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E-Book

Die richtige Flughöhe

Wie wir Ballast abwerfen und ein besseres Leben führen können

AutorBertrand Piccard
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783492971645
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Der Pionier des Fliegens über die großen Fragen des Lebens Bertrand Piccard begeisterte die Menschen mit seiner Weltumrundung in einem Ballon und einem Solarflugzeug sowie vielen weiteren Flugexperimenten. Neben seiner ungebrochenen Abenteuerlust, den Himmel zu entdecken, erforscht Bertrand Piccard als Psychiater seit Jahren und mit großer Leidenschaft das Innenleben der Menschen. In diesem Buch schlägt er einen faszinierenden Bogen von der Fliegerei zu den großen Lebensfragen nach Sinn, Umgang mit Krisen und dem Tod. Bertrand Piccards Texte bergen eine Fülle von Anregungen, die täglichen Entscheidungen und Überzeugungen zu hinterfragen und dem eigenen Leben neue Impulse zu geben.  Im Leben ist es wie beim Fliegen: Um die Flughöhe zu ändern, muss man Ballast abwerfen und lernen, auch mal die Kontrolle abzugeben. »Das Buch ist ein Ratgeber an der Schnittstelle von Selbstmanagement, Psychologie und spirituellem Denken - eine ganz eigene, aber unterhaltsame Mischung.« Harvard Business Manager Mit psychologisch fundierten Beispielen für die individuelle Weiterentwicklung

Bertrand Piccard, geboren 1958, stammt aus der berühmten Forscher-Dynastie der Piccards. Er selbst umrundete 1999 zusammen mit Brian Jones als erster Mensch die Welt in einem Ballon. Ihr Buch »Mit dem Wind um die Welt« wurde ein internationaler Bestseller. Heute hält der gelernte Facharzt für Psychiatrie weltweit Vorträge über Kommunikationspsychologie, Krisenmanagement und Stressbewältigung. Dabei betont er stets, wie wichtig die Bereitschaft zum Abenteuer ist, um die eigenen Lebensziele zu verwirklichen. 2015-2016 gelang Piccard zusammen mit André Borschberg die Umrundung der Erde in einem Solarflugzeug - ein Meilenstein in der Energietechnik.

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Leseprobe

KONTROLLIEREN … NUR WAS?


Wir müssen nicht lernen, die Welt zu kontrollieren, sondern unser eigenes Bewusstsein und unser Innenleben. Dann wird unser Handeln davon gelenkt, dass wir unsere Existenz im gegenwärtigen Augenblick spüren. Wir müssen in Kauf nehmen, unsere Komfortzone zu verlassen. Aber wollen wir wirklich die Überzeugungen und Automatismen aufgeben, die wir bisher zum Selbstschutz entwickelt haben?

Sich selbst kontrollieren?


Wie jedem anderen Menschen wurde auch mir beigebracht zu kontrollieren und für das zu kämpfen, was ich wollte. Zu versuchen, Herr über mich selbst und mein Leben zu sein. Ich spürte, wie notwendig das war, um leistungsfähig und erfolgreich zu sein, doch ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte. Bis zu dem Tag, an dem ich zum ersten Mal Deltaflieger am Schweizer Himmel sah. Damals war ich ein ehrgeiziger, aber ängstlicher Jugendlicher, meine Schüchternheit ließ mich arrogant wirken, und ich fand in diesem Sport genau die Art Befreiung, die ich brauchte. 18 Jahre meines Lebens habe ich versucht, meine Leistungsfähigkeit durch die Kontrolle über meine Flügel zu steigern … und über mich selbst. Und das mit Erfolg, denn aus dem Kind, das Angst hatte, auf Bäume zu klettern, wurde so ein Europameister im Kunstfliegen.

Meine jahrelange Erfahrung im Freiflug hat mir gezeigt, wie sehr es mir in stressigen Alltagssituationen hilft, Gefahren beherrschen zu können. Ich lernte, mich in ungewohnten und riskanten Situationen wohlzufühlen, und eignete mir eine Konzentrationsfähigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit an, die mich schon manches Mal aus brenzligen Situationen gerettet haben.

Vor allem habe ich entdeckt, wie sehr ich durch die Gefahr gezwungen war, mich auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren. Besonders im Kunstflug wurde mir dies immer bewusster.

Um einen Looping auszuführen gab es damals keine technischen Hilfsmittel, kein Tachometer und keinen Beschleunigungsmesser – nur das Gefühl des Piloten. Im Sturzflug musste man also selbst die Geschwindigkeit einschätzen, jedes Flattern der Tragflächen spüren, jedes Schlackern der Kabel, indem man einschätzte, wie stark einem der Wind ins Gesicht blies oder wie viel Widerstand das Trapez gab, das man in den Händen hielt. Dann galt es, genau den richtigen Sekundenbruchteil abzuwarten, um die Stange nach vorn zu drücken, zunächst ganz leicht, dann energischer, bevor man sie wieder zurückzog, um den Looping abzuschließen und zur nächsten Figur überzugehen. Zu viel Schwung bedeutete eine zu hohe, gefährliche Beschleunigung, bei der auch das Gerät Schaden nehmen konnte. Zu wenig Schwung brachte zu wenig Wind unter die Flügel, sodass man kopfüber ins Straucheln geriet (wie bei einem Purzelbaum). Man musste also alles gleichzeitig sehen und spüren und alles im richtigen Moment tun. Die Summe all der Dinge, die ich gleichzeitig zu beachten hatte, überschritt jede Alltagssituation bei Weitem. Das Risiko, von den Eindrücken überwältigt zu werden und sich aus dem Konzept bringen zu lassen – Panik zu bekommen –, wurde zu meinem ständigen Begleiter. Die Panik ist immer weit gefährlicher als die Gefahr an sich, und man muss sein Möglichstes tun, um zu lernen, sie zu vermeiden …

An jedem Looping und jeder Schraube faszinierte mich, wie meine geistige Präsenz es mir in jeder einzelnen Sekunde möglich machte, all diese Eindrücke auf einmal wahrzunehmen. Der Fokus meiner Prioritäten verlagerte sich jedes Mal abrupt in diesen einen Augenblick: Die notwendige Konzentration, um die gefährliche Situation zu überwinden, ließ keinen Platz für meine Alltagssorgen. Häufig führte sie mir sogar deren Sinnlosigkeit vor Augen. Hier gab es weder Zukunft noch Vergangenheit, keine Gedankenketten, die mein Gehirn überfielen, keine Automatismen, um mein Leben zu lenken.

Das Fliegen zu erlernen – die Begegnung mit dem Augenblick – hat mich völlig verändert. Ich entdeckte etwas, was mir niemand je beigebracht hatte, weder in der Schule noch sonstwo.

Man hatte mir beigebracht, die Vergangenheit sei die Quelle aller Lebenserfahrung und Traditionen, der Ursprung der Weisheit. Man müsse die Vergangenheit kennen, um sich selbst zu verstehen. All das stimmt, reicht aber nicht aus.

Auch hatte man mir natürlich die Bedeutsamkeit der Zukunft beigebracht, die man sich entwerfen muss, die es minutiös zu planen gilt, um das künftige Gleichgewicht der eigenen Existenz sicherzustellen.

Natürlich muss man die Vergangenheit und die Zukunft in Betracht ziehen, doch das ändert nichts daran, dass der eine Moment, in dem ich mein Leben verändern will, in der Gegenwart liegt. In dem Moment, den ich gerade im Begriff bin zu leben. Für das Davor ist es bereits zu spät. Alles Danach ist noch Zukunftsmusik. Nur wird der gegenwärtige Moment zu häufig von gedanklichen Automatismen untergraben, die unsere Gedanken von uns selbst weglenken.

Bei jedem Start zog mich diese Magie erneut in ihren Bann: Hier gab es keinen Platz für etwas anderes als den Luftzug unter den Flügeln, den Druck des Trapezes in meinen Händen, den unglaublichen Anblick der Erde, die sich bewegte, während ich selbst ruhig und ausgeglichen dahinschwebte. Wenn ich nach einem Looping in eine Schraube überging, dachte ich nicht mehr daran, dass mich Tausende Zuschauer dabei beobachteten. Welche Bedeutung hatten da schon die Sorgen, die ich bis zum Moment des Abhebens mit mir herumgetragen hatte, in der Familie, finanziell oder beruflich? Welche Rolle spielten meine Persönlichkeit und meine Lebensweise überhaupt hier oben, wo ich mich doch gerade außerhalb jedweder Gewöhnlichkeit befand?

Ganz allein, in losgelöster Konzentration, einer Art aktiver Entspannung, entwickelte ich nach und nach ein Gespür für das Essenzielle, eine neue Form der Selbstwahrnehmung. Statt einfach nur zu leben spürte ich meine eigene Existenz, die direkt damit verbunden war, welche Fähigkeiten ich genau in diesem Moment brauchte. Natürlich handelte ich, doch vor allem fühlte ich mich handeln, und das mit einer Präzision und Konzentration, die ich nie erlernt hatte und die sich ganz automatisch einstellten.

Ich verstand, was die fernöstlichen Philosophen meinen, wenn sie von »tun lassen« und »leben lassen« sprechen. Man kann sich dazu zwingen, nur das zu tun, was man liebt, doch es wird einem nie so flüssig und perfekt von der Hand gehen, wie wenn man im Hier und Jetzt mit seiner eigenen Existenz verbunden ist.

Meine Erfahrungen standen in direktem Gegensatz zu Descartes berühmtem Satz: »Ich denke, also bin ich.« Mir wurde klar, dass man unmöglich »sein« kann, während man »denkt«. Wenn man denkt, zerstreut man sich, man projiziert sich an andere Orte und andere Zeiten. Man existiert nicht im gegenwärtigen Moment. Die einzige Möglichkeit, wahrhaftig zu existieren, bestand darin, sämtliche Eindrücke des Augenblicks zu spüren und die Zeit mithilfe einer neuen Formel anzuhalten: »Ich spüre, also bin ich.«

Wenn man spürt, dann nicht nur mit dem Intellekt, sondern vor allem auch mit dem Körper, der zu einem ganz eigenen Organ der Wahrnehmung wird. Unser Körper, der so oft als eine Art Last empfunden wird, wie ein Hindernis auf dem Weg der psychischen oder spirituellen Entwicklung, wird zum Zentrum bewusster Selbstwahrnehmung. Als wäre ein bewussterer Körper ein größeres Behältnis für die Seele.

Meine Erfahrungen bestätigten mir, dass ich mit der Psychiatrie und vor allem auch der Psychotherapie den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Natürlich war es nicht mein Ziel, meine Patienten in Richtung Extremsport zu drängen. Aber ich war überzeugt, dass es möglich war, aus schwierigen Zeiten im Leben gestärkt hervorzugehen, und ich wollte meinen Patienten beibringen, innere Stärke und Selbstbewusstsein zu entwickeln, um verantwortungsbewusster mit ihrer Entwicklung umzugehen.

Viele psychische Probleme hängen mit der mangelnden Fähigkeit zusammen, sich seiner selbst im Hier und Jetzt bewusst zu sein und zu spüren, dass man in diesem Augenblick existiert. Die Mehrzahl der Angststörungen, wegen derer ich heute so häufig aufgesucht werde, lässt sich damit erklären, dass wir uns und unsere Probleme und Sorgen nur auf die Zukunft projizieren, ohne dass eine Lösung in Sicht wäre. Und bei der Projektion ist auch die Zerstreuung nicht weit, also ungenügende Selbsterkenntnis. Und so sehen wir uns einer Zukunft gegenüber, die nur düster und bedrohlich wirken kann: Kein Wunder, dass uns Kraft und Mut abhandenkommen.

Auch Nostalgie ist eine Projektion, nur diesmal in Richtung Vergangenheit. Wir fühlen uns nicht mit dem gegenwärtigen Augenblick verbunden, sondern mit vergangenen Zeiten. Dieser Aspekt ist von zentraler Bedeutung, wenn man beispielsweise Depressionen verstehen will. Ich spreche hier von Depressionen, die von einem Verlust oder Veränderungen der Lebensumstände herrühren, auf die wir keinen Einfluss hatten. Derartige Situationen, die Depressionen Tür und Tor öffnen, zeichnen sich durch den geradezu besessenen Wunsch aus, die Vergangenheit sowie Vergangenes zu ändern, das wir bereuen oder das uns Gewissensbisse bereitet.

Phobien hingegen lassen sich verstehen als Projektion eines Teils von uns selbst in eine Situation, ein Objekt oder ein Tier.

Dasselbe gilt in etwas geringerem Maß für Höhenangst oder Heimweh. Diese Gefühle sind nichts anderes als die Projektion unseres Selbst – auf vertikaler oder horizontaler Ebene – an einen anderen Ort als den, an dem wir gerade sind. All diejenigen, die an Höhenangst leiden, kennen dieses Bedürfnis, das bis zum Zwang reichen kann, nicht mehr...

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