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Die politische Sozialisation in der DDR am Beispiel der FDJ

AutorAnke Herrmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl83 Seiten
ISBN9783640362073
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Soziologie - Politische Soziologie, Majoritäten, Minoritäten, Note: 1,7, Freie Universität Berlin, Sprache: Deutsch, Abstract: Mit der Gründung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) als Einheitsorganisation erfüllte sich im März 1946 die Idee der kommunistischen Exilanten, eine antifaschistische Jugendbewegung in der SBZ zu gründen. Durch eine frühzeitige organisatorische Erfassung der Heranwachsenden sollte Einfluss auf die Herausbildung konkreter politischer Leitbilder und grundlegender Handlungsorientierungen ausgeübt werden. In Abstimmung mit den jugendpolitischen Zielsetzungen der SED wurden dem Jugendverband bestimmte Aufgaben zugedacht und die Erziehungsziele unmittelbar aus den Aufbau-, Entwicklungs-, Stabilisierungs- und Sicherheitserfordernissen der Gesellschaft abgeleitet. Die FDJ verstand sich als sozialistischer Jugendverband an der Seite der SED, deren Führungsanspruch seit den frühen 1950er Jahren in den Statuten der Jugendorganisation festgeschrieben war. In der DDR wurde die Funktion des Staates als Instanz der politischen Sozialisation nicht geleugnet, vielmehr diente die staatliche Sozialisation, die die Erziehung sozialistischer Persönlichkeiten zum Ergebnis haben sollte, der Integration des Individuums in das Gesellschaftssystem. Erziehung wurde demnach als ein 'umfassender Prozeß der zielgerichteten Einwirkung auf die allseitige Entwicklung der sozialistischen Persönlichkeit' verstanden. Dem Werben der FDJ konnte sich kaum ein Jugendlicher in Schule, Hochschule oder Betrieb entziehen. Die Mitgliedschaft im Jugendverband entsprach angesichts des diktatorischen Systems eher einem Zwang, da diese zugleich das Kriterium für 'gesellschaftliches Engagement' darstellte, das eine wesentliche Voraussetzung für die berufliche Entwicklung war. Millionen junger Menschen wurden in den 40 Jahren des Bestehens der DDR Mitglied in der Massenorganisation, die als 'Transmissionsriemen' die Funktion der Verwirklichung der SED-Ziele innehatte, und durchliefen die politischen Schulungen, die auf den Erhalt des Systems ausgerichtet waren. Bemerkenswert erscheint heute die Diskrepanz zwischen der positiven Beurteilung der Wirksamkeit der Arbeit des Jugendverbandes in den offiziellen Erklärungen von FDJ und SED und dem dramatischen Absinken der Mitgliederzahlen sowie dem Versagen der FDJ im Herbst 1989, als so viele Menschen der DDR die Gefolgschaft aufkündigten und das System zusammenbrach.

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Leseprobe

2. Die theoretischen Konzeptionen


 

In den folgenden zwei Kapiteln werden die theoretischen Grundlagen der politischen Kultur und der politischen Sozialisation betrachtet, die den theoretischen Rahmen dieser Arbeit bilden. Da sich die vorliegende Arbeit aufgrund ihres Gegenstandsbereiches mit der Betrachtung der staatlich gelenkten politischen Sozialisation in der Einheits-jugendorganisation der DDR befasst, beschränkt sich die theoretische Ausführung des Gegenstandes der politischen Kultur im ersten Teil auf die für die formulierten Annahmen und die Fragestellung wesentlichen Aspekte. Einführend werde ich die Entstehung der politischen Kulturforschung beschreiben und anschließend die Differenzierung zwischen offizieller und dominanter politischer Kultur aufzeigen. Das Konzept der politischen Sozialisation hat einen festen Platz innerhalb der Erforschung politischer Kultur staatssozialistischer Systeme, um zu prüfen, inwiefern die Durchsetzung der politischen Ziele – vor allem die Herrschaftslegitimierung und Systemstabilisierung – erfolgreich war.[35] Nach der Definition des Begriffs Sozialisation erfolgt die Darstellung der in der DDR vorgenommenen Abgrenzung der politisch-ideologischen Erziehung vom Konzept der Sozialisation.

 

2.1 Politische Kultur


 

Um politische Systeme erklären zu können, befasst sich die politische Kulturforschung mit der subjektiven Dimension von Politik[36], die die Muster „subjektiver Orientierungen gegenüber Politik innerhalb einer ganzen Nation oder ihrer Teilgruppen“[37] meint. Diese können mit den Strukturen des jeweiligen politischen Systems verglichen werden, um dessen Stabilität zu prüfen.

 

Vorreiter der politischen Kulturforschung war in den 1950er Jahren der amerikanische Sozialwissenschaftler Gabriel Almond, der den Begriff der politischen Kultur 1956 in seinem Aufsatz „Comparative Political Systems“ verwendete.[38] Zusammen mit dem Politikwissenschaftler Sidney Verba präzisierte er den Begriff im Rahmen der Studie „The Civic Culture“, in der sie den Fragen der politischen Instabilität der liberalen Demokratien in den 1920er und 1930er Jahren in Europa sowie den Bedingungen für politische Stabilität nachgingen.[39] In ihren Konzeptionen setzten sie den Begriff der politischen Kultur mit dem der politischen Sozialisation in Beziehung und kamen zu der Auffassung, dass die „politische Kultur als Ergebnis von Lernprozessen aufzufassen ist“[40].

 

Die Grundüberlegung dabei war, dass nicht nur institutionelle Regelungen, sondern auch die Einstellungen der Bürger zum politischen System und seinen Leistungen herrschaftsstabilisierende Funktionen übernehmen. Demnach ist der Inhalt von politischer Kultur das Ergebnis von Sozialisation und Erziehung in der Kindheit, von Medieneinflüssen sowie den Erfahrungen im Erwachsenenleben, die mit den Leistungen von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft gemacht wurden.[41]

 

Wesentlich bei der Betrachtung politischer Kulturen ist die Unterteilung von politischen Orientierungen in kognitive (erkenntnismäßige), affektive (gefühlsmäßige, emotionale) und evaluative (wertende) Handlungen, einschließlich der „Kenntnisse und Meinungen über die politische Realität, Gefühle über Politik und politische Werthaltungen“[42] gegenüber politischen Objekten. Diese politischen Objekte werden in vier Objektbereiche differenziert:

 

das politische System als Ganzes,

 

die Input-Strukturen,

 

die Output-Strukturen sowie

 

die Rolle der eigenen Person im politischen Prozess.

 

Aus dem jeweiligen Mix politischer Grundeinstellungen und der Intensität der Orientierungen gegenüber diesen vier Objektbereichen ergeben sich nach Almond und Verba drei Modelltypen politischer Kultur: der Parochialtyp, der Untertanentyp und der Partizipationstyp, die sich in der politischen Realität miteinander verbinden und somit als Mischformen auftreten.[43]

 

Sie schlussfolgerten, dass eine politische Kultur ein spezifisches Maß an Übereinstimmung mit der Struktur des betreffenden politischen Systems aufweist. Anhand der Kongruenz von politischer Kultur und politischer Struktur lässt sich demnach die jeweilige Bindung des Individuums an das politische System ableiten. Daraus ergibt sich, dass die Stabilität eines politischen Systems umso größer ist, „je höher der Grad an Übereinstimmung zwischen politischer Kultur und Struktur ist“[44].

 

Die Übernahme des Konzeptes von Almond und Verba gestaltete sich für die deutsche Politikwissenschaft schwierig, da eine Übersetzung des wertneutralen Begriffes „culture“ zu „Kultur“ im Deutschen traditionell eine primär geistig-ästhetische Bedeutung innehat. Das Begriffspaar der politischen Kultur wurde somit als Analyseterminus aufgrund des deutschen Kultur- und Politikverständnisses in der deutschen Politikwissenschaft problematischer als im anglophonen Sprachraum und die Vieldeutigkeit des Begriffs führte zu einer Popularität, die die Verwendung des Terminus in verschiedenen Forschungssträngen sowie in der Umgangssprache bewirkte.[45]

 

1982 trafen sich deutsche Wissenschaftler auf dem „Symposium Politische Kultur“[46], um den bisher vielfältigen und widersprüchlichen Aspekten über die politische Kultur einen institutionellen Rahmen in Form eines offenen Forschungsprogramms zu geben. Der Arbeitskreis verzichtete bewusst auf eine Konzeptionalisierung von politischer Kultur hinsichtlich eines methodologischen und wissenschaftstheoretischen „Paradigmas“, welches auch eine Schulenbildung im soziologischen Sinne einschließen würde. Stattdessen sollte ein „Minimalverständnis“ als Grundlage für Arbeiten zur politischen Kultur in Deutschland gefunden werden.[47] Die Bedeutung der historischen Analyse wurde hervorgehoben und die Berücksichtigung kollektiver Einflüsse auf Sozialisationsprozesse, die Analyse politischer Symbole sowie die Integration von qualitativen und quantitativen Untersuchungsansätzen und Methoden eröffneten einen heuristisch fruchtbaren Methodenpluralismus.[48]

 

Dieser kam auch den zur politischen Kultur in sozialistischen Ländern arbeitenden Wissenschaftlern entgegen, die am Ansatz von Almond und Verba die fehlende historische Dimension und die Voreingenommenheit des Konzepts für das US-amerikanische System kritisiert hatten. Auch politische Kulturen nicht-demokratischer Systeme und „geschlossener“ Gesellschaften sollten untersuchbar sein. Archie Brown, einer der Forscher zu sozialistischen Ländern, erweiterte Almonds und Verbas These um eine historische Perspektive, die frühere politische Erfahrungen und die subjektive Wahrnehmung von Geschichte und geschichtlichen Ereignissen einschließt.[49] Mit der Integration der historischen Analysedimension konnte „die Kontinuität von Elementen der dominanten politischen Kultur, die sich in Abgrenzung zur offiziellen politischen Kultur entwickelt hatte […] im Rückgriff auf geschichtliche Prägung“[50] erklärt werden.

 

Da das Staatsinteresse an einer Systemstabilisierung zu dem Willen führt, die vorherrschende (dominante) politische Kultur weitestgehend an einen „Typus politischer Kultur […], der dem politischen System die größtmögliche Stabilität zu geben verspricht“[51], also der vom Staat als ideal angesehenen und angestrebten politischen Zielkultur, anzunähern, entsteht für sozialistische Systeme ein entscheidendes Spannungsverhältnis und somit eine Zweidimensionalität: Der vorhandenen dominanten politischen Kultur steht eine vom Staat vorgegebene offizielle Zielkultur gegenüber, auf die sie sich mittels staatlicher Organisation von politischer Erziehung hin entwickeln soll. Die Dimension der dominanten politischen Kultur beschreibt die Verteilung der politischen Orientierungen innerhalb der Gesellschaft, die Dimension der offiziellen politischen Kultur meint hingegen die von den Herrschenden als ideale und systemstabilisierend betrachtete Zielkultur. In geschlossenen Gesellschaften wie staatssozialistische Systeme können kaum Kenntnisse über die dominante politische Kultur gewonnen werden, weshalb die Wissenschaft auf Deutungen und Umwege angewiesen ist. Die Wissenschaftler können kaum eigene Umfragen vornehmen und vom politischen System in Auftrag gegebene vorhandene Umfrageergebnisse können beispielsweise nicht unmittelbar übernommen werden, da sie der Realität nur marginal entsprechen.

 

Die politische Kultur einer Gesellschaft kann nur dann sinnvoll untersucht werden, wenn die Sozialisationsprozesse in der jeweiligen Gesellschaft analysiert werden, da die politische Kultur immer nur auf dem Weg der politischen Sozialisation ausgebildet werden kann.[52]

 

2.2 Politische Sozialisation


 

Unter dem Begriff der „Sozialisation“ wird im Allgemeinen ein lebenslanger Lern- und Erwerbsprozess verstanden, in dessen Verlauf ein Individuum die mehrheitlich anerkannten Verhaltensmerkmale, die wesentlichen Verständigungsmittel und ein daran orientiertes Repertoire von Einstellungen und Verhaltensmustern...

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