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E-Book

Die Narzisstin ist tot, es lebe mein Ich! Aber wo finde ich das?

AutorHannah Crispus
Verlagepubli
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl165 Seiten
ISBN9783746730981
Altersgruppe18 – 99
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Vorhang auf. Das Theaterstück beginnt. Genau das geschieht in der allerersten Sekunde des allerersten Kontaktes mit einem Menschen mit Narzisstischer Persönlichkeitsstörung. Die heute 51 jährige Hannah Crispus ist das Kind eines liebevollen Vaters und einer narzisstischen Mutter, die sie nach dem Tod des Vaters vereinnahmt. Ohne es zu erkennen sucht sich Hannah später einen Partner, der ganz das Ebenbild ihrer Mutter ist. Doch Hannah verlässt ihren narzisstischen Partner früh, als sie erkennt, wie er mit ihrer gemeinsamen kleinen Tochter umgeht. Mit Hilfe einer Systemischen Familienaufstellung und einer Psychotherapie lernt Hannah, dass es nur einen Weg gibt, sich von Menschen mit einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu befreien: sie muss sich selbst verändern. Je mehr Hannah versteht, je mehr sie sich verändert, umso schwerer fällt es ihr, ihre Mutter zu ertragen, und sie bricht den Kontakt zu ihr ab. Vier Monate später verstirbt ihre Mutter. Auch das Theaterstück, das der Vater von Hannahs Tochter zeitlebens aufführt, ist beendet. Hannah hat auch diesen Vorhang geschlossen, wenn auch ein Narzisst dies nicht tatsächlich wahrnehmen kann. 'Einen Weg , einen Menschen mit Narzisstischer Persönlichkeitsstörung dazu zu bringen zu verstehen, gibt es nicht. Es ist wie auf diesen Rätselseiten. Man muss den richtigen Weg von vielen möglichen zum Ziel finden, doch in diesem Fall führen alle Wege zu einem selbst zurück.' - Hannah Crispus

Hannah Crispus wurde 1966 in Niedersachsen geboren. Sie studierte nach dem Abitur Sozialpädagogik, übernahm jedoch gleich nach Beendigung des Studiums nach dem Tod ihres Vaters als dritte Generation dessen pharmazeutische Firma und hielt sie für viele Jahre. Heute lebt Hannah zusammen mit ihrer Tochter wieder in dem Ort, in dem sie aufgewachsen ist, nicht weit entfernt von ihrer Schwester.

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Leseprobe

Kapitel II


Meine Mutter


 

Worte eines Kindes an seine narzisstische Mutter zu richten, ist in meinen Augen etwas Unsinniges. Es ist, als spreche man in einen toten Raum hinein. Ich habe mir ein paar Mal überlegt zu meiner Mutter zu gehen, nachdem ich sie wochenlang nicht mehr gesehen oder gesprochen hatte, aber ich habe nur kurz überlegt. Denn mit dem Öffnen der Tür ihres Zimmers hätte der Irrsinn angefangen.

Mit „Irrsinn“ bezeichne ich den Umstand, dass der Mensch mit der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung, meine Mutter, von mir erwartet hätte, was sie immer erwartet hat. Dass ich in ihrer Welt genau so mitspielte, wie sie es brauchte.

 

Ich habe mich vor über 11 Jahren vom Vater meiner Tochter getrennt, weil er mein Kind einbezog in seine widerlichen Demütigungen. Und aus demselben Grund habe ich meine Mutter „verlassen“ vor vier Monaten. Sie sagte „Ihr seid ja selbst schuld.“ Sie hat Mia, ein Kind, dafür verantwortlich gemacht, dass ihr Vater sie emotional zu manipulieren, sie zu demütigen und sich an ihr zu rächen versuchte. Und ich kenne meine Mutter. Sie wusste, was sie sagte. Natürlich war es für sie auch immer eine gute Möglichkeit, Lebensenergie zu bekommen, wenn sie sah, wie entsetzt ich war, wenn sie Mia auf Umwegen kritisierte. Sie war ein Meister im Ausweichen, wenn ich mich dann aufregte. Nichts brachte sie aus der Ruhe.

Und sie erwartete von mir, dass ich das hinnehme oder ihr zustimme. Dass ich mich gegen mein Kind stelle oder es genau so unwichtig mache wie sie mich unwichtig machte. Mir kann einer sagen, was er will. Genau das hat ihre Aussage impliziert.

 

Aber kein einziges Mal habe ich Mia hängen lassen. Und das werde ich auch nie. Ich weiß noch, dass ich im Teenageralter manchmal genervt war, wenn mein Vater zu schnell etwas witterte und mich beschützen wollte, doch weiß ich heute, dass ich genau daher mein Rückgrat habe. Egal, ob er mich „überbeschützen“ wollte oder gerade im richtigen Maß. Er war immer da. Ich konnte ihm zu jeder Zeit mit meinem Leben trauen. Das macht einen stark und ruhig, wenn man jemanden als Kind um sich hatte, der so war. Mir könnten tausend Leute gegenüber stehen und mein Kind angreifen wollen. Ich hätte keine Angst und würde Mia immer beschützen mit allem, was ich habe.

 

Ich kann mich ganz genau an den Moment erinnern, als meine Mutter da saß mit schief gelegtem Kopf und sagte „Na ja, ihr seid ja selbst Schuld, wenn ...“ Genau wie damals mit Jakob war das ein Moment jenseits einer bewussten Entscheidung.

Eine Psychologin hat mir einmal gesagt, wir können nicht alles denken. Es passiert in uns etwas, das nicht gedacht werden kann oder nicht erst gedacht wird oder nie zu einem Gedanken wird. Ich nehme an, so etwas Ungedachtes hat mich gehen lassen. Ich wusste ganz genau, dass ich nicht wiederkommen würde, so wie ich ganz genau wusste, ich würde nie wieder zu Jakob zurückgehen mit Mia, als ich ihn verlassen hatte. Aber ich hatte keine Worte in meinem Kopf.

Da war alles weiß, wie Nebel, aber als ich dort die Gänge entlang ging, im Fahrstuhl stand und schließlich hinaus ging aus dem Gebäude, fühlte es sich so gut an, dass ich es nicht beschreiben kann. Gut ist das einzige richtige Wort. Es war so richtig gut. Gut ist das Gegenteil von schlecht, von Schmerzen, von Unsicherheit, von schlechtem Gewissen. Gut ist frei. Gut ist vorwärts.

Bestimmt haben mein Verstand und mein Herz mir in beiden Situationen gesagt, dass es nun zu viel ist, was erfasst werden muss. Der Pegel an zu viel Schlechtem war erreicht.

 

Ein Mensch mit Narzisstischer Persönlichkeitsstörung sieht ja, wie gesagt, den anderen nicht als eigenständige Persönlichkeit. Ich war für sie nur eine Verlängerung ihrer Selbst, und mein Kind nur eine kleine Erweiterung, die sie nutzte um mir weh zu tun, wann immer es passte.

 

Auch ihre Eifersucht auf Mia zeigte sie manchmal anderen gegenüber. Meine Schwester erzählte mir einmal, dass unsere Mutter sich bei ihr beschwert hatte, als ich in der Stadt gewesen war und Mia, aber nicht ihr, etwas mitgebracht hatte. Daran kann man sehr gut erkennen, wie verrückt die Positionen in unserer Familie waren. Welche normale Mutter ist denn in dieser Situation eifersüchtig statt sich für das Enkelkind zu freuen?

 

Was sehr bedrückend war, war, dass meine Mutter immer „wir“ statt „ich“ sagte. Wenn sie irgendetwas erledigt hatte oder etwas Unangenehmes hinter sich gebracht hatte, sagte sie immer „ah, das hätten wir geschafft“. Irgendwann habe ich einmal zu ihr gesagt, dass sie es doch geschafft habe und nicht ich, dass ich damit gar nichts zu tun habe, aber da tat sie nur, was sie immer tat in solchen Situationen. Sie schwieg für eine Sekunde, dann wechselte sie einfach das Thema.

 

Bestimmt drei Mal in der Woche sagte sie zu mir „Mensch, wir sind aber auch Wracks“ oder „Ach, Gott, wir zwei Krüppel“. Ich bin doch ein Individuum. Ich bin doch nicht das, was sie ist. Genau so sah sie mich aber.

 

Ich war finanziell ruiniert nach dem Abzahlen und Finanzieren unseres Elternhauses und von Mama und danach durch das Zusammensein mit Jakob, und ich benahm mich eben so, dass ich an mich zuletzt dachte, auch in Bezug auf Kleidung. Ich habe wenig Kleidung. Alles, was ich habe, passt in einen Kleiderschrank auf Rollen von Ikea. Unten sind meine zwei Paar Schuhe drin, und oben alles Andere.

 

Meine Mutter versuchte mir immer Sachen von sich „abzugeben“, dabei war ich doch so viel jünger als sie. Das war schrecklich. Man muss sich das vorstellen. Ich war doch nicht alt. Und sie wollte mir abgetragene Kleidung und Mäntel von sich geben. Es war ein erdrückendes Gefühl, wenn sie das versuchte. Immerzu wurde die Grenze zu meinem Innern übertreten. Immerzu.

 

Ebenfalls schlimm war, als sie mir, nachdem unser Vater verstorben war, seinen Ehering schenkte.

Sie sagte „Nimm´ du den jetzt mal.“

Ich weiß nicht, ob es die Möglichkeit gibt, dies in einem oberflächlichen, „lieben“ Kontext zu sehen. Ich kann es nicht.

Wenn ich mir vorstelle, dass mein Mann, den ich geliebt habe, verstorben ist, dann verschenke ich doch nicht den Ring, den er getragen hat und in den mein Name eingraviert ist. Das mache ich doch nicht, nicht wahr?

Und ich gebe den Ring dann auch nicht meinem Kind. Ich habe den Ring genommen, aber keine einzige Sekunde getragen. Mir wäre übel geworden. Später versetzte ich ihn.

 

Mama sagte auch oft zu mir „Du bist der einzige Mensch, der mich versteht.“ Das sagte sie immer dann, wenn sie von jemandem kritisiert oder gedemütigt worden war. Sie hasste es kritisiert zu werden.

Man muss sich unser Gespräch am Telefon folgendermaßen vorstellen:

ich: „Hallo, Mama, na, geht es dir nicht gut?“ (sie hatte merkwürdig Hallo gesagt)

sie: „Och Mensch, ich hab´ mich ja gerade wieder geärgert!“

ich: „Oh, warum denn?“

sie: „Die Sabine war wieder so frech. Die hat gesagt, sie würde es nicht ertragen können, auf Papas Bild zu gucken, wenn sie zum Frühstück kommt.“

ich: „Und was hast du da gesagt?“

sie: „Ach, das hat ja gar keinen Zweck irgendetwas zu sagen. Aber warte nur ab, die kriegt es noch.“

ich: „Ich würde ja jeden sofort rausschmeißen, der jemanden aus meiner Familie so beleidigt.“

sie: „Ach was, die rennt dann ja nur `rum und fragt jeden um Rat, was sie machen soll, wenn ich böse bin. Die ist nämlich eigentlich ganz ängstlich, dass ich sie verstoße.“

 

Diese Freundin war eine „Freundin“ meiner Mutter, die bemängelte, wenn Flecken auf der Tischdecke waren oder etwas verkehrt herum aufgedeckt war.

Mama ging mit ihr genau so um wie mit jedem Menschen. Sie spiegelte, was das Zeug hielt, und gab nie Widerworte. Alle waren ihre Marionetten. So funktionierte jedes Gespräch. Und kaum waren Besucher weg, egal ob sogenannte Freunde oder Familie, wurden sie bezeichnet als Menschen, die ihr auf die Nerven gingen, ihr die Zeit stahlen, nur kamen um zu dozieren, unangenehm waren, dumm waren. Es kam aus ihr herausgeschossen, warum die Menschen was machten, und es waren immer negative Gründe. Menschen waren eifersüchtig, einsam, ungezogen, anstrengend, Störenfriede, die mit ihrer Zeit nichts anzufangen wussten und dann ihr auf die Nerven gingen. Das habe ich mein Leben lang mitbekommen. Wie hätte ich da lernen können, dass auf eine Mutter Verlass ist? Ich betrachtete ja das Gegenteil. Ich betrachtete immer jemanden, der andere belog und betrog und schlecht machte hinter deren Rücken und gleichzeitig genau diese anderen zum Frühstück einlud, den Tisch für sie deckte, sie anrief, um zu plaudern oder sich zu verabreden. Das war sehr krank.

Aber ich konnte mich umdrehen, und da war mein Vater. Er sagte mir die Wahrheit, er stritt und versöhnte sich mit mir. Er war echt. Was er zu mir sagte, war echt.

 

Ich denke, meine Schwester und ich haben sehr früh gelernt, mit dem Lügen unserer Mutter zurechtzukommen. Das wichtigste bei diesem Lernprozess wird gewesen sein, immer möglichst schnell herauszufinden, wie wir uns verhalten mussten, so dass es in ihren Augen richtig war oder so dass wir uns möglichst wenig schuldig machten.

 

Dass meine Mutter nie jemanden rügte, der unsere Familie beleidigte, schrieb ich immer ihrem Selbstwertgefühl zu, das ja nicht vorhanden war. Aber meine Schwester machte mich vor kurzem darauf aufmerksam, dass unsere Mutter, sobald man sie selbst ganz direkt kritisierte, den Leuten wie eine Furie ins Gesicht sprang. Andere verteidigte sie nicht. Ich nehme an, sie...

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