Praktische Konsequenzen
Wer als Manager die allgemeine Presse verfolgt, der erfährt, dass wir heute in einer Wissensgesellschaft leben, in der das Wissen nicht nur eine Ressource neben den traditionellen Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Grundbesitz ist, sondern die zentrale Ressource, von der alles abhängt. Die Zukunft gehört denen, die nicht mit den Händen, sondern mit dem Kopf arbeiten, und der Schlüssel für zukünftigen Wohlstand liegt in der Ausbildung und Schulung dieser Wissensarbeiter. Die Unternehmen müssen ausbilden, ausbilden, ausbilden, und die Wissensarbeiter müssen lernen, lernen, lernen, so die populäre Theorie.
Dieses simplistische Modell kann funktionieren, wenn es dem Unternehmen nur darum geht, Wissen aufzunehmen und an Einzelne im Unternehmen weiterzugeben. Aber es funktioniert nicht, wenn es darum geht, Wissen nicht nur auf individueller, sondern auch auf Gruppen- und Unternehmensebene zu schaffen. In der simplistischen Auffassung bewegt sich das Wissen horizontal und in eine Richtung, während es im Zusammenhang der Wissensschaffung eine Spiralbewegung vollzieht.
In diesem Abschnitt stellen wir sieben Aktionsschritte für die praktische Umsetzung eines Programms zur Wissensschaffung in einem Unternehmen vor. Dieser Prozess ist leider nicht so einfach, wie uns die Presse glauben machen will, aber dafür ist er auch garantiert effektiver. Auf folgende Schritte werden wir im Einzelnen eingehen:
Eine Wissensvision schaffen.
Eine Wissensgemeinschaft bilden.
Ein energiegeladenes Interaktionsfeld erzeugen.
Auf dem neuen Entwicklungsprozess aufbauen.
Das Middle-up-down-Management einführen.
Auf eine Hypertextorganisation umstellen.
Ein Wissensnetz mit der Außenwelt einrichten.
Eine Wissensvision schaffen
Die Unternehmensführung sollte eine Wissensvision schaffen und sie an das gesamte Unternehmen weitergeben. Diese Wissensvision gibt den Mitarbeitern einen mentalen Maßstab der Welt, in der sie leben, und orientiert sie über das Wissen, nach dem sie suchen und das sie erzeugen sollen. Sie ähnelt der Unternehmensvision und sollte als Grundlage für die Unternehmensstrategie dienen. Der Kern der Strategie liegt in der Entwicklung der Fähigkeit, eine Wissensdomäne zu erwerben, zu schaffen und zu nutzen. Die meisten Unternehmen denken bei der Formulierung ihrer Strategie ausschließlich an Produkte und Dienstleistungen. Damit fesseln sie sich bis zu einem gewissen Grad selbst, weil Produkte und Dienstleistungen relativ klare Grenzen haben. Die Grenzen des Wissens sind viel unschärfer, und das kommt sowohl dem Wettbewerbsumfang als auch dem technologischen Horizont des Unternehmens zugute.
Zum Beispiel bezeichnet Kao seine Wissensdomäne als 'Oberflächenwissenschaft' und kann dadurch - ausgehend von seinen Ursprüngen im Bereich oberflächenwirksamer Stoffe für Waschmittel - neue Märkte wie Kosmetik oder Floppy-Disks erschließen, weil eine Hautcreme als Fläche zwischen Öl und Haut und eine Diskette als ein mit Magnetpulver beschichteter Plastikfilm betrachtet werden kann. Ähnlich definieren auch NEC und Sharp ihr Wissensgebiet im Hinblick auf ihre Kerntechnologien. NEC zählt zum Beispiel Mustererkennung und Bildverarbeitung zu seinen Kerntechnologien und versucht, sie durch das Strategic Technology Domain (STD) auf die Geschäftstätigkeit abzustimmen. Für die Schaffung eines Produktkonzepts verknüpft das STD mehrere Kerntechnologien und repräsentiert in diesem Sinne nicht nur ein Produktgebiet, sondern eine Wissensdomäne. Sharp hat sich für Optoelektronik als Wissensgebiet entschieden. Die auf dieser Domäne beruhende Strategie lässt sich in ihrem Kern als dynamische Umwandlung von vielfältigen Wissensinhalten wie Komponententechnologien und Produktkonzepten beschreiben.
Eine von der Unternehmensleitung ausstrahlende Wissensvision motiviert Mittelmanager und Mitarbeiter zu hohem persönlichen Engagement. Sie gibt ihrer Alltagsarbeit Bedeutung und ihrer Wissenssuche ein Ziel. Eine Wissensvision trägt auch zum Umbau existierender Wissenssysteme bei, was besonders in Übergangsphasen vorteilhaft sein kann. Fehlt diese Vision, bezieht sich das Wissen unter Umständen nur auf Erfahrungen aus einer erfolgreichen Vergangenheit. Wenn die Unternehmensspitze nur solche Erfahrungen zum Maßstab nimmt, wird es sehr schwer, etwas Neues oder anderes zu versuchen.
Besonders förderlich auf das Engagement der Mitarbeiter wirkt sich eine Vision dann aus, wenn sie eher unbestimmt und offen bleibt. Solch eine Vision gibt den Mitarbeitern aller Ebenen die Freiheit, sich eigene Ziele zu setzen und die Ideale der Führung selbstverantwortlich zu deuten.
In nicht allzu ferner Zukunft wird die Qualität der Führungskräfte eines Unternehmens nicht mehr allein an ökonomischen Leistungskriterien gemessen werden, sondern auch an der Wissensvision, die sie Anspruchsgruppen innerhalb und außerhalb des Unternehmens zu bieten haben. Die Unternehmensspitze wird die Welt aus einer Wissensperspektive betrachten, die latente Wissensstärke im Unternehmen mobilisieren und das vom Unternehmen erzeugte Wissen erklären müssen. Topmanager sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Qualität dieses Wissens von der Kraft ihrer persönlichen Bestrebungen und der Unternehmensintention abhängt.