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Die 'Schwabinger Krawalle'. Ein Wendepunkt der polizeilichen Einsatztaktik im Protestgeschehen der 1960er Jahre?

AutorSebastian Herre
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl118 Seiten
ISBN9783656824343
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Jura - Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie, Rechtsgeschichte, Note: 12,0, Deutsche Hochschule der Polizei , Sprache: Deutsch, Abstract: Eine Streife der Münchner Stadtpolizei war es, die am Abend des 21. Juni 1962 im Münchner Vergnügungsviertel Schwabing routiniert gegen eine Gruppe junger Straßenmusiker vorging, welche die Ruhe der Anwohner störte. Dieser Einsatz eskalierte in einer Konfrontation zwischen der Polizei und den gegen polizeiliche Willkür protestierenden Schwabinger Besuchern, welche sich in ihrer Dauer und Schwere so gar nicht in das heitere und unbeschwerte Klima in München der 1960er Jahre einfügen mochte: Die warmen Sommernächte in Schwabing waren von jenem Zwischenfall an bis zum 25. Juni 1962 geprägt von schweren Ausschreitungen, die in Ausmaß und Intensität bis zu diesem Zeitpunkt einmalig für die Bundesrepublik Deutschland sein sollten und noch für eine lange Zeit in der Kritik einer breiten Öffentlichkeit standen. Jenes Ereignis markierte den Auftakt zu einer veränderten Einsatztaktik der Polizei im Zusammenhang mit Massenprotesten: Nach wenigen Jahren entstand die, einen bei Versammlungslagen neuartigen, deeskalierenden Ansatz verfolgende 'Münchner Linie'. Eine weitere Konsequenz war die im Januar 1964 erfolgte Gründung des bundesweit ersten Zentralen Psychologischen Dienstes (ZPD) bei der Münchner Polizei. Doch hatten diese, durch die 'Schwabinger Krawalle' ausgelösten Neuerungen auch tatsächlich einen Einfluss auf die praktische Einsatztaktik der Münchner Stadtpolizei bei weiteren Protestereignissen in den sechziger Jahren? Um diese Frage zu beantworten wurden exemplarisch vier markante Einsatzfelder der Münchner Stadtpolizei im Rahmen dieser Masterarbeit untersucht: Das Sonderkommando 'Schwabing' 1964, ein Konzert der 'Rolling Stones' 1965, der Schah-Besuch 1967 sowie die Osterunruhen 1968. Im Anschluss an die Darstellung dieser Ereignisse erfolgt ein diesbezüglicher Vergleich mit dem Einsatz der Polizei in West-Berlin anlässlich des dortigen Schah-Aufenthalts. Am Ende der Arbeit wird neben einer Beantwortung der Forschungsfrage auch eine Betrachtung vorgenommen, inwiefern die aus den 'Schwabinger Krawallen' gezogenen Konsequenzen noch heute einen Einfluss auf die Einsatztaktik der Münchner Polizei ausüben.

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Leseprobe

1. Einleitung


 

1.1 Themendarstellung mit Untersuchungsfragestellung


 

Aufgrund entsprechender Forschungsansätze besteht inzwischen ein Bewusstsein darüber, dass sich die Funktion und Position der Polizei nicht ausschließlich über deren Stellung als staatliche Behörde definiert. Sie hat ihren festen und aktiven Platz weitaus darüber hinaus in den offenen und latenten Auseinandersetzungen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene, auf der die Berechtigung ihres Gewaltmonopols immer wieder aufs Neue kritisch geprüft und in Frage gestellt wird (Lüdtke/Sturm 2011, 13-14). Im Jahre 1968 stellte der evangelische Pfarrer Klaus Harms in einer Studie über Verhalten und Aufgabe der Polizei deren Mittler- und Schutzfunktion im Rahmen einer gelebten Demokratie heraus. Die konträren und notwendigen, aber friedlich auszutragenden Meinungsverschiedenheiten, die ins-

 

besondere in Form von Demonstrationen in der Öffentlichkeit ausgetragen werden, fallen somit in die Obhut der Polizei (Harms 1968, 16). Um diese Erkenntnis jedoch zu erlangen, bedurfte es einschneidender Einsatzerfahrungen Ende der 1960er Jahre, die am Anfang dieses Jahrzehnts noch in keinster Weise abzusehen waren. In dieser Zeit war Westdeutschland politisch von einer inneren Stabilität geprägt, die kaum Raum für eine intensive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der jungen Republik ließ. Zu sehr war das von restaurativen Tendenzen geprägte Hauptaugenmerk der Politik am aktuellen wirtschaftlichen Aufschwung orientiert, als dass man sich mit den dunklen Schatten jener Epoche beschäftigt hätte, die einst zu einer globalen Katastrophe ungeahnten Ausmaßes geführt hatte (Ellwein 1989, 7).

 

Bereits in den 1950er Jahren war eine immer stärker zunehmende Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt erfolgt. So gestatteten die Siegermächte Bund und Ländern die erneute Bildung von paramilitärischen, geschlossenen Polizeiverbänden, um selbstständig gegen mögliche Bürgerkriegsszenarien vorgehen zu können (Schulte 2003, 102-106). Von bürgerkriegsähnlichen Zuständen schien die westdeutsche Gesellschaft jedoch weit entfernt. Lediglich in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre richtete sich ein Teil der westdeutschen Jugend in Form der sog. "Halbstarken-Krawalle" provokativ konträr gegen bestehende gesellschaftliche Normen (Bracke 2004, 1). Anfang der 1960er Jahre war jedoch von diesem Protestpotential kaum mehr etwas übrig geblieben. Umso er-staunlicher erscheint es, dass sich am Abend des 21. Juni 1962 aus einem gewöhnlichen Polizeieinsatz im Münchner Stadtteil Schwabing (Sturm 2006a, 63) die sog. "Schwabinger Krawalle" heraus entwickelten, welche sich in ihrer Dauer und Schwere so gar nicht in das damalige heitere und unbeschwerte Klima in München einfügen wollten (Hechfellner 2011, 21-22). Dieses Ereignis markierte den Beginn einer für Westdeutschland völlig neuen Protestkultur, die in der Literatur häufig als Bindeglied zwischen den oben beschriebenen „Halbstarken-Krawallen" und den Studentenunruhen um 1968 beschrieben wird (Fürmetz 2011b, 79). Insbesondere bei der jüngeren Generation der Deutschen änderte sich im Verlauf der 1960er Jahre das Interesse für Politik. Beginnend mit einem entsprechend gesteigerten Informationsbedürfnis offenbarte sich diese Tendenz in diversen links motivierten und neuartigen Protestformen. Diese waren sowohl gegen Ereignisse wie die "Spiegel-Affaire"[2] Ende 1962 oder den Vietnamkrieg ab 1966 (Pülm 2009, 12) als auch gegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr gerichtet. Den Zenit erreichte diese Entwicklung in Form der Studentenproteste 1967/68, welche vor allem die verantwortlichen Institutionen in den größeren Städten der BRD in bis dahin unbekannte Situationen brachte (Aping 2004, 3). Dabei musste die Polizei vielerorts schmerzhaft erkennen, dass sie mit ihren Strukturen und daraus resultierenden Handlungsweisen weit hinter der voranschreitenden, gesellschaftlichen Entwicklung lag (Pülm 2009, 17), was auch eine Anpassung der Einsatztaktik notwendig machte. In zahlreichen Arbeiten, die sich mit den "Schwabinger Krawallen" beschäftigt haben, wurde festgestellt, dass ein derartiges Umdenken in München, offensichtlich ausgelöst durch diese spektakulären Ereignisse, bereits viel früher stattgefunden hat (z. B. Ziegler 2004, 3; Hechfellner 2011, 6-7). So entstand wenige Jahre danach die, durch den damaligen Münchner Polizeipräsidenten Dr. Manfred Schreiber initiierte und einen, bei polizeilichen Großeinsätzen neuartigen, deeskalierenden Ansatz verfolgende, „Münchner Linie“ (Hechfellner 2011, 74-75). Eine weitere Konsequenz war die im Januar 1964 erfolgte Gründung des bundesweit ersten Psychologischen Dienstes bei der Münchner Polizei unter der Leitung des Polizeipsychologen Dr. Rolf Umbach (Sturm 2011, 101).

 

Doch hatten diese, durch die "Schwabinger Krawalle" ausgelösten Neuerungen auch tatsächlich einen Einfluss auf die praktische Einsatztaktik der Münchner Stadtpolizei bei weiteren Protestereignissen in den 1960er Jahren?

 

Ausgehend von ihrem Titel soll in der vorliegenden Arbeit dieser Forschungsfrage anhand folgender Untersuchungsschritte nachgegangen werden:

 

1. Welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bestanden in Deutschland und insbesondere in München in den frühen 1960er Jahren, die Einfluss auf den Umgang mit (staatlicher) Autorität nehmen konnten?

2. Welche Rolle und Position nahm die Polizei in der damaligen Zeit innerhalb der Gesellschaft ein?

3. Wie stellte sich die Entwicklung der polizeilichen Einsatzformen, insbesondere im Zusammenhang mit Menschenmassen, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis 1962 dar?

4. Im Hinblick auf das polizeiliche Einsatzverhalten: Was geschah während der "Schwabinger Krawalle"?

5. Welchen Einfluss hatten die Erfahrungen und Konsequenzen aus den "Schwabinger Krawallen" bei polizeirelevanten, lokalen Ereignissen zwischen 1962 und 1967 bzw. im Rahmen der 68er Bewegung auf die Einsatztaktik der Polizei?

6. In welcher Form üben die „Schwabinger Krawalle“ mit ihren Konsequenzen auch heute noch einen maßgeblichen Einfluss auf die polizeiliche Bewältigung von Protestereignissen aus?

 

Sowohl die "Schwabinger Krawalle" als auch die daraus gezogenen Konsequenzen und ihre Wirkungsweise können letztendlich nur im Kontext mit den damals bestandenen Umweltbedingungen erklärt werden. Aus diesem Grund ist in dieser Arbeit die Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der BRD und in München der 1960er Jahre voranzustellen, um anschließend auf die damalige Protestkultur einzugehen. Nach Schaffung dieser Grundlage folgt, ausgehend von einer generellen Entwicklung der bundesdeutschen Polizei nach dem Zweiten Weltkrieg, ein ganzheitlicher Blick auf die Münchner Stadtpolizei Anfang der 1960er Jahre. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf den polizeilichen Umgang mit Protest und Menschenmassen zu legen sein. Anhand der bis dahin herausgearbeiteten Erkenntnisse können Erklärungsansätze für die Auslösung der "Schwabinger Krawalle" aufgestellt werden, um danach die Ereignisse im Juni 1962 konkret darzulegen. Von besonderem Interesse sind dabei die äußeren und inneren Ursachen für den Ausbruch exzessiver und wahlloser Polizeigewalt. Auf der Grundlage dieser gewonnenen Ansichten erfolgt schließlich die Betrachtung der aus den "Schwabinger Krawallen" gezogenen Konsequenzen, welche auf das zukünftige polizeiliche Einsatzverhalten Einfluss genommen haben. Diese gilt es dann im Hinblick auf ihre tatsächliche Umsetzung darzulegen. Zu diesem Zweck wurden exemplarisch vier markante Einsätze[3] der Münchner Stadtpolizei untersucht. Diese wären das Sonderkommando "Schwabing" 1964, ein Konzert der "Rolling Stones" 1965, der Schah-Besuch 1967 sowie die Osterunruhen 1968.

 

Die Furcht vor einer Wiederholung der "Schwabinger Krawalle" veranlasste das Polizeipräsidium München ab 1964 zur Aufstellung des sog. Sonderkommando "Schwabing", während die in Westdeutschland aufkommende "Beatwelle" 1965 auch München erreichte. Mit dem Besuch des iranischen Kaiserpaares in der BRD 1967 und den Osterunruhen 1968 wurden zwei wesentliche Ereignisse ausgewählt, die eine nachhaltige Wirkung in ganz Westdeutschland entfalten sollten. Im Anschluss an der Darstellung dieser Ereignisse erfolgt ein diesbezüglicher Vergleich mit dem Einsatz der Polizei in West-Berlin anlässlich des dortigen Schah-Aufenthalts. Am Ende der Arbeit wird neben einer Beantwortung der Forschungsfrage auch eine Betrachtung vorgenommen, inwiefern die aus den "Schwabinger Krawallen" gezogenen Konsequenzen noch heute einen Einfluss auf die Einsatztaktik der Münchner Polizei ausüben.

 

1.2 Methodik


 

Zur Erlangung einer fundierten Wissensbasis für die Beantwortung der Untersuchungsfragestellung diente in erster Linie die Auswertung der einschlägigen Literatur, die in einzelnen Bereichen durch Erkenntnisse aus untersuchtem Archivmaterial nochmals untermauert wurde. Insbesondere bei der Darstellung der Rahmenbedingungen (vgl. Kapitel 2.1) konnte auf eine große Zahl von...

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