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E-Book

Die Rebellion der inneren Kinder

Eine tiefenpsychologische Gesellschaftsanalyse

AutorMaria Schubert
VerlagTWENTYSIX
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl280 Seiten
ISBN9783740701819
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Warum nur verhalten wir Menschen uns oft so zerstörerisch? Warum konsumieren wir so exzessiv und interessieren uns so wenig für die Schäden, die wir damit anrichten? Warum nehmen wir Armut, Ausgrenzung und soziale Ungerechtigkeit so unberührt hin, solange sie uns nicht selbst betreffen? Warum sind unsere sozialen Beziehungen so häufig geprägt von Manipulationen und Machtkämpfen? Liegt das einfach in der Natur des Menschen? Dieses Buch sagt: Nein. In unseren Gesellschaften tobt ein unsichtbarer Aufstand - die Rebellion der inneren Kinder. Tiefgreifende Konflikte zwischen Gefühl und Verstand bestimmen den Menschen und sein Zusammenleben. Um die vielen ökologischen und sozialen Probleme der Gegenwart nachhaltig lösen zu können, sollten wir uns zuallererst mit uns selbst versöhnen.

Ich wurde 1989 in Stralsund geboren. Seit 2008 lebe ich in Halle (Saale) und studiere Südasienkunde und Politikwissenschaft. Neben meinem Studium beschäftige ich mich mit psychologischen, philosophischen und gesellschaftskritischen Themen und setze mich für einen auf Selbstfürsorge und Eigenverantwortung beruhenden Individualismus ein. Weitere Informationen zu mir und meiner Philosophie finden Sie unter www.mariaschubert.de

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Leseprobe

2. Die innere Beziehung


„Jeder Mensch ist eine einzigartige Erzählung,

die fortwährend und unbewusst durch ihn und in ihm entsteht.“

OLIVER SACKS

2.1 Das Unbewusste: Was wissen wir eigentlich von uns?

Ich hatte das erste Kapitel damit begonnen, dass ich unserem Wissen über die Welt und uns selbst skeptisch gegenüber stehe. Ich hatte gesagt, dass ich die Ansicht vertrete, dass letztlich alles an unserer Wahrnehmung hängt. Dass es keine Gewissheit gibt, dass die Dinge so sind, wie wir sie betrachten. Hier werde ich nun etwas genauer erklären, warum ich derart skeptisch bin. Es geht um das Unbewusste.

Als Freud das Unbewusste einführte, schrieb er dazu folgendes: „Die Berechtigung, ein unbewusstes Seelisches anzunehmen und mit dieser Annahme wissenschaftlich zu arbeiten, wird uns von vielen Seiten bestritten. Wir können dagegen anführen, dass die Annahme des Unbewussten notwendig und legitim ist und dass wir für die Existenz des Unbewussten mehrfache Beweise besitzen. Sie ist notwendig, weil die Daten des Bewusstseins in hohem Grade lückenhaft sind; sowohl bei Gesunden als bei Kranken kommen häufig psychische Akte vor, welche zu ihrer Erklärung andere Akte voraussetzen, für die aber das Bewusstsein nicht zeugt. Solche Akte sind nicht nur die Fehlhandlungen und die Träume bei Gesunden, alles, was man psychische Symptome und Zwangserscheinungen heißt, bei Kranken – unsere persönlichste tägliche Erfahrung macht uns mit Einfällen bekannt, deren Herkunft wir nicht kennen, und mit Denkresultaten, deren Ausarbeitung uns verborgen geblieben ist. Alle diese bewussten Akte blieben zusammenhanglos und unverständlich, wenn wir den Anspruch festhalten wollen, dass wir auch alles durchs Bewusstsein erfahren müssen, was an seelischen Akten in uns vorgeht, und ordnen sich in einen aufzeigbaren Zusammenhang ein, wenn wir die erschlossenen unbewussten Akte interpolieren.“12 Mit anderen Worten: Manches, was der Mensch denkt, fühlt und tut, scheint keinen Sinn zu ergeben und wird erst dann nachvollziehbar, wenn man ihm ein unbewusstes Seelenleben unterstellt.

Freud machte sich mit seinem Konzept des Unbewussten bei vielen seiner Kollegen nicht gerade beliebt. Wie konnte Freud es wagen, der intelligentesten Spezies auf diesem Planeten zu unterstellen, sie würde nicht wissen, was in ihr vorgeht? Wie konnte er sich anmaßen zu behaupten, dass unsere Psyche ein Eigenleben führt? Das ist doch völliger Unsinn. Das Unbewusste galt – wie die Psychoanalyse insgesamt – in einigen Kreisen als unwissenschaftlich und unhaltbar.

Aber wie das ja oft so ist mit revolutionären Ideen: Sie stellen sich irgendwann als richtig heraus. In der wissenschaftlichen Psychologie wird seit einigen Jahren mit modernsten Forschungsmethoden nachgewiesen, dass uns von unseren eigenen psychischen Vorgängen nur ein Teil bewusst ist. Es wurden und werden zahlreiche Experimente durchgeführt, um herauszufinden, wie wir uns selbst und unsere Umgebung wahrnehmen. Das Priming13 dürfte dabei der Klassiker sein. Dabei hat sich herausgestellt, dass wir alles Mögliche unbewusst – wissenschaftliche Psychologen bevorzugen Begriffe wie „subkognitiv“ oder „subliminal“ – verarbeiten. Freud hatte Recht. Nicht unbedingt mit der Beschaffenheit des Unbewussten, aber mit dem Konstrukt an sich. Nicht zuletzt deshalb hat sich Freud den Platz unter den großen Denkern der Menschheit redlich verdient.

Was ist das Unbewusste, und noch wichtiger, warum ist es für das Verständnis der menschlichen Psychologie so unverzichtbar? Ich werde die tiefenpsychologische Perspektive mal außen vor lassen und das Ganze naturwissenschaftlich betrachten.

Der Mensch ist ein komplexer Organismus, der sich im Laufe der Evolution bestmöglich an seine Umgebung angepasst hat. Wir besitzen verschiedene Sinnesorgane, um unseren Zustand und den Zustand der Umgebung zu erfassen. Unsere Sinnesorgane, seien es einfache Nervenzellen im Körper oder komplexe Strukturen wie das Auge, empfangen über spezifische Sensoren physikalische Reize und wandeln sie in Impulse um. Über die Nervenbahnen werden diese Impulse ins Gehirn geleitet und dort verarbeitet. Der größte Teil der im Gehirn ankommenden Informationen wird vorverarbeitet, ohne dass wir darauf Einfluss nehmen können. Ein bekanntes Beispiel: Das Auge ist so gebaut, dass die Linse ein Bild unserer Außenwelt auf die Netzhaut im hinteren Teil des Augapfels wirft. Auf der Netzhaut sitzen verschiedene Zellen – die Fotorezeptoren –, die das Licht aufnehmen. Etwa in der Mitte der Netzhaut gibt es den sogenannten blinden Fleck, eine Stelle, auf der keinerlei Fotorezeptoren sitzen. Würde das Gehirn die vom Auge aufgenommenen Reize nicht bearbeiten, dann würden wir die Welt nicht nur auf dem Kopf stehend und gespiegelt sehen, sondern hätten in unserem Sehfeld ständig einen kleinen schwarzen Fleck an der Stelle, wo die Netzhaut keine Reize aufnehmen kann. Stattdessen dreht unser Gehirn das Bild und füllt die Leerstelle automatisch aus. Es ist uns nicht möglich, das ursprüngliche, direkt vom Auge gelieferte Bild zu „sehen“ – egal wie sehr wir es auch versuchen.

Für alle anderen Sinnesorgane gilt im Prinzip dasselbe. Zwischen den Sinnesorganen und der bewussten Wahrnehmung liegen einige Zwischenschritte, und am Ende ist es das Gehirn, das uns die uns bewussten Informationen zur Verfügung stellt – nicht die Sinnesorgane. Wir sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen eigentlich mit dem Gehirn und nicht mit den Augen, den Ohren, der Nase, der Zunge und der Haut.

Es bleibt aber nicht dabei, dass unser Gehirn Informationen der Sinnesorgane vorverarbeitet. Das Gehirn reagiert auch automatisch darauf und es leitet Handlungsabläufe ein, die wir nicht bewusst steuern müssen und zum Teil auch nicht können. Der Neurobiologe Christof Koch nennt diese Systeme „Zombiesysteme“, weil sie den Charakter bewusstseinsloser Zombies haben.14 Zombiesysteme funktionieren komplett ohne unser bewusstes Eingreifen und haben vor allem den Vorteil, dass sie schnell sind. Koch schreibt: „Zombiesysteme kontrollieren Ihre Augen, Hände, Füße und Körperhaltung und verwandeln sensorischen Input rasch in stereotypen motorischen Output. Sie könnten sogar aggressive oder sexuelle Verhaltensweisen auslösen, wenn Sie einen Hauch der richtigen Substanz in die Nase bekommen. All das geht jedoch am Bewusstsein vorbei.“15 Dank unserer Zombiesysteme können wir viele Handlungen durchführen, die mit bewusster Steuerung viel aufwendiger und zeitintensiver wären: Laufen, Fahrradfahren, Schreiben, Klavierspielen und sogar Sprechen funktionieren, ohne dass wir über jede einzelne Muskelbewegung oder jedes einzelne Wort nachdenken müssen. Wir visieren zwar bewusst ein Ziel an – z. B. laufen wir in diese oder jene Richtung – aber um die einzelnen Bewegungen, die dazu nötig sind, müssen wir uns nicht kümmern.

Wenn der Mensch vorrübergehende Zustände von Bewusstseinslosigkeit erlebt, also beispielsweise in der Tiefenhypnose, in Trance oder beim Schlafwandeln, dann funktionieren viele Zombiesysteme weiter.16 Vor meinem ersten Psychiatrie-Aufenthalt war ich in einem Zustand extremer Erschöpfung und machte Bekanntschaft mit dem Zombiesystem für das Sprechen. Mein Bewusstsein war zu dieser Zeit beschädigt; ich fühlte mich ständig wie in Trance. Sprechen und Denken entkoppelten sich, sodass ich sprach, während ich noch darüber nachdachte, was ich sagen wollte. Ich hörte mich sprechen, als würden die Worte nicht aus meinem Mund kommen. Es war ein seltsamer Zustand, den ich seither nie wieder erlebt habe, aber rückblickend erstaunt es mich, wie gut das unbewusste Sprechen funktionierte. Auch wenn ich meine Sprache damals kaum gesteuert habe, sagte ich nie etwas völlig Unsinniges. Sicher produzierte ich während dieser Zeit auch keine besonders tiefsinnigen Weisheiten, aber für den Alltag reichte es allemal.

Unbewusste Zombiesysteme sind gewissermaßen der Normalfall im Tierreich. Das Unbewusste als Idee existiert nur, weil der Mensch Bewusstsein hat. Eigentlich ist nicht das Unbewusste das Spannende, sondern das Bewusste. Das nämlich hat einen sehr interessanten Effekt: Es vermittelt den Eindruck, dass uns alles bewusst wäre. Es scheint nur das, was uns bewusst ist, überhaupt zu existieren. Alles Unbewusste ist uns nicht bewusst – ein Paradoxon. Wer sich mit dem Unbewussten nicht beschäftigt oder eine Erfahrung macht, die ihm die Existenz des Unbewussten „beweist“, bleibt zumeist in dem Glauben verhaftet, dass es das Unbewusste nicht gäbe. Einige von Freuds Kritikern gehörten wohl zu dieser Kategorie von Menschen. Bis heute sind sich meiner Erfahrung nach die wenigsten Menschen darüber im Klaren, welche enormen Mengen von Informationen ihnen bewusst nicht zugänglich sind.

Abgesehen davon, dass das Unbewusste sich biologisch sinnvoll erklären lässt, pflichte ich Freud bei, dass es für das Verständnis von Handeln notwendig ist – und zwar unabhängig davon, ob dieses Handeln...

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