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Die kürzeste Geschichte allen Lebens

Eine Reportage über 13,7 Milliarden Jahre Werden und Vergehen

AutorHarald Lesch, Harald Zaun
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783492992497
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Vom Urknall bis zum Homo sapiens sapiens: In einer rasanten Zeitreise erzählen Harald Lesch und Harald Zaun die großen Momente der 13,7 Milliarden Jahre alten Geschichte allen Lebens. Sie führen durch die Entstehung von Galaxien, Sternen und Planeten, zur Entfaltung des Lebens und schließlich zur Ausbildung des menschlichen Bewusstseins. Ihre Naturgeschichte ist spektakulär und doch das Gegenteil eines Schöpfungsmärchens: die kürzeste wissenschaftliche Reportage unserer Entwicklung.

Harald Lesch, geboren 1960 in Gießen, ist seit 1995 Professor für theoretische Astrophysik an der Universität München und lehrt Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie SJ. Zuvor arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Landessternwarte in Heidelberg, am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn und an der University of Toronto. Im Bayerischen Fernsehen macht er seit 1998 die Sendung 'alpha-centauri'. Mr. Universe, 'der Professor, der erzählen kann' (ZDF), moderiert im Zweiten das bekannte Magazin 'Abenteuer Forschung'. Für seine Wissensvermittlung wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.

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Leseprobe

Das Nichts und die Intoleranz der Naturgesetze


Das Universum wagt den Schritt aus dem Nichts ins Sein. Der licht- und lautlose Urknall, der sich vor dem Bruchteil des Bruchteils einer Millisekunde »ereignet« hatte, hat die erste Seite im Buch der kosmischen Annalen aufgeschlagen, ist aber bereits jetzt schon Geschichte. Denn circa 0,0000000000000000000000000000000000000000001 Sekunden nach dem Big Bang durchdringt erstmals ein zartes Ticken das All. Es ist das uhrlose Ticken der Zeit, das sich Gehör zu schaffen versucht. Materiell und räumlich gesehen ist noch nichts Angemessenes vorhanden, was unserer Anschauung gemäß als »Etwas« bezeichnet werden könnte. Selbst das kosmische Buch der ungeschriebenen Naturgesetze, das unsichtbar, form- und geräuschlos und urplötzlich mit aller Macht in die Welt drängt, ist immateriell. Die Gesetze der Physik haben fortan das Sagen. Den Bruchteil einer Mikrosekunde zuvor hatte dies noch völlig anders ausgesehen. Die uns heute bekannten Naturgesetze hatten noch keine Gültigkeit; der erste Anfang, der Beginn von allem, das war der Tag ohne Gestern.

Wem bei solchen Gedankengängen das Vorstellungsvermögen einen Strich durch die Rechnung macht, kann sich beruhigt zurücklehnen und auf der sicheren Seite der Erkenntnis fühlen. Denn die Sinnesorgane, die unser Überleben als Homo sapiens sapiens sichern, sind das Ergebnis einer Abfolge von Entwicklungsschritten. Anders als in zeitlichen Folgen wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu denken übersteigt unsere Imaginationskraft. Unser Gehirn kann letzten Endes nicht anders, als nach Ursachen zu fragen, die es aufgrund von Wirkungen in seiner Erfahrungswelt vermuten muss. Schließlich folgt unser Denkapparat konsequent nur einer Devise: Von und aus dem Nichts kommt nichts! Und diesem Wahlspruch gemäß kann unser Universum nicht aus dem Nichts gekommen sein, denn es ist unbestreitbar existent – es ist einfach »da«. Ähnlich wie den Künstlern zu Beginn des 20. Jahrhunderts, etwa den Dadaisten, die sich mit skurrilen Geschichten, Gedichten und Erzählungen dem Druck der Technik und der Moderne zu entziehen versuchten, ergeht es uns bei der Rede vom Anfang des Universums, dem surrealen Anfang von allem. Irgendwie bringt uns die Frage nach der Ursache des Universums, die selbst keine Ursache haben darf, in eine unangenehme Bredouille. In der Logik sprechen wir von einem unendlichen Regress. Die Frage nach der Erstursache lässt sich einfach nicht stellen und schon gar nicht beantworten.

Der Erfolg moderner Naturbeschreibung liegt in einem Satz der vorsokratischen Philosophie begründet, der auf den ersten Blick nichtssagend klingt, beim genaueren Hinschauen jedoch vielsagend ist: Die Natur ist »Eins«! Was bedeutet dies genau? Nun, diese Worte sagen uns, dass die Frage nach dem Ursprung der Materie sowie der sie zusammenhaltenden Kräfte untrennbar mit der Frage nach dem Ursprung des Universums verknüpft ist, denn die Natur ist alles »das«, was existent ist, ob wir dies nun mit unseren Sinnen oder technischen Instrumentarien erfassen können oder nicht. Die Natur ist »Eins«, weil sie keine Inseln der metaphysikalischen Glückseligkeit erlaubt, auf denen beispielsweise Uhren rückwärtslaufen oder Menschen aus eigener Kraft fliegen können. Und die Natur ist »Eins«, weil sie zumindest im Makrokosmos keine Oasen der Surrealität kennt. Nein, eines über das »Eine« ist gewiss: In unserem 13,7 Milliarden Jahre alten Universum gelten alle Naturgesetze immer und überall, hier – heute – gestern – morgen – übermorgen, fernab des Sonnensystems und fernab der Milchstraße. Sie regieren als unsichtbare Diktatoren das Universum mit kühler und eiserner Strenge, fordern von Materie, Raum und Zeit, aber auch von uns allerorts respektive zu allen Zeiten Gehorsam und sind zu keinerlei Kompromiss bereit. Sie beanspruchen von sich, immer recht zu haben, und haben, zum Leidwesen von Science-Fiction-Fans oder esoterisch angehauchten Phantasten, immer recht.

Wie klein war der Punkt, wie hoch die Temperatur am Anfang?


Die Naturgesetze haben auch bei der Ausdehnung des Universums das Zepter fest in der Hand. Selbst die »überlichtschnelle« Expansion des Raumes, die Inflationsphase, auf die wir noch zu sprechen kommen, kann der Allmacht der Naturgesetze nicht entfliehen. Der Raum wächst, weil die Gesetze es so wollen. Kein Tag ist wie der andere, weil alles, was heute expandiert, gestern noch kleiner war und morgen umso größer ist. Es ist ein Gedankenspiel, das sich beliebig fortsetzen lässt: entweder voran in Richtung Zukunft oder zurück gen Vergangenheit. Eines, das unweigerlich die Frage aufwirft, wie tief wir in die Vergangenheit eintauchen können, ohne dabei mit den Naturgesetzen in Konflikt zu geraten. Die Antwort hierauf ist unmissverständlich: Der ultimative Punkt, an dem die Naturgesetze enden und beginnen, ist die Anfangssingularität des Urknalls, genauer gesagt jener Ur-Punkt, der 10–43 Sekunden ( Planck-Zeit ) nach dem Urknall mindestens eine Größe von 10–33 Zentimetern, das heißt von einem millionstel milliardstel milliardstel milliardstel Zentimeter ( Planck-Länge ), hatte. Unendlich klein war der Anfang der Welt, die keinen Anfang hatte, daher nicht.

Wir wissen, dass, sobald ein Raum mit Strahlung und Materie zusammenschrumpft, in ihm die Temperatur zunimmt. Je kleiner der Raum ist, desto häufiger stoßen die materiellen Teilchen miteinander und überdies mit der Strahlung zusammen. Und je mehr der Raum schwindet, desto höher wird die Bewegungsenergie der Partikel, mit der Folge, dass sie sich immer schneller bewegen. Lassen wir in unserem Gedankenexperiment einmal den kosmischen Film rückwärtslaufen und stellen uns vor, wie das Universum immer kleiner wird. Bei einem solchen Szenario müssen wir dem Umstand Rechnung tragen, dass das All immerfort heißer wird. Und da ein kleineres Universum gemäß unserer Gedankenfolge auch ein immer jüngeres Universum ist, muss das ganz frühe Universum noch kleiner und heißer gewesen sein.

So weit können Sie uns noch folgen, nicht wahr? Aber jetzt machen wir einen fiktiven Sprung, einen hypothetischen Gedankensprung. Jetzt heißt es genau lesen und zur Not ein zweites Mal. Zunächst einmal fragen wir uns, bis zu welchem Punkt bzw. welcher Temperatur wir zurückgehen können – anders gesagt: Wie klein war der Punkt bzw. wie hoch die Temperatur am Anfang aller Dinge? War beispielsweise die Temperatur unendlich hoch? Hierauf gibt es tatsächlich eine eindeutige Antwort. Und die heißt nein! Um dies zu verstehen, müssen wir uns – unter Berücksichtigung der allgemeinen Gültigkeit der Naturgesetze im ganzen Universum – den Zusammenhang von Energie und Masse vor Augen halten. Nach dieser berühmtesten aller physikalischen Formeln entspricht Energie dem Produkt aus Masse und dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit ( E = mc² ). Da die Temperatur ein Maß für die Wärmeenergie ist, entspricht sie immer einer Masse. Die leichtesten Teilchen, aus denen Atome bestehen, sind die elektrisch negativ geladenen Elektronen, die die positiv geladenen Atomkerne umschwirren. Ihre Masse ( die Masse der Elektronen ) entspricht einer Temperatur von rund fünf Milliarden Grad Celsius. Wenn in unserer Überlegung das Universum schon so weit geschrumpft ist, dass seine Temperatur fünf Milliarden Grad Celsius beträgt, geschieht etwas ganz Erstaunliches: Die schweren Teilchen verwandeln sich in Strahlung, und die Strahlung selbst wiederum verwandelt sich in Partikel ( beides sind Formen von Energie, Masse ist gewissermaßen geronnene Energie ). Bei einer Temperatur von fünf Milliarden Grad Celsius verlieren wir also unsere erste Teilchensorte: die Elektronen. Da jene Teilchen, die den Atomkern aufbauen, die positiv geladenen Protonen und die elektrisch neutralen Neutronen, rund zweitausend Mal schwerer sind als die Elektronen, lösen sie sich erst bei entsprechend höheren Temperaturen von einigen Billionen Grad Celsius völlig auf. Ihr Verschwinden in Energie vollzieht sich in mehreren Schritten, denn sowohl Neutronen als auch Protonen bestehen ihrerseits aus weiteren Teilchen: den Quarks.

In unserer Gedankenfolge können wir das Universum so weit schrumpfen lassen, dass alle Teilchen, die heute unsere Welt aufbauen, sich in Energie umwandeln. Glauben wir den modernen Theorien der Kosmologie, dann ist das Universum im Moment der Auflösung der Neutronen und Protonen gerade einmal eine Milliardstelsekunde alt und noch ziemlich klein. Verglichen mit »unendlich klein« ist es aber immer noch »unendlich groß«. Da muss also zuvor noch einiges geschehen sein. Und tatsächlich – wie die Experimente in den modernen Beschleunigeranlagen der Elementarteilchenphysiker zeigen – werden heute durch das Aufeinanderschießen von ganz schnellen Teilchen Temperaturen von bis zu einer Billiarde Grad Celsius erreicht. Sozusagen als Abfallprodukt entstehen dabei ganz neue Teilchen. Diese Partikel sind im heutigen Universum nicht mehr vorhanden und können nur in besonders aufwendigen Versuchen für ganz kurze Zeit erzeugt werden. In den frühen Phasen des Universums aber stellen diese merkwürdigen Teilchen die natürlichen materiellen Bestandteile dar. Damals war im Kosmos alles kleiner und heißer. Hier versagt die Praxis und beginnt die Theorie. Demnach können wir zumindest gedanklich das Universum bis auf eine Größe von 10–33 Zentimetern in seiner Entwicklung zurückverfolgen. Es ist dann aber schon 10–43 Sekunden alt, also schon sehr weit weg von dem Zeitpunkt null. Das kleinste physikalisch denkbare Universum ist 20 Größenordnungen kleiner als ein Proton und hat eine Temperatur von sage und schreibe...

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