Nachdem der konzeptionelle Überblick des vorangegangenen Kapitels den Rahmen der Konzernlageberichterstattung beschrieben hat, werden in diesem Kapitel die Grundlagen der im weiteren Verlauf dieser Arbeit untersuchten Prognoseberichterstattung dargestellt.
Eine Prognose wird in DRS 20.11 als „Aussage über voraussichtliche Entwicklungen und Ereignisse“ definiert. Diese Begriffsbestimmung ist für eine wissenschaftliche Auswertung jedoch weiter zu präzisieren.[199] Die Prognose muss im Zeitablauf sowohl vorher, als auch nachher überprüfbar sein und sich auf einen genau definierten und überprüfbaren Sachverhalt beziehen.[200] Vor Ablauf des Prognosezeitraums wird eine Prognose durch die Analyse der auf nachvollziehbaren und stützbaren Argumenten basierenden Herleitung überprüfbar, wobei die Prämissen verdeutlichen, unter welchen Voraussetzungen die Prognose gültig ist.[201]
Zu den wesentlichen Merkmalen, anhand derer Prognosen im Kontext der Lageberichterstattung abgegrenzt werden können, gehören der Prognosegegenstand, der Prognosehorizont, die Prognosepräzision sowie die Konditionalität.[202]
Der Prognosegegenstand unterscheidet die zu prognostizierende Variable, welche im Bereich der ökonomischen Prognosen z.B. den Umsatz, das Ergebnis oder den Marktanteil beinhalten können. Die zeitliche Reichweite der Prognose, also der Prognosehorizont, kann in kurz-, mittel- und langfristig unterschieden werden.[203] In empirischen Studien wird i.d.R. im Bereich der mittelfristigen Prognosen zwischen ein- und zweijährigen Prognosen sowie darüber hinausgehenden Prognosehorizonten unterscheiden.[204] Der Grad der Genauigkeit der Prognose kann nach deren Art in quantitativ oder qualitativ unterschieden werden.[205] Die quantitative Prognose beinhaltet konkrete Zahlenwerte oder Bandbreiten, wogegen die qualitative Prognose auf verbale Umschreibungen zurückgreift.[206] Das Merkmal der Konditionalität kann in bedingte und unbedingte Prognosen differenziert werden.[207] Die Unterscheidung erfolgt also darin, ob für das Eintreffen einer Prognose andere Ereignissen vorangegangen sein müssen (bedingt) oder ob die Prognose nicht an Voraussetzungen geknüpft ist (unbedingt).[208] Die gesetzliche verpflichtende Prognoseberichterstattung erfordert ausschließlich bedingte Prognosen aufgrund der Pflicht, die zugrunde liegenden Annahmen anzugeben.[209]
Quelle: modifiziert übernommen von Barth, D. (2009): S. 20
Abb. 2 Merkmalausprägungen von Prognosen
Die folgende Abbildung zeigt die wesentlichen Merkmalausprägungen von Prognosen.
Die Merkmale der Prognoseberichterstattung werden in Kapitel 3.4 im Rahmen der Anforderungen des DRS 20 genauer erläutert.
Der Prognosebericht ergänzt mit seinen zukunftsbezogenen Aussagen den primär vergangenheitsbezogenen Wirtschaftsbericht sowie den Konzernjahresabschluss, der ebenso die Zahlen des abgelaufenen Berichtsjahres beinhaltet.[210] Dem Adressaten des Konzernlageberichts vermittelt die Einschätzung der Konzernleitung zu den voraussichtlichen Entwicklungen sowie über die voraussichtlichen Ereignisse[211] einen tieferen Einblick in die der Bilanzierung des Berichtsjahres zugrunde liegenden Prognosen und Risiken.[212] So sind z.B. negative Prognosen bzw. Risiken für die Folgeperiode in Form von Rückstellungen in den Konzernjahresabschlusswerten des Berichtsjahres enthalten.[213] Ebenso gewinnt der Adressat auch einen Eindruck über die Zukunftsplanung des Konzerns. Mit der grundlegenden Annahme, dass sich der Wert eines Unternehmens aus seinen Zukunftsperspektiven herleitet, wird die Berichterstattung über die zukünftigen Pläne[214] des Managements und der erwarteten Unternehmensentwicklung zur Quelle entscheidungsrelevanter Angaben für Investoren.[215]
Der Prognosebericht ist sowohl für die unterschiedlichen Adressaten als auch für die berichtenden börsennotierten Konzerne von besonderer Bedeutung. Wie Untersuchungen zur Bedeutung der Teilberichte des Konzernlageberichts zeigen, belegt der Prognosebericht je nach befragter Gruppe mehrheitlich den zweiten Rang, nach dem Bericht über die Ertrags-, Finanz-, und Vermögenslage des Berichtsjahres.[216] Die berichtenden Konzerne sehen die Abgabe der Prognosen häufig kritisch und sie befürchten oftmals nachteilige Wirkungen, z.B. durch Offenlegung sensibler Informationen oder durch negative Kapitalmarktreaktionen bei Nicht-Erreichen ihrer Prognosen.[217]
Die handelsrechtlichen Vorschriften zur Prognoseberichterstattung des Konzernlageberichts sind in § 315 Abs. 1 Satz 5 HGB geregelt. Hierin werden die Beurteilung und Erläuterung der voraussichtlichen Entwicklung mit ihren Chancen und Risiken unter Angabe der zugrunde liegenden Annahmen gefordert. Über die inhaltlichen Aspekte der zu berichtenden voraussichtlichen Entwicklung enthält das HGB keine expliziten Ausführungen.[218] Durch die inhaltlich enge Verknüpfung des Prognoseberichts mit der Darstellung und Analyse des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses und der Lage in Abs. 1 des § 315 HGB macht der Gesetzgeber deutlich, dass dies auf konkretisierende Inhalte für die Prognosegegenstände hinweist.[219] Hieraus ergibt sich die in der Kommentierung vorherrschende Annahme, dass sich die Beurteilung und Erläuterung der Prognosen, bei Bedarf ergänzt um allgemeine Entwicklungen (z.B. Branche, Märkte), konkret auf den Geschäftsverlauf, das Geschäftsergebnis sowie die wirtschaftliche Lage zu beziehen hat.[220] Die an realistischen Erwartungen ausgerichtete Beurteilung und Erläuterung der voraussichtlichen Entwicklung erfolgt verbal, wobei dies über eine reine Darstellung hinaus die Erklärung und Verdeutlichung von Sachverhalten, Zusammenhängen und Umständen aus Sicht der Geschäftsleitung, ggf. um Zahlenangaben ergänzt, beinhaltet.[221] Die den Prognosen mit deren Chancen und Risiken zugrunde liegenden Annahmen sind gemäß § 315 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 HGB anzugeben.[222] Hierdurch wird die Pflicht zu beurteilen und zu erläutern verstärkt.[223] Die explizite Vorgabe soll den Adressaten ermöglichen, die Beurteilung der voraussichtlichen Entwicklung auf Plausibilität hin zu überprüfen und die Prämissen der Konzernleitung kritisch zu hinterfragen. Aus Sicht des Gesetzgebers steigert die Angabe der Annahmen die Qualität der Lageberichterstattung und erhöht die entscheidungsbezogenen bzw. investitionsrelevanten Angaben.[224]
Die Vorschriften des DRS 20 konkretisieren die handelsrechtlichen Anforderungen an den Prognosebericht,[225] da weder das HGB noch die zugrunde liegenden EU-Richtlinien spezifizieren, in welcher Art oder mit welcher Genauigkeit die Aussagen des Prognoseberichts zu erfolgen haben.[226] Die Konkretisierung erfolgt insbesondere innerhalb der Prognosemerkmale Prognosegegenstand, Prognosegenauigkeit und Prognosehorizont sowie darüber hinaus in den weiteren inhaltlichen Anforderungen an den Prognosebericht. So fordert bspw. das HGB, dass die voraussichtliche Entwicklung (Prognose) zu beurteilen und zu erläutern ist, führt im Gesetzestext allerdings nicht aus, was unter Beurteilung und Erläuterung zu verstehen ist. An dieser Stelle wird in DRS 20.11 definiert, welche Bedeutung die Begriffe im Kontext der Konzernlageberichterstattung haben. Der Standard geht darüber hinaus noch konkreter auf die inhaltliche Gestaltung bzw. Formulierung ein, indem er betont, dass zukunftsbezogene Aussagen klar von stichtags- und vergangenheitsbezogenen Informationen zu unterscheiden sind.[227] Damit demnach Prognosen und Tatsachen voneinander abgegrenzt werden, muss in den Aussagen zur voraussichtlichen Entwicklung deren Prognosecharakter deutlich erkennbar sein (DRS 20.125). Dies ist durch die Gliederung und klare Überschrift „Prognosebericht“ möglich oder durch eindeutige Formulierungen, wie z.B. „wir erwarten“ oder „nach unserer Einschätzung“.[228] Die konkreten Anforderungen der Prognosemerkmale sowie weiterer Inhalte werden im folgenden Kapitel erläutert.
Innerhalb der International Financial Reporting Standards (IFRS) existiert bisher keine Vorschrift vergleichbar zum deutschen Lagebericht. Mit dem Practice-Statement zum Management Commentary wurde ein unverbindliches Rahmenkonzept zur Erstellung eines Managementberichts nach IFRS formuliert, welches am 08.12.2010 durch das International Accounting Standards veröffentlicht wurde. Das Practice-Statement Management Commentary ist nicht Gegenstand der Betrachtung in dieser Arbeit.[229]