, Hassnain und Faber-Kaiser an einigen Stellen einfach lange Listen von weiteren Büchern zu einem Themenabschnitt als Beweis für dessen Richtigkeit.[140] Ein anderer Weg ist, die Werke oder deren Autoren als Autorität erscheinen zu lassen. Was meist mit Hinweisen auf große Bekanntheit oder hohes Alter versucht wird:

 

„Mohammed bin Khâvendshân bin Mahmûd, commonly known as Mir Khwand, writes in his renowned book Rauzat-us-Safa, which has become a classic among Persian historical works, that Jesus and Mary abandoned the city and set out into Syria (vol.1, p.134). That Jesus was then with Mary is confirmed in the Jami-ut-Tawarikh, of Faqir Muhammad which says also Jesus travelled on foot and carried a staff.“[141]

 

Manchen Quellen wird jeweils nur mit einem kurzen Adjektiv Bedeutung verliehen, etwa wenn ein Autor als „great oriental writer“[142] bezeichnet wird und dessen Buch als „famous“[143]. Mit solchen, sehr häufig benutzten Zusätzen wird der Eindruck erzeugt, sich auf Werke zu beziehen, die außerhalb jeglichen Zweifels stehen, was wiederum der Glaubwürdigkeit der Gesamtthese zu Gute kommt.

 

Interessant ist, dass JiIL-Quellen sich an manchen Stellen gegenseitig legitimieren:

 

„Wie wir aus dem obigen Text [= Leben des St. Issa] ersehen, lernte Jesus, die Veden zu lesen, das sind die alten heiligen Schriften, in denen der Hinduismus hauptsächlich wurzelt. Daß diese zum Teil seinen eigenen Vorstellungen entgegenkamen, läßt sich aus der folgenden Textprobe ersehen, die aus den Dharma-Sutras stammt, einem in kurze Lehrsätze gefaßten Teil der Veden. […] Diesen Teil der Lehre konnte Jesus gutheißen, doch das Kastenwesen der Hindus lehnte er ab.“[144]

 

Die Geschichte des „Leben des St. Issa“ wird hier als historisch authentisches Faktum gerade dadurch legitimiert, dass sie als Beweis für andere Teile der JiIL herangezogen wird – ein Sprung von der Annahme zur Realität.[145]

 

b) Anspruch der Wissenschaftlichkeit

 

Nicht mit letzter Konsequenz festzustellen ist, ob die JiIL-Autoren ihre Werke als wissenschaftliche Beiträge verstanden wissen wollen, denn den ausdrücklich wissenschaftlichen Anspruch formuliert nur Hassnain.[146] Alle anderen geben ihren Darstellungen jedoch einen mehr oder weniger starken wissenschaftlichen Anschein. Sie alle laufen darauf...

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