Nach den vielschichtigen und teils stark allgemein gehaltenen Erläuterungen zum Wesen der Digitalisierung selbst, liegt ab diesem Abschnitt der Fokus des gesamten weiteren Inhalts dieser Thesis ausschließlich auf der Behandlung von einschlägigen Konzepten oder Anwendungsfeldern im Bereich des Logistik- und Transportsektors. Wurden in diesem Kontext zwar bereits Kerninhalte zur Logistik 4.0 abgehandelt, geht es ab diesem Punkt vor allem um die Klärung der übergeordneten Fragestellung der Arbeit, wie Mensch und Maschine zukünftig in diesem neuartigen Paradigma zusammenarbeiten werden, sollen oder gar können. Spätestens an letzterer Formulierung, aber auch in Teilen den Begriffserklärungen in Abschnitt 2., lässt sich bereits erahnen, dass die theoretische Entwicklung in logistischen Zukunftsszenarien auf maximal automatisierte Prozesse abzielt, in diesem Abschnitt liegt das Augenmerk jedoch auf dem realen Wandel von menschlichen Arbeitsumgebungen unter dem Einfluss des Einsatzes von cyber-physischen Systemen in verschiedenen Entwicklungsstadien.[42] Einleitend ist trotzdem anzumerken, dass der individuelle Grad im digitalen Wandel von traditionellen Arbeitsplätzen und Tätigkeiten stark vom jeweiligen Entwicklungsstand der eingesetzten Technologie abhängig ist, das heißt im Klartext: Je fortschrittlicher und intelligenter die im Verbund mit den menschlichen Arbeitskräften eingesetzten CPS sind, desto höher fällt auch der Grad der Automatisierung aus. Ein weiterer, gerade im Bereich Logistik höchst relevanter Einflussfaktor ist in diesem Zusammenhang natürlich auch der geistige und körperliche Anspruch des Arbeitsinhalts, denn je simpler oder routinierter die einzelnen Arbeitsschritte ausfallen, desto leichter gestaltet sich deren Teilautomatisierung.[43] In Folge dieses logischen Umstands beziehen sich auch die meisten aktuellen Anwendungsfälle in der schrittweisen Implementierung von Logistik 4.0-Technologien eher auf die operativen, als auf die administrativen, kaufmännischen oder strategisch geprägten Arbeitsplätze innerhalb der diversen Logistiksparten. Typische Vertreter für diese operativen Bereiche sind Fachlageristen, Kommissionier- und Hilfskräfte aber auch Fahrpersonal jeder Art, sei es für Flurförder-, Transport- oder Zustellfahrzeuge, wobei hier noch einmal besonders zwischen Berufskraftfahrern und Paketzustellern unterschieden werden muss, einfach aufgrund der hohen Diskrepanzen in den zu digitalisierenden Arbeitsgängen. Für die folgenden spezifischen Betrachtungen von Logistik 4.0-Konzepten innerhalb dieser Thesis ist dieser Querschnitt an Berufsgruppen optimal, da so fast alle typischen Wirkungsfelder abgedeckt werden, sei es die Distributions-, Produktions-, Beschaffungs- oder Transportlogistik, da die anfallenden Tätigkeitsfelder wie beispielsweise Lagerung, Kommissionierung oder Transport hier überall zentrale Rollen einnehmen.[44] Vor dem gezeichneten Hintergrund liegt es durchaus nahe zu argumentieren, dass es hier in vielen Bereichen bereits seit geraumer Zeit zum Einsatz digitaler Technologien kommt, beispielsweise in Form von „Handhelds“, also Scannern oder Tablets zur Lagerverwaltung. Jedoch ist sofort anzumerken, dass es sich hierbei nicht um intelligente CPS im Sinne der Logistik 4.0 handelt, eher um eine digitale Vorstufe ohne kooperative Vernetzung. Doch wie wird letzteres endlich erreicht, wie wird Logistik 4.0 endlich für den menschlichen Mitarbeiter greif- und nutzbar? Die Antwort liegt in der Schaffung einer gemeinsamen Schnittstelle zwischen Mensch, den CPS und der Plattform: Der multimodalen Mensch-Maschine-Schnittstelle. Diese Schnittstellen vernetzen somit die biologischen, mechanischen und übergeordnet virtuellen Komponenten zu einer wertschöpfenden logistischen Einheit. Der Mensch, nun ein Teil des IoT, steuert das System interaktiv oder klassisch physikalisch, entweder über Eingabe- bzw. Bedienfelder, aber auch per Gesten- und Sprachsteuerung bis hin zu autonomer Steuerung.[45] Mit Schaffung dieser Grundvoraussetzung kann nun unter Berücksichtigung des bereits definierten Technologiegrads der eingebundenen CPS eine grobe Unterteilung im Wandel von typischen operativ-logistischen Arbeitsumgebungen erfolgen: Anfänglich unterstützt das CPS als passives Assistenzsystem die menschliche Arbeitskraft zunächst durch die visuelle Bereitstellung von eigens sowie im Verbund mit anderen CPS und der übergeordneten Plattform generierten Informationen, welche bei der Bereitstellung durch das System bereits soweit analysiert und „veredelt“ sind, dass sie den folgenden Arbeitsgang effektiv erleichtern und beschleunigen, ohne den Arbeiter zu verwirren oder durch Ausgabe einer zu großen Informationsmasse zu überfordern. In der Praxis finden sich Systemlösungen dieser Art vor allem in den Bereichen Lagerhaltung und Kommissionierung, beispielsweise durch den Einsatz von Datenbrillen, auf deren Technik und Einsatzmöglichkeiten im Abschnitt 4.1 dieser Arbeit noch einmal im besonderen Maße eingegangen wird.[46] In der nächsten Stufe kooperiert das CPS bereits mechanisch mit dem Mensch, durch den aktiven Einsatz intelligenter Sensorik entlastet das System in Form einer Robotik-Anwendung den Werker nicht nur mental, sondern auch körperlich, indem es beispielsweise anstrengende Arbeitsgänge wie das Anheben oder Anreichen von Gegenständen übernimmt. Hier kommt es erstmalig zur direkten physischen Mensch-Roboter-Kollaboration mit diversen realen Anwendungsansätzen, vor allem zur Schaffung verbesserter ergonomischer Arbeitsbedingungen, beispielsweise beim Handling schwerer Güter innerhalb von Intralogistikprozessen.[47];[48] Auch diese direkten Mensch-Roboter-Kollaborationen, kurz MRK, werden in zum späteren Zeitpunkt noch einmal genauer thematisiert. Die letzte Stufe ist logischerweise die endgültige vollständige Automatisierung der Logistikprozesse, der Arbeiter gibt die physisch auszuführenden Tätigkeiten vollständig an die CPS ab, er selbst wird somit zum „augmented operator“, der ausschließlich als entscheidende und überwachende Komponente im Verbund mit den ab diesem Punkt fast vollständig autonom arbeitenden Systemen auftritt. Eine Folge dieser letzten Entwicklung wäre wiederum das bereits erwähnte „System der Systeme“, ein Logistikkonzept ohne Mensch. Hierzu findet sich selbstverständlich noch ein Ausblick im fünften Abschnitt der Thesis.[49] Abgeleitet von dieser stufenweisen Struktur im Wandel von Arbeitsabläufen bei der angewandten Logistik 4.0-Konzeption wird im folgenden Textverlauf nun noch die Notwendigkeit dieser Technologien für die gesamte Branche, sowie ein breites Spektrum an aktuellen Anwendungs- und Forschungstrends in den verschiedensten Bereichen der Logistikwirtschaft aufgezeigt.
Die Globalisierung des Handels, die Digitalisierung, das IoT und somit die 4.0-Theorien verändern alle klassischen Wirtschaftsbereiche, allen voran Produktions- und Fertigungszweige, könnte man meinen. Dennoch sind auch Logistikunternehmen im besonderen Maße an der Anwendung und Entwicklung moderner, disruptiver 4.0-Technologien interessiert.[50] Im Folgenden werden daher die treibenden Ursachen, Potenziale und Anforderungen sowie die besondere Notwendigkeit des digitalen Wandels in der Logistikbranche behandelt. Maximale unternehmensübergreifende Transparenz, Konnektivität, Echtzeitfähigkeit, Dezentralität sowie hoher Servicegrad und Reaktionsschnelligkeit innerhalb einer digitalen Supply-Chain sind die Erfolgsfaktoren für die erfolgreiche Implementierung der Logistik 4.0 und damit verbunden natürlich auch der Industrie 4.0-Konzeption, welche ja bekanntlich als Antwort auf die steigende Komplexität der Produktion entstand.[51] Daraus entstehen zwangsläufig die neuen Kerntrends in der Logistikbranche, welche neben typischen Potenzialen, wie der massiv ansteigenden Nachfrage nach individualisierter schlüsselfertiger Logistikdienstleistung und dem kontinuierlichen Streben nach Prozessautomatisierung durch Digitalisierung, auch durch daraus resultierende Risiken und Herausforderungen wie den klassischen Kostendruck oder auch den akuten Personal- sowie Kapazitätsmangel geprägt sind, um an dieser Stelle nur einen Ausschnitt der wichtigsten Treiber aufzuzeigen.[52] Ein kurzer Exkurs in die Welt der Zahlen bekräftigt die genannten Aspekte: Laut Studie sehen über 70 Prozent der deutschen Unternehmen im digitalen Wandel der Logistikleistung hohes Potenzial zur Kostensenkung oder Gewinnsteigerung, obwohl gleichzeitig über ein Drittel gleichwohl das Risikopotenzial als sehr hoch einschätzen. Die Fähigkeit, sich durch die erfolgreiche Nutzung moderner Technologien der neuen wirtschaftlichen Nachfrageorientierung durch den Endkunden anzupassen, gilt hier als zwar als wichtigster strategischer Lösungsansatz, überraschenderweise ist die allgemeine Zurückhaltung bei der Einführung solcher Systemlösungen trotz deren Relevanz ungemein hoch.[53] Um die Hemmnisse oder das Zögern dieser Unternehmen besser nachvollziehen zu können, folgt zunächst eine präzisere Betrachtung der wichtigsten Herausforderungen. Wie bereits in Punkt 2.5 angedeutet, steht der zunehmende E-Commerce, auf Basis hochkomplexer datenverarbeitender Plattformen durch Digitalunternehmen wie dem US-amerikanischen Branchenprimus Amazon oder dem deutschen Modeversandhändler Zalando, mit seinem Anspruch nach...