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Die Rezeption der Armenischen Frage in Deutschland von 1894-1921

AutorSebastian Weber
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl93 Seiten
ISBN9783656528418
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - 1848, Kaiserreich, Imperialismus, Note: 1,0, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Sprache: Deutsch, Abstract: Die zu verfassende Arbeit ist aufgeteilt in drei Phasen, während denen die Armenische Frage am umfassendsten rezipiert wurde: die unmittelbare Vorkriegszeit, die Phase der Vernichtung der Armenier 1915 bis 1917 und die Nachkriegsschauplätze der Armenischen Frage bis zur Ermordung Talaat Paschas 1921 in Berlin. Der rezeptionsgeschichtliche Ansatz bietet dabei die Möglichkeit, die zeitgenössischen Sichtweisen und damit letztlich Handlungen gesellschaftlich, geistig und politisch umfassend verorten zu können. Zunächst erfolgt eine Kontextualisierung der Armenischen Frage seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zu den hamidischen Massakern Ende des 19. Jahrhunderts. Dabei gilt es zunächst, ein allgemeines, im Deutschen Reich vorherrschendes Armenierbild vor dem Völkermord nachzuzeichnen. Die unmittelbare Vorkriegszeit nimmt einen wichtigen Teil dieser Arbeit ein: kurz vor Kriegsausbruch wurde 1913/1914 ein Reformplan von Russland und Deutschland aufgestellt, der mit Ausnahme des Osmanischen Reiches für alle Beteiligten große Hoffnungen für eine Lösung der Armenischen Frage mit sich brachte. Der für diese Arbeit bedeutendste Zeitraum zur Darstellung der Rezeption des Völkermordes liegt in den Jahren 1915 bis 1917, da in dieser Zeit die entscheidenden Momente deutscher Handlungen und Haltungen offenbart wurden. Dabei war die Frage nach einer möglichen Mittäterschaft des Deutschen Reiches das wichtigste Thema für die deutsche Führung, das auch die Nachkriegsschauplätze der Armenischen Frage weitgehend dominierte. Die Nachkriegszeit weist bezüglich der Armenischen Frage relativ wenige Quellen auf. Eine Ausnahme stellt das Werk Johannes Lepsius' dar, der nach dem Krieg einer von Wenigen war, der sich bezüglich der Armenischen Frage engagierte. Mit dem Mord an Talaat Pascha in Berlin flammte die Armenische Frage wieder auf und erlangte kurzfristig große Aufmerksamkeit in der deutschen Publizistik. Mit der Untersuchung der Reaktionen auf den Freispruch des Täters endet die Untersuchung dieser Arbeit. In der Schlussbetrachtung soll nach zusammenfassenden Ausführungen und weiterführenden Bemerkungen zur Behandlung der Armenischen Frage in den 20er-Jahren ein Ausblick auf neu aufgeworfene Forschungsfragen vollzogen werden, um dann in Rekurs auf die eingangs beschriebenen tagesaktuelle Problematiken und Diskussionen zum Abschluss zu kommen.

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Leseprobe

2 Deutsche Weltmachtpolitik und die Armenische Frage


 

Wie bereits beschrieben, dient der erste Teil dieser Arbeit dazu, das Aufkommen der Armenischen Frage und deren Behandlung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges sowohl auf internationaler Ebene als auch bezüglich innenpolitischer Wahrnehmungen im Deutschen Reich darzustellen. Zunächst ist es wichtig, die mit der Armenischen direkt verbundene Orientalische Frage kurz zu erörtern, um klarzustellen, in welchem Kontext die seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer evidenter werdende Armenische Frage stand. Mit der Orientalischen Frage war die weit verbreitete Annahme verknüpft, dass der sogenannte ‚Kranke Mann am Bosporus‘ über kurz oder lang dem Untergang geweiht war. Somit verband sich die Armenische Frage zwangsläufig mit der Frage, in welcher Form eine Neuordnung des Nahen Ostens zu bewerkstelligen sei.[37] Mit dem zunehmenden Aufstieg des Deutschen Reiches zur Weltmacht und den damit verbundenen imperialen Zielen – besonders hinsichtlich des Nahen Ostens – gelangte die Armenische Frage zum Ausgang des 19. Jahrhunderts ins Bewusstsein verschiedener Akteure im Deutschen Reich. Die hamidischen Massaker – benannt nach dem damaligen Sultan Abdul Hamid II – 1894 bis 1896 bedeuteten für etwa 200.000 Armenier den Tod, da der Sultan in brutalster Art und Weise angebliche Umsturzversuche von Armeniern mit aller Härte vergelten ließ.[38] Die Armenische Frage wurde seither zu einem nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil der Orientalischen Frage bis zum Ersten Weltkrieg.

 

2.1 Das Aufkommen der Armenischen Frage im 19. Jahrhundert


 

Armenier lebten zu Beginn des 19. Jahrhunderts im osmanischen Reich weitgehend autonom und wurden im Vergleich zur modernen Türkei als Minderheit in das bestehende Millet- System integriert.[39] Als Christen galten die Armenier allerdings immer als minderwertig, was Diskriminierungen besonders hinsichtlich der Vergabe von hohen Posten in der Verwaltung oder in steuerrechtlichen Fragen nach sich zog.[40] Der größte Teil der Armenier im Osmanischen Reich war auf dem Land angesiedelt und betrieb vornehmlich Landwirtschaft oder Handwerk. Daneben gab es kleinere Gruppen, die in den Bergen als Nomaden lebten.[41] Eine kleine Elite lebte in Städten – vornehmlich in Konstantinopel und Smyrna – und erlangte im Verlauf der Zeit bedeutenden Einfluss im Osmanischen Reich. Diese Geschäfts- und Berufselite war säkular und westlich orientiert, oft wohlhabend und suchte vermehrt den Kontakt zu europäischen Großmächten, um ihre Ziele durch eine Schutzmacht erreichen zu können.[42]

 

Dabei suchten viele den Kontakt zu den im 19. Jahrhundert vermeintlich mächtigsten Staaten Europas Großbritannien und Russland.[43] Nach dem Krim-Krieg von 1853-1856 schrieben die europäischen Großmächte den Schutz christlicher Bevölkerungsteile im Osmanischen Reich vertraglich fest. In Artikel 9 des Pariser Vertrages von 1856 sicherte der Sultan seinen christlichen Untertanen zwar dieselben Rechte zu wie den muslimischen Bevölkerungsteilen, jedoch lehnte die Pforte jegliche Kontrolle der vereinbarten Reformen durch ausländische Mächte ab.[44] Mit diesem Vertrag von Paris wurde somit erstmals zwar nicht in expliziter Form, aber dennoch ein Bezug zu den christlich-armenisch bewohnten Gebieten hergestellt, der etwa 20 Jahre später sehr viel konkretere Formen annahm.

 

Die ‚Bulgarian Horrors‘ Mitte der 1870er Jahre, benannt nach einem Buchtitel des damaligen britischen Außenministers William Gladstone[45], gaben den Anlass für den russisch-türkischen Krieg von 1877/1878. Aufständen seitens bulgarischer Bevölkerungsteile im April 1876 begegnete die osmanische Regierung mit Massakern an der Zivilbevölkerung durch paramilitärische Gruppen.[46] Das russische Militär intervenierte daraufhin unter Verweis auf den Pariser Vertrag zum Schutz der christlichen Bevölkerung.[47] Nachdem das siegreiche Russland 1878 im Vertrag von San Stefano bereits ein direktes Interventionsrecht zugunsten christlicher Minderheiten im Osmanischen Reich festschreiben ließ, wurde dieser Vertrag auf dem Berliner Kongress durch das dort abgeschlossene Vertragswerk modifiziert, beziehungsweise ersetzt. In der noch recht jungen Hauptstadt des Deutschen Reiches wurden zahlreiche Themen besprochen und vereinbart; der Schutz der christlichen Bevölkerung innerhalb des osmanischen Reiches war dabei ein wichtiger Punkt. Erstmalig in einem internationalen Vertragswerk wurde die armenische Frage explizit angesprochen. Artikel 61 des geschlossenen Vertrages lautet:

 

„Die Hohe Pforte verpflichtet sich, ohne weiteren Zeitverlust die Verbesserungen und Reformen ins Leben zu rufen, welche die örtlichen Bedürfnisse in den von Armeniern bewohnten Provinzen erfordern, und für die Sicherheit derselben gegen die Tscherkessen und Kurden einzustehen. Sie wird in bestimmten Zeiträumen von den zu diesem Zweck getroffenen Maßregeln den Mächten, welche die Ausführung derselben überwachen werden, Kenntnis geben.“[48]

 

Dieser Artikel verpflichtete die osmanische Regierung zum ersten Mal direkt zur Verbesserung der Sicherheitslage der armenischen Bevölkerung respektive der christlichen Untertanen durch einen international geschlossenen Vertrag. Hingegen existierten wie bereits 1956 keinerlei Vereinbarungen zu möglichen Sanktionen im Falle einer Missachtung der zu implementierenden Reformen.[49]

 

Für das junge Deutsche Reich, das unter Federführung von Bismarck sieben Jahre nach dessen Gründung den Berliner Kongress abhielt, war dieses Treffen ein wichtiger Schritt hin zu einer aktiven Position des Reichs innerhalb der internationalen Politik. Die Armenische Frage, die humanitäre oder christliche Argumentationsmuster erfordert hätte, spielte für das Deutsche Reich eine sehr untergeordnete Rolle. Vielmehr zielte die Politik Bismarcks darauf ab, das Mächtegleichgewicht im Orient zu bewahren und weder England noch Russland zu

 

einem allzu großen Machtzuwachs zu verhelfen.[50] Dazu benötigte Bismarck ein stabiles und starkes Osmanisches Reich, weshalb er darauf bedacht war, freundschaftliche Beziehungen mit der Hohen Pforte herzustellen, um erhöhte Einflussmöglichkeiten im Orient geltend machen zu können. Territoriale Ansprüche, die von den anderen europäischen Großmächten oft erhoben worden waren, vermied Bismarck in der Durchführung seiner Strategie dabei bewusst.[51]

 

Neben dieser politischen Annäherung kam es in den 1880er-Jahren zu einer immer engeren wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit. Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist etwa die Gründung des Deutschen Handelsvereins 1880, der sich explizit auf Tätigkeiten im Osmanischen Reich fokussierte, Importzölle für deutsche Produkte herabsetzte und so für eine Belebung des deutschen Orienthandels sorgte. Zahlreiche Versuche, das Transportwesen nach Istanbul zu verbessern sowie die erstmalige Entsendung einer Militärmission 1883 zeugen darüber hinaus vom gestiegenen Engagement des Deutschen Reiches im Osmanischen Reich. Die beginnende militärische Zusammenarbeit bewirkte in relativ kurzer Zeit ein enormes Anwachsen deutscher Rüstungsexporte nach Anatolien sowie die Übernahme zahlreicher Elemente der deutschen Militärdoktrin im Reich des Sultans.[52]

 

Gegen Ende der 1880er-Jahre kristallisierte sich mit dem Beginn der Planungen des Baus der Bagdadbahn ein groß angelegtes polit-ökonomisches Projekt des Deutschen Reichs im Orient heraus. Von dem von der Deutschen Bank finanzierten Bau der Eisenbahnroute nach Bagdad versprach sich das kaiserliche Deutschland einen enormen Anstieg seiner weltpolitischen Bedeutung, ohne zu direkten kolonialen beziehungsweise imperialen Maßnahmen greifen zu müssen.[53] Dennoch konnte das als ‚wirtschaftliche Erschließung Kleinasiens‘ propagierte Bagdadbahnprojekt kaum darüber hinwegtäuschen, dass dadurch die Entsendung militärischer Truppen bis weit in den Nahen Osten hinein möglich wurde und damit als strategisch wichtiger Teil deutscher Weltmachtpolitik anzusehen war.[54]

 

Aus diesen Konstellationen ergab sich eine Haltung Deutschlands gegenüber dem Osmanischen Reich, die sich vor allem auf eine erfolgreiche wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit konzentrierte. Vorgänge oder Ereignisse, die die stets wachsende Verzahnung dieser beiden Staaten stören oder behindern konnten, wurden soweit es ging vernachlässigt. Dazu gehörte im Besonderen die Armenische Frage. Daher verwundert es auch kaum, dass sich die deutsche Diplomatie nicht für die Implementierung der armenischen Reformen einsetzte, die nach Ansicht der deutschen Führung eine Schwächung des osmanischen Staates hätte bedeuten können. Damit ist die Politik der Nicht-Einmischung des Deutschen Reiches als Versuch der Stabilisierung des Osmanischen Reiches zu betrachten.[55] Ob und inwieweit sich diese Haltung der deutschen Reichsführung mit dem Bekanntwerden der hamidischen Massaker Mitte der 1890er Jahre veränderte oder wandelte, soll im nächsten Kapitel...

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