2 Die Stationen der problembeladenen Nachbarschaft bis zur Schlacht bei Tannenberg (1410)
Das Jahr 1386 stellt in der Geschichte des Deutschen Ordens eine aus heutiger Perspektive folgenreiche Zäsur dar. Der polnische Königsthron musste nach dem Tod König Ludwigs I. von Anjou neu besetzt werden. Die zahlreichen Anwärter auf den polnischen Thron mussten für eine erfolgreiche Kandidatur die Gunst des einflussreichen kleinpolnischen Adels erlangen.[18] Dieser votierte schließlich für den litauischen Großfürsten Jagiełło, denn das benachbarte Großfürstentum war der ideale Partner, um die Expansion nach Osten voranzutreiben.[19]
Jagiełło versprach im Gegenzug, zusammen mit seinen Untertanen zum Christentum nach westlichem Ritus überzutreten, denn für Litauen bedeutete ein Bündnis mit Polen sowie der Übertritt zum römischen Christentum „eine starke Stütze in politischer, aber auch in militärischer und ideologischer Hinsicht.“[20]
In dem 1385 ausgehandelten Vertrag von Krewo, der die Grundlage für die polnisch-litauische Union darstellte, erklärte sich der litauische Großfürst Jagiełło zu der Annahme des christlichen Glaubens bereit und versprach, dem polnischen Adel auf eigene Kosten die Rückgewinnung jener Gebiete, die der polnischen Krone in der Vergangenheit verlorengegangen waren.[21] Mit der Heirat Jadwigas und Władysław II. Jagiełłos, so lautet der christliche Herrschertitel Jagiełłos, wurden Polen und Litauen im März 1386 auch formal unter einer Krone vereint.
Welche Folgen die Union von Krewo für den Deutschen Orden haben sollte, war zum damaligen Zeitpunkt nicht absehbar. Die größte Gefahr ging nicht etwa von der Größe bzw. der militärischen Stärke des neuen Nachbarn aus, denn aus militärischer und vor allem aus finanzieller Sicht war der Orden dem neuen Nachbarn gewachsen und auch politisch war man weitaus einflussreicher als Polen-Litauen, unterhielt man doch beste Kontakte zu Kaiser, Papst und Fürsten in ganz Europa. Angesichts dieser engen Verbindungen forderten die deutschen Kurfürsten und Herren immer wieder Unterstützung für den Deutschen Orden, denn er galt stets als „aller ritterschaft fruntlicher und nuczlicher ufenthalt.“[22]
Die eigentliche Gefahr für den Orden ging von der Tatsache aus, dass die Litauer gemäß dem Vertrag von Krewo zum Christentum übergetreten waren. Die Bedrohung war nicht der Tatsache geschuldet, dass den Polen das gelungen war, was die Kreuzzüge des Ordens in 100 Jahren nicht fertiggebracht hatten, sondern dass ihm durch den offiziellen Übertritt zum Christentum auf einen Schlag „die Legitimation zum Heidenkampf gegen die Litauer und damit die wichtigste Grundlage seiner Herrschaftsbildung im Baltikum“[23] genommen wurde.
Die Hauptaufgabe des Ordens in Preußen war die Heidenmission, das hatte die Kurie in der Bulle von Rieti 1234 unmissverständlich klargestellt. Der Orden sollte Mission treiben, keinen Staat gründen.[24] Dieser war damals zu der Einsicht gelangt, dass er seinen Plan, einen Ordensstaat zu gründen, als Missionsunternehmen tarnen musste, um den päpstlichen Vorgaben gerecht zu werden. Dies tat er und errichtete unter dem Deckmantel der Mission im Laufe der Zeit einen mächtigen Ordensstaat, der aufgrund seiner militärischen und finanziellen Macht sowie im Vertrauen auf die räumlichen Distanz zu Kaiser und Papst, sogar christliche Gebiete annektierte und somit immer offensichtlicher gegen seinen ursprünglichen Missionsauftrag handelte.
Die Heidenkriege des Deutschen Ordens, die im 14. Jahrhundert zu einem ritterlichen Spektakel ersten Ranges avanciert waren[25], sorgten nicht nur für großes Ansehen in ganz Europa, sondern verhalfen ihm auch immer wieder zu der Argumentation, dass er im Baltikum gebraucht würde, was ihn auch gegen viele kritische Stimmen vor härteren Sanktionen bewahrte. Die Existenz von Heiden im Baltikum sicherte dem Orden also entgegen vieler kritischer Stimmen auch seine eigene Existenz. Diese Argumentationsstrategie entbehrte nun jeglicher Realität: Der Missionsauftrag, die Basis für die Ordensherrschaft im Baltikum, wurde dem Orden mit dem Übertritt der Litauer zum Christentum genommen.
Dass diese neue Situation folgenschwere Auswirkungen auf die Existenzberechtigung des Deutschen Ordens haben musste, ist an der anfänglichen Verwirrung Nikolaus’ von Schippenbeil zu erkennen, der an der römischen Kurie als Generalprokurator die Interessen des Ordens vertrat. Er erkannte, dass der Orden seine Ansprüche auf Litauen nun neu begründen musste. In der anfänglichen Verwirrung griff Schippenbeil zunächst auf die Urkunden Mindaugas’ zurück und ließ diese für den Transport nach Rom am 27. August 1386 und 26. Mai 1388 transsumieren.[26]
Die erste öffentliche Reaktion des Deutschen Ordens ist von seinem Hochmeister Konrad Zöllner von Rotenstein zu beobachten. Dieser wurde von Jagiełło ganz bewusst als Taufpate auserwählt, denn neben der symbolischen Bedeutung dieses Vorgangs hätte der Hochmeister mit seiner Funktion als Taufpate des heidnischen Großfürsten den Übertritt der Litauer zum Christentum anerkannt und sich damit seiner Legitimation selbst beraubt. Der Hochmeister war dieser Einladung schließlich nicht gefolgt, sondern führte stattdessen einen Kriegszug ins litauische Grenzgebiet. Die Begründung für das Fernbleiben lautete, und diese lässt die Strategie des Ordens im Umgang mit dem neuen Nachbarn sehr gut erkennen, dass „die Taufe nur eine Täuschung, und Litauen weiterhin ein heidnisches Land sei, und er selbst den Heidenkrieg gegen die Litauer auch künftig führen müsse.“[27]
Die Reaktion des Deutschen Ordens auf die Taufe Jagiełłos zielte demnach darauf ab, dass sich nichts am Status quo geändert habe, die Taufe nur eine Täuschung sei und die Litauer weiterhin Heiden seien. Mit dieser Argumentationslinie blieb die Missionsverpflichtung des Ordens im Baltikum bestehen und an der Grundlage des Ordensstaates, dem Heidenkampf, hatte sich nichts geändert. Die Strategie, die der Orden verfolgte, ist durchaus verständlich. Er wollte seine Interessen gewahrt wissen und seinen mühsam errichteten Ordensstaat nicht an einen konvertierten Heidenfürsten verlieren. Der Hochmeister spielte auf Zeit und versuchte fortan, die junge, noch wenig gefestigte Union wieder zu entzweien.
Die Argumentation des Hochmeisters entbehrt keineswegs jeglicher Grundlage. Mit der Taufe Jagiełłos war gewiss nicht jeder Litauer zum Christentum konvertiert, aber dies war nach mittelalterlichem Verständnis auch gar nicht nötig.[28] Die Taufe des Fürsten und der Adligen galt als hinreichender Beweis dafür, dass nun Kirchen gebaut und sich alle Untertanen taufen lassen würden. Das Taufversprechen Jagiełłos musste dennoch für den Deutschen Orden nicht gleich das Ende des Heidenkampfes im Baltikum bedeuten. Dieser hatte schon allerlei Erfahrungen mit Taufversprechen litauischer Herrscher gemacht, die Taufe Jagiełłos schien zu diesem Zeitpunkt für den Deutschen Orden also nicht das Ende seiner Existenzberechtigung zu sein. Dies mussten erst die folgenden Jahre zeigen. Zunächst einmal schien es die klügste Strategie zu sein, die Taufe nicht anzuerkennen und alles Erdenkliche zu tun, um die Union zu spalten. Diese Strategie wurde von einer antipolnischen Propaganda in ganz Europa begleitet.
Die Propagandaaktivitäten des Deutschen Ordens hatten bereits im Jahre 1385 begonnen, als die Verhandlungen in Krewo abgehalten wurden. Hochmeister Konrad Zöllner von Rotenstein unternahm eine Vielzahl an Versuchen, die polnisch-litauische Union und insbesondere die Vereinbarungen von Krewo unglaubwürdig zu machen. Diese Bemühungen sollten nahezu über ein halbes Jahrhundert aufrechterhalten werden. Dabei sparte der Orden weder an finanziellen noch an militärischen Mitteln, er machte sich alle Zwistigkeiten um die Rechtskonzeption der polnisch-litauischen Union zunutzte.[29]
Der Umgang des Ordens mit dem rechtmäßig getauften und legitimen König Polens, Władysław, wird in einem Klageartikel vom April 1388 deutlich. Dort beklagte der polnische König, dass er auch nach seiner Taufe vom Deutschen Orden unwürdig behandelt worden sei und dass die Raubzüge seitens des Ordens nicht eingestellt worden seien. Besonders verärgert habe ihn, dass der Hochmeister ihn bei Papst, Kaiser und Fürsten verleumdet habe, indem der Hochmeister in seinen Briefen verbreitet habe, dass er den Glauben Christi betrüglich empfangen und die höchsten Adligen des Reiches Polen nach Litauen in ewige Gefangenschaft geschickt sowie Harnische, Pferde und alle möglichen Waffen dorthin gesandt habe, um, sobald das ganze Land davon voll wäre, vom Glauben wieder abzufallen. Des Weiteren beklagte er, dass er vom Orden nicht standesgemäß angesprochen worden sei und nicht mit seinem rechten Namen Władysław, sondern zu seiner Beschämung ‚hoffärtig’ mit ‚der Jagal’...