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Die Pionierleistungen der Musikerin Maria Theresia Paradis (1759-1824). Blindheit als Chance?

AutorReinhard Anselm Deutsch
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl86 Seiten
ISBN9783668111837
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Musik - Sonstiges, Note: 1,0, Universität für Musik und darstellende Kunst Graz (Institut 15: Alte Musik und Auffu?hrungspraxis), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Pianistin, Komponistin und Pädagogin Maria Theresia Paradis erblindete in frühester Kindheit. Durch ihre teilweise erfolgreiche und der Gesellschaft der damaligen Zeit suspekte Behandlung durch den Arzt Franz Anton Mesmer erreichte sie großes Aufsehen und wurde so nicht nur durch ihre musikalischen Aktivitäten, u.a. als reisende Pianistin, europaweit bekannt. Welche Errungenschaften machen diese Musikerin aber zu einer Pionierin ihrer Zeit und was hat ihre Blindheit damit zu tun? Hat sie diese zu ihrem Vorteil wenden können und darf man die Frage wagen, ob sie als Sehende genauso viel Erfolg gehabt hätte? Es lässt sich jedenfalls ohne Zweifel feststellen, dass die Leistungen dieser Künstlerin nicht auf die Quantität oder Qualität ihres kompositorischen Schaffens beschränkt werden dürfen, da ihr Handlungsspektrum weit größer war und so im Sinne des kulturellen Handelns zu diskutieren ist. Außerordentliche Maßstäbe konnte sie als Pionierin vor allem in der Bildung blinder Menschen und allgemein einflussnehmend im kulturellen Geschehen der Gesellschaft setzen.

Musikstudium an der Kunstuniversität Graz und Hochschule für Musik Detmold, freiberuflicher Plakat- und Webdesigner, Fotograf, Lektor, Trainer

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Leseprobe

II. Gescheiterte Versuche einer Heilung


 

Maria Theresia, die sehend geboren wurde, ist zweifelsfrei in frühester Kindheit erblindet. Warum ist es aber dazu gekommen? Und wie? War es tatsächlich von einem Tag auf den anderen, so wie der Vater berichtet? Haben die Ärzte ihr helfen können? Trotz der Überlieferung einiger Berichte muss gesagt werden, dass eine eindeutige Ursache weitgehend ungeklärt bleibt und die medizinische Diagnose einer Patientin, deren Geburtsjahr mehr als 250 Jahre zurückliegt – eine Zeit, die mit dem Stand heutiger medizinischer Forschung nicht verglichen werden kann – nur erahnt werden kann. Vor allem aber die Tatsache, dass die überlieferten Berichte weitgehend divergieren, verschiedenste Ursachen nennen und dadurch den Anschein geben, dass in damaliger Zeit schon ein Rätselraten betrieben wurde, schwächt die Hoffnung, eine zuverlässige Diagnose stellen zu können.

 

Gerber sowie Wurzbach nennen in ihren Lexika einen „gichtartigen Schlagfluß des Gesichts“[71], zweiterer zudem auch einen „plötzlichen Schrecke[n]“[72] als Ursache für Maria Theresias Erblindung. Frankl vereint beides und schreibt in seiner Biografie, dass sie „in Folge eines plötzlichen Schreckens das traurige Geschick zu erleben“ hatte, vom „unheilbaren schwarzen Staar befallen“[73] zu sein, eine im heutigen medizinischen Gebrauch nur mehr selten zu findende Bezeichnung, die dem des „gichtartigen Schlagflußes“ laut Ullrich gleichzusetzen ist.[74] Auch zitiert Frankl die Zeitgenossin Caroline Pichler (geb. Greiner), von der in ihren Memoiren überliefert ist, dass sie den Grund der Erblindung in einer „zweckwidrigen Behandlung eines Hautübels“[75] sah. Der Sammler, ein Wiener Unterhaltungsblatt von 1810, schreibt, dass die Ursache eine auf ihren Kopf gestrichene „Mercurial-Salbe“[76] war, was Pichlers Aussage eventuell ergänzen könnte. Johann Wilhelm Klein, ein Pionier in der Bildung Blinder und Begründer des ersten Blindeninstituts im deutschsprachigen Raum, schreibt in seiner „Anleitung, blinden Kindern […] die nöthige Bildung […] zu verschaffen. […]“ von 1844, Maria Theresia „verlor […] das Gesicht durch einen Nervenschlag so plötzlich und unvermerkt, daß die Ältern selbst eine Zeitlang darüber in Zweifel waren.“[77].

 

Im Jahr 1813 schreibt die Wiener Allgemeine musikalische Zeitung in einer „biografische[n] Skizze“[78] des „Fräulein[s] Marie Therese Paradis“[79] Folgendes:

 

[Paradis erblindete] ohne daß ihre Aeltern die Ursache dieses Unglücks, welches sie ganz ohne vorhergegangener Krankheit traf, auch nur errathen konnten; es läßt sich nicht einmal der Tag genau bestimmen, welche es über sie brachte; denn nach und nach bemerkte man erst dadurch, daß sie sich überall anstieß, wenn sie ging, und daß sie alles, was man ihr zeigte, betasten mußte, um es zu erkennen, daß sie das Gesicht verloren hatte.[80]

 

Auch wenn Ullrich ein paar Quellen des 19. Jahrhunderts anführt, die von einer „allmählichen Erblindung“[81] sprechen, oder auch der von mir ausgeforschte, eben abgedruckte Bericht der Wiener allgemeinen musikalischen Zeitung von 1813, so ist ein von Karl Wilhelm Otto August von Schindel überlieferter und von Fürst zitierter Bericht doch sehr anschaulich. Es heißt hier:

 

Sie war erst 2 Jahre 11 Monate alt, als sie in einer Nacht, sey es nun durch einen gichtischen Schlagfluß, oder in Folge eines plötzlichen Schrecks, ihres Gesichts gänzlich beraubt wurde; -- man erzählt nämlich, es sey im Hause ihres Vaters des Nachts ein entsetzliches Geschrei „Feuer, Diebe, Mörder!“ erhoben worden, worauf der Vater Mutter und Kind in der höchsten Bestürzung verlassen und nach Degen und Pistolen gegriffen habe; der Schreck aber habe das schwächliche Kind zugleich erblindet.[82]

 

Der oft gefundene Hinweis auf einen „Schrecken“ mag sehr wohl auf eine psychologische Ursache hindeuten, so wie sie der Medizinhistoriker Helmut Siefert verfolgt: Er meint, dass Maria Theresia einer „massiven dramatischen Situation ausgesetzt gewesen sein“[83] muss, da die plötzlich eingesetzte Blindheit über 14 Jahre anhielt, sowie auch die anderen Symptome, die beobachtet wurden. Als eventuelle Interpretation führt er Siegmund Freuds Rückschluss solcher traumatischer Erlebnisse auf die so genannte „Urszene“ an, auf die „beobachtete oder fantasierte sexuelle Beziehung zwischen den Eltern“, die sich auf das Kind in einer „väterliche[n] Aggression“[84] überträgt. Interessant sind hierbei die im Film Mesmer von 2004 angedeuteten sexuellen Übergriffe des Vaters auf die Tochter,[85] auch wenn diese laut Fürst jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehren.[86]

 

Siefert sowie Fürst zitieren wiederum die Krankengeschichte des Vaters, die von Mesmer überliefert ist. Diese berichtet:

 

Es war vielleicht vollkommener Staar, der vermuthlich, durch eine zurückgeschlagene Feuchtigkeit oder Erkältung entstanden, in dem das Kind, in der nemlichen Nacht, durch einen, vor seiner Kammerthüre entstandenen Lärmen vielleicht veranlasset worden, sich derselben auszusetzen.[87]

 

Und weiter:

 

Ihre untröstliche Eltern, wandten den Augenblick, alles an, was man nur für das dienlichste hielte, diesen Zufall zu heben, z. E. Blasenpflaster, Blutigel und Fontanelle. Ja man trieb das erste Mittel so weit, daß in Zeit von zween Monaten der ganze Kopf mit einem einigen Pflaster bedeckt war, welches eine ununterbrochene Eiterung unterhielte.[88] Hiermit verband man mehrere Jahre den Gebrauch abführend und eröfnender Mittel, wie auch der Pulsatille[89] und Baldrian Wurzel. Aber alle diese Mittel halfen nichts, die Kranke bekam Gichter in den Augen und den Augenliedern die auf das Gehirn und hierdurch ein Rasen wirkten, welches eine völlige Verrückung besorgen ließ. Die Augen fiengen an zum Kopf heraus zu stehen und waren so verdreht, daß man oft nichts als das Weiße davon sahe, welches alles, mit den Gichtern verbunden, einen scheußlichen fast unausstehlichen Anblick verursachte. Vor einem Jahr, nahm man seine Zuflucht zur Elektricität, welche an ihren Augen mit mehr als 3000 Erschütterungen, oft 100 nach einander, angebracht wurde. Aber diß letzte Mittel hatte traurige Würkungen. Es vermehrte ihre Reizbarkeit und Gichter dermassen, daß man nur durch oft wiederholtes Aderlassen vorbeugen konnte.[90]

 

Maria Theresia musste einige Qualen auf sich nehmen, auch mit „künstlich hervorgerufenen eitrigen Geschwüren, Blutegeln, Ziehpflastern, Baldrianwurzeln und Leydener Flaschen, die schwache elektrische Ströme aussandten und auf die Augen gelegt wurden“[91] versuchte man die Heilung, leider alles ohne Erfolg. Bekannteste Ärzte Wiens, wie der Starstecher Professor Josef Barth, der Hofrat, Professor und erste Leibarzt der Kaiserin Anton Freiherr von Störck, der Augenarzt Michael Johann Baron von Wenzel oder der Arzt und Chemiker Johann Ingenhousz konnten keine Erfolge verzeichnen.[92] Wie Stefan Zweig meint, war hier die Schulmedizin am Ende, und „gewisse Anzeichen[93] (konvulsivisches Zucken in den Augen, die dann immer aus den Höhlen hervortraten, ein Milz- und Leberleiden, das irrsinnsähnliche Anfälle hervorrief) lassen vermuten, dass die Blindheit des Fräuleins Paradies nicht auf einer Zerstörung des Sehnervs beruhte, sondern bloß auf einer seelisch bedingten Verstörung.“[94]. Diese Folgerung wird durch die Tatsache bestärkt, dass einzig und allein die Behandlung des damals umstrittenen Arztes Johann Anton Mesmer, wenn auch bedingt, Auswirkungen und Erfolge zeigte. Dies allerdings erst, als Maria Theresia bereits 18 Jahre alt war.[95]

 

Franz Anton Mesmer


 

Franz Anton Mesmer kam 1734 im kleinen Ort Iznang am Bodensee zur Welt. Er wurde nachweislich am 23. Mai des Jahres in der Kirche zu Weiler getauft,[96] laut Taufbuch der Gemeinde Iznang ebenso am gleichen Tag geboren.[97] Auch wenn seine (zumindest medizinischen) Lebensmittelpunkte Wien und Paris waren, so starb er als 81-jähriger 1815 ebenso am Bodensee, im gleichen Ort, in dem seine Eltern geheiratet hatten: Meersburg. Er war das dritte von insgesamt acht Kindern und seine Eltern waren beide Jägermeister am Fürstbischöflichen Hof. Nachdem er in Weiler und Konstanz zur Schule ging, bekam er schließlich ein kirchliches Stipendium, das ihm ermöglichte, an der Universität in Dillingen Theologie zu studieren. Seine theologischen Interessen hielten aber nicht lange, eher hatte es ihm die Philosophie angetan, sodass er, nachdem er nach vier Jahren an die Universität Ingolstadt gewechselt hatte, sein Theologiestudium abbrach und sich dem Studium der Rechtswissenschaften, der Mathematik und Physik sowie der alten Sprachen und Französisch...

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