Die Bewohnerstruktur in der stationären Altenhilfe ist seit der Einführung der Pflegeversicherung einem kontinuierlichen Wandel ausgesetzt [10]. Kennzeichnend für diesen Wandel sind die Abnahme der Verweildauer der Bewohner in den Institutionen und der zunehmend steigende Grad der Pflegebedürftigkeit der einzelnen Bewohner. Rund 60 - 80 % der Bewohner [11] in stationären Einrichtungen weisen einen gerontopsychiatrischen Hilfebedarf auf. Insbesondere die Versorgung von Menschen mit demenzieller Erkrankung stellt eine erhebliche und kontinuierlich wachsende interdisziplinäre Herausforderung an die Institutionen pflegerischer Versorgung und deren Beschäftigte dar und forderte seitens der Gesetzgeber sowie Pflegehandelnden eine Reorganisation derVersorgungsstrukturen der Menschen mit demenziellen Erkrankungen[12].
Durch die steigende Anzahl der Hochbetagten[13] und den zunehmenden Wegfall der klassischen Familienstrukturen, die die Betreuung ihrer betagten Familienangehörigen gewährleisten könnten, steigt die Zahl der Menschen, die vollstationär versorgt werden und somit auch der Bedarf an qualifizierten Kräften, die diesen steigenden Bedarf personell abdecken. Jedoch steht die steigende Anzahl der Pflegebedürftigen einer schwindenden Anzahl von qualifizierten Pflegekräften gegenüber[14].
Notwendig für einen für die Menschen mit demenzieller Erkrankung, auf Wohlbefinden und Lebensqualität ausgerichteter Alltag sind echte einfühlende und akzeptierende Beziehungen[15].
Dies gestaltet die Versorgung von Menschen mit demenziellen Erkrankungen zeitintensiv und zeitlich schwer planbar[16]. Die Versorgung fordert zum einen individuelles, flexibles und situatives Eingehen und Reagieren auf die Bedürfnisse der Bewohner und andererseits sind Pflegehandelnde angehalten, sich an zeitlichen und strukturellen Vorgaben zu orientieren. Dies stellt eine große organisatorische Herausforderung dar[17].
Mit 60% der degenerativen Demenzerkrankungen stellt die Alzheimer-Demenz, neben der Lewy-Body-Demenz, den fronto-temporalen Demenzen, den vaskulären Demenzen, dem Demenzsyndrom bei Normaldruckhydrozephalus und den alkoholassoziierten Demenzen, die häufigste degenerative Form der Demenz[18] dar. Die degenerativen Demenzen sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt der häufigste Grund für die Entstehung von Pflegebedürftigkeit und eine vollstationäre Unterbringung älterer Menschen [19]. Rund zwei Drittel der Pflegeheimbewohner in Deutschland sind von einer demenziellen Erkrankung betroffen, etwa 71,1 % davon, leiden an einer schweren Form der Demenz [20].
Menschen mit demenziellen Erkrankungen sind in der selbstständigen Bewältigung ihres Alltags mit zunehmender Progression ihres Syndroms und dem damit verbundenen Leistungsverlust ihrer Hirnleistung erheblich beeinträchtigt [21].
Dies zeigt sich vor allem durch den Verlust von kognitiven Fähigkeiten, wie Gedächtnisstörungen, insbesondere der Aufnahme und Wiedergabe von neuen Informationen, Störung der Fähigkeit, zu rationalen Urteilen zu gelangen, den Verlust der zeitlichen, räumlichen und personellen Orientierung, Wortfindungsstörungen, Wesensveränderungen, Störungen der emotionalen Kontrolle, Beeinträchtigung der Informationsverarbeitung und dem stetig wachsenden Unvermögen, eigenes Handeln sinnvoll zu planen und umzusetzen [22].
Der Verlust dieser Fähigkeiten erschwert dem Betroffenen eine selbstständige Organisation und Durchführung von alltäglichen Abläufen, wie zum Beispiel der Körperpflege, dem saisongerechten Ankleiden, dem Zubereiten von Nahrung, der Nahrungsaufnahme und Tätigkeiten der Haushaltsführung.
Durch zunehmenden Verlust der Hirnleistung, weisen Menschen mit demenzieller Erkrankung häufig einen erheblichen Betreuungs-, Beaufsichtigungs- und Pflegebedarfauf, auch wenn sie körperlich noch mobil sind.
Die körperliche Mobilität ist bei einem überwiegenden Anteil der Menschen mit demenzieller Erkrankung noch vorhanden [23], jedoch häufig verbunden mit einer Störung des Gangbildes und einer damit einhergehenden Sturzgefährdung [24]. Etwa 50 % der Menschen mit demenzieller Erkrankung stürzen einmal pro Jahr[25]. Die kognitiven Einschränkungen in Assoziation mit vorhandener körperlicher Mobilität und Ruhelosigkeit erfordern den hohen Beaufsichtigungsbedarf bei Menschen mit demenzieller Erkrankung zur Abwendung von Selbst- und Fremdgefährdung.
Zu Beginn der Erkrankung sind die Betroffenen häufig ihrer geistigen Veränderungen bewusst, leiden sehr stark darunter, empfinden sogar Scham und ziehen sich aus dem sozialen Geschehen zurück, aus Angst „enttarnt“ zu werden.
Durch individuelle, durch die Sozialisation erworbene, Copingstrategien versuchen die Erkrankten ihre nachlassenden Kompetenzen zu überdecken [26], da sie Angst vor dem Verlust von Mündigkeit, Kontrolle und Selbstständigkeit haben und davor in ihrer Umwelt aufzufallen. Jedoch wird es mit dem Fortschreiten der Erkrankung immer komplexer, diese Fassade der selbstverständlichen Kompetenz aufrecht zu erhalten, was zu einem wachsenden Rückzug aus der Gesellschaft führt [27].
Mit Fortschreiten der Erkrankung ist eine selbstständige Lebensführung meist nicht mehr möglich, und auch die Versorgung durch Angehörige ist mit der Progression meist nicht mehr adäquat zu gewährleisten. Durch das sogenannte Sun-Downing [28], der Störung des Nacht-Tag-Rhytmus, und einen gesteigerten Bewegungsdrang, der zu Ruhe- und Rastlosigkeit führt [29], kann eine Betreuung rund um die Uhr nötig sein, die von Angehörigen in vielen Fällen in diesem notwendigen Umfang nicht organisiert werden kann.
Auch wenn eine Betreuung in gewohnter Umgebung sowie durch vertraute Menschen abhängig vom demenziellem Stadium[30], Sicherheit und Kontinuität im Leben von Menschen mit demenzieller Erkrankung bedeutet und ein Umzug in ein Pflegeheim eine erhebliche, oft nicht mehr leistbare Anpassungsleistung vom Betroffenen erfordert[31], ist in den meisten Fällen eine vollstationäre Unterbringung mit dem Fortschreiten der Erkrankung nicht mehr abwendbar. Auch weil die Betreuung ihres demenziell erkrankten Angehörigen, oft eine hohe psychische, körperliche und emotionale Belastung darstellt. Etwa 80% der Menschen mit demenzieller Erkrankung siedeln im Laufe ihrer Erkrankung in ein Pflegeheim über[32].
Menschen mit demenziellen Erkrankungen weisen häufig einen komplexen Pflegebedarf auf, dem die tradierten, meist somatisch ausgerichteten Einrichtungskonzepte gegenüberstehen[33].
„An derFeststellung der Pflegebedürftigkeit wird seit Einführung der
Pflegeversicherung kritisiert, dass dersog. Allgemeine Beaufsichtigungsbedarf
von Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz in derEinstufung nicht
angemessen berücksichtigt werde. Es wird darin eine verfassungsrechtlich
bedenkliche Schlechterstellung von psychisch Kranken gesehen, weil sie im
Vergleich zu somatisch bedingt Pflegebedürftigen ungleich bei derFeststellung
des Pflegebedarfs behandelt würden“[34].
Der Hauptfokus der pflegerischen Betreuung lag aus rechtlicher sowie aus finanzieller Sicht über einen langen Zeitraum meist auf dem Unterstützungsbedarf im Bereich der Mobilität, der Nahrungsaufnahme, der Körperpflege und des Ausscheidens.
Allerdings haben Menschen mit demenzieller Erkrankung haben zumeist ein hohes Bindungsbedürfnis, ihr emotionales Erleben ist stark ausgeprägt. Bedingt durch Unsicherheitsgefühle und Ängste, ausgelöst durch das starke emotionale Erleben und das Unvermögen, dieses Erleben einem Reiz zuzuordnen[35], haben Menschen mit demenziellen Erkrankungen einen hohen Bedarf an Nähe, Kontinuität, Kommunikation, Verständnis und sinnvoller Beschäftigung[36].
Bei etwa 15 % - 20% der Menschen mit demenzieller Erkrankung ist mit schwerwiegenden Verhaltensstörungen[37] zu rechnen. Zeitintensive sozialpsychologische Betreuung, Beaufsichtigung und Aktivierung der betroffenen Bewohner kennzeichnen die quantitativen und qualitativen Herausforderungen an die stationäre Altenhilfe im Umgang mit Menschen mit demenzieller Erkrankung[38].
Demenz ist kein einheitliches Krankheitsbild[39], jede Betreuungssituation ist individuell und erfordert von den Betreuenden ein hohes Maß an Empathie und Flexibilität, um auf die vielfältigen Bedürfnisse der Menschen mit demenzieller Erkrankung spezifisch reagieren zu können.
Neben den körperbezogenen Pflegehandlungen ist langfristig eine planvolle, qualifizierte psychiatrische Pflege nötig, um die relative Lebensqualität der Menschen mit demenzieller Erkrankung zu gewährleisten[40].
Die Sicherstellung der relativen Lebensqualität der Menschen mit...