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Die neuen Mächte - New Power

Warum vernetzte Ideen und Bewegungen die alten Machtstrukturen verändern - und wie wir dies für uns nutzen können

AutorHenry Timms, Jeremy Heimans
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783641197896
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
New Power vs. Old Power - wer setzt sich durch?
In Wirtschaft und Politik findet vor unseren Augen eine dramatische Umwälzung statt, deren konkrete Folgen wir jeden Tag spüren: Es etablieren sich zunehmend Machtstrukturen, die nicht mehr auf Autorität, Zentralisierung und exklusivem Zugang zu Ressourcen basieren (OLD POWER), sondern auf Community, Crowd-Funding und Dezentralisierung (NEW POWER). Jeremy Heimans und Henry Timms zeigen an vielen Beispielen, von AirBnB bis Uber, von der Trump-Kampagne bis zum IS, was genau diese Machtverschiebung bedeutet - und welche Ideen, Bewegungen und Unternehmen die vernetzte Welt dominieren werden.



Jeremy Heimans ist Mitgründer und Direktor von Purpose.com. Darüber hinaus hat er die politischen Online-Communities GetUp and Avaaz gegründet. Er berät weltweit einflussreiche Politiker und Organisationen.

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Leseprobe

2

Zwei Denkweisen: Old Power und New Power

»Das Labor ist meine Welt« im Vergleich zu »Die Welt ist mein Labor«

Das Johnson Space Center der NASA ist legendär, weil es sich immer wieder großen Herausforderungen stellt. Als die Astronauten der Apollo-13-Mission »Houston, wir haben ein Problem« meldeten, war es das Johnson Space Center, an das sie sich wandten.

Doch 2010 sah es nicht gut für die NASA aus; der Kongress drohte, das Budget zu streichen, und stellte damit indirekt den gesamten Nutzen der Weltraummissionen infrage. Mit ein Grund war ein Mangel an Vorstellungskraft. Oder wie es der Leiter des Forschungszentrums gegenüber seinen Mitarbeitern formulierte: »Das Hauptquartier ist der Meinung, dass wir nicht innovativ genug sind, das müssen wir widerlegen.«1

Also begann man, mit dem Konzept der »Open Innovation« zu experimentieren, bei dem Innovationsprozesse für die Allgemeinheit geöffnet werden, um Probleme besser zu lösen. Im Gegensatz zu Old-Power-Methoden, bei denen nur eine kleine Schar von Experten exklusiven Zugang zu Instrumenten, Daten und Maschinen hat, ist bei der offenen Innovation jeder eingeladen, sich zu beteiligen. Die Bemühungen der NASA, sich zu öffnen, gehen auf die Forschung und die Erkenntnisse von Hila Lifshitz-Assaf, Professorin an der New York University, zurück.2 Sie arbeitete drei Jahre lang für die NASA und erlebte diese Zeit des dramatischen – und spannungsgeladenen – Wandels hautnah mit.

Das Projekt im Johnson Space Center wurde vom Space Life Sciences Directorate (SLSD – Abteilung für Biowissenschaften im Weltraum) geleitet, dem der Fliegerarzt Jeffrey Davis vorsteht. Die Abteilung wählte 14 Probleme bei der strategischen Forschung und Entwicklung aus und erläuterte sie auf offen zugänglichen Plattformen, damit sich jeder dazu äußern konnte. 3000 Personen in 80 Ländern meldeten sich, von anerkannten Experten bis zu unbekannten Hobbyforschern.3

Die anfänglichen Ergebnisse waren beeindruckend. Üblicherweise veranschlagt man für einen traditionellen Forschungs- und Entwicklungszyklus drei bis fünf Jahre, doch durch die breite Beteiligung verkürzte er sich auf drei bis sechs Monate. Die Einbeziehung der Öffentlichkeit brachte aber nicht nur schnellere Lösungen zu niedrigeren Kosten, auch die Qualität der Arbeit fiel deutlich höher aus als erwartet.4

Eine Lösung ragte besonders heraus und wurde zum Symbol für diesen vielversprechenden Ansatz. Dabei ging es um ein gravierendes Problem in der Heliophysik: die effektive Vorhersage von Sonnenstürmen. Sonnenstürme sind Eruptionen hochenergetischer Teilchen, die mit einer Geschwindigkeit von etwa 1000 Kilometer pro Sekunde von der Sonne Richtung Erde geschleudert werden. Ihnen auszuweichen hat natürlich für jeden, der im Sonnensystem unterwegs ist, höchste Priorität. Doch obwohl Experten weltweit – bei der NASA und anderen Organisationen – viel Arbeit investierten, ermöglichten die besten Modelle nur Prognosen, die einen Sonnensturm ein oder zwei Stunden vorher ankündigten und lediglich über eine Genauigkeit von 50 Prozent verfügten.

Doch dann reichte Bruce Cragin, ein Fernmeldeingenieur aus New Hampshire, der sich schon halb im Ruhestand befand, einen Algorithmus ein, der eine Prognose acht Stunden im Voraus ermöglichte und eine Genauigkeit von 75 Prozent besaß, obwohl Cragin noch nicht einmal Heliophysiker war und natürlich auch keinen Zugang zu den Instrumenten hatte, über die die NASA verfügte.5

Dieser Durchbruch sorgte für großen Enthusiasmus bei der NASA-Leitung. Die Medien berichteten landesweit darüber, und selbst das Weiße Haus zeigte Interesse. Also verdoppelte man bei der NASA die Bemühungen im Bereich der offenen Innovation.

Jeffrey Davis stellte ein deutlich größeres Team zusammen und veranstaltete einen Workshop, mit dem es auf den vielversprechenden neuen Ansatz eingeschworen werden sollte. Der Tag begann mit großer Vorfreude und der kühnen Behauptung eines Workshop-Leiters: »Hiermit sind Sie vielen Organisationen voraus – in vielerlei Hinsicht allen Organisationen weltweit –, die versuchen, das Konzept der offenen Innovation umzusetzen.«6

Doch die Veranstaltung löste keine Welle der Begeisterung aus, sondern endete im Chaos. Lifshitz-Assaf berichtete vom Workshop: »Die Spannungen, Debatten und Kräfte, die hier zutage traten, führten in eine ganz andere Richtung als ursprünglich geplant. Die intensiven Ängste und Widerstände, die während der gesamten Veranstaltung zum Ausdruck gebracht wurden, überschritten das normale Maß bei Weitem.« Im Grunde lässt sich diese akademische Analyse mit den Worten zusammenfassen: »Die Leute drehten völlig durch.«7

Was war passiert? Warum löste eine verheißungsvolle Möglichkeit derart intensive Gefühle aus und führte zur Spaltung? Davis und sein Team waren zwar angeschlagen, machten in den folgenden Monaten aber dennoch entschlossen mit ihren Bemühungen um offene Innovation weiter. Dabei erlebten sie, wie sich zwei ganz unterschiedliche Gruppen herausbildeten.

Das eine Lager betrachtete das Projekt als komplette Zeitverschwendung, als Ärgernis und Bedrohung. Die Mitarbeiter dieser Gruppe murrten über die Auswirkungen der neuen Arbeit aufs Budget. Sie mäkelten spitzfindig an technischen Details herum. Einige weigerten sich, über Probleme zu reden, mit denen sie zu kämpfen hatten, weil sie fürchteten, dass »daraus eine Aufgabe für die offene Innovation werden könnte«.8 Manche wurden sogar zu Saboteuren und brachten ihre Kollegen davon ab, an der Initiative mitzuwirken. Andere zeigten sich vordergründig begeistert, lieferten aber kaum Ansatzpunkte für Mitwirkende von außen und ignorierten deren Ideen und Vorschläge. Ein Team verweigerte sich sogar komplett und »verschloss die Augen davor, dass es am Prozess der offenen Innovation überhaupt teilnahm«.9

Das andere Lager sah in der offenen Innovation eine Chance. Diese Mitarbeiter entwickelten neue Prozesse und Ansätze, um Außenstehende einzubinden und das Beste in ihnen zum Vorschein zu bringen. Sie entwickelten Instrumente, damit Wissen in ihre Labore hinein- und aus ihnen herausfließen konnte. Einige verzichteten komplett auf ihre bisherige Rolle, um eine »offene NASA« einzurichten, eine neue Einheit, die sich der Förderung der offenen Innovation verschrieb.10 Ein Team begründete den neuen, jährlich stattfindenden »Space-Apps-Hackathon« – das vermutlich globalste Projekt von allen –, bei dem 2017 etwa 25 000 Menschen an 187 Orten in 69 Ländern drei Tage lang zusammenkamen, um sich mit den kniffligsten Problemen der Raumfahrt zu beschäftigen.11 Andere richteten eine offene Plattform ein, um sich weltweit mit Raumfahrtexperten und interessierten Hobbywissenschaftlern auszutauschen. Heute ist die Begeisterung für offene Innovation bei der NASA so groß, dass es dort einen eigenen Berater im Büro des wissenschaftlichen Leiters gibt, der sich darum kümmert, dass ganz normale Bürger ihre Ideen einbringen können.

Bei jeder anderen Behörde würde man davon ausgehen, die Spaltung habe etwas damit zu tun, dass einige Mitarbeiter schlicht Angst vor neuen Technologien hätten. Aber das war eindeutig nicht der Fall. Schließlich handelte es sich hier um innovative Raumfahrtexperten. Die Spaltung hatte auch nichts mit dem Alter zu tun. Oder mit Erfahrung. Oder Ansehen. Die Zusammensetzung beider Lager wirkte sehr ähnlich.

Tatsächlich standen hinter der Spaltung zwei unterschiedliche Denkweisen.

Die erste Gruppe hing traditionellen Machtvorstellungen an, die wir Old-Power-Werte nennen. Diese Mitarbeiter kamen aus einer Welt mit klaren Grenzen zwischen »uns« und »den anderen«, in der nur Laborkittelträger mit Universitätsabschluss befähigt sind, die Geheimnisse des Kosmos zu entschlüsseln. Oder wie es ein führender Wissenschaftler formulierte: Der Widerstand gegen offene Innovation berühre »das Wesen der Wissenschaft, denn [die offene Innovation] widerspricht der Geschichte der naturwissenschaftlichen Methode … Wir wurden so ausgebildet, dass man Probleme nach der wissenschaftlichen Methode löst, und das hieß: Ich nehme sämtliche Informationen auf, fasse sie zusammen, analysiere sie und komme zu einer Schlussfolgerung. Wenn ich mich an andere Leute wende, um ein Problem zu lösen, ist das Betrug!«12

Diese Gruppe glaubte fest an den Wert des Fachwissens. Ihre eigene Identität basierte auf einer Tradition, die individuelle Momente der Genialität verehrte. Archimedes im Bad. Newton, dem ein Apfel auf den Kopf fällt. Ihr Instinkt riet diesen Wissenschaftlern, Informationen über ihre Arbeit zu horten, anstatt sie einer unqualifizierten Menge darzulegen, die sie dann kritisch unter die Lupe nähme, womöglich ohne sich an die etablierten Regeln der wissenschaftlichen Überprüfung und Debatte zu halten. Es gab auch durchaus Gründe für diese Skepsis: Viele Experimente der offenen Innovation und des Crowdsourcing scheitern. Die Betreffenden arbeiteten oft seit Jahrzehnten für die NASA – und hatten keine Lust, von einem dahergelaufenen Dilettanten ersetzt zu werden. Für ihr Wissen und ihre Privilegien hatten sie hart gearbeitet. Man ist das, was man angesammelt...

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