Sie sind hier
E-Book

Die neue Ost-West-Arbeitsteilung

Arbeitsmodelle und industrielle Beziehungen in der europäischen Automobilindustrie

AutorMartin Krzywdzinski, Ulrich Jürgens
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl258 Seiten
ISBN9783593409870
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Am Beispiel der Automobilindustrie beleuchten die Autoren die Verlagerung von Arbeitsplätzen von West- nach Mittelosteuropa sowie die damit verbundenen Risiken für das 'europäische Sozialmodell'. Wie zukünftig die Arbeitsmodelle und die industriellen Beziehungen aussehen werden, hängt nicht zuletzt davon ab, ob der Transfer von Institutionen und Modellen der Arbeitsregulierung von West nach Ost gelingt.

Prof. Dr. Ulrich Jürgens ist Leiter, Dr. Martin Krzywdzinski wiss. Mitarbeiter der Forschungsgruppe 'Wissen, Produktionssysteme und Arbeit' am WZB.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

2. Ost-West-Arbeitsteilung in der Forschungsdiskussion (S. 19-20)

2.1 Beschäftigungseffekte der Verlagerung

Sowohl in Westeuropa als auch in den USA hat der seit den 1990er Jahren rasant steigende Fluss von Direktinvestitionen aus den Triade-Staaten in die Niedriglohnländer Verunsicherung ausgelöst. Suzanne Berger (2005: 16f) beschreibt die Diskussion in den USA:

»Today we are once again experiencing a time of great uncertainty and public anxiety about the fate of American workers faced with foreign competition and about the challenges to our economic preeminence in the global economy. Once again, we see the threats to our prosperity as located abroad, only now we are focusing not on Japan and Germany but on the rising capabilities of countries like China and India« (Berger 2005: 16ff; vergleiche Friedman 2005). In der Forschung bleiben allerdings der Umfang von Verlagerungen und ihre Auswirkungen auf Arbeit und Beschäftigung umstritten. In der USamerikanischen Debatte führen Bronfenbrenner und Luce (2004) sowie das Consulting-Unternehmen Forrester (2004) den Verlust von jährlich mehreren 100.000 Arbeitsplätzen auf Verlagerung zurück, während die USamerikanische Regierung und ihre Berater zwar verlagerungsbedingte Arbeitsplatzverluste zugeben, aber argumentieren, dass diese durch die positiven Effekte des freien Handels auf die Beschäftigungsentwicklung des Inlands mehr als ausgeglichen werden. Der Jahresbericht 2004 des Council of Economic Advisors des US-Präsidenten argumentiert: »Manufacturing employment likely has fallen in response to the transfer of manufacturing jobs abroad. The jobs affected have generally been those involved in the production of goods requiring relatively low skills. […] This specialization is a natural outcome of the opening of economies all over the world to trade. As a result of such specialization, world efficiency increases and world output goes up« (Mankiw et al. 2004: 71f; vergleiche Lazear et al. 2007, Harrison/Macmillan 2007, Borga 2005, Slaughter 2003).

Eine vergleichbare Spannbreite der Positionen und Befunde gibt es in Europa. Studien, die zum Ergebnis von keinen oder von sehr geringen Beschäftigungsverlusten durch Verlagerungen kommen1, stehen Studien gegenüber, die größere Beschäftigungsverluste durch Verlagerung feststellen.

Die Bandbreite der Befunde ist groß, die diagnostizierten Beschäftigungsverluste durch Verlagerung schwanken zwischen 0,1 bis 0,3 Prozent und 1 bis 2 Prozent der Beschäftigung jährlich. Rechnet man die Ergebnisse der Studien mit den höchsten festgestellten Beschäftigungsverlusten (Kinkel et al. 2004; BCG 2004, Bronfenbrenner/Luce 2004) hoch, können innerhalb einer Dekade 10 bis 20 Prozent der Beschäftigung verlagert werden – in anderen Szenarien bleiben die Verlagerungsverluste marginal. Die Ergebnisse einer Reihe von Studie legen jedoch nahe, dass nicht die gesamten Beschäftigungseffekte der Verlagerung ein soziales Problem darstellen, sondern vor allem der Verlust von Arbeitsplätzen für gering qualifizierte Arbeitskräfte (McKinsey 2003; Strauss-Kahn 2003; Hijzen et al. 2004; Fontaigné/Lorenzi 2005; Statistisches Bundesamt 2008). Das deutsche Statistische Bundesamt stellte fest, dass 69 Prozent der von Verlagerung ins Ausland betroffenen Arbeitsplätze von gering qualifizierten Arbeitskräften besetzt waren, während nur 49 Prozent der durch Wachstum neu generierten Industriearbeitsplätze geringe Qualifikationsanforderungen aufwiesen.

Ein weiterer Effekt sind Lohnverluste, vor allem bei gering qualifizierten Beschäftigten. McKinsey (2003: 15) zeigte, dass ein großer Teil der durch Verlagerung freigesetzten Arbeiter in den USA an ihren neuen Arbeitsplätzen Lohnverluste von 15 bis 30 Prozent hinnehmen musste. Das bedeutet, dass weniger die Beschäftigungsbilanz der Verlagerung als vielmehr die Zunahme der Ungleichheit der Erwerbschancen und Einkommen zwischen gering- und hochqualifizierten Arbeitskräften in Hochlohnländern eine wichtige Folge des Wandels der internationalen Arbeitsteilung ist.

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Dank10
1. Einleitung12
2. Ost-West-Arbeitsteilung in der Forschungsdiskussion19
2.1 Beschäftigungseffekte der Verlagerung19
2.2 Race to the bottom?21
3. Niedriglohnländer in Prozessketten der Automobilindustrie29
3.1 Automobilproduktion in den Niedriglohnländern29
3.2 Restrukturierung der Zulieferer34
3.3 Schlussfolgerungen43
4. Verlagerung aus West- nach Mittelosteuropa45
4.1 Ausländische Direktinvestitionen in Mittelosteuropa45
4.2 Ost-West-Arbeitsteilung bei Automobilherstellern53
4.3 Asiatische Automobilhersteller und Zulieferer73
4.4 Verlagerung der Komponentenfertigung83
4.5 Bessere Qualifikationen: Schutz vor Verlagerung?106
4.6 Schlussfolgerungen112
5. Industrielles Upgrading in Mittelosteuropa115
5.1 Mittelosteuropa in der internationalen Arbeitsteilung – Forschungsstand und Kontroversen115
5.2 Struktur der mittelosteuropäischen Automobilindustrie119
5.3 Entwicklung einheimischer mittelosteuropäischer Zulieferer124
5.4 Abhängigkeit Mittelosteuropas von Komponentenimporten137
5.5 Forschung und Entwicklung in Mittelosteuropa141
5.6 Anlagen- und Vorrichtungsbauer in Mittelosteuropa151
5.7 Zieht die Verlagerungskarawane weiter?158
5.8 Ukraine: Die nächste Station der Verlagerungskarawane?164
5.9 Schlussfolgerungen169
6. Arbeitsmodelle in Mittelosteuropa172
6.1 Kollektive Verhandlungssysteme und Lohnentwicklung173
6.2 Beschäftigungssicherheit und Flexibilität183
6.3 Qualifizierung193
6.4 Betriebliche Interessenvertretung197
6.5 Schlussfolgerungen208
7. Rückwirkungen auf die Arbeitsmodellein Deutschland212
7.1 Das Damoklesschwert der Verlagerung212
7.2 Beschäftigungssicherungsvereinbarungen216
7.3 Koordination auf der europäischen Ebene227
7.4 Schlussfolgerungen228
8. Fazit230
Abbildungen und Tabellen235
Abbildungen235
Tabellen237
Zitierte Interviews239
Literatur241

Weitere E-Books zum Thema: Wirtschaftspolitik - politische Ökonomie

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Weitere Zeitschriften

FESTIVAL Christmas

FESTIVAL Christmas

Fachzeitschriften für Weihnachtsartikel, Geschenke, Floristik, Papeterie und vieles mehr! FESTIVAL Christmas: Die erste und einzige internationale Weihnachts-Fachzeitschrift seit 1994 auf dem ...

Menschen. Inklusiv leben

Menschen. Inklusiv leben

MENSCHEN. das magazin informiert über Themen, die das Zusammenleben von Menschen in der Gesellschaft bestimmen -und dies konsequent aus Perspektive der Betroffenen. Die Menschen, um die es geht, ...

BMW Magazin

BMW Magazin

Unter dem Motto „DRIVEN" steht das BMW Magazin für Antrieb, Leidenschaft und Energie − und die Haltung, im Leben niemals stehen zu bleiben.Das Kundenmagazin der BMW AG inszeniert die neuesten ...

Gastronomie Report

Gastronomie Report

News & Infos für die Gastronomie: Tipps, Trends und Ideen, Produkte aus aller Welt, Innovative Konzepte, Küchentechnik der Zukunft, Service mit Zusatznutzen und vieles mehr. Frech, offensiv, ...

die horen

die horen

Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik."...weil sie mit großer Aufmerksamkeit die internationale Literatur beobachtet und vorstellt; weil sie in der deutschen Literatur nicht nur das Neueste ...

Evangelische Theologie

Evangelische Theologie

Über »Evangelische Theologie« In interdisziplinären Themenheften gibt die Evangelische Theologie entscheidende Impulse, die komplexe Einheit der Theologie wahrzunehmen. Neben den Themenheften ...