Sie sind hier
E-Book

Die leuchtenden Länder

Reisende Frauen erkunden den Orient

AutorArmin Strohmeyr
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783492975995
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Während sich im Europa des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts die Oberschicht in pulsierenden Metropolen wie Paris, London oder Berlin verlustierte, war den hier porträtierten Frauen ein Leben zwischen Boudoir und Salon nicht genug. Abenteurerinnen wie Isabel Burton, Vita Sackville-West und Freya Stark bereisten in Männerkleidern den Orient, ritten auf Maultieren durch Wüsten und über Gebirge, verteidigten sich gegen Wegelagerer und erforschten als Archäologinnen und Ethnologinnen alte Kulturen.

Armin Strohmeyr ist promovierter Germanist und Autor viel beachteter Biografien, Porträtsammlungen und Romane. Sein Buch »Verkannte Pioniere« wurde von der Zeitschrift DAMALS beim Wettbewerb »Historisches Buch des Jahres« mit dem 3. Platz prämiert und stand auf der Shortlist »Wissenschaftsbuch des Jahres« des Österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung. Zuletzt erschienen bei Piper »Annette Kolb. Dichterin zwischen den Völkern«, »Weltensammlerinnen. Spektakuläre Reiseabenteuer mutiger Frauen«, »Dichterkinder. Liebe Verrat und Drama - der Kreis um Klaus und Erika Mann«, »Große Philosophinnen. Wie ihr Denken die Welt prägte« und »?Wir sind unser sechs?. Die Geschichte der Geschwister Mann«. Armin Strohmeyr ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. www.armin-strohmeyr.de

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

1Elizabeth Marsh-Crisp (1735 –1785)


Gefangene des Sultans, Kaufmannsfrau in Indien

Menorca, Mitte April 1756. Auf der von den Briten besetzten Insel herrscht Aufregung. Frankreich hat dem Vereinigten Königreich den Krieg erklärt. Einhundertzwanzig Schiffe der französischen Kriegsmarine sind auf dem Weg zu den Balearen. Die britische Kommandantur entschließt sich, Menorca aufzugeben und sich mit den wichtigsten Kräften ins stark befestigte Gibraltar, das seit 1704 britisch ist, abzusetzen. Am 22. April, die Franzosen haben bereits Fuß auf der Insel gefasst, verlassen die englischen Schiffe den Hafen. Mit an Bord sind der Marinebeamte Milbourne Marsh, seine Frau Elizabeth und seine zwanzigjährige Tochter, die ebenfalls Elizabeth heißt. Doch die eigentliche Odyssee steht der jungen Frau erst noch bevor …

Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ist nicht nur eine Zeit erster transkontinentaler Kriege, sondern auch des wachsenden globalen Handels. Rohstoffe und Handelsgüter aller Art, aber auch menschliche Arbeitskräfte – Auswanderer und Sklaven – werden zwischen Europa, Afrika, Amerika und Asien transportiert.

Elizabeth Marsh war in gewisser Weise wie ihre Zeit: getrieben, zwischen Kontinenten und Lebensschicksalen, teils Opfer, teils Mitgestalterin. Ihr Schicksal war nicht nur beispielhaft, sondern auch außergewöhnlich. Sie war eine Frau, die trotz aller Konventionen ihr eigenes, emanzipiertes Leben führte. Ein Leben, das Gefangenschaft ebenso kannte wie Unternehmertum, schriftstellerische Ambition, Reiselust und amouröse Abenteuer. Von sich selbst sagte Elizabeth Marsh treffend: »Ich gehöre zu den rastlosen Wesen.«

Eine Liebe auf Jamaika


Die Geschichte von Elizabeth Marsh beginnt nicht in Europa, sondern im damals britischen Jamaika in der Karibik. Zuckerrohr ist das Gold der Insel. Schwarze Sklaven schuften auf den Plantagen. 1732 lernt der junge Schiffszimmermann Milbourne Marsh in der jamaikanischen Hafenstadt Port Royal die verheiratete Elizabeth Evans, eine Mulattin, kennen. Deren Mann betreibt einen gutgehenden Ausschank. James Evans weiß von der Affäre seiner Frau. Doch bevor es zum öffentlichen Skandal kommt, stirbt er und hinterlässt Elizabeth ein hübsches Vermögen.

Im Dezember 1734 heiraten Milbourne Marsh und Elizabeth Evans. Marsh will nach England zurück. Im Juni 1735 besteigt die junge Familie ein Schiff. Es ist höchste Zeit, denn Mrs. Marsh ist im sechsten Monat schwanger. Am 20. August erreichen sie Portsmouth. Einen Monat später kommt das Kind zur Welt, das auf den Namen Elizabeth getauft wird.

In Portsmouth und Chatham bei London wächst Elizabeth auf. Milbourne Marsh findet als leitender Zimmermann in der Werft ein gutes Auskommen. Zwei Söhne kommen zur Welt. Langsam steigt die Familie sozial auf. Sie beziehen ein Haus in bürgerlicher Gegend. Damit sind die Marshs Nutznießer der industriellen Revolution, die in jenen Jahren in England beginnt. Mit Fleiß und Findigkeit können die gesellschaftlichen Schranken durchbrochen werden.

Die Tochter Elizabeth lernt Französisch, Rechnen und Buchführung. Sie soll einmal gut verheiratet werden, das Haushaltsbuch führen und gepflegte Konversation betreiben können. Und sie erhält Unterricht in Klavier und Gesang. London ist damals neben Wien das wichtigste musikalische Zentrum Europas. Aber so bruchlos vollzieht sich der gesellschaftliche Aufstieg nicht. Die junge Elizabeth Marsh hat etwas Unangepasstes, Selbstständiges. Vielleicht spielt das afrokaribische Erbe mit hinein. Jedenfalls erscheint ihr die Aussicht auf eine brave bürgerliche Ehe wenig verheißungsvoll.

Da erhält Milbourne Marsh im Jahre 1755 eine hochbezahlte Stelle auf Menorca und zieht mit seiner Familie dorthin. Das Klima ist mild, das Leben lockerer als im zugeknöpften England.

Doch im Jahr darauf bricht Krieg aus. Die Familie flieht nach Gibraltar. Die zwanzigjährige Elizabeth jedoch will zurück nach England – allein. Endlich gibt der Vater dem Drängen der Tochter nach. Am 27. Juli 1756 besteigt sie das Handelsschiff »Ann«, einen recht abgetakelten, unbewaffneten Kutter. Elizabeth ist die einzige Frau an Bord. Ansonsten: zehn Mann Besatzung und eine Ladung Branntweinfässer.

Gekapert


Auf der Flucht nach Gibraltar, entlang der spanischen Küste, fiel den Engländern bereits auf, dass die meisten Fischerdörfer nicht direkt am Wasser liegen, sondern sich ein Stück landeinwärts an die Hänge schmiegen. Die Passagiere wundern sich. Der zeitgenössische britische Marineoffizier Boscawen jedoch hat in Briefen an seine Frau eine Erklärung bereit: »Der Grund, dass ihre Häuser so liegen, ist die Angst vor den Mauren, die, wenn ihre Häuser zugänglich wären, landen und ganze Dörfer in die Sklaverei verschleppen würden, was trotz aller Vorsicht dennoch häufig geschieht, vor allem in jenem Teil Spaniens, der an der Mittelmeerküste liegt.« Die Sklaverei ist damals – und noch weit ins 19. Jahrhundert hinein – ein wichtiger Wirtschaftszweig in der arabischen und osmanischen Welt. Schätzungen gehen davon aus, dass vom Ende des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts rund 1,25 Millionen Europäer in Gefangenschaft oder Sklaverei durch Araber und Osmanen gerieten. Allein beim osmanischen Vorstoß auf Wien im Jahre 1683 sollen etwa achtzigtausend Europäer – Männer, Frauen und Kinder – versklavt worden sein.

Elizabeth Marsh ist an Bord der »Ann« auf dem Weg nach England. Doch kurz hinter Gibraltar kommt dichter Nebel auf. Die »Ann« driftet orientierungslos im Ozean. Elizabeth Marsh erinnert sich: »Wir waren in völliger Unkenntnis der Gefahr, in der wir uns befunden hatten, bis es vorüber war.« Vorüber ist die Fahrt sehr bald, aber nicht das Abenteuer: Ein marokkanisches Korsarenschiff, mit zwanzig Kanonen und hundertdreißig Mann, bringt die kleine, wehrlose »Ann« auf. Elizabeth Marsh blickt voller Entsetzen zurück: »Wir sahen ein Segel windwärts hinter uns herjagen, und um halb acht kam es in Reichweite eines Pistolenschusses an uns heran.« Die Korsaren kapern das englische Handelsschiff und bringen die Gefangenen an Bord, darunter auch die Kaufleute James Crisp und Joseph Popham. Über die Existenz einer jungen, schönen Frau an Bord freuen sich die Piraten natürlich besonders. Sie sperren die Gefangenen in eine Kajüte. Elizabeth Marsh: »Sie war so eng, dass wir nicht aufrecht darin stehen konnten. An diesem elenden Ort sollten vier Menschen wohnen.« Die junge Frau trainiert sich in jenen Tagen eine gewisse Härte an. Ihr Mitgefangener Joseph Popham schreibt später voller Respekt: »Miss Marsh hielt sich in ihrer unglücklichen Lage besser, als man es von ihrem zarten Geschlecht erwarten durfte.« Freilich ist der Mitgefangene wenig Trost und Hilfe, erzählt er doch der jungen Elizabeth »Geschichten von den Grausamkeiten der Mauren«, wie sie selbst schreibt, »denen mein Geschlecht in der Berberei ausgesetzt sei«.

Nach ein paar Tagen landen die Korsaren in der marokkanischen Hafenstadt Salé, bringen die Gefangenen in einem von Schmutz und Ungeziefer starrenden Haus unter und melden ihren Fang dem Sultan in Marrakesch. Der Herrscher von Marokko Sidi Muhammad ist eine schillernde Gestalt: Gebildet, der Welt gegenüber aufgeschlossen, ein vordergründig aufgeklärter Mann. Aber er gefällt sich trotz seiner höfischen Manieren auch in seiner Allgewalt. Das macht ihn unberechenbar. Im Jahr zuvor hat er ein grausames Exempel an europäischen Kaufleuten statuiert, die aufrührerische Stämme unterstützt haben sollen. Ein Zeitgenosse, Jaime Arvona, selbst ein Sklave, der später freikam, berichtet: »Seine Hoheit nahm alle christlichen Kaufleute und Mönche gefangen; aber da Mr. Mounteney Engländer war, legte er ihm eine schwere Kette um den Hals und Eisen um die Beine und verabreichte ihm so viele Schläge, dass man ihn als tot liegen ließ; allerdings starb er hinterher in seinem eigenen Haus, nachdem er verstanden hatte, dass der Prinz ihm einen langsamen Tod zugedacht hatte, weil er Engländer war; er verlor den Verstand und erhängte sich.«

Zu Sidi Muhammads althergebrachten Vorrechten gehört die Vielehe. Arabische Frauen hat er schon genug. Aber eine Engländerin? Noch dazu mit karibischem Einschlag? Er schickt eine seiner Frauen in das Haus der Gefangenen, um die Fremde zu begutachten. Elizabeth Marsh erinnert sich: »Sie war überraschend groß und kräftig, hatte ein breites, flächiges Gesicht, sehr dunkle Haut und langes schwarzes Haar. Sie trug ein Musselinkleid, das an ein Priestergewand erinnerte, am Hals geknöpft war wie ein Hemdkragen und bis zu ihren Füßen reichte. An Armen und Beinen hatte sie Armbänder, war aufdringlich neugierig, mich und mein Kleid zu untersuchen, und war höchst amüsiert über meine Erscheinung.«

Elizabeth Marsh wird des Harems für würdig befunden. Eine Karawane bringt die Gefangenen fünfhundert Kilometer weit durchs karge Gebirge in die Hauptstadt Marrakesch. Unterwegs macht sich Elizabeth Marsh erste Notizen. Später wird sie die für ihr Buch The Female Captive, Die weibliche Gefangene, verwenden. In der Wüste erst wird sie sich der eigenen Verlorenheit bewusst: »Es war kein Haus oder Baum mehr zu sehen, nur weites Land voller hoher Berge […]. Wenn vorüberziehende Beduinen zu Grobheiten neigten, riefen meine Bewacher ihnen zu, ich ginge als Geschenk an Sidi Muhammad.«

Die Karawane zieht nur des Nachts, wenn es kühl ist, durch die Wüste. Tagsüber campieren sie irgendwo im Schatten eines Felsens und warten darauf, dass die...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Biografie - Geschichte - Erinnerungen

Walter Ulbricht

E-Book Walter Ulbricht
Eine deutsche Biografie Format: ePUB/PDF

Walter Ulbricht, 1893 in Leipzig als Spross einer sächsischen Handwerkerfamilie geboren, schloss sich nach einem Zwischenspiel bei der SPD früh der kommunistischen Bewegung an. Er wird…

Walter Ulbricht

E-Book Walter Ulbricht
Eine deutsche Biografie Format: ePUB/PDF

Walter Ulbricht, 1893 in Leipzig als Spross einer sächsischen Handwerkerfamilie geboren, schloss sich nach einem Zwischenspiel bei der SPD früh der kommunistischen Bewegung an. Er wird…

Göring

E-Book Göring
Eine Karriere Format: ePUB

Hitlers Paladin: populär, hörig, größenwahnsinnig. Seit langem die erste große Göring-Biografie.Er war der zweitmächtigste Nazi-Führer, zeitweilig beliebter als Hitler selbst; er war leutselig und…

Göring

E-Book Göring
Eine Karriere Format: ePUB

Hitlers Paladin: populär, hörig, größenwahnsinnig. Seit langem die erste große Göring-Biografie.Er war der zweitmächtigste Nazi-Führer, zeitweilig beliebter als Hitler selbst; er war leutselig und…

Ernst Jünger

E-Book Ernst Jünger
Die Biographie Format: ePUB

Ernst Jünger - der umstrittenste Schriftsteller des 20. JahrhundertsDer Schriftsteller Ernst Jünger war eine Jahrhundertgestalt. Geboren im Kaiserreich und gestorben erst nach der Wiedervereinigung…

Ernst Jünger

E-Book Ernst Jünger
Die Biographie Format: ePUB

Ernst Jünger - der umstrittenste Schriftsteller des 20. JahrhundertsDer Schriftsteller Ernst Jünger war eine Jahrhundertgestalt. Geboren im Kaiserreich und gestorben erst nach der Wiedervereinigung…

Ernst Jünger

E-Book Ernst Jünger
Die Biographie Format: ePUB

Ernst Jünger - der umstrittenste Schriftsteller des 20. JahrhundertsDer Schriftsteller Ernst Jünger war eine Jahrhundertgestalt. Geboren im Kaiserreich und gestorben erst nach der Wiedervereinigung…

Weitere Zeitschriften

arznei-telegramm

arznei-telegramm

Das arznei-telegramm® informiert bereits im 53. Jahrgang Ärzte, Apotheker und andere Heilberufe über Nutzen und Risiken von Arzneimitteln. Das arznei-telegramm®  ist neutral und ...

bank und markt

bank und markt

Zeitschrift für Banking - die führende Fachzeitschrift für den Markt und Wettbewerb der Finanzdienstleister, erscheint seit 1972 monatlich. Leitthemen Absatz und Akquise im Multichannel ...

BMW Magazin

BMW Magazin

Unter dem Motto „DRIVEN" steht das BMW Magazin für Antrieb, Leidenschaft und Energie − und die Haltung, im Leben niemals stehen zu bleiben.Das Kundenmagazin der BMW AG inszeniert die neuesten ...

Card-Forum

Card-Forum

Card-Forum ist das marktführende Magazin im Themenbereich der kartengestützten Systeme für Zahlung und Identifikation, Telekommunikation und Kundenbindung sowie der damit verwandten und ...

Courier

Courier

The Bayer CropScience Magazine for Modern AgriculturePflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und generell am Thema Interessierten, mit umfassender ...

Deutsche Hockey Zeitung

Deutsche Hockey Zeitung

Informiert über das nationale und internationale Hockey. Die Deutsche Hockeyzeitung ist Ihr kompetenter Partner für Ihren Auftritt im Hockeymarkt. Sie ist die einzige bundesweite Hockeyzeitung ...

ea evangelische aspekte

ea evangelische aspekte

evangelische Beiträge zum Leben in Kirche und Gesellschaft Die Evangelische Akademikerschaft in Deutschland ist Herausgeberin der Zeitschrift evangelische aspekte Sie erscheint viermal im Jahr. In ...

e-commerce magazin

e-commerce magazin

PFLICHTLEKTÜRE – Seit zwei Jahrzehnten begleitet das e-commerce magazin das sich ständig ändernde Geschäftsfeld des Online- handels. Um den Durchblick zu behalten, teilen hier renommierte ...