Jetzt ist die Stunde
Jung, kräftig, voller Energie und begierig, alles mitzunehmen, was das Leben zu bieten hat, flog Björn Kristiansen nach Indonesien, um auf einem norwegischen Öltanker das Kommando zu übernehmen. Vier Jahre später kehrte er nach Norwegen zurück; diesmal, um direkt in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden. Er war von einer seltsamen Krankheit befallen, die zu Schwächezuständen führte. Diagnose: Wassersucht. Durch einen Herzfehler sammelte sich in seinen Beinen Wasser an. Mehrere Operationen brachten nicht die erhoffte Besserung, sondern führten schließlich zu wochenlangem Koma. In regelmäßigen Abständen wurde untersucht, ob sein Gehirn noch arbeitete. Er hatte kaum Überlebenschancen. Während einer dieser Untersuchungen nach seiner letzten Operation erlangte Björn wider Erwarten das Bewußtsein. Der dicke Schlauch in seiner Kehle hinderte ihn daran, sich bemerkbar zu machen. Die Krankenschwester hatte jedoch die Veränderung in ihm bemerkt und begann, leise mit ihm zu sprechen. Sie sagte ihm, daß er sehr krank sei. Wahrscheinlich würde er sterben. Wenn er jedoch sein Vertrauen in den Herrn Jesus setzen würde, würde er ewiges Leben empfangen und in Ewigkeit mit ihm leben.
Björn interessierte solches Gerede nicht besonders. Wie die meisten jungen Männer hatte er nie einen ernsthaften Gedanken an Gott verschwendet. Nicht, daß er etwas gegen Gott gehabt hätte, nein, nur schien Gott ihm einfach nicht wichtig zu sein. Selbst jetzt, angesichts des Todes, wollte Björn nichts von Gott hören und wünschte, die Schwester würde still sein. Gleichzeitig bemerkte er jedoch, daß sie ernsthaft um ihn besorgt war und freute sich irgendwie darüber. Als sie ihm schließlich vorschlug, für ihn zu beten, nickte er fast unmerkbar aus Höflichkeit und in der Annahme, daß sie nun fertig sei.
Das war jedoch nicht der Fall. Sie hatte nicht einfach höflich das Gespräch abbrechen wollen, sondern begann tatsächlich, am Bett zu beten. Plötzlich wurde Björn bewußt, daß Gott für diese Frau Wirklichkeit war. Sie sprach mit jemandem, den sie gut kannte, und sie betete inständig für ihn, Björn. Eine Sehnsucht stieg in ihm auf, Gott so gut zu kennen, wie sie ihn kannte, seine Gegenwart und Nähe so zu spüren, wie sie sie spürte. Aus ganzem Herzen rief er voller Sehnsucht nach Gott. Als die Schwester zu Ende gebetet hatte, wußte Björn, daß Gott bei ihnen im Zimmer war.
An jenem Nachmittag wurden die Schläuche entfernt, und Björn war in der Lage, etwas Nahrung und Wasser zu sich zu nehmen. Zum ersten Mal seit vielen Monaten konnte er seinen wundgelegenen Körper drehen und auf der Seite schlafen. Welche Erleichterung! Am nächsten Tag konnte er auf der Bettkante sitzen und seine Füße baumeln lassen. Bald fing er an, wieder laufen zu lernen. Er wurde von der Intensivstation auf eine normale Krankenstation verlegt. Björn hatte allen Grund, guter Laune zu sein, aber er war es nicht. Im Gegenteil, er war völlig niedergeschlagen. Er wußte, daß Jesus sein Leben berührt hatte, aber genau dieser Umstand schien seine Niedergeschlagenheit nur zu verstärken. Bilder aus seiner Vergangenheit drängten sich immer wieder in seine Gedanken und machten ihm bewußt, daß er ein sündiges Leben gelebt hatte. Er fühlte sich wie erdrückt von einer Schuldenlast.
Voller Verzweiflung sagte er sich schließlich: »Ich muß jemanden finden, mit dem ich reden kann!« An jenem Abend schlich er sich heimlich aus dem Krankenhaus und fuhr im Taxi zur Seemannsmission in der Stadt. Er stellte sich vor und erklärte, daß er gerade aus dem Krankenhaus weggelaufen sei. Der Pastor bat ihn herein und rief im Krankenhaus an, um die Angelegenheit zu regeln. Dann ließ er sich in einem Sessel nieder und forderte Björn auf, sein Herz auszuschütten. Als der nun begann, von seinem vergangenen Leben zu erzählen, war es, als wenn Schleusen geöffnet worden wären: Wie ein Sturzbach sprudelten die Worte aus Björn hervor.
»Moment mal«, unterbrach ihn der Pastor, nachdem er aufmerksam zugehört hatte, »jetzt ist es für Sie an der Zeit, zu erfahren, was Gott über Menschen in Ihrer Situation sagt.« Er öffnete seine Bibel, las verschiedene Bibelstellen vor und beschrieb die schwere Schuld der Menschen und das, was Jesus für uns getan hat. Zum ersten Mal in seinem Leben hörte Björn die »Gute Nachricht« der Bibel, daß Jesus gestorben ist, um die Strafe für unsere Schuld zu tragen, damit die Menschen Vergebung empfangen könnten. Er begriff schließlich, daß Jesus heute noch lebt und daß es möglich ist, ihm zu folgen und sein Leben seiner Regie zu überlassen. Dann stellte ihm der Pastor geradeheraus die entscheidende Frage: »Sie wissen jetzt, daß Jesus Ihr Leben berührt hat und Sie ruft, ihm zu folgen. Was wollen Sie tun?«
Björn entschloß sich, die Herausforderung anzunehmen und Jesus nachzufolgen. Er und der Pastor beteten zusammen. Als Björn die Seemannsmission verließ, war er ein neuer Mensch. Er war so verwandelt, daß es jedem auffiel. Sogar in den Krankenhausaufzeichnungen wurde ein Wechsel von einem anhaltenden Zustand der Depression zur Ausgeglichenheit vermerkt. Eine Woche später, am 26. Oktober 1967, wurde Björn aus dem Krankenhaus entlassen. Er ging nach Hause, fest entschlossen, ein ganz neues Leben zu führen. Seine Freunde waren skeptisch und sagten ihm im voraus, daß diese Veränderung nicht länger als ein paar Tage, höchstens einen Monat andauern würde. Sie sollten sich irren. Gott gebrauchte Björn Kristiansen in entscheidender Weise, um den Dienst der MV Logos ins Leben zu rufen.
Nach einigen Monaten war Björn wieder ganz hergestellt und ging zurück auf See nach Indonesien. Dort traf er viele Christen und nahm häufig an verschiedenen christlichen Veranstaltungen teil. In dieser Zeit kam ihm der Gedanke, daß ein kleines Schiff die gute Nachricht von Jesus Christus den Menschen auf den 13 000 Inseln Indonesiens bringen könnte. 1970 kehrte er nach Norwegen zurück in der Absicht, ein solches Schiff ausfindig zu machen. Während eines Besuches in London nahm er an einem Treffen von Christen teil, die bei der bekannten Schiffahrtsversicherungsgesellschaft Lloyds arbeiteten, und sprach bei dieser Gelegenheit von seiner Idee. Nach der Veranstaltung kam jemand auf ihn zu und erzählte ihm von einer Gruppe namens OM, die seit sechs Jahren für Offiziere, eine Mannschaft und ein Schiff betete.
Björn nahm sofort Kontakt mit dem englischen Kapitän auf. Dieser bot Björn die Stellung des ersten Offiziers auf einem Schiff an, das noch nicht existierte. Außerdem bat er ihn, ihm zu helfen, ein geeignetes Schiff zu finden.
Lange Zeit war der englische Kapitän der einzige ausgebildete Seemann gewesen, der sich dem Schiffsprojekt verpflichtet hatte. In den Augen der meisten verkörperte er das Unternehmen - ein Kapitän ohne Schiff und Mannschaft. Im Jahre 1968 schlossen sich ihm dann Bernhard Erne mit seiner Frau und ihrem kleinen Sohn an.
Bernhard war einige Jahre zur See gefahren und war in dieser Zeit Christ geworden. Er kam dann zu dem Schluß, daß das Leben auf See seinem geistlichen Wachstum nicht gerade förderlich war und kehrte nach Hause in die Schweiz zurück, um dort zu arbeiten. Zwei Jahre danach erfuhr er von dem OM-Schiffsprojekt und hatte den starken Eindruck, daß er sich dem anschließen solle. Seine Gemeinde konnte seine Entscheidung nicht verstehen. Bernhard erzählt:
»Unsere Gemeinde dachte, wir wären übergeschnappt. Man sagte uns: >Ihr schließt euch einer Bewegung an, die ihr nicht kennt. Diese Leute reden über Schiffe, ohne etwas davon zu verstehen.< An einem Sonntag predigte der Pastor über Abraham, der auf Gottes Ruf hin sein Land verließ. Nach der Predigt sagte ich zu meinem Pastor: >Siehst du nun! Gerade hast du über Abraham gepredigt, der auf Glauben hin auszog, weil er vertraute!< >Ja<, sagte der Pastor, >aber der wußte, wer ihn rief.<
Trotz alledem verkauften wir 1968 alle unsere Habe und fuhren nach Belgien. Die OM-Konferenz fand in einer alten, leeren Brauerei statt. Aufgrund eines Schreibens von OM nahmen wir an, dort ein fleißig arbeitendes und sich austauschendes Schiffsteam vorzufinden. Als wir in der Brauerei ankamen, wurde uns gesagt, daß wir dem Schiffsteam vorgestellt werden sollten. Ein Mann kam herein, ein typischer Engländer. Es war der englische Kapitän. Danach kam noch ein anderer Mann, der aber wieder wegging. Das war das Schiffsteam! Anschließend zeigte man uns, wo wir schlafen sollten. Sie führten uns in ein Gebäude und zeigten uns einen völlig kahlen, leeren Raum, einfach vier Wände, Fußboden und Decke, sonst nichts! >Das ist euer Zimmer<, sagte man uns. >Wir holen noch etwas, worauf ihr liegen könnt, damit ihr nicht auf dem Boden schlafen müßt.<
Dann gingen sie fort. Wenig später kam einer mit einer Rolle Wellpappe zurück. Die legte er auf den Boden und meinte: >Das wär’s dann, hier...