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Die Reformation

Aufstand gegen Kaiser und Papst - Ein SPIEGEL-Buch

VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783641197476
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Zum Reformationsjahr 2017 - Die Hintergründe eines epochalen Wandels
Ein unbekannter Mönch aus Wittenberg legt sich mit den beiden mächtigsten Institutionen seiner Zeit an: mit Papst und Kaiser. Aus seiner Kritik an der römischen Kirche entsteht eine neue Konfession, zu der sich bald halb Europa bekennt. Die Geschichte von Martin Luther ist großer Erzählstoff, aber die durch ihn ausgelöste Reformation war nicht das Werk eines Einzelnen. Verständlich wird der große Umbruch erst durch einen genauen Blick auf die Mitstreiter und Gegner Luthers, auf die Ängste der damaligen Christen und die Interessen der Herrschenden.

Anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 schildern SPIEGEL-Autoren und Historiker den epochalen Wandel, den Luther und andere Kirchenkritiker vor 500 Jahren in Politik und Kultur einläuteten - und zeigen, warum deren Ideen eine so gewaltige Wirkung hatten.

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ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT

Martin Luther hatte die Reformation nicht geplant. Dennoch veränderte sie Europa grundlegend – bis heute. Denn die Ideen aus Wittenberg trafen den Nerv der Zeit.

Von EVA-MARIA SCHNURR

Es ist eine der besten Geschichten der deutschen Geschichte. Vielleicht sogar die beste. Da kommt ein unbekannter Mönch aus Wittenberg daher, legt sich mit der mächtigen Kirche an, wird gebannt und geächtet und gewinnt dennoch Tausende Anhänger. Weil er nicht nur das einfache Volk überzeugt, sondern auch die hohen Fürsten, entsteht aus seiner Kritik an der römischen Kirche eine neue Konfession, der bald halb Europa anhängt. Und als würde das noch nicht reichen, gründet der Mönch eine glückliche Familie und wird mit seiner Frau zum leuchtenden Vorbild künftiger protestantischer Pfarrhaushalte.

Kein Drehbuchschreiber hätte die Story besser erfinden können. Und dann noch die Bilder dazu: Der Mönch Martin Luther, wie er mit Wucht seine Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg nagelt. Wie er in Worms vor dem Kaiser »hier stehe ich und kann nicht anders« donnert und später die Bulle des Papstes verbrennt, in der ihm der Bann angedroht wird. Wie er, versteckt auf der Wartburg, um die beste Übersetzung der Bibel ringt, um das Wort Gottes für jeden verständlich zu machen. Luther, der Neuerer, gegen das Establishment in Kirche und Staat.

Solche Momente und Legenden haben die Reformation betonfest im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert. Ein paar Stichwörter reichen, »Thesenanschlag« zum Beispiel, »Bibelübersetzung« oder »Ablassbriefe«, und schon leuchtet ein farbiges Panorama in den Köpfen vieler Menschen auf.

Man hat die Reformation als Rebellion der Vernunft gegen das verstockte und rückständige Mittelalter vor Augen, als Licht, das in die unaufgeklärte Dunkelheit fällt, als Beginn der Moderne, der Neuzeit. Und obwohl ihr Gedenktag, der 31. Oktober, nur noch in wenigen Bundesländern gesetzlicher Feiertag ist: Die Reformation ist so etwas wie ein Großmonument im nationalen Bewusstsein und Luther ihr strahlender Held.

2017 jährt sich seine Thesenveröffentlichung zum 500. Mal. Ein guter Anlass, rechtzeitig die gängigen Vorstellungen und Klischees zu hinterfragen. Denn vieles spricht dafür, dass die Realität vielschichtiger war, als es die heroischen Luthergeschichten erkennen lassen. Und dass man die Bedeutung der Reformation verkennt, wenn man sie nur als Beginn der konfessionellen Spaltung versteht.

Die Reformation fiel in eine Zeit voller Veränderungen, die sich gegenseitig verstärkten und dynamisierten. Nicht nur die Kirche, sondern auch Politik, Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft befanden sich in grundsätzlichen Wandlungsprozessen, als Luthers Ideen in die Welt kamen. Nur deshalb hatte er gemeinsam mit seinen Anhängern einen solchen Erfolg – anders als Vorgänger wie der Tscheche Jan Hus oder der Engländer John Wyclif, die ähnlich dachten wie er, allerdings mangels Rückenwind scheiterten.

Man kann heute kaum erahnen, welchen mentalen Zumutungen die Menschen damals ausgesetzt waren. Das Weltbild änderte sich fundamental, wie immer zunächst das der Gebildeten, später auch das der einfacheren Menschen. 1492 hatte Christopher Kolumbus einen bis dato unbekannten Kontinent entdeckt, das sah man seit 1507 sogar auf Karten. Von 1519 bis 1522 umsegelte Ferdinand Magellan erstmals die Erde, von der zwar seit Jahrhunderten bekannt war, dass sie rund ist, doch nun war der praktische Beweis erbracht.

Und nicht nur geografisch mussten die Zeitgenossen sich auf völlig neue Perspektiven einlassen: 1543 veröffentlichte der Domherr und Wissenschaftler Nikolaus Kopernikus eine Schrift, in der er seine lange zuvor gewonnene Erkenntnis darlegte, dass sich die Erde um sich selbst und um die Sonne dreht – und nicht etwa andersherum. Eine Revolution!

Auf der einen Seite erzeugte das Aufbruchsstimmung, auch deshalb, weil überall so viel Aufregendes geschah. Das Geldwesen entwickelte sich rasant, gerade in Süddeutschland boomten Handelsstädte wie Augsburg, Ulm und Nürnberg, neue Verkehrswege vernetzten Europa immer enger miteinander. Mit dem Buchdruck entstanden neue Medien wie Flugschriften oder die »Neue Zeitung«, Vorformen unserer heutigen Zeitungen, die erstmals aktuell und zeitnah berichteten.

Künstler perfektionierten realitätsnahe Darstellungen von Mensch und Natur, die Humanisten brachten Anregungen der Renaissance aus Italien nach Deutschland, sie wollten die antiken Quellen neu übersetzen und Bildung verbreiten. Einige Menschen, wie der Humanist und Ritter Ulrich von Hutten, begrüßten den Wandel freudig: »O Jahrhundert! O Wissenschaften! – Es ist eine Freude, zu leben, wenn auch noch nicht, sich zur Ruhe zu setzen. Es blühen die Studien, die Geister regen sich! Du, nimm den Strick, Barbarei, und mache dich auf Verbannung gefasst!«, proklamierte er 1518.

Doch manche Veränderungen machten auch Angst. Die Osmanen hatten 1453 Konstantinopel erobert, das östliche Rom, und rückten nun mit Macht weiter nach Westen vor. Die Bevölkerung wuchs – im Herzogtum Sachsen beispielsweise von 400000 Menschen um 1450 auf 500000 Menschen um 1550 –, die Preise für Brot und Getreide stiegen, das Ackerland wurde knapp, viele Familien gerieten in Not.

Apokalyptische Visionen vom nahenden Weltende hatten das gesamte Mittelalter über Konjunktur, doch um den Jahrhundertwechsel, zur Zeit des Kaisers Maximilian, kochten die düsteren Prophezeiungen besonders hoch: Zahlreiche Astronomen spekulierten wegen einer besonderen Planetenkonstellation auf ein Weltende im Februar 1524, einhergehend mit einem Kometen und einer Sintflut. Auch Luther war ziemlich sicher, dass das Ende der Zeiten nahte, immer wieder sah er Zeichen, die er entsprechend deutete: »Unter diesem Maximilian sind viele wunderbare Zeichen am Himmel geschehen, ja auch auf der Erde und im Wasser, von denen Christus gesagt hat: Und es werden große Zeichen sein, sodass man in keinem Jahrhundert von mehr und größeren auf einmal liest; und diese nähren die gewisse Hoffnung, dass jener selige Tag bald hereinbricht«, schrieb er.

Für ihn war das nahende Weltende eine Mahnung, alle Lügen, alles Falsche hinter sich zu lassen, zu prüfen, ob man bereit war für das zu erwartende Jüngste Gericht. Also hinterfragte er seinen Glauben, versuchte, ein Mittel gegen seine Furcht vor Verdammung und Höllenqualen zu finden. Etwas Neues plante Luther damit nicht, und schon gar keinen Umsturz. Im Gegenteil, er wollte zurück zu den Wurzeln, zu dem, wie Jesus Christus das Christentum seiner Ansicht nach begründet hatte.

Reformation heißt, wörtlich genommen, Rückformung, also Wiederherstellung. Schon das Wort zeigt, dass es Luther nicht um den kühnen Blick nach vorne ging, sondern um die Rückkehr zu einem ursprünglicheren, vermeintlich besseren Zustand. Diese Ambivalenz zwischen Altem und Neuem ist typisch für seine Zeit: Einerseits sahen die Menschen, dass sich die Dinge veränderten. Andererseits steckte die mittelalterliche Überzeugung in den meisten Köpfen, dass die traditionelle, also irgendwie göttliche Ordnung eigentlich doch die beste sei. Noch am Ende des 16. Jahrhunderts stritten sich protestantische und altgläubige Publizisten in Flugschriften erbittert darüber, welche der Konfessionen nun die ältere, ursprünglichere und damit wahre sei und wer nun unerlaubte Neuerungen in den Glauben eingeführt habe.

Dass die Zeit reif war für Leute wie Luther und seine Weggefährten, zeigt ein Blick auf die politischen Diskussionen um 1500. Denn auch die weltlichen Mächte debattierten leidenschaftlich über die Re-Etablierung einer angeblich ursprünglicheren Ordnung. Unter Kaiser Maximilian I., aber auch unter seinem Nachfolger Karl V., war die »Reichsreform« immer wieder Thema auf den Reichstagen: Der Kaiser wollte damit seine Position an der Spitze des Heiligen Römischen Reichs stärken und wie in den Nachbarländern Frankreich und England eine handlungsfähige Zentralregierung etablieren. Nichts Neues sollte dabei entstehen, im Gegenteil: Ziel sei es, so propagierten es die Befürworter, die alte Macht des Kaisertums wiederherzustellen.

Dagegen sperrten sich jedoch die Territorialfürsten, die im Laufe der Zeit immer mächtiger geworden waren: Sie wollten sich nicht vom Kaiser regieren lassen, sondern mitreden. Ihnen schwebte eine Art föderale Regierung vor – das Reichsregiment –, das über Finanzen und Außenpolitik des Reiches entscheiden sollte. Auch sie sahen in ihren Ansprüchen nichts Neues, sondern behaupteten, nur auf ihren hergebrachten Rechten zu beharren, als Ratgeber des Kaisers dessen Gehör zu finden.

Auf dem Reichstag von Worms 1495 berieten Kaiser und Reichsstände – weltliche und geistliche Kurfürsten und Fürsten, dazu Vertreter der Freien Städte und der Reichsstädte, Grafen und Vertreter des Deutschen Ordens, die auf dem Reichstag stimmberechtigt waren – erstmals über Reformen der Reichsverfassung. Doch weil sie sich nicht einig wurden, geriet die theologische Auseinandersetzung um Luther wenige Jahre später auch zum Tauziehen um die Macht zwischen Kaiser und Fürsten: Letztere nutzten die ja eigentlich restaurativ gedachten Ideen Luthers für ihre eigenen, ebenfalls im Gestern wurzelnden Interessen. Dadurch jedoch etablierten sie schließlich eine neue Konfession.

Ähnlich paradox muten auch andere gesellschaftliche Entwicklungen...

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