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Die neuen Großmächte

Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch

AutorErich Follath
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl448 Seiten
ISBN9783641107949
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Global Player der Zukunft
Derzeit erleben wir ein wirtschaftspolitisches Erdbeben - die Zukunft findet bei den Gobalisierungsgewinnern in Asien und in Lateinamerika statt. China wird im nächsten Jahrzehnt die USA überholen und zur Volkswirtschaft Nummer eins werden. Indien investiert längst mehr in der EU als umgekehrt und kauft in Afrika riesige Ländereien. Der Boom-Staat Brasilien, der 2014 die Fußballweltmeisterschaft und 2016 die Olympischen Spiele ausrichtet, lockt Arbeitskräfte aus dem Westen an. Was bedeutet diese gewaltige Machtverschiebung für uns?

Erich Follath, langjähriger Fernostkorrespondent des SPIEGEL, kennt China, Indien und Brasilien seit Jahrzehnten aus erster Hand. Den radikalen Wandel der BRIC-Staaten hat er eng begleitet und weiß, wer die Gewinner und Verlierer sind. In seinem neuen Buch, für das er mit Politikern, Künstlern und religiösen Führern ebenso gesprochen hat wie mit den Menschen auf der Straße, zeigt er, was es für uns bedeutet, dass China, Indien und Brasilien erwachen.

Erich Follath, 1949 geboren, ist promovierter Politikwissenschaftler und bekannter Sachbuchautor. Lange Jahre war er für den SPIEGEL als Diplomatischer Korrespondent und als Redakteur tätig, unterwegs war er vor allem im Nahen Osten, auf dem indischen Subkontinent und in Ostasien. Über die Geschichte dieser Regionen, über die Menschen und ihre Kulturen hat er zahlreiche Reportagen geschrieben. Sein Buch »Das Vermächtnis des Dalai Lama« wurde zum Bestseller, zuletzt erschien das SPIEGEL-Buch »Die neuen Großmächte« (2013) über den wirtschaftlichen Aufstieg von Brasilien, Indien und China. Für »Jenseits aller Grenzen« hat er innerhalb eines Jahres die wichtigsten Stationen des Ibn Battuta besucht und die Eindrücke mit seinen früheren Reiseerlebnissen vereint.

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Leseprobe

1 BOMBAY
Die Kunst zu überleben

Es gibt Städte, die sind steingewordene Langeweile. Nichts entzündet die Phantasie, man wandert zwischen ihren modernen Hochhäuserfluchten, austauschbaren Glaspalästen und Luxuskaufhäusern wie sinnenbetäubt, wie leer, und das, obwohl sie vom Lebensstandard her doch weltweit zur Spitzengruppe gehören: die Denvers und Den Haags dieser Welt.

Andere Städte klingen schon nach Versprechen, wenn man ihre Namen nur leise vor sich hersagt, sie bündeln Sehnsucht und Spannung, sie wecken Erinnerungen an Kindertage und den ersten Globus zu Hause, die Landkarte, an der die Finger erwartungsvoll entlangstrichen. Faszination mit Geschichte und Geschichten: Sagen wir Samarkand an der legendären Seidenstraße oder Timbuktu in der südlichen Sahara, Wegmarken und Schnittpunkte der Kulturen. Weltherrscher wie Alexander der Große und Tamerlan, Weltreisende wie Ibn Battuta und Heinrich Barth haben hier Spuren hinterlassen; wer wollte da nicht immer schon mal hin, sich auf ihre Fährten setzen, ihren Beobachtungen nachspüren. Wenn man es dann nach Usbekistan und Mali geschafft hat, dann stellt sich Enttäuschung ein, ja fast so etwas wie Trauer. Nicht wegen der Sehenswürdigkeiten. Der Registan-Platz und die Sankoré-Moschee sind großartig. Aber es lässt sich kaum übersehen: Diese Städte haben ihre besten Zeiten hinter sich, sie sind teils museal und überrestauriert, teils zerfallen und vernachlässigt. Nur noch Schatten früheren Glanzes, schwaches Echo strahlender Epochen.

Und dann gibt es noch diese wenigen Städte, die eine besondere Melodie haben, eine besondere Lage, eine besondere Geschichte, ein besonderes Flair – und die sich über ihre interessante Historie hinaus weiterentwickelt haben, zu wahren Weltstädten geworden sind. Drei dieser Metropolen des 21. Jahrhunderts prägen die neuen Weltmächte, sie gehören zu den Sehnsuchtsorten schlechthin: Bombay, Schanghai, Rio de Janeiro. Erstaunlich, wie vieles sie schon auf Anhieb verbindet: Sie liegen alle am Meer und haben bemerkenswert schöne Aussichtspunkte. Sie haben alle eine ausgeprägte Kolonialgeschichte. Sie sind alle Wirtschaftszentren, Kulturmetropolen und Zukunftslaboratorien. Sie brachten alle bemerkenswerte Politiker, Wirtschaftsführer und Filmemacher hervor. Und sie sind alle nicht die Hauptstädte ihrer Staaten. Dennoch werden die drei neuen Großmächte mehr mit ihnen identifiziert als mit irgendwelchen anderen Orten. Neben der Schönheit von Indien, China und Brasilien, die sie repräsentieren, stehen Bombay, Schanghai und Rio aber auch für deren schlimmste Probleme: Slums, Korruption, Vetternwirtschaft. Und für die Verwundbarkeit durch Klimawandel.

In einer Studie der amerikanischen Columbia University nehmen sich die Wissenschaftler Alex de Sherbinin, Andrew Schiller und Alex Pulsipher gezielt das Trio vor. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass keine der Metropolen über eine nachhaltige Umweltpolitik und adäquate Katastrophen-Vorkehrungen verfügt. Am vernichtendsten fällt ihr Urteil über Bombay aus: »Unglücklicherweise ist die Innenstadt mit ihren weitläufigen Slums durch ihre Lage auf einer aufgeschütteten Halbinsel besonders anfällig für Klimakatastrophen, wie es sich beim extremen Monsun im Juli 2005 zeigte, als über tausend Einwohner ums Leben kamen. Diese Verwundbarkeit wird durch die verschiedenen Erdbeben-Gräben, auf denen sie sich befindet, sowie durch den ungesunden Umgang mit industriellen Kloaken und die Luftverschmutzung noch bedenklich verstärkt.«

Die drei vergleichen sich ganz bewusst auch selbst miteinander, sie sehen sich im Wettbewerb – dabei geht es ihnen nicht um Katastrophenschutz, sondern um wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt. Und um Rekordzahlen. Im Oktober 2004 etwa forderte der indische Ministerpräsident Manmohan Singh in einer Grundsatzrede seine Landsleute auf, die chinesische Konkurrenz auszustechen: »Wenn wir über ein aufstrebendes Asien sprechen, dann denken die meisten an die riesigen Veränderungen, die sich in Schanghai ereignet haben. Ich habe den Traum, Bombay so zu verändern, dass die Menschen in wenigen Jahren Schanghai vergessen und stattdessen Mumbai in aller Munde ist.« In der indischen Megacity finden 2013 gleich zwei Ausstellungen von höchstem internationalen Format statt: Die Chemtec und die Pharma Bio World Expo. Trotzdem müssen die Stadtväter anerkennend in die chinesische Metropole schauen: Die dortigen Führungskräfte haben 2012 schließlich die prestigereichste aller industrieller Leistungsshows veranstalten dürfen, die Weltausstellung. Und die Inder müssen zähneknirschend akzeptieren, dass Rio de Janeiro den Vogel abgeschossen hat – als Austragungsort des Fußball-Weltmeisterschaftsendspiels im Sommer 2014 und Olympiastadt 2016.

Aber die Bombayer lassen sich grundsätzlich nicht unterkriegen, superlativsüchtig und selbstbewusst, wie sie sie sind: Hat nicht der amerikanische Nachrichtensender CNN ihre Stadt im Dezember 2012 zur »World’s Greatest City« erklärt und immerhin fünfzig Gründe dafür angeführt, »warum Bombay Nummer eins ist«? Verheißt der Bestseller des preisgekrönten Autors Suketu Mehta nicht, dass es sich bei Indiens größter Stadt um die »Maximum City« schlechthin handelt? Steht hier nicht neuerdings auch das teuerste Privathaus der Welt, Objekt des Neids für Konkurrenten aus Rio und Schanghai – von den anderen, abgehängten Rekordjägern in den sogenannten entwickelten Staaten wie New York, London und Dubai mal ganz zu schweigen?

Antilia heißt das Anwesen. Der Hausherr hat es nach einer mythischen Insel im Atlantik benannt, die in Urzeiten Verfolgte zu ihrer Fluchtburg ausgebaut haben sollen, uneinnehmbar und geheimnisvoll. Ein Märchenschloss ist auch das neue Antilia geworden. Auf über eine Milliarde Dollar hat das US-Wirtschaftsmagazin Forbes die neue Bleibe des indischen Tycoons Mukesh Ambani geschätzt – sie steht gerade mal ein paar Steinwürfe von einigen der größten Slums der Welt entfernt. Eine Stahl- und Glaskonstruktion der Superlative. 27 Stockwerke, drei Helikopterlandeplätze auf dem Dach, neun Aufzüge, Swimmingpool, Multiplex-Kino. Kristalllüster nicht nur im Ballsaal, sondern sogar in den Garagen. 168 Stellplätze gibt es in den unteren sechs Etagen für die Luxusautos des Besitzers, neben den Filmen gilt auch das vornehme Ausfahren als ein Hobby des Hausherrn. Und natürlich das Geldmachen. Mukesh Ambani, Mitte fünfzig, genannt »Mister Big«, ist Chef des indischen Mischkonzerns Reliance Industries mit Beteiligungen an Erdölfeldern, Firmen für Solarzellen, Pharmaprodukten und Textilien. Er ist der reichste Inder, in den letzten Jahren regelmäßig unter den reichsten Männer der Welt zu finden – Nummer vier war er schon mal. Einer, der seiner Frau Nita zum Geburtstag einen Airbus A319 geschenkt hat. Kein nachgebautes Mini-Modell, sondern das Original, das Interieur etwas individuell aufgemöbelt, versteht sich. Mit vergoldeten Wasserhähnen. Passend, denn der Beiname dieser Stadt, die doch so viel Elend kennt, lautet seit alters her »City of Gold«.

Die Housewarming-Party mit Politikern, Wirtschaftsbossen und Bollywood-Filmstars wurde Ende 2012 gefeiert. Anschließend galt es noch die Götter zu befrieden. Hindupriester verlangten kleinere bauliche Korrekturen, um alles gemäß ihrer Riten einweihen zu können, eine Segnung, auf die der sonst sehr weltlich eingestellte Hausherr nicht verzichten wollte. Deswegen stand das Prachtgebäude einige Monate leer, bevor es dann bezogen wurde: 37000 Quadratmeter für das Paar, seine drei Kinder und die Mutter Ambani. Ob von den 600 Angestellten einige dauerhaft in der Villa übernachten dürfen, gilt als Geheimnis. Gedacht ist Antilia jedenfalls als Einfamilienhaus. Für sechs Menschen. Auf einem vergleichbaren Raum hausen in den Armenvierteln von Dharavi und Shivaji Nagar, jeweils kaum eine viertel Autostunde entfernt, geschätzte 5000 Menschen, die meisten ohne fließendes Wasser, ohne Toiletten, ohne durchgehende Elektrizität. Nach offiziellen Angaben leben etwa 60 Prozent der über 20 Millionen Einwohner von Bombay in Slums. Doch abgesehen von einem leichten Grummeln in der lokalen Presse (»obszön« schrieb der Indian Express) ist von Empörung über Antilia wenig zu spüren. Das Haus an der Barodawalla Marg von Süd-Bombay mit Blick über das Arabische Meer wird nur von ein paar privaten Sicherheitskräften geschützt, die sich in der Hitze langweilen und miteinander scherzen. Steinewerfende Demonstranten fürchtet hier offensichtlich keiner.

Die Villa stößt bei den Ärmsten offensichtlich auf Gleichgültigkeit – und bei der Mittelklasse der aufstrebenden Bombayer häufig sogar auf eine Art Mitbesitzer-Stolz: Seht her, sagen sie, wir sind Weltspitze, wir können uns alles leisten. Alles schaffen. Was man ja an den Ambanis sieht, der First Family des indischen Aufstiegs, den Bombay-Rockefellers: Vater Dhirubhai musste sich noch in den Sweatshops der alten Spinnereien und Färbereien die Hände schmutzig machen, ein ebenso rücksichtsloser wie erfinderischer Unternehmer, der mit seinem unbändigen Willen und politischen Hinterzimmer-Deals zum »Polyester-Prinz« aufstieg. Seinen beiden Söhnen Mukesh und Anil, in Amerika an Top-Universitäten ausgebildet, hinterließ er ein Imperium, das diese in den Boom-Zeiten seit Beginn der Neunzigerjahre zielstrebig ausbauten. Beide wurden zu Milliardären. Dabei zerstritten sie sich übrigens, und auch ihre Frauen wurden zu Rivalinnen.

Wenn Mukesh Ambani der Meinung ist, seine Landsleute seien in bestimmten Bereichen noch nicht Weltspitze, lässt er sie links liegen. Für den Bau des Antilia-Anwesens beispielsweise verzichtete er auf...

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