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E-Book

Die Macht der Emotionen

und wie sie unseren Alltag bestimmen

AutorChristophe André, François Lelord
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783492962339
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Sind Sie eifersüchtiger, als Ihnen lieb ist? Schämen Sie sich für Ihre Wutausbrüche? Oder wären Sie Ihrem Chef gegenüber manchmal gern etwas mutiger? Das erfahrene, seit Jahren erfolgreich praktizierende Psychologenduo François Lelord und Christophe André erklärt die biologischen und sozialen Wurzeln unserer Emotionen, untersucht Konflikte bei einem Zuviel oder Zuwenig an Gefühlen und gibt dem Leser grundlegende Ratschläge zum Umgang mit Zorn, Neid, Glück, Traurigkeit, Scham, Eifersucht, Angst und Liebe.

Warum sind manche Menschen trotz objektiv positiver Lebensumstände unglücklich und andere glücklich? Das ist eine typische Frage für den Psychologen Hector und damit für François Lelord, der diese literarische Figur erfunden hat. Der 1953 in Paris geborene Autor arbeitete nach einem Studium der Medizin und Psychologie zunächst als Psychiater. Auf der Suche nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens ließ er seinen Beruf einige Jahre ruhen, um sich ganz dem Schreiben und Reisen, vor allem durch Asien, zu widmen. Sein erstes Buch um Hector erschien 2002 und wurde wie die folgenden »Hector«-Romane ein internationaler Bestseller. Insgesamt haben sich François Lelords Bücher im deutschsprachigen Raum über 3,5 Millionen Mal verkauft. François Lelord lebt mit seiner Familie in Paris.

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Leseprobe

Kapitel 2


Zorn


Robert, ein Familienvater, kommt auf dem Flughafen an, von wo aus er in den Urlaub starten will. Er muß aber erfahren, daß alle Flüge des Tages auf Grund eines Streiks gestrichen worden sind. Robert beschimpft die Hostessen. Seine Frau versucht, ihn zu besänftigen; die Leute gucken; Roberts Töchter möchten am liebsten im Erdboden versinken.

Gerade in dem Augenblick, da Catherine nach zehnminütiger Suche endlich einen freien Parkplatz entdeckt, fährt ein anderes Auto an ihr vorbei und stößt in die Parklücke. Voll Wut rammt Catherine absichtlich die Stoßstange des Vordränglers.

Der achtjährige Adrien hat zum Geburtstag endlich den Roboter bekommen, den er sich seit Wochen gewünscht hatte. Er schafft es jedoch nicht, die einzelnen Teile zusammenzusetzen, und am Ende trampelt er heulend auf seinem Geschenk herum.

Wie kann es sein, daß Leute, die normalerweise ganz vernünftig sind (selbst Adrien ist ein besonnener kleiner Junge), auf diese Weise Dinge tun, die häufig ärgerliche Folgen haben? Und was soll man erst über die folgende Geschichte sagen, in der Véroniques Vater (gewöhnlich ein so ruhiger Herr) in Zorn gerät?

Das Gesicht des Zorns: vom Papa bis zum Papua


Ich erinnere mich noch gut, daß ich als kleines Mädchen (ich war damals vielleicht sechs Jahre) eines Tages von meinem Vater zum Angeln mitgenommen wurde. Ich war ganz aufgeregt, denn für mich war es das erste Mal, und ich hielt es für ein Privileg, denn meine Mutter begleitete ihn niemals. Nachdem wir eine Stunde warteten und die Zeit mir lang zu werden begann, hat etwas angebissen; die Angelsehne spannte sich sehr stark. Ich sah, wie mein Vater voller Konzentration an der Rolle drehte und dazu an der Angel zog. Im grünlichen Wasser konnte man einen großen Fisch erkennen. Meinem Vater gelang es, ihn mit dem Kescher ans Ufer zu holen (es war ein sehr schöner Zander), und er warf den noch zappelnden Fisch in einen großen Plasteeimer. Ich beugte mich nach vorn, um das Tier besser sehen zu können, glitschte aus und stieß den Eimer mitsamt Inhalt ins Wasser, worauf der Zander auf Nimmerwiedersehen verschwand. Ich schaute zu meinem Vater hoch. Seinen Gesichtsausdruck werde ich nie vergessen. Rot vor Wut, mit verkrampften Zügen, starrem Blick und zusammengebissenen Zähnen, ballte er die Fäuste und mußte sich offensichtlich zurückhalten, mich nicht zu schlagen. Ich schrie und verbarg mein Gesicht in den Händen. Es ist dann aber nichts passiert. Als ich die Augen wieder aufmachte, hatte er mir den Rücken zugedreht und versetzte dem Gebüsch die heftigsten Fußtritte.

Ich erinnere mich noch gut an dieses Erlebnis, denn mein Vater war ansonsten ein sehr ruhiger Mann, der so gut wie nie in Zorn ausbrach.

Eine solche Szene wirft mehrere Fragen auf. Weshalb steigert sich der Vater, der doch ein vernünftiges Wesen ist, derart in seinen Zorn hinein, obwohl der Fisch sowieso verloren ist und die kleine Tochter es nicht mit Absicht gemacht hat? Warum versetzt er den Büschen, die ihm nichts zuleide getan haben, Fußtritte? Und weshalb diese Grimassen, dieser puterrote Kopf – Zeichen, die Véronique schon als Sechsjährige ohne Mühe deuten konnte?

Ist solch ein Zorn nun eine weltweit verbreitete Emotion? Wenn ein Papua oder ein Chinese zu Zeugen dieser Szene geworden wären, hätten sie dann die Emotion des in seinem Anglerglück frustrierten Vaters erkannt und verstanden? Und unsere fernen Vorfahren, die vor fünfzehntausend Jahren vom Jagen, Sammeln und Fischen lebten, hätten sie diesen Zorn verstanden?

Die Stinklaune des Jägers und Sammlers


Weil es nicht möglich ist, sich um fünfzehntausend Jahre zurückversetzen zu lassen, hat der Anthropologe Paul Ekman1 wenigstens fünfzehntausend Kilometer zurückgelegt: Ende der sechziger Jahre lebte er bei einem Papuastamm, der noch wenig Kontakt mit der westlichen Zivilisation hatte. Die Eingeborenen lebten in einer abgelegenen Gebirgsregion Neuguineas wie steinzeitliche Jäger und Sammler. Weil sie bisher nur sehr wenig Berührung mit den Weißen gehabt hatten, erwartete Ekman, daß ihre Emotionen und deren Gesichtsausdruck sich von den unsrigen sehr unterscheiden würden. Die damals hoch im Kurs stehenden kulturrelativistischen Theorien (wie sie vor allem von der berühmten Anthropologin Margaret Mead vertreten wurden) behaupteten nämlich, daß die Emotionen und ihre Ausdrucksformen eine Frage der Erziehung seien und von Kultur zu Kultur variierten.

Ekman bat einen Papua, vor der Kamera die Emotion zu mimen, die er in folgendem Szenario verspüren würde: »Sie sind zornig und bereit, sich zu schlagen.« Der Papua runzelte die Stirn, biß die Zähne zusammen und verzog die Lippen zu einer bedrohlichen Grimasse.

Solche Szenarios benutzte Ekman, um mögliche Übersetzungsschwierigkeiten zu umgehen. Er ließ weitere Emotionen mimen, etwa zu folgenden Situationsmustern: »Ein Freund ist eingetroffen, und Sie freuen sich«, »Sie entdekken auf dem Weg den Kadaver eines Wildschweins, das schon lange tot ist«, »Ihr Kind ist gestorben«.

Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten zeigte Ekman die Fotos amerikanischen Bürgern, die überhaupt nichts von den Sitten und Gebräuchen der Papua wußten. Eine große Mehrheit ordnete den entsprechenden Gesichtsausdruck der Emotion Zorn zu. Ekman machte auch das umgekehrte Experiment: Er präsentierte seinen papuanischen Freunden Porträts zorniger Europäer und Nordamerikaner. Auch die Papua erkannten sofort, welche Emotion die Gesichter der Weißen verrieten. Auf anderen Fotos identifizierten sie mit hoher Treffsicherheit Emotionen wie Freude, Traurigkeit, Angst und Ekel.

Ekman und andere Forscher wiederholten das Experiment in 21 verschiedenen Kulturen, die über alle fünf Kontinente verteilt waren.2 Die Resultate waren eindeutig: Die meisten Papua erkannten die Emotionen der Esten, die wiederum die Emotionen der Japaner erkannten; die Japaner erkannten die Emotionen der Türken, jene die der Malaysier und so weiter … Die Forschungsergebnisse scheinen den universellen Charakter von Emotionen und ihren typischen Gesichtsausdrücken zu belegen.

Die weltweite Ähnlichkeit des Gesichtsausdrucks zorniger Menschen ist nicht nur von anekdotischem Interesse: Sie führt uns zu der Annahme, daß unsere Fähigkeit, zornig zu werden, in unser genetisches Material eingeschrieben sei. Wir werden noch sehen, daß die Standpunkte der Kulturrelativisten aber auch nicht völlig haltlos sind: Kultur und Milieu legen die Regeln fest, nach denen man Zorn ausdrückt, und von ihnen hängt auch ab, welche Situationen und Beweggründe Zorn hervorrufen. Die Emotion selbst bleibt aber universal.

GESICHTSAUSDRUCK UND KOLONIALISMUS

Ein Jahrhundert vor Ekmans Studien, in der Glanzzeit des britischen Empire, untersuchte Charles Darwin die Emotionen des Menschen.3 Da er wegen seiner anfälligen Gesundheit nicht mehr reisen konnte, befragte er seine Landsleute – Reisende, Entdecker, Seeleute und Missionare. Seine Methode war nicht gerade streng wissenschaftlich, doch er leitete aus seinen Untersuchungen ab, daß es sechs Emotionen gebe, die mitsamt ihrem typischen Gesichtsausdruck weltweit verbreitet seien.

Diese Hypothese mißfiel manchen Zeitgenossen zutiefst. Darwin war schon angegriffen worden, als er behauptet hatte, der Mensch stamme vom Affen ab. Nun machte er alles noch schlimmer, indem er erklärte, daß die Dajak und die Zulus von denselben großen Emotionen bewegt würden wie die Absolventen von Eton. How shocking!

Die ehemaligen Eton-Schüler waren wahrscheinlich besonders verärgert über Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren, weil man sie gelehrt hatte, die äußerlich sichtbaren Anzeichen für ihre Emotionen zu kontrollieren, besonders was das Mienenspiel betraf: Auf die berühmte stiff upper lip wurde in den gehobenen Klassen viel Wert gelegt.

Für Darwin und seine Nachfolger, die Evolutionspsychologen, haben Emotionen wie der Zorn die natürliche Auslese innerhalb unserer Art über Tausende von Generationen hinweg überdauert, weil sie für das Überleben und den Fortpflanzungserfolg all unserer Ahnen nützlich waren.

Nehmen wir also an, der Zorn sei eine universell verbreitete, im Laufe der Entwicklungsgeschichte selektierte Emotion. Wozu sollte sie uns aber dienen? Die Funktion einer Emotion kann man zum Beispiel verstehen, indem man beobachtet, welche körperlichen Veränderungen sie bewirkt.

Der zornige Körper


In mehreren Befragungen hat man Menschen aus verschiedenen Ländern gebeten, ihre Zornsymptome zu beschreiben. Hier die häufigsten Antworten:

– ein Gefühl von Muskelanspannung,

– eine Beschleunigung des Pulses,

– eine Wärmeempfindung.

Begriffe wie »heiß« und »Wärme« tauchen in den Antworten oft auf; man »kocht« oder »schäumt« vor Wut, jemand hat einen »hitzigen« Charakter, man sollte uns besser nicht »zur Weißglut bringen« etc. (In Comics ist es üblich, den Zorn einer Figur durch ein schwarzes Rauchwölkchen über ihrem Kopf darzustellen.)

Diese Symptome wurden übereinstimmend von Personen aufgezählt, die aus 31 Ländern aller fünf Kontinente stammten, was noch einmal für den universellen Charakter des Zorns und seiner äußeren Kennzeichen spricht.4 Die Beschreibungen entsprechen auch den von Forschern beobachteten Veränderungen im Organismus:

– Zorn bewirkt, vor allem in den Armen, eine stärkere Muskelspannung und führt oft auch dazu, daß man die Fäuste ballt.

– Die oberflächennahen Blutgefäße weiten sich,...

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