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Die Konzilien und der Papst

Von Pisa (1409) bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65)

AutorBernward Schmidt
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783451345623
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Seit das Konstanzer Konzil (1414-18) die Oberhoheit des Konzils über den Papst dekretiert hat, ist umstritten, wer in der Kirche die oberste Autorität besitzt: der Papst oder die beim Konzil versammelten Bischöfe. Die hier vorliegende neuere Konziliengeschichte arbeitet das Zusammenwirken und die Konkurrenz beider Instanzen heraus. Die chronologische Ereignisgeschichte von Pisa (1409) bis zum Vaticanum II (1962-65) bildet dabei das Grundgerüst des Buches.

Bernward Schmidt, geb. 1977, Dr. theol., Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt.

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Leseprobe

I Herrscher über Kirche und Welt? Theorien vom Papsttum im Mittelalter


1. Die Entwicklung des päpstlichen Primats bis 1300


Der Papst – geborener „Oberbischof“ der katholischen Kirche? Was im ökumenischen Gespräch heute vor allem ein Problem zu sein scheint, hat sich über eine lange Periode der Kirchengeschichte ausgeprägt. Der päpstliche Primat stammt nicht aus der Frühzeit der Kirche, sondern resultiert vor allem aus Entwicklungen im ersten Jahrtausend. Ihnen liegt auch kein planvolles Vorgehen zugrunde, vielmehr besteht die Primatsentwicklung im Mittelalter aus der Summe situativer Einzelmaßnahmen.1

In den ersten Jahrhunderten bestand Kirche als communio, als Gemeinschaft von Ortskirchen, in der keinem Bischofssitz ein Vorrang gegenüber den anderen zukam.2 Erst im 3. Jahrhundert wird eine gewisse herausgehobene Stellung der „Hauptkirchen“ von Rom, Alexandria und Antiochia sichtbar, wobei anzunehmen ist, dass hier den Gemeinden in politisch bedeutenden Städten auch in der Gemeinschaft der Kirche eine maßgeblichere Rolle zugestanden wurde als anderen. Damit war jedoch weder hinsichtlich der Lehre noch gar im Bereich der kirchlichen Rechtsprechung eine leitende Rolle verbunden, eher im Gegenteil: Cyprian von Karthago (um 200/10–258), einer der maßgeblichen Autoren dieser Zeit, wendet sich zwar zur Entscheidung einer Streitfrage an den römischen Bischof Stephan, doch nicht weil er ihm Kompetenzen als „Oberbischof“ zuschriebe, sondern um ihn im Sinn der kollegialen Solidarität unter Bischöfen um ein Urteil zu bitten. Denn für Cyprian tragen alle Bischöfe gemeinsam Verantwortung für die eine Kirche, so dass es einen Bischof nicht unberührt lassen kann, wenn durch das Fehlverhalten anderer die Kirche Schaden nimmt. Die Kollegialität der Bischöfe wird vor allem in den Synoden sichtbar, die sich schon früh als innerkirchliche Problemlösungsinstanz etablieren konnten. Nicht kirchenpolitisch, sondern lediglich spirituell ließ sich ein Vorrang Roms begründen, hatten doch in der Hauptstadt des Reiches die beiden Apostel Petrus und Paulus das Martyrium erlitten. Sicherlich aber spielte die frühe Verehrung des Petrus und der Gedanke einer Wirksamkeit des Apostels in seinen Nachfolgern eine Rolle für die Entwicklung der herausgehobenen kirchlichen Stellung Roms.

Die „Konstantinische Wende“ im frühen 4. Jahrhundert brachte mittelfristig für die Kirche neben der Freiheit ihres Kultes und Wirkens auch erhebliche organisatorische Änderungen. Die Verlegung der kaiserlichen Residenz ins neue Konstantinopel, das dadurch ebenfalls über einen exponierten Bischofssitz verfügte, schuf dem römischen Bischof politische Freiräume gegenüber dem Kaisertum, die der Bischof der Residenzstadt im Osten nicht genießen konnte. Zudem bildete sich die Metropolitanstruktur heraus, d. h. ein Zusammenschluss von Bischofsgemeinden zu einer Kirchenprovinz, an deren Spitze ein Bischof als Metropolit stand. Die gemeindlichen Bischofswahlen wurden nun von den Bischöfen der Kirchenprovinz oder dem Metropoliten kontrolliert oder gar dominiert; sollte ein Bischof angeklagt werden, war die Provinzialsynode das richtende Gremium. Die Provinzen wiederum unterstanden seit dem 5. Jahrhundert der Aufsicht eines der fünf Patriarchate, zu denen nun neben Rom, Antiochia und Alexandria auch Konstantinopel und Jerusalem gezählt wurden.

Im Kontext der verschiedenen, teils hochkontroversen Synoden des 4. Jahrhunderts konnte sich die römische Kirche nicht nur als stabil und theologisch klar positioniert behaupten, sondern auch immer mehr als höhere Instanz etablieren. Es wurde daher immer üblicher, sich in schwierigen Situationen an Rom zu wenden und von dort Unterstützung zu erwarten, ohne dass man die dortige Kirche damit schon als im rechtlichen Sinn höhere Instanz angesehen hätte. Größere Bedeutung kommt vielmehr der religiösen Autorität Roms als Ort der Apostelgräber zu, die zugleich zu einem höheren Maß an Verantwortung für die gesamte Gemeinschaft der Kirche führt.

Wohl nicht zufällig erscheint im 5. Jahrhundert zum ersten Mal der Begriff „Papst“ exklusiv auf den Bischof von Rom bezogen, der im Jahrhundert zuvor noch allgemein für bedeutende Bischöfe verwendet werden konnte. Eine bedeutende Rolle kommt in diesem Prozess den Päpsten Siricius (384– 399) und Leo I. dem Großen (440–461) zu. Ersterer verfasste als erster Papst auf Anfrage des Bischofs Himerius von Tarragona ein „Dekretale“, ein normatives päpstliches Antwortschreiben, das Himerius den übrigen Bischöfen Spaniens bekannt zu machen hatte. Ganz anders als bis dahin übliche bischöfliche Schreiben war dasjenige des Siricius nicht im Stil brüderlicher Ermahnung früherer Zeiten gehalten, sondern im autoritativen Stil kaiserlicher Amtsschreiben. Solche Anweisungen aus Rom darf Siricius zufolge nun kein anderer Bischof mehr ignorieren, da Petrus im Papst in mystischer und gleichzeitig rechtsverbindlicher Weise gegenwärtig ist.3

Ganz ähnliches Gedankengut ist einige Jahrzehnte später bei Leo I. dem Großen zu finden, der sich in besonderer Weise auf Petrus berief: Der Papst ist für ihn nicht nur Erbe des Apostels, sondern als sein Stellvertreter gleichsam die Verkörperung des Petrus. Daraus wiederum ergibt sich für Leo eine Verantwortung für alle Ortskirchen (sollicitudo omnium ecclesiarum), womit ein Leitungsanspruch für die Gesamtkirche erhoben ist. Die römische Kirche kann nun als Haupt dargestellt werden, dem die übrigen Kirchen als Glieder zugeordnet sind. Vor diesem Hintergrund trat der römische Bischof seit dem späten 4. Jahrhundert konsequenterweise als kirchlicher Gesetzgeber neben und teilweise über die Synoden: Eine Bischofsversammlung, so groß sie auch sein möge, sei erst durch die Anerkennung und Zustimmung des Bischofs von Rom ein gültiges Konzil – so eine römische Synode von 371/72.

Dieser hohe Anspruch des römischen Papsttums konnte freilich nur regional begrenzt durchgesetzt werden: in Mittel- und Süditalien, wo der Papst zugleich als Metropolit fungierte, sowie in Regionen mit starker Rombindung, nicht zuletzt in Norditalien, Gallien und in Teilen des Balkans und Griechenlands. In Nordafrika hingegen hielt sich ein selbstbewusst eigenständiges Christentum, so dass etwa Augustinus (354–430) der römischen Kirche zwar hohe Autorität zuschreiben kann, ihre Ansprüche auf Leitungsvollmacht aber bestreitet. Ähnliches gilt für die übrigen Patriarchate im Osten des römischen Reiches, die zwar einen Ehrenprimat Roms als eines Ersten unter Gleichen, nicht aber übergeordnete Kompetenzen anzuerkennen bereit waren.

So ist um die Mitte des 5. Jahrhunderts die spätantike Herausbildung des römischen Primats für die Kirche im Westen des römischen Reiches im Wesentlichen abgeschlossen; zugleich sind die Grundlagen für die Entwicklungen des Mittelalters geschaffen.

Zu einer systematischen Auseinandersetzung mit dem Wesen von Kirche und ihren Strukturen kam es jedoch noch nicht in der Spätantike, sondern erst im frühen 14. Jahrhundert, als Jakob von Viterbo einen ersten „ekklesiologischen“ Traktat verfasste. Um daher Aussagen über die Vorstellungen spätantiker und frühmittelalterlicher Autoren über die Kirche im Allgemeinen und das Papsttum im Besonderen treffen zu können, sind wir auf einzelne Aussagen in Bibelkommentaren oder in Predigten angewiesen. Dabei übernehmen die Autoren des frühen Mittelalters in der Regel Aussagen der Väterzeit.4

Isidor von Sevilla (560–636) beispielsweise, der bedeutende Etymologe des beginnenden Mittelalters, verstand die ecclesia als „Zusammenrufung“, die alle zu sich ruft; ecclesia ist keine Versammlung im Sinn einer congregatio, sondern convocatio, weil sie nicht vernunftlos wie eine Viehherde (grex) funktioniert, sondern mit Denken und Wollen. Kirche wird „katholisch“ genannt, was Isidor mit „auf das Ganze bezogen“ (secundum totum) erklärt, weil sie die gesamte Welt umspannt. Dabei schrieb Isidor der Eucharistiefeier als Glaubensvollzug besondere Bedeutung zu, denn durch ihren Vollzug werden die Gläubigen zu einer eigenen Würde erhoben: Sie werden Glieder an dem Leib, dessen Haupt Jesus Christus ist.

An diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr im 7. und 8. Jahrhundert die spirituelle Dimension das Nachdenken über Kirche dominiert: Kirche ist nicht eine rechtlich verfasste Gesellschaft, sondern Gemeinschaft der Gläubigen, das himmlische Jerusalem, der Leib Christi. All diese Bilder, die schon bei den Kirchenvätern zu finden sind, nicht zuletzt natürlich bei Augustinus, sind zu Beginn des Mittelalters aktuell. Die verfassungsmäßige Struktur der Kirche kommt in dieser Zeit allenfalls im Kontext der Mission des Augustinus in England oder des Bonifatius im Frankenreich zur Sprache, die beide stets die enge Bindung an das Papsttum suchten.

Eine Verrechtlichung des Kirchenbegriffs setzte erst im frühen 9. Jahrhundert mit der Zeit Karls des Großen ein. Theologisch brachte diese Epoche zunächst einen christologischen Akzent: die hervorragenden Eigenschaften, die man Christus zuschrieb, waren die des Königs und Priesters, rex et sacerdos. Darin mag man ein Aufblühen des Monophysitismus erblicken, gegen den das Konzil von Chalzedon die zwei Naturen in der einen Person Jesu Christi definiert hatte; doch steht diese Akzentuierung in enger Verbindung zur karolingischen Königstheologie, in der dem König eine besondere Funktion auch in der Kirche zugeschrieben wurde. Karl definierte anlässlich der Wahl Papst Leos III. im Jahr 795 die Aufgaben des Königs wie folgt: „die Kirche Christi draußen vor den...

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