In diesem Kapitel werden die verschiedenen Personengruppen, die von einem bewaffneten Konflikt betroffen sein können und durch das humanitäre Völkerrecht geschützt sind beschrieben. Dabei werden nicht nur die aktiv am Konflikt beteiligten Personen behandelt, sondern auch die passiv Betroffenen.
Um zu beurteilen, welchen Schutz eine Person in einem bewaffneten Konflikt genießt, muss als Erstes geklärt werden, um welche Art von Konflikt es sich handelt. Auf einen international bewaffneten Konflikt sind sehr viele humanitäre Rechtsnormen anzuwenden. Bei einem national bewaffneten Konflikt ist die zu berücksichtigende Anzahl der Rechtsnormen um einiges geringer. Aus dieser grundsätzlichen Unterscheidung ergibt sich die Basis für die Feststellung des genauen Status einer Person. Deswegen werden nachfolgend der international bewaffnete Konflikt und der national bewaffnete Konflikt beschrieben und es wird eine Abgrenzung der Konfliktarten vorgenommen.
Unter einem international bewaffneten Konflikt versteht man in erster Linie den Einsatz von Waffengewalt eines Staates gegen einen anderen, also den klassischen zwischenstaatlichen Kriegszustand.[56]
Unabhängig davon, ob von einer Partei oder von beiden Parteien eine formelle Kriegserklärung vorliegt, ist das humanitäre Völkerrecht anzuwenden. Dies ergibt sich aus dem gemeinsamen Art. 2 der GA. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass seit dem 2. Weltkrieg keine „Kriegserklärungen“ mehr erfolgt sind.[57]
Durch das ZP I wurden bewaffnete Konflikte, die darauf abzielen einen Befreiungskrieg gegen Kolonialherrschaft, Fremdbesetzung oder ein rassistisches Regime zu führen, auch als international bewaffnete Konflikte eingestuft.[58]
Das Recht des international bewaffneten Konflikts ist auch anwendbar, wenn Streitkräfte, die von deren Mitgliedsstaaten für die UN tätig werden, zum Einsatz kommen. Soweit diese Streitkräfte nicht als Organe der UN (keine Organleihe), sondern als von den Staaten entsendete Kontingente zu betrachten sind, gelten die Grundsätze des humanitären Völkerrechts. Haben die UN die Befehlsgewalt über diese Streitkräfte (Organleihe) und werden sie tatsächlich Konfliktpartei, so sind diese als Adressat des humanitären Völkerrechts anzusehen. Die UN haben keine völkerrechtlichen Verträge ratifiziert, jedoch sind sie durch gewohnheitsrechtliche Normen trotzdem gebunden.[59]
Die Abkommen des humanitären Völkerrechts galten traditionell nur für zwischenstaatliche, also internationale Konflikte. Den Staaten stand es frei, eine Konfliktpartei auf dem eigenen Territorium als nichtstaatlichen Gegner anzuerkennen. Eine praktische Anwendung dieser Bestimmung wurde aber selten umgesetzt, da so der Gegner quasi noch „völkerrechtlich aufgewertet“ wurde. Grausam geführte Bürgerkriege, wie z.B. der Spanische Bürgerkrieg (1936 – 1939), machten jedoch deutlich, dass eine Regelung auch für nicht international bewaffnete Konflikte unumgänglich ist.[60]
Dieser Feststellung wurde mit dem gemeinsamen Art. 3 der GA das erste Mal Rechnung getragen. In jedem der vier GA wurde dieser Artikel festgeschrieben. Die Unterzeichnerstaaten der GA verpflichten sich, wenn ein Konflikt auf ihrem Gebiet entsteht, nachfolgende Bestimmungen anzuwenden:
Personen, die nicht direkt an Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich Personen der bewaffneten Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und Personen, die durch Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder irgendeine andere Ursache außer Kampf gesetzt wurden, müssen unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt werden. Eine Benachteiligung aufgrund der Rasse, Farbe, Religion, des Glaubens, Geschlechts, der Geburt, des Vermögens oder irgendeines ähnlichen Grundes ist unzulässig. Zu diesem Zweck sind und bleiben zugunsten der oben genannten Personen jederzeit und jederorts verboten: Angriffe auf Leib und Leben, Mord, Verstümmelung, Folter, grausame Behandlung, Geiselnahmen, erniedrigende und entwürdigende Behandlung sowie Verurteilung und Hinrichtung ohne Urteil eines ordentlichen Gerichtes.[61]
Verwundete und Kranke sollen geborgen und gepflegt werden. Eine unparteiische humanitäre Organisation kann den Konfliktparteien ihre Dienste anbieten. Die am Konflikt beteiligten Parteien werden sich bemühen, durch Sondervereinbarung auch andere Bestimmungen der GA in Kraft zu setzen.[62]
Eine solche Sondervereinbarung stellt das ZP II dar. Es ist anwendbar, wenn auf dem Hoheitsgebiet einer Vertragspartei zwischen ihren Streitkräften und ihren abtrünnigen Streitkräften oder anderen bewaffneten Gruppierungen Kampfhandlungen stattfinden. Vorausgesetzt wird, dass die abtrünnigen Streitkräfte bzw. die anderen bewaffneten Gruppierungen unter verantwortlicher Führung stehen, über einen Teil des Hoheitsgebietes eine anhaltende Kontrolle ausüben und die Fähigkeit haben, koordinierte Kampfhandlungen durchzuführen. Keine Anwendung findet das ZP II auf Fälle innerer Unruhen, Spannungen und Tumulte, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten.[63]
Daraus ergibt sich eine Divergenz zwischen dem gemeinsamen Art. 3 der GA und dem ZP II. Das ZP II setzt ein höheres Maß an Gewalt voraus als der gemeinsame Art. 3 der GA.[64]
Der Schutz von Personen ergibt sich auch daraus, dass gewisse Mittel und Methoden von vorneherein in der Kampfführung durch das humanitäre Völkerrecht verboten sind. Die grundlegenden Einschränkungen, die bereits im Art. 22 HLKO sowie später im Art. 35 ZP I kodifiziert sind, sollen eine Garantie dafür sein, dass die Konfliktparteien „kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der Kriegsführung“ haben.[65]
Darunter fallen solche Schädigungshandlungen, die aufgrund der Eigenart der Handlung als solche schon unzulässig sind[66], wie:
die meuchlerische Tötung und Verwundung des feindlichen Volkes oder Heeres,[67]
der Missbrauch der Parlamentärsflagge, der Nationalflagge oder der militärischen Uniformen und Abzeichen, sowie der besonderen Abzeichen der GA, des Roten Kreuzes, des Roten Halbmondes oder entsprechender anderer Schutzzeichen auf weißem Grund, als auch des Zeichens der Vereinten Nationen,[68]
die Verwendung von Flaggen, militärischen Kennzeichen, Uniformen oder Abzeichen von neutralen oder nicht am Konflikt beteiligten Staaten,[69]
die Ausnutzung einer Kapitulation, eines Waffenstillstandes oder einer Feuereinstellung zur Durchführung von Schädigungshandlungen,[70]
der Befehl keine Gefangenen zu machen, also „kein Pardon“ zu geben und [71]
jegliche Schädigungshandlungen gegenüber dem wehrlosen, außer Gefecht gesetzten Gegner.[72]
Verbotene Mittel zur Ausführung bewaffneter Schädigungshandlungen werden in zwei Kategorien unterteilt: Zum einen diejenigen Kampfmittel, die aufgrund ihrer Wirkung verboten sind, zum anderen solche Kampfmittel, bei denen nicht die Wirkung, sondern die Art bzw. die Gattung des Kampfmittels verboten ist.[73]
Verboten sind also Waffen, Geschosse und Materialien, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötiges Leiden zu verursachen. Wird der Zweck eines Waffeneinsatzes zur Ausschaltung des gegnerischen Widerstandes unter Berücksichtigung der Beschränkungen des Art. 22 HLKO bzw. Art. 35 ZP I gesehen, so wird man insbesondere Kampfmittel, die über diesen Zweck hinaus Qualen und Spätschäden verursachen, als „unnötig“ und „überflüssig“ einstufen.[74]
Konventionelle Waffen
Weder die GA noch ihre ZP kennen Verbote oder Beschränkungen im Gebrauch von spezifischen konventionellen Waffen. Art. 51 ZP I verbietet Waffen oder Munitionstypen, die unterschiedslos wirken und deren Wirkung nicht auf ein militärisches Ziel begrenzt werden kann, jedoch wurden in die ZP keine Verbote spezifischer Waffen eingefügt, sondern es wurde ein eigenes „Übereinkommen über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken“ geschaffen. Im Abkommen selbst sind keine Verbote enthalten. Diese sind vielmehr in eigenen Zusatzprotokollen zu finden, die alle einzeln ratifizierbar...