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Die Neuen Kriege. Ursachen und Dynamiken von Gewaltökonomien in inner- und zwischenstaatlichen Konflikten

Ursachen und Dynamiken von Gewaltökonomien in inner- und zwischenstaatlichen Konflikten

AutorSebastian Wenning
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl163 Seiten
ISBN9783640297832
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Politik - Internationale Politik - Thema: Frieden und Konflikte, Sicherheit, Note: 1,0, Westfälische Wilhelms-Universität Münster (Politikwissenschaftliches Institut), 187 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Erkenntnisgegenstand der vorliegenden Arbeit bezieht sich auf eine Untersuchung der Ursachen und Eigendynamiken, die zur Nachhaltigkeit von Gewaltökonomien in innerstaatlichen Konflikten führen. Dabei spielen nicht nur die verschärften Bedingungen der Finanzierung militärischer Gewalt, die zu gewandelten Formen der Mittelbeschaffung führen eine Rolle, sondern Gewaltökonomien setzen ihre eigenen Dynamiken frei, die maßgeblich zu ihrer Selbstperpetuierung beitragen. Durch ihre Funktionsweise und inhärent ablaufenden Prozesse übt die Gewaltökonomie zudem einen erheblichen Einfluss auf den Handlungskontext einzelner Akteure aus. Sie erzeugt sozioökonomische Rahmenbedingungen, die gewaltgesteuerte Wirtschaftskreisläufe hervorbringen, die nicht nur sich selbst stabilisieren, sondern auch zu einer Überlagerung von langfristig-politischen Zielen und kurzfristig-ökonomischen Interessen führen. Als Konsequenz sind die Aufrechterhaltung des Konfliktzustandes und die Verstetigung der Gewaltökonomie zu beobachten. Des Weiteren entwickelt die Gewaltökonomie ein so hohes gesellschaftliches Integrationspotential, dass sich nachhaltige Strukturen herausbilden, die sich verstärkend auf die eigendynamischen Prozesse auswirken. Schlagwörter: Eigendynamik, Prozesse, Staatszerfall, Gewaltakteure, Gewaltökonomie Abstract The main objective of this paper is to examine causes and momentums that lead to persistent forms of markets of violence in internal conflicts. As economic areas based upon permanent application of violence, these markets are able to create a self-perpetuating economic system, which can remain stable over several years. Influenced by systems general conditions, dominant actors rearrange their motives so that short-termed economic interests become predominant over long-termed political agendas. As a consequence a status of conflict maintenance is observable just as the perpetuation of the system itself. As a result of large scaled societal integration, persistent structures emerge, which lead to the stabilization of markets of violence. Keywords: momentum, process, state-failure, non-state actors, markets of violence

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Leseprobe

2. Failing States


 

2.1 Begriffsbestimmung und Definition

 

Anlässlich seines Niedergangs hat sich die Rückkehr des Staates in die politikwissenschaftliche Diskussion seit den 1990er Jahren in zwei Schritten vollzogen. Nationale Präzedenzfälle mit internationaler Breitenwirkung (Jugoslawien, Kambodscha, Somalia, Afghanistan etc.) erweckten zunächst den Eindruck, Staatsversagen (engl. „state failure“) und Staatszerfall (engl. „state collapse“) seien regionale Phänomene. Die Ursache liege in den veränderten politischen Rahmenbedingungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Der Wegfall der externen Unterstützung durch die Kontrahenten des Kalten Krieges, unterminiere die politische Stabilität. Der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Boutros Boutros Ghali sieht aber bereits Mitte der 1990er im gescheiterten Staat eine sicherheitspolitische Herausforderung und postuliert mehr als nur die militärische und humanitäre Intervention seitens der UN:

 

„A feature of such conflicts is the collapse of State Institutions, especially the police and judiciary, with resulting paralysis of governance, a breakdown of law and order, and general banditry and chaos. Not only are the functions of government suspended, but its assets are destroyed or looted and experienced officials are killed or flee the country. This is rarely the case in inter-state wars. It means that international intervention must extend beyond military and humanitarian tasks and must include the promotion of international reconciliation and the re-establishment of effective government.”[58]

 

Eine Neuausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik wird allerdings erst nach den Anschlägen vom 11.09.2001 vollzogen, als sich ein bis dato unbedeutender Staat (Afghanistan) als ernsthafte Bedrohung der einzig verbliebenen militärischen Supermacht erweist.

 

Daraufhin formuliert die Bush-Regierung im September 2002 in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie: „America is now threatened less by conquering states than we are by failing ones.”[59] Somit gelangt die Debatte um “failing states” vom Bereich der low politics in den Bereich der high politics und damit in ganz neue Dimensionen.

 

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird das Phänomen „Staatszerfall“ vor allem in der angelsächsischen Literatur mit hoher Intensität examiniert und diskutiert. Obwohl sich die Akzentuierung der wissenschaftlichen Untersuchungen auf die Analyse und Definition des Phänomens konzentriert, konnte derweil keine einheitliche Definition des Begriffs gefunden werden.

 

Vielmehr werden Indikatoren und distinktive Charakteristika des Phänomens „Staatszerfalls“ evoziert. Demnach ist ein zerfallender Staat einer, der:

 

genuine politische Güter wie Sicherheit, Ausübung des Gewaltmonopols, staatliche Dienstleistungen, Infrastruktur, Bildung, Gesundheit, funktionierende Marktwirtschaft oder den Effizienzverlust der politischen Institutionen (Dysfunktionalität staatlicher Einrichtungen) nicht mehr zur Verfügung stellen kann;[60]

politische Eliten delegitimiert sieht (mangelhafte Loyalität der Staatsbürger gegenüber dem Staat und dem Regime) und eine fehlende soziale Kohäsion von Gesellschaft und Staat impliziert;[61]

die Sicherheitsfunktion (Ausübung des Gewaltmonopols), die Wohlfahrtsfunktion (Dienstleistungen) und die Legitimitäts- und Rechtsstaatsfunktion (politische Ordnung, Korruption) nicht mehr adäquat erfüllen kann.[62]

 

Lambach beschreibt „Staatszerfall“ als „[…] Erosion empirischer Staatlichkeit […].“[63] Tetzlaff wiederum unterscheidet drei Varianten des Staatszerfalls: erstens den auf das eigentliche Staatsterritorium begrenzten durch Rebellion oder Sezession ausgelösten Zerfall, zweitens die Variante des durch Kleptokratie fortgeschrittenen Zerfalls und drittens den durch schleichende Erosion bedingten Verlust staatlicher Autorität.[64] Die Autoren der Studie „War, State, Collapse and Reconstruction” des Crisis States Institutes der London School of Economics and Political Science charakterisieren die Eigenschaften „fragiler Staaten“ wie folgt:

 

„[…]we defined fragile states as states where economic development has lagged behind the rich countries and where the institutions that manage conflict and govern the organisation of economic, political and social life are vulnerable to crisis. A crisis, we argued, is a situation where the political, economic or social system is confronted with challenges with which reigning institutions are potentially unable to cope.”[65]

 

Fragile Staaten bilden dabei die Basis auf der sich “Staatszerfall” erst entwickeln kann.

 

Thürer umschreibt “failed states” als das Produkt des Zusammenbruchs der Machtstrukturen, die politische Unterstützung für Recht und Ordnung gewährleisten. Ein Prozess, der generell von anarchischen Formen interner Gewalt ausgelöst und begleitet wird.[66]

 

Zu den semantischen Problemen der Begriffsbestimmung des „Staatszerfalls“ gehört, dass als präkonditionale Eigenschaft ein intakter Staat existent sein muss (es existieren auch Regionen, in denen eine sog. ´marginale Staatlichkeit´ vorherrscht), der sich mit den in der Literatur gängigen Kriterien von Staatlichkeit (sei es per definitionem[67] oder etwa durch die Attribute der Konvention von Montevideo[68]) vereinbar machen lassen muss und demnach erst bei Erfüllung derselben zerfallen kann. In dieser recht unilinearen Sichtweise liegt ein Kritikpunkt der Debatte über „Staatszerfall“. Staaten werden als Institutionen angesehen, die soziale und ökonomische Leistungskriterien erfüllen müssen, um die Gesellschaft dazu zu bewegen, bestimmte Politiken zu unterstützen. Diese zielen wiederum auf eine höhere Effizienz ab. Die bevorzugte Binnenstruktur ist dabei liberal und politisch demokratisch ausgerichtet. Denn hierin werden die wirksamsten Konditionen angesehen, um Menschen zu mobilisieren und die Macht des Staates so zu nutzen, dass aus den gebotenen Gegebenheiten der internationalen Gemeinschaft ein maximaler Vorteil gezogen werden kann. Einige Autoren zweifeln dieses westlich geprägte Bild des Staates jedoch als unzureichend an, wenn es um die Bestimmung der Ursachen von „Staatszerfall“ in den Regionen der „Dritten Welt“[69] geht, denn dort finden sich teilweise ganz andere Strukturen von Staatlichkeit und gesellschaftlicher Ordnung.[70]

 

„Wenn Staaten in Afrika in diesem [politisch-] sozialen Kontext betrachtet werden, erhebt sich die Frage, ob das formale Verständnis von „Staat“ in seiner nahezu idealen Form in vielen politischen Gefügen Afrikas jemals existiert hat.“[71] Schneckener hält dem entgegen, dass es in unserem Zeitalter praktisch keine vormodernen Gesellschaften mehr gibt, sondern nur welche mit sehr unterschiedlichen Komponenten. Vor diesem Hintergrund mache es keinen Sinn nach anderen Staatskonzepten zu suchen.[72]

 

Dr. Ted Gurr, Mitglied der 1994 auf Anraten von Al Gore gegründeten State Failure Task Force, entdeckt in dem Begriff des „failed state“ selbst eine Verortungs-problematik : „It´s one of those umbrella terms that sometimes mean whatever people want it to mean.“[73]

 

Diese Aussage unterstreicht Daniel Thürer mit der Auffassung, dass „gescheiterte Staaten“ nicht nur diejenigen wären, die ihre politisch-soziale Ordnungsmacht unter dem Druck gesellschaftlicher Gewalteskalationen verloren haben, sondern auch der antagonistische Fall des totalitären bzw. tyrannischen Machtstaats, der nach den normativen Maßstäben der Völkerrechtsordnung ebenfalls als „failed state“ bezeichnet werden muss.[74]  Auch der in der französischen Literatur verwendete Term „Etats sans gouvernement“ [Staaten ohne Regierung(-sgewalt)] ist für ihn zu unpräzise, da in einem gescheiterten Staat nicht nur die Regierung, sondern sämtliche Staatsfunktionen kollabiert seien.[75]

 

Differenziert wird zwischen dem zerfallenden Staat (failing state) und dem zerfallenen oder auch gescheiterten Staat (failed state). Der Unterschied liegt darin, dass sich ein „failing state“ im Prozess des Zerfalls befindet, während ein „failed state“ diesen Prozess bereits abgeschlossen hat und in einem anarchischen Raum („bellum omnium contra omnes“)[76] existiert, der durch die dezentrale Anordnung (privater) akteurszentrierter  Machtverhältnisse gekennzeichnet ist. Um einen „failing state“ handelt es sich, wenn eine Beeinträchtigung des Gewaltmonopols des Staates vorliegt und damit die Ausübung der Sicherheitsfunktion stark eingeschränkt wird, während die Wohlfahrts-, Legitimitäts- und Rechtsstaatsfunktion noch zu einem gewissen Grad erfüllt werden können. In einem „failed state“ sind sämtliche oben aufgeführte Funktionen des Staates nicht mehr vorhanden, so dass man von einem Kollaps von Staatlichkeit sprechen kann.[77]

 

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