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Die Putzmacherin

Rollenbilder einer historischen Medienfigur

AutorKurt Dröge
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783746001883
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
So lange es sie allerorten gegeben hat, ist die Putzmacherin eine Handwerkerin mit künstlerischen Ambitionen im Modegeschehen gewesen. Vom 18. bis zum 20. Jahrhundert war die Putzmacherei, in der modische weibliche Kopfbedeckungen gefertigt und vertrieben wurden, das einzige fachliche Gewerbe, das sich fest in den Händen von Frauen befand, ohne dass sie Aufnahme in die Handwerkszünfte fanden. Die Putzmacherin oder Modistin verfügte damit über eine relative Eigenständigkeit in der männlich-patriarchalen Gesellschaft. Allein daraus erwuchsen unterschiedliche literarische und visuelle Bilder, mit denen sie als Figur dargestellt wurde. Hinzu kamen offenkundige, aber auch eher versteckte Vorstellungen und Zuweisungen, die zusammen genommen eine bemerkenswerte Palette von Rollenbildern ergeben haben. Ihnen gilt die Darstellung einer heute nahezu vergessenen historischen Medienfigur.

Sammler und Autor, der vornehmlich an historischer Alltagskultur interessiert ist.

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Leseprobe

Fachgewerbe und Fachschriften bis zum 20. Jahrhundert


Eine anonyme Druckschrift erschien 1798 parallel in Leipzig und Wien: Das Leipziger [Wiener] Putzmacher- und Nähtermädchen. Zur Belehrung und zum Nutzen ihrer Mitschwestern herausgegeben von einem Leipziger [Wiener] Putzmacher- und Nähtermädchen.49 Die Schrift stellt eine außerordentlich frühe und aus heutiger Sicht rudimentäre Fachkunde der Putzmacherei dar und bildet eine in ihrer Art ziemlich singuläre Quellenschrift.

Was auf Anhieb, vom Titel her, vielleicht als aufklärerische Schrift mit vornehmlich moralisch „belehrendem“ Impetus anmutet, entpuppt sich bei der Lektüre als ein umfangreiches Kompendium von sehr konkretem Fachwissen in mehr oder weniger grundlegenden textilen Tätigkeiten.

Das Werk enthält als fünften und letzten Abschnitt Anleitungen und Ratschläge Von verschiedenen Sachen und Kenntnissen, welche in das Putzmacherfach und in die Nähterey einschlagen. Es darf ansatzweise durchaus als allererste Fachkunde der Putzmacherei im modernen Sinn bezeichnet werden, obgleich es mehr deren generell-allgemeine Voraussetzungen thematisiert: vom Waschen und Bleichen über die Fleckenentfernung bis hin zur Färberei. Das Buch bezieht sich weder auf konkrete Wiener noch auf Leipziger Verhältnisse, seine Sprachgestalt deutet allerdings auf Leipzig.

Sofern es sich nicht, wie mit einiger Berechtigung vermutet worden ist, bei der Wiener Ausgabe, die keinerlei Namen nennt, um ein unautorisiertes Plagiat handelt, würde die zeitgleiche Herausgabe in beiden Orten eine professionelle Marketingstrategie wiederum in einem sehr modernen Sinn gebildet haben. Die beiden Ausgaben sind inhaltlich identisch und unterscheiden sich nur in zuweilen auftretenden satztechnischen Details. Der technologisch-handwerkliche Ratgeber sollte als wohlüberlegtes und strategisch exakt platziertes Verlagsprodukt möglichst weite Kreise und Regionen dieses – offenkundig expandierenden – Berufsfeldes erreichen. Beide Ausgaben scheinen mit geringem Zeitabstand mehrfach aufgelegt und dann auch nachgeahmt worden zu sein.50

Titelblatt der Wiener Ausgabe des „Putzmacher- und Nähtermädchens“, 1798

Obgleich als erstes genannt, steht die relativ spezialisierte Arbeit der Putzmacherin an Umfang und Bedeutung an zweiter Stelle hinter derjenigen der Näherin und allgemeinen „Textilarbeiterin“: Das „Nähtermädchen“ ist bereits typographisch auf dem Titelblatt deutlich stärker betont als das „Putzmachermädchen“. Auch hier ist der Marketinggedanke evident: Große, inhaltlich sehr umfassend ansetzende Abschnitte des Werkes, vor allem der bei weitem längste und differenzierteste Text zum Färben verschiedenartigster Textilien, sind mit Sicherheit älteren Datums, entstammen ursprünglich der „Hausfrauenliteratur“ und wurden für die kurz vor 1800 florierenden Tendenzen in der aufkommenden Putzmacherei publizistisch „aufgeputzt“. Umgekehrt bilden sie gerade einen guten Beleg dafür, dass sich die Berufsbilder (textiler) Frauentätigkeiten in diesen Jahren in einem Wandlungsprozess befanden, wenngleich dessen Hauptinhalt, die Professionalisierung, noch etwa 100 Jahre in Anspruch nehmen sollte.

Zur technologischen Genese und Charakterisierung der Putzmacherei erweist sich 1798 die Einleitung des Werkes als aussagekräftig: „Die Putzmacherinn und Nähterinn kann man nicht anders vergleichen als zwey leibliche Schwestern; daher haben wir auch ihre beyderseitigen Kenntnisse und Wissenschaften zusammen gefaßt; denn beyde sind einander so unentbehrlich, wie der Faden der Nadel und die Nadel dem Faden; Eines ohne das Andere ist für sich allein nicht viel nütz. [...] Allein man erwarte von uns nicht, daß wir lehren sollen, wie eine Haube gesteckt oder eine Naht verfertiget werde; dieses sind Dinge, die aus der Übung erlernet werden müssen. Auch sind dergleichen Dinge so sehr der Mode unterworfen und jedes Mädchen dieser Kunstart muß sich daher nach Zeit und Umständen richten.“

Deutlich wird an dieser Stelle, dass das Nähen – zu jeder Zeit – die wesentlichste Basis der technischen Fertigkeiten in der Putzmacherei ausgemacht hat und diese als solche bereits um 1800 durch das Hinzutreten der Mode zu einer besonderen „Kunstart“ weiter entwickelt war. Dazu konnten „allerley geschmelzte Blumenarbeit“, Wachsblumen und –knöpfe gehören, „Blätter von Wachs zu vergolden oder zu versilbern“, künstliche Früchte zu fertigen oder Samtstoffe aufzuarbeiten. Noch konkreter heißt es im letzten Abschnitt, nachdem zuvor nur von Hauben die Rede gewesen war: „Auch die Frauenzimmer tragen jetzt Filzhüte, daher glauben wir unsern Mitschwestern keinen unangenehmen Dienst zu erzeigen, wenn wir sie belehren, wie sie damit umgehen müssen, im Fall dergleichen Hüte unansehnlich werden.“51

Auch im nachfolgenden kurzen Abschnitt des Buches wird noch nicht von einer Neuanfertigung von – innovativen – Damenhüten gesprochen, sondern ausschließlich von ihrer konservatorischen Behandlung. Hier sind die Grenzen einer solchen rudimentären „Fachkunde der Putzmacherei“ noch eng gesteckt und die Hüte selbst scheinen noch von anderer Stelle zu kommen.

Für jede Näherin entwickelte sich die Putzmacherei fortan mit ihren größeren technischen und ästhetischen Ansprüchen, aber auch mit ihrem höheren Prestige und ihrer besseren Entlohnung zu einem erstrebenswerten Ziel beruflichen Aufstiegs, wenngleich der generelle Status als unselbstständige Arbeiterin in den allermeisten Fällen (noch etwa 150 Jahre lang) unverändert fortbestehen sollte. Als übliche Arbeitsplätze im Rahmen der fortschreitenden Professionalisierung dienten kleine bis mittlere, jedenfalls immer überschaubare Betriebe in Räumlichkeiten, die sehr häufig von den Wohnbereichen der Beteiligten nicht oder kaum getrennt waren. Generell dürften die Verhältnisse in der Putzmacherei in kontinentalen Metropolen erst später vergleichbar gewesen sein mit den frühkapitalistischen Ausbeutungssituationen etwa der englischen „Modearbeiterinnen“, die unter härtesten Bedingungen als Näherinnen in der Serienfertigung und Konfektionsherstellung tätig waren.

Das Nähter- und Putzmacher-Mädchen in Leipzig und Wien steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer 1823 in deutscher Sprache erschienenen Publikation von „Madame

L. Hyot“, einer „Putzmacherin und Modehändlerin im Palais Royal in Paris“.52 Auch diese Schrift thematisiert den Umgang mit weiblicher Kleidung, insbesondere mit Kopfbedeckungen und „Putzsachen“, und auch hier bildet die Putzmacherin noch eher die spezifische Verziererin, Konservatorin oder Reparateurin von Hüten, nicht deren Komplett-Verfertigerin.

Diese frühen Schriften fanden etwa 100 Jahre lang kaum publizistische Fortsetzung, was mit der weiterhin gegebenen „weiblichen Randständigkeit“ ihres dargestellten Gewerbes direkt zusammenhängt, um dann doch noch in eine neue, moderne Sparte von spezifischer Anleitungsliteratur einzumünden. Kurz vor der berufsständischen Institutionalisierung der Putzmacherei in den Jahren nach 1900 begann nahezu schlagartig berufliche Fachliteratur im engen Sinn zu erscheinen. Fast das ganze 20. Jahrhundert hindurch, solange das Fachgewerbe in nennenswertem Umfang bestand, erschienen fachkundliche Werke in Form von Zeitschriften, Nachschlagekompendien, zur Einführung oder flankierend zur Ausbildung, wenn es sich nicht sogar um ausgesprochene Lehrbücher mit Informationen und Übungen zur Prüfungsvorbereitung handelte.

Indem es mit dem Illustrierten Handbuch der Putzmacherei dieser erstmals einen eigenständigen Abschnitt widmete und sie auch im Titel bereits prominent platzierte, machte das opulente Handbuch zur gesamten häuslichen Textilarbeit von Pauline Zell-Thom 1903 den Anfang. Sein vollständiger und auch damals bereits nach antiquierter Art inhaltsausbreitender Titel lautete: Illustriertes Handbuch der Damenschneiderei, Putzmacherei und Weißnäherei, der Wäscherei und Bügelei, der Stick- und Häkelkunst: vollständiger Lehrgang der Viktoria-Schnittzeichnen-Methode, der Schneiderei-, Putzmacherei- und Weißnäh-Handfertigkeit zur Anfertigung der Damen- und Kindergarderobe, des Hut- und Modeschmuckes, sowie der Haus- und Leibwäsche und ihrer Behandlung zum Selbst-Unterricht und Unterricht-Erteilen mit 50 Modell- und Schnitt-Tafeln.53

Dieses Handbuch von Pauline Zell-Thom repräsentierte das Nebeneinander von hauswirtschaftlicher und professioneller Putzmacherei und manifestierte zugleich in umfassender Form deren endgültige Trennung. Bis dahin hatte es, sicherlich auch abhängig von Modephasen, eine Parallelexistenz beider Bereiche gegeben, was hauptsächlich der ungeregelten gewerblichen und Ausbildungsstruktur geschuldet war. Zwischen der professionellen Putzmacherei, sozusagen dem „weiblichen“ Handwerk neben den „eigentlichen“ Handwerken, und dem...

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