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E-Book

Die Logik der Tat

Erkenntnisse eines Profilers

AutorAlexander Horn
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783426422441
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Mord ohne Leiche - eine Frau verschwindet spurlos. Ein Unbekannter entführt Kinder aus Schullandheimen. Die Polizei sucht über viele Jahre die Mörder von acht Türken und einem Griechen. Das alles sind Fälle aus dem Alltag des Fallanalytikers Alexander Horn - Fälle, in denen die Polizei vor großen Rätseln stand und ihn und sein Team um Rat fragte. Alexander Horn schildert am Beispiel aufsehenerregender Kriminalfälle, wie die Fallanalyse systematisch arbeitet, und er erläutert, was im Kopf von Mördern vor sich geht, die schreckliche Verbrechen begehen.

Alexander Horn, geboren 1973 in Bad Tölz, ist einer der bekanntesten deutschen Fallanalytiker. Nach seiner Ausbildung als Kriminalpolizist war er Mitbegründer des Täterprofilings bei der Münchner Mordkommission. Als Leiter der Dienststelle für Operative Fallanalyse (OFA) war Alexander Horn maßgeblich an der 'Soko Dennis' sowie der 'BAO Bosporus' beteiligt.

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Leseprobe

1  Die Aufgabe des Beraters


Was wir tun: Unterstützung unter Stress

Galway, Irland: Der Fußweg entlang der Bahngleise ist bei Nacht ein unheimlicher Ort. Die Straßenlaternen werfen nur ein schummriges Licht; links sind die Schienen, rechts verläuft ein kleines Mäuerchen, dahinter ist ein Dickicht, das steil nach unten abfällt. Wer bei Dunkelheit hier entlanggeht, kann kaum erkennen, was sich dort verbirgt. Irgendwo hier muss der Mann gewartet haben, der Manuela R. an einem Sonntag nachts missbraucht und ermordet hat.

Jetzt, einige Tage später, ist es hell. Mein Kollege Klaus Wiest und ich gehen mit Derek und Neil, unseren irischen Kollegen, den Weg entlang. The Line heißt er schlicht; über viele Kilometer verläuft er längs der Bahnlinie und wird als Abkürzung zwischen dem Zentrum von Galway und dem Stadtteil Renmote genutzt. Nicht wenige Nachtschwärmer nutzen ihn am Wochenende, um nach der Disco oder dem Treffen im Pub schneller heimzukommen. Es gibt Eltern, die ihre Kinder davor warnen: Gelegentlich hat es hier Raubüberfälle gegeben. Auf diesem Weg ist Manuela, eine 17-jährige Austauschschülerin aus der Schweiz, in jener Nacht gegangen, allein. Am Dienstag fanden Spaziergänger ihre entstellte Leiche unten in den Büschen jenseits der Mauer. Die hiesige Polizei, die Garda, hat uns um Unterstützung gebeten.

So wie in Galway im Jahr 2007 sehen die Situationen aus, in denen wir ins Spiel kommen: die OFA Bayern, das Kommissariat für Operative Fallanalyse, das ich seit 17 Jahren leite.

Auf dem langen Wegstück, weit weg von allen Häusern, fällt uns eine Stelle auf, ein Trampelpfad nur, der von unten steil heraufführt zur Line. Das Gestrüpp ist sonst zu dicht, um sich darin zu bewegen. Hier also könnte der Täter dem Opfer aufgelauert haben.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Er hat sich den Abend über in der Hoffnung auf ein Opfer an der Stelle versteckt, wo der Pfad auf den Fußweg trifft. Für wahrscheinlicher halten wir es, dass der Täter Manuela am Rande der City gesehen hat, als sie gerade zu Fuß in die Line abbog. Er wusste, dass sie den Weg allein langgehen würde. Wenn er sich auskannte, ist er ihr unterhalb der Böschung auf dem unbefestigten Parallelweg gefolgt, auf dem tagsüber oft Hundebesitzer mit ihren Tieren unterwegs sind, und von dort den Trampelpfad zur Line hinaufgestiegen. Oben konnte er ihr, falls er schnell genug war, den Weg abschneiden.

Wir gehen davon aus, dass der Unbekannte genau dies getan, sein Opfer dann überwältigt und hinunter in die Finsternis der Büsche und des Gestrüpps gezerrt hat. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass nachts hier jemand entlanggeht, und von oben, vom Fußweg, sieht man nichts in der Dunkelheit. Das spricht sehr dafür, dass der Mord nicht an der Line selbst geschah. Dort hätten ja vielleicht noch Radfahrer oder Kneipengänger auf dem Nachhauseweg vorbeikommen können. Sollte unsere Hypothese zutreffen, dann haben wir für Derek und Neil eine überraschende Neuigkeit. Viele in Galway sind der festen Ansicht: Ein Mensch, der so eine brutale Tat begeht, kann eigentlich nicht aus unserer Mitte stammen, nicht aus unserer kleinen, friedlichen Stadt. Aber genau das nehmen wir jetzt an: Dieser Mörder war nicht der große Fremde. Er lebt wahrscheinlich hier in Galway.

Es gibt im Leben Situationen, in denen man eine schwere Entscheidung treffen muss. Je größer deren Tragweite ist, desto schwerer fällt sie. Eine Sonderkommission der Kriminalpolizei wie jene in Galway kann schnell an den Punkt geraten, wo es ihr nicht anders geht: Sie muss sich entscheiden, für oder gegen eine Ermittlungsrichtung, für oder gegen eine Theorie. Sie kann ihre Kräfte natürlich auch aufteilen, aber das hat seine Grenzen. Selbst wenn der Soko viel Personal zur Verfügung steht, kann sie nicht in alle Richtungen gleichzeitig mit voller Kraft ermitteln. Sie muss Prioritäten setzen, sich entscheiden. So wie unsere irischen Kollegen in Galway: Sollen sie den Sexualmörder in ihrer Stadt suchen? Oder gehen sie davon aus, dass er ein reisender Täter war? Beides sind sehr aufwendige, aber auch sehr unterschiedliche Ermittlungen.

Wir werden gerufen von Menschen in Ausnahmesituationen, von Kollegen, die vor solch schwierigen Entscheidungen stehen. Mein Beruf als Polizeilicher Fallanalytiker ist es, sie als Berater zu unterstützen. In der Regel sind es Leiter von Sonderkommissionen der Kriminalpolizei. Sie tragen die Verantwortung für die Ermittlung von Sexualmorden, Serienvergewaltigungen oder auch Serienmorden, haben zu entscheiden, auf was und auf wen sich ihre Leute konzentrieren sollen – und auf was oder wen nicht.

Wir bieten ihnen kriminalistisches Hintergrundwissen, vergleichen ihren Fall mit einem der vielen ähnlichen Verbrechen, die wir bearbeitet haben, oder erstellen eine Fallanalyse und ein Täterprofil. In den Medien ist mein Beruf als »Profiler« bekannt. Dieser Begriff greift aber zu kurz, deshalb hören wir ihn eigentlich nicht so gern. Er stammt aus den USA und beschreibt einen Kriminalbeamten, der das Profil eines unbekannten Verbrechers entwirft. Auch wir erstellen solche Profile und beschreiben darin die Persönlichkeit eines Täters – schätzen unter anderem sein Alter, seine Lebensumstände und seine kriminelle Erfahrung ein. Tatsächlich aber geht die Arbeit eines Fallanalytikers weit darüber hinaus. Unser Job ist es vor allem, ein »vertieftes Fallverständnis« bei den eigentlichen Ermittlern herzustellen, wie wir es nennen. Wir wollen ihnen also helfen, noch besser zu begreifen, was eigentlich am Tatort geschehen ist und was das Verhalten des Täters über diesen verrät.

Eine Sonderkommission, wie jene von Derek und Neil in Galway, steht meist unter massivem Druck – der Medien, der Vorgesetzten, der Politik. Wir beraten Kollegen, die massiv unter Stress stehen. Die Männer und Frauen der Soko müssen Hunderten von Spuren und Hinweisen nachgehen; Angehörige des Opfers rufen an; Reporter drängeln, und Behördenleiter verlangen Ergebnisse. Sie fragen: »Wieso seid ihr noch nicht weiter?« Dazu kommt die berechtigte Sorge, in all der Hektik vielleicht die eine, entscheidende Spur zu übersehen oder falsch einzuordnen.

Genau das passierte 1977 bei einem der bekanntesten Kriminalfälle der deutschen Geschichte: während der Fahndung nach den Entführern von Hanns Martin Schleyer. Ein aufmerksamer Polizist hatte eine verdächtige Wohnung in Erftstadt-Liblar gemeldet. Doch durch eine Panne wurde der einzig richtig Hinweis nicht in das damals neue, revolutionäre Computersystem PIOS aufgenommen und blieb unbeachtet. Ein fatales Versäumnis: Es war die Wohnung, in der die RAF-Terroristen den Arbeitgeberpräsidenten während der ersten Tage versteckt hielten.

Um es noch mal zu verdeutlichen: Die Aufgabe des Beraters ist es nicht, die Ermittlungen zu übernehmen oder zu leiten. Was uns unterscheidet, ist die Häufigkeit, mit der wir uns mit den einschlägigen Delikten beschäftigen, das Hintergrundwissen, welches in unserer speziellen Ausbildung vermittelt wird, und eine besondere, streng methodische Herangehensweise.

Mit einem Sexualmord werden die meisten Kripobeamten glücklicherweise nur sehr selten konfrontiert. Für uns ist ein solches Verbrechen Alltag: Als Zentralstelle für Fallanalysen und Täterprofile sind wir für solche Fälle in ganz Bayern zuständig.

Wir kommen nur dann, wenn man uns ruft. »Ich fordere die OFA ja nicht jeden Tag an«, hat ein befreundeter Soko-Leiter mir einmal gesagt, »sondern bei Fällen, wie ich sie eben nicht jeden Tag habe.« Das ist treffend bemerkt. Die Anzahl der Anfragen an uns hat sich auf circa dreißig bis fünfzig Fälle jährlich eingependelt, die Hälfte davon betreffen Tötungsdelikte. Dies bedeutet, dass unser Kommissariat innerhalb von nur kurzer Zeit viel Erfahrung sammelt, und das ist vielleicht noch wichtiger als psychologische Kenntnisse in den entsprechenden Deliktsfeldern.

Gerade Sexualverbrechen sind oft viel schwerer zu verstehen, als es den Anschein hat, selbst für erfahrene Kollegen der Mordkommissionen. Das ist vor allem dann so, wenn der Täter sich außergewöhnlich verhalten hat. Ungewöhnliche Spuren am Opfer, eine seltsam drapierte Leiche – das sagt viel aus über den Verbrecher. Ein Berufskrimineller möchte nicht auffallen, ein Drogendealer oder ein Auftragsmörder will Spuren so weit wie irgend möglich vermeiden. Er tut nur, was er tun muss, um sein Ziel zu erreichen. Bei Sexualstraftaten ist dies oft anders; und mit solchen Verbrechen beschäftigen wir uns hauptsächlich.

Beispielsweise wissen wir aus Erfahrung, wie leicht Ermittlungen durch die Fixierung auf besonders grausame Elemente der Tat auf die falsche Spur geraten können. Wir sprechen dann davon, dass ein solcher Aspekt alle anderen »überstrahlt«. Das wird rasch zum Problem, wenn dadurch ein verzerrtes Bild der Tat entsteht und die Polizei sogar in der falschen Richtung sucht. In Wahrheit verbergen ganz andere Verhaltensmuster des Täters den Schlüssel dazu, ihn aufzuspüren.

No Monsters here: Tod in Galway

Manuela R. war nur knapp eine Woche vor unserer Ankunft in Irland ermordet worden. Galway ist eine Touristenhochburg und Studentenstadt am Meer, ein hübscher Ort, in dem schwere Gewaltdelikte die Ausnahme sind. Umso größer war der Schock, als Spaziergänger an einem Dienstagmorgen um halb zehn die Leiche der jungen Frau fanden. Sie war auf Sprachferien bei einer irischen Gastfamilie und erst wenige Tage zuvor in Galway angekommen. Sonntagabend hatte sie einen Pub im historischen Zentrum besucht, danach wurde...

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