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E-Book

Die Kraft des Fühlens

Hochsensibilität erkennen und positiv gestalten

AutorIlse Sand
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl154 Seiten
ISBN9783406697944
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR

Jede(r) Fünfte ist besonders empfindsam oder, wie man mittlerweile sagt, hochsensibel. Ein vielfach bewährter Test macht es den Leserinnen und Lesern dieses Praxisbuches leicht, herauszubekommen, ob sie dazu gehören. Wie aber lässt sich die vermeintliche Schwäche in eine Stärke verwandeln? Wie werden hochsensible Menschen glücklich? Auch dazu macht die bekannte dänische Psychotherapeutin zahlreiche neue, im Alltag erprobte Vorschläge. Hochsensible Menschen haben ein besonders empfindliches Nervensystem. Es fällt ihnen schwerer als anderen, unangenehme oder belastende Eindrücke auszublenden. In stressigen Situationen reagieren sie stärker und werden schneller krank. Dafür nehmen sie mehr Abstufungen wahr, besitzen eine rege Fantasie und eine ausgeprägte Vorstellungskraft. Für ihr Wohlergehen benötigen sie vor allem ein verlässliches Umfeld und eine wohldosierte Reizstruktur. Dann steht ihrem Wohlbefinden wenig im Wege. Womöglich ist ihr Glücksempfinden sogar intensiver als das "gewöhnlicher" Menschen.



<p>Ilse Sand hat Theologie studiert, &uuml;ber C.G. Jung und S&oslash;ren Kierkegaard geforscht und eine Ausbildung als Psychotherapeutin absolviert. Sie arbeitet in D&auml;nemark als Supervisor, Coach und Therapeutin. Ihr Buch war in D&auml;nemark und Schweden ein Bestseller.</p>

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Leseprobe

1  Der hochsensible Charakter


Zwei verschiedene Typen derselben Spezies


Es gibt Zahlen, wonach fast jeder Fünfte besonders empfindsam – oder wie man mittlerweile sagt: hochsensibel – ist. Dies gilt nicht nur für Menschen. Höher entwickelte Tierarten können ebenfalls in zwei Typen unterteilt werden: in den hochsensiblen Typ und den widerstandsfähigeren, der mehr riskiert und oft an vorderster Front kämpft.

Abgesehen davon, dass dieselbe Spezies aus zwei unterschiedlichen Geschlechtern besteht, lassen sich also auch zwei verschiedene Typen ausmachen. Bei genauer Betrachtung entsteht sogar der Eindruck, dass diese sich stärker unterscheiden als die beiden Geschlechter.

Der hochsensible Charakter ist keine Neuentdeckung. Er wurde lange Zeit nur anders bezeichnet, etwa als introvertiert. Die amerikanische Psychologin und Wissenschaftlerin Elaine Aron führte den Begriff «Highly Sensitive Person», HSP, («hochsensible Person») ein und beschrieb typische Merkmale. Sie erklärte, selbst der Ansicht gewesen zu sein, introvertiert und hochsensibel sei dasselbe, bis sie entdeckte, dass 30 Prozent der Hochsensiblen sozial aufgeschlossen sind. Der Charakterzug wurde auch als gehemmt, ängstlich oder schüchtern bezeichnet. Dabei handelt es sich um Gefühle und Verhaltensweisen, die in einer ungewohnten Umgebung zutage treten können oder wenn der Hochsensible nicht genügend Unterstützung und Rückhalt erfährt. Keine dieser von Außenstehenden getätigten Beschreibungen bringt zum Ausdruck, dass die Betreffenden zwar größere Probleme in belastenden Situationen haben, aber auch gerade imstande sind, glücklicher als andere zu sein, wenn sie sich in einer sicheren Umgebung, in ihrer persönlichen Komfortzone, aufhalten.

Dies bestätigt auch die Forschung des Psychologen Thomas Boyce: Wie eine Untersuchung zeigte, reagierten manche Kinder in einem herausfordernden Umfeld und in belastenden Situationen – gemessen am Herzschlag und an der Immunreaktion – stärker (die empfindsamen Kinder) als andere; außerdem wurden sie häufiger krank und sie verletzten sich öfter als die anderen. Hielten sich dieselben Kinder jedoch in ihrem gewohnten Umfeld auf, erkrankten sie seltener und es passierten ihnen weniger Missgeschicke als anderen.

Während hochsensible Menschen gesellschaftlich meist eine Außenseiterrolle einnehmen, werden sie vor allem in der europäischen Literatur an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert oft thematisiert. Die Künstlerfiguren in Thomas Manns Werk, wie Tonio Kröger, tragen hochsensible Züge; in Joris-Karl Huysmans Gegen den Strich oder Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray weisen die Hauptfiguren eine besondere Sensibilität auf und streben darüber hinaus nach einer immer intensiveren «Verfeinerung der Nerven» – wie es manche Hochsensible wirklich tun (dazu an späterer Stelle mehr). In Rainer Maria Rilkes Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge wird Hochsensibilität anhand des Titelhelden am eindrücklichsten literarisch ausgearbeitet: Malte nimmt alle Eindrücke und Reize so intensiv wahr, dass er darunter leidet. Beispielsweise sind seine visuellen Wahrnehmungen so fein, dass man von einem «sezierenden Sehen» gesprochen hat.

Hochsensible nehmen mehr Reize auf und reflektieren diese intensiver


Besonders empfindsame Menschen weisen eine besondere Konstitution des Nervensystems auf. Wahrscheinlich aufgrund einer höheren Erregbarkeit der Großhirnrinde und eines schwächeren Filters im Thalamus für eintreffende Reize haben Hochsensible eine intensivere Wahrnehmung und sind Reizen, insgesamt betrachtet, stärker ausgesetzt. Sie besitzen eine rege Fantasie und eine ausgeprägte Vorstellungskraft, weshalb äußere Reize vielfältige Gedankenassoziationen und Vorstellungen in ihnen auslösen können. Die Kapazitäten ihrer «Hardware» erschöpfen sich dadurch aber auch schneller, und sie fühlen sich überstimuliert.

Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, in meinem Kopf keine weiteren Informationen mehr aufnehmen zu können, wenn ich zu vielen Reizen ausgesetzt bin. Treffe ich auf fremde Menschen, ist dieser Sättigungspunkt manchmal schon nach einer halben oder einer Stunde erreicht. Ich kann mich zusammenreißen und weiterhin zuhören und sogar so tun, als ob ich mich immer noch wohlfühle. Doch das kostet mich sehr viel Kraft und hinterher bin ich ausgelaugt.

Niemand möchte überstimuliert werden, denn das ist sehr kräftezehrend. Sind Sie selbst hochsensibel, werden Sie schneller an Ihre Grenzen stoßen als andere und Stimulationen als unangenehm empfinden. Sie haben deshalb das Bedürfnis, sich zurückzuziehen, wenn um Sie herum großer Trubel herrscht.

Vielleicht versuchen Sie auch wie Erik im nachfolgenden Beispiel, sich die notwendigen Reizpausen heimlich zu verschaffen, weil Sie befürchten, dass andere Sie möglicherweise für wehleidig, überempfindlich, versnobt oder ungesellig halten.

«Wenn ich in der Verwandtschaft zu einem runden Geburtstag eingeladen bin, suche ich häufig das Badezimmer auf, wo ich vor dem Spiegel stehe, mich ein wenig betrachte und mir die Hände wasche. Je nachdem wie stark das Bad frequentiert ist, traue ich mich nicht, es länger zu blockieren, weshalb mich die wenigen friedlichen und ruhigen Augenblicke nie ganz zufriedenstellen. Einmal habe ich versucht, mich hinter einer Zeitung zu verstecken. Ich setzte mich in eine Ecke und hielt die Zeitung vor mein Gesicht. Ich saß mit geschlossenen Augen hinter der Zeitung und versuchte zur Ruhe zu kommen. Mein Onkel, der immer zu einem Scherz aufgelegt ist, schlich sich an, schlug mir plötzlich die Zeitung aus den Händen und rief: ‹Na, so was, hier sitzt du also und versteckst dich›, und alle grinsten. Für mich war das sehr unangenehm.» Erik, 48 Jahre

Nicht nur negative Eindrücke überreizen Sie, sondern auch positive können – etwa bei einem Fest, auf dem Sie sich amüsieren – ab einem bestimmten Punkt zu anstrengend werden, so dass Sie sich zurückziehen müssen, wenn die Feier gerade ihren Höhepunkt erreicht hat.

In solchen Situationen leiden Hochsensible am stärksten unter ihrem Handicap. Die meisten würden am liebsten genauso lange bleiben wie die anderen Gäste. Es ist sowohl unangenehm, den Gastgeber zu enttäuschen, als auch schade, beim restlichen Verlauf des Festes nicht mehr dabei zu sein. Hochsensible haben aber auch Angst, als langweilig, ungesellig oder unhöflich zu gelten, wenn sie das Fest verlassen, bevor es zu Ende ist.

Das empfindliche Nervensystem, das dafür verantwortlich ist, dass Sie sich vor Reizüberflutungen schützen müssen, versetzt Sie jedoch auch in die Lage, besonders intensiv Freude zu empfinden. Schöne Reize wie etwa ein Kunstwerk, Musik, der Gesang der Vögel, der Duft von Blumen, gutes Essen oder die Natur rufen diese innere Freude hervor.

Empfindlich gegenüber Sinneseindrücken


Wenn Sie hochsensibel sind, machen Sie sicherlich auch bisweilen die Erfahrung, dass es schwer ist, störende Geräusche, Gerüche oder visuelle Reize auszublenden. Alltägliche Reize, denen Sie nicht entkommen, stören und irritieren Sie häufig. Was andere als ein völlig normales Geräusch empfinden, kann für Sie lästiger Lärm sein, der Ihr Nervensystem strapaziert.

Das ist beispielsweise an Silvester der Fall. Wenn Sie besonders sensibel sind, werden Sie wahrscheinlich große Freude an dem Kunstwerk haben, das das Feuerwerk an den Himmel zaubert. Ganz anders ist es mit dem damit verbundenen Krach. Er durchdringt Sie ganz unmittelbar und erschüttert Ihr Nervensystem, so dass Sie üblicherweise zum Jahreswechsel mehr oder weniger aus der Balance geraten.

Wenn ich Seminare für hochsensible Menschen gebe oder mit ihnen in meiner therapeutischen Praxis...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Zum Buch154
Über die Autorin154
Impressum4
Zitat5
Inhalt7
Vorwort11
Einleitung13
1 Der hochsensible Charakter15
Zwei verschiedene Typen derselben Spezies15
Hochsensible nehmen mehr Reize auf und reflektieren diese intensiver17
Gewissenhaft22
Ein reiches Innenleben25
Eine andere Strategie26
Der Hochsensible, der ständig nach neuen Reizen sucht30
Introvertiert oder extrovertiert31
Die Vor- und Nachteile von Typeneinteilungen33
2 Hohe Erwartungen an sich selbst und ein geringes Selbstwertgefühl35
Persönliche Lebensregeln35
Hohe Erwartungen an sich selbst36
Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen37
Warum es Hochsensiblen häufig an Selbstwertgefühl mangelt37
Die Angst davor, verlassen zu werden43
Den Schritt wagen45
3 Richten Sie Ihr Leben nach Ihrem Charaktertyp aus47
Geben Sie Ihrer Sensibilität Raum47
Wenn Sie etwas ablehnenmüssen, was Sie gerne tun würden51
Ratschläge und Tipps gegen Überstimulation von außen52
Ratschläge und Tipps gegen Überstimulation aus dem eigenen Inneren57
Von der eigenen Sensibilität erzählen58
4 Wie Sie am meisten Freude aus Ihrer Beziehungs- und Präsenzfähigkeit ziehen59
Hochsensible bevorzugen qualitativ hochwertige Beziehungen59
Verschaffen Sie sich Pausen60
Sorgen Sie für einen Dialog anstelle eines Monologs61
Finden Sie heraus, welche Resonanz Sie geben oder bekommen möchten62
Wie Sie ein Gespräch vertiefen – und es auch wieder oberflächlicher werden lassen können66
Vier Kontaktebenen68
5 Der Umgang mit Wut – mit der eigenen und mit der anderer75
Hochsensible bedienen sich einer anderen Strategie, mit Wut umzugehen75
Hoffnung und Wünsche83
Wenn die Wut Ohnmacht und Trauer überdeckt84
Vermeiden Sie es zu moralisieren86
6 Schuld und Scham89
Reale Schuld89
Übertriebene Schuldgefühle90
Konkrete Arbeit mit Schuldgefühlen92
Wenn man sich für seine Sensibilität schämt96
7 Lebenssituationen99
Beziehungsschwierigkeiten99
Hochsensible Eltern101
8 Psychische Leiden105
Anfälligkeit für Angstzustände und Depressionen105
Angst ist ein natürliches Gefühl105
Müdigkeit und Depression107
Gefühle und Gedanken hängen eng zusammen – das kognitive Grundmodell108
Hochsensibilität ähnelt einer Angststörung112
Einem sensiblen Nervensystem können andere Ursachen zugrunde liegen114
9 Entwicklung und Wachstum117
Hochsensible in der Psychotherapie117
Liebe dich selbst – unterstütze dich selbst118
Die Freude der Selbstfindung123
10 Forschung zu Hochsensibilität125
Heftige Reaktion auf äußere Reize125
Eine neue Bezeichnung128
Erbe und Milieu129
Testergebnisse130
Nachwort133
Ein Geschenk für Hochsensible133
Anhang137
Ideensammlung139
Beschäftigungen, die Hochsensiblen und anderen feinfühligen Personen Freude machen und zu ihrem Wohlbefinden beitragen139
«Wie sensibel bin ich?»143
Testen Sie sich selbst143
Dank149
Literaturhinweise151

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