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E-Book

Die Rhetorik von Computerspielen

Wie politische Spiele überzeugen

AutorNiklas Schrape
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl356 Seiten
ISBN9783593418742
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Computerspiele sind weit mehr als nur Unterhaltung. Sie argumentieren. Aussagen werden durch ihr Regelsystem und ihre grafische Oberfläche vermittelt. Entsprechend erfordert ihre Analyse eine Beschreibungssprache, die diesen Besonderheiten gerecht wird. Vor diesem Hintergrund entwickelt Niklas Schrape zentrale Aspekte einer Computerspielrhetorik. Dabei analysiert er zwei politische Spiele - das Strategiespiel »Peacemaker« und das Rollenspiel »Global Conflicts: Palestine« -, die den israelisch-palästinensischen Konflikt
thematisieren. Im Gegensatz zu aktuellen Diskursen fragt er nicht nach der pädagogischen Wirkung dieser Computerspiele, sondern danach, auf welche Weise sie mit ihrem ideologischen Gehalt den Spieler politisch überzeugen.

Niklas Schrape promovierte an der Hochschule für Film und Fernsehen »Konrad Wolf« in Potsdam-Babelsberg.

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Leseprobe
1.1 Das Vorhaben


Computerspiele sind mehr als Unterhaltung. Auf der einen Seite bilden eine Vielzahl kommerzieller Computerspiele bestehende Gesellschafts- und Machtverhältnisse aus europäisch-amerikanischer Perspektive ab (vgl. Bevc 2007: 50), auf der anderen Seite nutzen engagierte Designer wie Chris Crawford (Balance of Power 1987) oder Jim Casperini (Hidden Agenda 1988) Spiele seit Mitte der Achtzigerjahre als Mittel des politischen Kommentars. Heutzutage verwenden Nichtregierungsorganisationen, wie Amnesty International, Spiele ebenso für ihre Öffentlichkeitsarbeit, wie internationale Institutionen, beispielsweise das Büro des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) (Against All Odds 2005) oder das World Food Programe der Vereinten Nationen (Food Force 2005). Die globalisierungskritische Künstlergruppe Molleindustria persifliert in McDonald's Videogame (2006) und Oiligarchy (2009) die Prinzipien des Kapitalismus und kommentiert mit Faith Fighter (2008) religiöse Konflikte in einem Prügelspiel, während die U.S. Army mit dem Online-Shooter America's Army: Operations (2002) Soldaten rekrutiert. Auch Parteien nutzen Spiele zu Propagandazwecken, wie die Schweizer SVP mit Zottel Rettet die Schweiz (2007) und Minarett Attack (2009). Alle diese Spiele argumentieren für oder gegen etwas. Wer von Argumentation spricht, der befindet sich jedoch schon tief im 'Reich der Rhetorik' (Perelman 1980), denn die Rhetorik ist seit der Antike der theoretische wie praktische Diskurs der Argumentation.


In dieser Arbeit soll ein Ansatz einer medienspezifischen Rhetorik von Computerspielen entwickelt werden, womit eine Beschreibungssprache aus dem Blickwinkel der Überzeugungskraft gemeint ist. Seit der Antike ist Rhetorik die Lehre von der Wirkmacht der Rede- und Textstrukturierung und war dabei stets Theorie (rhetorica docens) und Praxis (rhetorica utens) zugleich. Im Zuge der Ausweitung des Textbegriffs wurde sie als Bild-, Film- und allgemeine Medienrhetorik auf alle Arten audiovisueller Texte adaptiert. Die Übertragung des rhetorischen Instrumentariums auf Computerspiele folgt dieser Tradition. Es ist ein analogisches Verfahren: Computerspiele werden hypothetisch der Rede gleichgesetzt und als rhetorische Texte untersucht. Die rhetorischen Beschreibungskategorien werden dabei auf Computerspiele projiziert, um Strukturen sichtbar zu machen, die andernfalls verborgen geblieben wären. Ziel ist es, Ähnlichkeiten wie Differenzen zwischen Computerspiel und rhetorischer Rede zu beschreiben.


Im Mittelpunkt der Arbeit stehen zwei detaillierte Analysen pädagogisch motivierter Computerspiele mit politischen Inhalten. Solche Lernspiele werden in den Game Studies und Medienwissenschaften oft zusammen mit Trainings-, Werbe- und Propagandaspielen unter dem Dachbegriff der Serious Games diskutiert (vgl. Metz/Theiss 2011). Dieser auf den ersten Blick widersprüchliche Begriff dient in der Spielebranche als Schlagwort, um Spiele zu vermarkten, deren mutmaßliche Intention sich nicht in Unterhaltung erschöpft. Er findet in dieser Arbeit keine Verwendung, da er bereits durch die Industrie besetzt worden ist, was seinen kritischen Gebrauch erschweren würde. Weiterhin erlaubt er keine eindeutige Abgrenzung zu anderen Spielformen und impliziert den irreleitenden Gedanken, dass jene nicht ernst zu nehmen seien (vgl. Biermann u.a. 2010). Das einzige Kriterium, an dem sich die Kategorisierung eines Spiels als Serious Game festmacht, ist seine mutmaßliche Wirkintention. Diese kann jedoch nur hypothetisch durch den Analysierenden bestimmt werden. Letztlich kann also jedes Spiel ernsthaft sein, sofern es nur ernst genommen wird.


Die Ausarbeitung der Computerspielrhetorik erfolgt hier anhand zweier Spiele mit scheinbar eindeutigen Wirkintentionen, doch ihr Anwendungsgebiet soll sich nicht auf solche beschränken. Prinzipiell kann jedes Spiel aus rhetorischer Sicht untersucht werden, sofern ihm plausibel ein Wirklichkeitsbezug und eine Wirkintention zugesprochen werden können.
Im amerikanischen Strategiespiel Peacemaker (2007) muss der Spieler den Nahostkonflikt als palästinensischer Präsident oder israelischer Premierminister durch politisches Handeln lösen. Im dänischen Adventure Global Conflicts: Palestine (2007) schlüpft er in die Haut eines Journalisten oder einer Journalistin und erforscht den israelisch-palästinensischen Konflikt im Dialog mit virtuellen Charakteren. Die Spiele wurden als Untersuchungsobjekte ausgewählt, weil sie inhaltlich vergleichbar sind, obwohl sie grundverschiedenen Genres entstammen.


Als Strategiespiel ist Peacemaker konfigurationskritisch im Sinne von Pias (2002: 11), denn es erfordert Geduld bei der optimalen Regulation von Parametern. Das Adventure Global Conflicts: Palestine dagegen ist ein entscheidungskritisches Spiel, denn es erfordert Urteile bei der Wahl von Optionen in einer sich verzweigenden Struktur. Nach Juul (2005a: 67ff.) kann Peacemaker zudem als emergentes Spiel (Game of Emergence) verstanden werden, da sein Spielverlauf sich scheinbar unvorhersehbar entwickelt. Global Conflicts: Palestine dagegen entspricht einem progressiven Spiel (Game of Progression), da der Spieler in ihm einer weithin vorgezeichneten Sequenz von Ereignissen folgt. Trotz ihrer unterschiedlichen Form, weisen die Spiele inhaltliche Parallelen auf: Sie wurden im selben Jahr produziert, haben beide den israelisch-palästinensischen Konflikt zum Thema, richten sich an ein amerikanisch-europäisches Publikum und verfolgen vordergründig Friedensbotschaften. Die Spiele sind sich inhaltlich ähnlich, formal jedoch grundverschieden. Das erlaubt ihr Gegenüberstellung. Der Vergleich der Analyseergebnisse erlaubt somit Schlüsse auf die Abhängigkeit der Computerspielrhetorik von Genrekonventionen.


In dieser Arbeit wird keine Fallstudie zur Darstellung des israelisch-palästinensischen Konflikts angestrebt. Die Spiele sind vielmehr Mittel zum Zweck der Ausarbeitung eines rhetorischen Instrumentariums. Für das Verständnis ist es jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Peacemaker und Global Conflicts: Palestine nicht die ersten Computerspiele sind, die den Nahostkonflikt zum Thema haben. Was sie aber auszeichnet, ist ihre Fokussierung auf die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern sowie ihre pädagogische Intention.
Bereits 1990 erschien das Strategiespiel Conflict: Middle East Political Simulator, in dem rundenweise über das Geschick Israels bestimmt und Krieg gegen die Nachbarländer geführt werden kann. Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern spielt dabei nur insofern eine Rolle, als dass im eigenen Territorium Aufstände entbrennen können, welche die Kriegsführung behindern. Auch Conflict: Middle East (1991), Divided Grounds: Middle East Conflict (2001) und The Star and the Crescent (2005) sind Strategiespiele, in denen Gefechte nach historischen Vorlagen im Mittelpunkt stehen. Der Nahostkonflikt dient in ihnen bloß als Hintergrundfolie für Spielstrukturen, die auf beliebige andere Szenarien projiziert hätten werden können. Ähnliches gilt für die Flugsimulatoren Wings over Israel (2008) und Jane's Combat Simulation: Israeli Air Force (1998), in denen der Sechstagekrieg (1967), der Jom-Kippur-Krieg (1973) und der Libanonkrieg (1982) aus Perspektive eines Kampfpilots nachgespielt werden kann. Daneben existieren viele Spiele, in denen gegen arabische Terroristen gekämpft werden muss, beispielsweise Delta Force (1998) und Full Spectrum Warrior (2004) (vgl. Bevc 2007).
Es verwundert nicht, dass die wiederkehrende Darstellung von Arabern als Gegner bei jungen Palästinensern zu Frustration führte (vgl. Souri 2007). Anfang des Jahrtausends drehten arabische Spieleentwickler das Prinzip um: In Special Force (2003), Special Force 2: Tale of the Truthful Pledge (2007), Under Ash (2001) und Under Siege (2005) konnte erstmals auf arabischer Seite gegen Israel gekämpft werden. Zur Beunruhigung israelischer Politiker wurden die Spiele in palästinensischen Computer-Cafés mit Begeisterung aufgenommen (vgl. ebd.). Insbesondere die Special-Force Spiele verstören dabei: Sie werden von der libanesischen Hisbollah vertrieben und dienen der Propaganda und Rekrutierung. Strukturell handelt es sich um herkömmliche Ego-Shooter , in der Tradition von Half Life: Counterstrike (2000). In Under Ash und Under Siege kann die palästinensische Intifada aus Sicht eines anfangs waffenlosen Aufständischen erlebt werden. Die Entwickler wehren sich vehement gegen Propaganda-Vorwürfe und verteidigen ihre Spiele als Ausdruck der palästinensischen Erfahrung (vgl. Heckensberger 2006).


Eine neue Qualität erhielt das digitale Schlachtfeld mit Ausbruch des Gaza-Kriegs im Winter 2008/2009. Unmittelbar danach stellten Hobby-Programmierer einfache Spiele ins Internet, die den laufenden Konflikt kommentierten. Besondere Popularität erlangte Raid Gaza (2008), in dem der Gaza-Streifen mit Raketen, Panzern und Helikoptern attackiert werden kann, während aus ihm nur vereinzelt, verirrte Raketen auf Israel abgeschossen werden. Diese demonstrative Unverhältnismäßigkeit des Waffeneinsatzes kann als Kritik an der israelischen Rechtfertigung des Kriegs verstanden werden.


Wie deutlich wird, positionieren sich Global Conflicts: Palestine und Peacemaker in einem hochsensiblen Themenfeld. Im Gegensatz zu allen anderen Spielen steht in ihnen nicht der Krieg, sondern die Möglichkeit zum Frieden im Mittelpunkt. Wie sie dieses Thema verhandeln und Position beziehen ist Gegenstand der rhetorischen Analyse.

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
1 Einleitung9
1.1 Das Vorhaben9
1.2 Von der Rhetorik zur Computerspielrhetorik13
1.3 Eingrenzung der Perspektive17
1.4 Der Aufbau der Arbeit18
2 Theorie der Computerspielrhetorik22
2.1 Perspektivierung des Untersuchungsobjekts22
2.2 Bestehende Ansätze27
2.3 Die Rhetorik33
2.3.1 Geschichte der Rhetorik33
2.3.2 Die Argumentationstheorie40
2.3.3 Die Stilistik48
2.3.4 Ausweitung der Rhetorik auf Bild und Film52
2.4 Das Computerspiel61
2.4.1 Erzählung oder System61
2.4.2 Wettkampf und Illusionsspiel63
2.4.3 Spielverständnis und Spielerfahrung74
2.4.4 Der Spielraum83
2.4.5 Die multilineare Narration87
2.5 Umriss der Computerspielrhetorik90
2.6 Methodisches Vorgehen94
3 Analyse von Peacemaker96
3.1 Spielbeschreibung96
3.2 Zerlegung99
3.3 Analyse der Intrafaces und des Spielraums100
3.3.1 Die Landkarte100
3.3.2 Das Handlungsmenü104
3.3.3 Die Kernsegmente106
3.4 Analyse der Systemstruktur121
3.5 Analyse invarianter Segmente127
3.5.1 Die Einleitung129
3.5.2 Die Mitte146
3.5.3 Die Enden152
3.6 Die Rhetorik des israelischen Spielmodus162
3.7 Die Rhetorik des palästinensischen Spielmodus165
3.8 Die kombinierte Rhetorik der Spielmodi177
4 Analyse von Global Conflicts: Palestine180
4.1 Spielbeschreibung180
4.2 Zerlegung185
4.3 Analyse der Intrafaces188
4.4 Analyse des Spielraums195
4.4.1 Exkurs: Methode zur Analyse des Spielraums195
4.4.2 Die Analyse199
4.5 Die multilineare Narration206
4.5.1 Das Intro und die Wahl der Spielfigur208
4.5.2 Episode 1: »Military Raid«212
4.5.3 Episode 2: »The Checkpoints«229
4.5.4 Episode 3: »Mohammad and the Settlers«240
4.5.5 Episode 4: »The Role of the Martyrs«255
4.5.6 Episode 5: »The Other Side of the Coin«268
4.5.7 Episode 6: »The Role of the Media (bonus)«280
4.5.8 Die Nebenaufgaben293
4.6 Die Augenzeugenberichte297
4.7 Die Rhetorik von Global Conflicts: Palestine300
5 Schlussfolgerungen307
5.1 Vergleich der rhetorischen Strategien307
5.2 Computerspielrhetorik und Medienwirkung314
5.3 Perspektiven der Computerspielrhetorik321
Anhang327
Literatur338
Danksagung357

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