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E-Book

Die Parteien in Bewegung

Nachbarschaft und Konflikte

VerlagNZZ Libro
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl230 Seiten
ISBN9783038239871
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,30 EUR
Seit den 1990er-Jahren schrumpft das Feld der sogenannten Mitteparteien zugunsten einer immer stärker werdenden konservativen Rechten. Durch die Bestätigung der Grünen stellen sich auch für die Linke immer bescheidenere Erfolge ein. Neue Parteien zwingen die traditionellen, ihre Strategien zu überdenken. Wie erleben sie diese Veränderungen? Welcher Art sind die mehr oder weniger konfliktträchtigen Beziehungen zwischen sich angrenzenden Parteien, sowohl links wie rechts? Welche Allianzen oder Absprachen sind in solchen Nachbarschaftsverhältnissen möglich? Diese und ähnliche Fragen werden in einer Gesamtbetrachtung der jüngeren Entwicklung der Schweizer Parteien unter historischen, soziologischen und politikwissenschaftlichen Gesichtspunkten diskutiert. Beiträge von Urs Altermatt, Anne-Vaïa Fouradoulas, Andreas Ladner, Oscar Mazzoleni, Olivier Meuwly, Pascal Sciarini, Werner Seitz und Damir Skenderovic.

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Leseprobe

Einleitung

 

Weshalb ein Buch über politische Parteien, die in den westlichen Demokratien oft einen so schlechten Ruf haben? Selten profitieren Parteien von guter Presse, denn sie gelten als Inbegriff aller faulen Kompromisse und Spiegel der Machtperversionen. Die Phasen von Antiparlamentarismus und Misstrauen gegenüber den politischen «Eliten» in der Geschichte der modernen Demokratie haben die Parteien systematisch in Misskredit gebracht. Wenn die Politik zu versagen scheint, wird den politischen Parteien die Schuld dafür in die Schuhe geschoben, weil sie unfähig sind, für das «Wohl» des Staates zusammenzuarbeiten.

 

Dagegen gehen wir vom Prinzip aus, dass politische Parteien in demokratischen Systemen direkt an der Gestaltung der Politik und am Funktionieren des Staates mitwirken. Sie spielen dabei eine aktive Rolle und geniessen eine verhältnismässige Autonomie, da sie Menschen vereinen, die mehr oder weniger die gleiche Meinung vertreten, sich um eine Organisation gruppieren, im Wahlkampf für eine Sache eintreten und manchmal in politische Institutionen gewählt werden, die nach eigenen Regeln funktionieren. Ohne Parteien kann man sich schwerlich Wahlkampagnen vorstellen; ohne Parteien wäre es kaum möglich, den Stimmen der Bürger Rechnung zu tragen; ohne Parteien und ihre Vertreter einzubeziehen wäre es schwierig, die von staatlichen Institutionen getroffenen Entscheide zu verstehen.

 

Parteien und Parteiensysteme befinden sich somit im Schnittpunkt der materiellen und ideellen Interessen; sie sind die Bühne, auf der sich die Kämpfe zwischen Interessen und Visionen der Gesellschaft abspielen. In einer Welt, in der die Attribute «rechts» und «links» politisch gesehen nach wie vor von Bedeutung sind und gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Spaltungen nicht nur Reliquien einer längst vergangenen Zeit darstellen, sind es nun genau die politischen Parteien, die diesen Gegensätzen Sinn geben und mit ihnen umgehen. Innerhalb der Parteien werden die privaten Interessen abgewogen, umgestaltet, verwandelt und neu formuliert, bevor sie in die parlamentarische Debatte gelangen, wo sie abgeschliffen und ausgefeilt werden im Hinblick auf die Ziele, über die man sich einigen wird.

 

Es versteht sich von selbst, dass «rechts» und «links» keine unwandelbaren Begriffe sind, deren Definition ein für alle Mal feststeht. Die andauernde Opposition «Linke gegen Rechte» erinnert uns aber auch daran, dass es in der Politik keine Einstimmigkeit gibt: Es gibt nur mehr oder weniger solide Abmachungen zwischen den unterschiedlichen Kräften – eben den Parteien –, die sich manchmal mit genau umrissenen Interessen überlagern. In einer Demokratie entstehen diese Übereinkünfte durch Prozeduren, Debatten, Verhandlungen, Verzichte und – manchmal – durch Abstimmungen, aus denen sich wie in einem Schmelztiegel Richtlinien für das öffentliche Handeln entwickeln. Daher auch die Notwendigkeit, die Kämpfe, Konkurrenzsituationen, Bündnisse und Kooperationen, die sich sowohl innerhalb von politischen Parteien wie auch zwischen ihnen anbahnen können, genauer zu untersuchen.

 

 

Die Schweizer Parteien als «Aussenseiter»?

 

Auch in der Schweiz sind diese Phänomene wichtig, obwohl die direkte Demokratie, die Rolle der Interessenverbände und die Wählerstabilität nach dem Zweiten Weltkrieg scheinbar dazu beigetragen haben, den Parteien in der politischen Geschichte der Schweiz eine eher marginale Rolle zuzuteilen. Und doch wäre es unmöglich, diese Geschichte zu verstehen, ohne die politischen Parteien und ihre Kämpfe, Meinungsverschiedenheiten, Übereinkommen, Ideale, Strategien und Taktiken einzubeziehen, die organisieren, formen und Interessen sowie Werte einer Gesellschaft und ihrer Institutionen ausdrücken, die in ständiger Entwicklung sind.

 

Die Entstehung der Parteien in der Schweiz zeigt, dass ihre vermeintliche Randständigkeit alles andere als selbstverständlich ist. Die Anfänge des Bundesstaates sind von heftigen Konflikten zwischen einzelnen politischen Formationen geprägt, die sich gerade erst zu organisieren beginnen. Den Katholisch-Konservativen, die in den alten Kantonen des Sonderbunds stark sind, stehen die Radikalen gegenüber, die aber selber in zahlreiche Gruppen zerfallen: Von den manchestergläubigen Liberalen um Alfred Escher, die im riesigen Unternehmen des Eisenbahnbaus engagiert sind, über die etatistisch-zentralistischen Deutschschweizer mit ihrer Galionsfigur, dem Berner Jakob Stämpfli, bis hin zu den Radikalen der Westschweiz, die bei sich zu Hause etatistisch, auf nationaler Ebene aber föderalistisch denken. Die Radikalen werden allerdings mit der Entwicklung der Industriegesellschaft nicht mithalten können und es wird ihnen nicht mehr gelingen, ihr stark auseinanderstrebendes Gespann zusammenzuhalten. Ihr linker Flügel spaltet sich nach und nach ab und gründet 1888 die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS). Um die von links kommende Bedrohung abzuwenden, überlassen die Radikalen den Katholisch-Konservativen 1891 einen Bundesratssitz (Meuwly 2007). Diese versuchen ihrerseits, sich als Partei zu organisieren, nachdem sich ihre Macht 1874 durch die Einführung des Gesetzesreferendums vervielfacht hat. Dies wird ihnen aber erst 1912 gelingen. Erst das Referendum und dann die 1891 geschaffene Volksinitiative zwingen die politischen Kräfte zum Überdenken ihrer Art, Politik zu machen und umzusetzen. Um eine Disziplin wiederherzustellen, die kontinuierlich zerbröckelt war, gründen die Radikalen 1894 die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP). Doch die Verstimmung im rechten Flügel wächst: Man protestiert dagegen, dass sich die Partei vermeintlich immer mehr in Abhängigkeit von der Zürcher Hochfinanz bringt und zugleich den Forderungen der Arbeiterbewegung entgegenkommt. Mit dieser wird ein Abkommen ausgehandelt, das einen verhältnismässigen Frieden in den Unternehmen sichern soll, denn seit den 1860er-Jahren haben sich die Streiks gemehrt. Dieser rechte Flügel, dem vor allem bäuerliche Kreise angehören, nähert sich dem konservativen Milieu an, das einen grossen Aufschwung erlebt. Die Westschweizer, Basler, Zürcher und Berner Liberal-Konservativen schliessen sich 1875 im Eidgenössischen Verein zusammen, bevor sie 1913 mit dem alten rechten Flügel der FDP die Liberale Partei der Schweiz (LPS) gründen.

 

Die Einführung des Proporzes bei den Nationalratswahlen von 1919, die auf den Generalstreik von 1918 folgen, stellt die freisinnige Vormachtstellung aber wieder infrage: Die Sozialisten und die während des Krieges in den Kantonen Bern und Zürich entstandene Bauernpartei sind die grossen Gewinner, während die Katholisch-Konservativen ihre Positionen halten können. 1936 wird die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) und 1919 die Evangelische Partei der Schweiz (EVP) gegründet. Das neue Wahlsystem stärkt die politischen Parteien in der Schweiz, die sich, trotz direkter Demokratie, immer mehr verfestigt; es fördert aber auch deren Zersplitterung. Die Sozialdemokraten müssen 1921 ebenfalls eine schmerzliche Abspaltung, jene der Kommunisten, miterleben. In der Zwischenkriegszeit nimmt die Bedeutung der Parteien zu, während die Unrast links wie rechts wächst und nur die direkte Demokratie Auswüchse verhindert. 1935 wird eine Partei gegründet, die später zur grössten Nichtregierungspartei avanciert: der Landesring der Unabhängigen (LdU). Der Druck der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände, die ihrerseits den Bundesrat bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre unterstützen, bewirkt, dass die Freisinnigen sich 1924 einverstanden erklären, einen Sozialdemokraten in den Bundesrat aufzunehmen, auch weil die SPS sich inzwischen mit der Landesverteidigung weitgehend versöhnt hat.

 

Die Schweiz tritt in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein, ohne ihre institutionelle Architektur zu verändern. Das Proporzsystem erlaubt eine sehr breite Beteiligung der politischen Kräfte – als natürliches Gegenstück zu einer grosszügig ausgestalteten direkten Demokratie. Die grossen Parteien garantieren die «Verwaltung» des Systems; Konflikte unter ihnen führen nicht zu unüberwindlichen Spannungen. Alle grossen Parteien erkennen die Umverteilung der Kräfte, die auch eine Folge des Antikommunismus ist, der Bürgerliche und Sozialdemokraten vereint. Die Nachkriegsjahre – verbunden mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der «glorreichen 1930er-Jahre», Demokratie, Marktwirtschaft, Wohlfahrtsstaat und einem gemeinsamen Kampf gegen die Ideologien des Stalinismus und des Nazismus – nähren stärker noch als im übrigen Europa die Phantasievorstellung eines politischen Universums, das keine scharfen Kanten innerhalb des politischen Lagers kennt und wo «Konkordanz» und «Zauberformel» ohne grössere Kontraste herrschen. Zusammen mit den Katholisch-Konservativen, die sich nach dem Krieg stark auf sich selber konzentrieren, gelingt es der SPS 1959, im Bundesrat eine ihrer Wählerstärke entsprechende Vertretung durchzusetzen. Die in Wirklichkeit höchst ausgefeilte «Zauberformel» wird damit zur Grundlage der erfolgreichen Parteiarbeit (Burgos, Mazzoleni und Rayner 2011). Obwohl allerdings die Institutionalisierung der Zauberformel in den 1960er- und 1970er-Jahren Wirkungen entfaltet, die zum Teil auch heute noch spürbar sind, hat das Parteiensystem nicht einfach aufgehört, sich weiterzuentwickeln – allem äusseren Anschein zum Trotz.

 

Das scheinbar unwandelbare Schweizer Parteiensystem lässt den sozialen Bewegungen, die in den 1970er-Jahren aufkommen, in der Tat wenig Raum – zumindest, was die institutionelle Ebene...

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