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E-Book

Die Seele Chinas - Geburtswehen einer neuen Zeit

AutorRichard Wilhelm
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9788026817536
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Die Seele Chinas - Geburtswehen einer neuen Zeit' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Richard Wilhelm (1873-1930) war ein deutscher Sinologe. Daneben war er Theologe und Missionar. Im Jahr 1899 brach Wilhelm im Dienste der Ostasienmission als Missionar in das Kaiserreich China auf. Durch seine pädagogische Tätigkeit lernte er traditionell gebildete chinesische Gelehrte kennen, die sein Verständnis der chinesischen Kultur und Geschichte vertieften, vor allem aber sein Studium der Schriften des klassischen chinesischen Altertums unterstützten. Neben den bekannten Übersetzungen der Texte des klassischen chinesischen Altertums, die immer wieder neu aufgelegt werden, steht aber noch eine Vielzahl von Arbeiten, in denen er sich aufmerksam und kritisch mit der chinesischen Gegenwart befasst. So veröffentlichte er Tagebuchaufzeichnungen über die zeitgenössischen Ereignisse und sein Leben und Arbeiten in Qingdao, aber auch ein Werk über chinesische Wirtschaftspsychologie, das eine durchaus praktische Zielsetzung hatte. Aus dem Buch: 'In China rechnet man nach Jahrhunderten. Das war in der Vergangenheit stets die Losung der alten Kolonisten im Fernen Osten. Aber diese Losung ist längst zur Unwahrheit geworden. Heute entwickelt sich das Leben in China in fieberhafter Eile. Jeder Tag bringt neue Ereignisse und Entwicklungen, und hinter den lauten Tagesereignissen und Kämpfen vollzieht sich etwas ganz Großes: das Auftauchen einer neuen Welt. Ganz langsam und allmählich fing es an, aber mit immer wachsender Beschleunigung rollt das Rad des Geschehens weiter, dieses Rad der Wiedergeburt, das Altes, Überlebtes mit sich hinunter nimmt in die Unterwelt des Vergessens und Neues, nie Dagewesenes aus dem Nichts emporhebt. Aber das Neue ist nicht etwas, das ganz unvermittelt entstünde.'

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Leseprobe

Zweites Kapitel. Geburtswehen einer neuen Zeit



Im Innern von Schantung steht der heilige Berg Taischan. Er ist in der chinesischen Geschichte immer wieder hervorgetreten als der Geheimnisvoll-Offenbare, von dem Leben und Tod ihren Ursprung nehmen. In seiner Nähe ist ein kleiner Hügel, Zypressen wachsen auf ihm, und eine Pagode steht auf seiner Höhe. Hier war der Ort, wo alte Herrscher dem Geist des heiligen Berges ihre Opfer darbrachten. Ein kleiner Tempel ist hier geheimnisvollen Göttern geweiht. In diesem Tempel nahm die Bewegung ihren Anfang, die um die Jahrhundertwende China bis in seine Grundfesten erschüttern sollte und die der Anfang war zu einer neuen Zeit, die freilich ganz anders wurde, als die Menschen, die damals in dem Tempel dunkler Geister ihre Zusammenkünfte hatten, planten.

Was war der Grund zu ihrem geheimen Treiben? In China hat es zu allen Zeiten, wenn die Verhältnisse unerträglich wurden, wenn die Regierungsmaschine versagte, wenn Mißwachs und teure Zeit durchs Land schlich, wenn Pest und Überschwemmung das Leben bedrohten, wenn Räuber das Land unsicher machten, geheime Gesellschaften gegeben, die mit der Götter Hilfe das Alte vernichten und eine neue Ordnung ans Licht bringen wollten. So fängt das Buch von der Geschichte der drei Reiche, das der klassische Roman für alle Arten von ritterlichen Kämpfen in China ist, mit dem Aufstand der gelben Turbane an, deren Führer auf geheime Weise in den Besitz von Zauberkräften gekommen war, so daß er Sturm und Regen machen konnte und Zauberwasser aussprengte, das die Menschen von der Pest heilte. Auch das Zaubermittel, aus Papier Soldaten und Pferde zu schneiden, die dann künstliches Leben bekommen, wird häufig bei solchen Gelegenheiten erwähnt. Natürlich gibt es auch alle Arten von Waffensegen, die gegen Stich, Hieb und Schuß unverwundbar machen, und dergleichen Zauber mehr.

Um die Jahrhundertwende waren in China die Zustände wieder reif für solche Umtriebe. Der Taipingaufstand war vor einem halben Jahrhundert zusammengebrochen, aber die Verhältnisse waren nicht besser geworden. Immer mehr hatten sich die Fremden im Land ausgebreitet. Sie waren mit Gewalt und Unrecht eingedrungen. Sie hatten den märchenhaft schönen Sommerpalast Yuan Ming Yuan bei Peking niedergebrannt, um ihre überlegene Kultur zu beweisen. Sie hatten fremde Lehren verbreitet, denen sich Verbrecher und allerlei Gesindel angeschlossen hatte. Wenn es zu Streitigkeiten gekommen war, waren Kanonenboote erschienen und hatten Brandschatzungen eingetrieben, und immer mehr wurde das Volk von den Fremden und ihren Anhängern bedrückt. War nicht erst vor kurzem die Kiautschoubucht weggenommen worden, angeblich, weil einige Missionare von Räubern ermordet worden waren? Und hatten nicht darauf die anderen europäischen Mächte, statt den Raub zu verhindern, dieses Beispiel nachgeahmt? Wurde nicht immer wieder davon gesprochen, daß man China aufteilen wollte wie eine Melone? Und dies alles vermochte die mandschurische Dynastie nicht zu verhindern. Ja, der Kaiser selbst war in den Händen der Reformer, die China zu einem Staat nach fremdem Muster machen wollten. Darum hinweg mit den fremden Herrschern! Nieder mit dem Mandschus, Schutz den Chinesen!

Nicht lange hatte die Bewegung diese Spitze. Die alte Kaiserin-Witwe hatte ihrem Neffen die Zügel der Regierung wieder aus der Hand genommen, und reaktionärer, fremdenfeindlicher Geist machte sich bei Hofe geltend. So änderte sich denn die Devise: »Nieder mit den Fremden, Schutz dem Kaiserhaus!«

Es gab auf dem Lande allenthalben Selbstschutzvereinigungen gegen das Räuberwesen, das Wege und Stege unsicher machte. Diese Selbstschutzverbände nannten sich I Ho T'uan (Vereinigungen zum Schutz der öffentlichen Ruhe). Es heißt, daß kurz nachdem in Deutschland das Wort von der gepanzerten Faust gefallen war, dieser Titel umgewandelt wurde in I Ho K'üan (Faust zum Schutz der öffentlichen Ruhe). Das wurde dann fälschlich mit dem Wort Boxer übersetzt, obwohl von Boxen bei der ganzen Sache nicht die Rede war.

Abergläubische Stimmungen bemächtigten sich der Bewegung und peitschten sie zu offenem Fanatismus auf. In Tempeln und an geheimen Orten kam man nächtlicherweile zusammen unter dem Zeichen des geheimnisvollen Gottes alles Zaubers, Tschen Wu. Dieser Gott, der am Nordpol thront mit aufgelöstem, langem Haar und einem Zauberschwert, beherrscht die Dämonen und Geister, die als Schlangen und Schildkröten zu seinen Füßen liegen. Außer ihm kamen auch die Begleiter des Schützergottes Kuanti mit ihrer Wehr und Waffen herbei. Medien redeten im Namen der Götter. Die jungen Männer wurden unter geheimnisvollen Zaubersprüchen eingeweiht. Sie verloren das Bewußtsein und fielen zur Erde wie tot, dann standen sie wieder auf, von wildem Mut beseelt, und nun waren sie die Glieder der Vereinigung vom großen Messer, die unverwundbar waren für Kugel und Schwert. Wie eine Epidemie breitete sich diese Massenpsychose aus. Allenthalben in Stadt und Dorf wurden die Versammlungen abgehalten, und die Geister tobten. Da die Spitze der Bewegung umgebogen war und gegen die Fremden ging, nicht mehr gegen den Thron, so ließ man von seiten der Regierung der Sache ihren Lauf. Man scheute sich, ins Feuer zu greifen.

In Schantung wuchs die Bewegung zuerst ins Große. Man machte sich allmählich feste Ziele. Noch waren die Zeiten in Erinnerung, da China frei war von der Bedrückung der Fremden. China, das große Reich der Mitte, sollte nun Schmach dulden von den fernen Inselbewohnern, sei es vom Osten her oder vom Westen! Diese Inseln waren ja alle fern und ohne Bedeutung. Es genügte, wenn man die Fremden, die sich im Mittelreich eingenistet, tötete oder ins Meer warf, dann würde der kleine Rest der Daheimgebliebenen sicher nicht wagen, wieder zu kommen. Dies waren die Vorstellungen, die man hatte. Es schien alles ganz einfach. Eine starke Tat des Volksunwillens genügte, um alles in Ordnung zu bringen.

Man kann nicht leugnen, daß damals auch ein Teil der Beamten in ihren Vorstellungen nicht sehr viel weiter reichte. Berichte von chinesischen Gesandten im Ausland, die anders lauteten, waren vor nicht gar zu langer Zeit selbst bei Hofe recht ungnädig aufgenommen worden. Dennoch gab es auch viele weiterblickende Männer. Dazu gehörte gerade der Gouverneur von Schantung, Yüan Schï K'ai. Er ließ die Hauptvertreter der gegen Verwundungen Festgewordenen vor sich kommen, und man sagt, nachdem er sich eingehend über ihre übernatürlichen Fähigkeiten erkundigt hatte, habe er sie von bereitstehendem Militär zusammenschießen lassen. Jedenfalls verstand er weiterhin keinen Spaß, sondern drängte die ganzen Massen, die der Bewegung anhingen, zu seiner Provinz hinaus. Sie wandten sich darauf der Hauptstadt zu, wo sie in dem alten Haudegen Tung Fu Hsiang und in dem Prinzen Tuan Schutz und Führung fanden. Außer Yüan Schï K'ai sorgten auch die beiden Generale am Yangtse, Liu K'un Yi und Tschang Tschï Tung, für Ruhe, und auch Kanton hielt sich stille.

So blieb die Bewegung im wesentlichen auf den Norden und Nordwesten Chinas beschränkt. Fremde, namentlich die Missionare von Schensi, und Christen wurden zum Teil auf grausame Weise getötet, und ein Schrei der Entrüstung ging durch die Welt. Wie im Weltkrieg die Deutschen, so wurden damals die Chinesen zum Abschaum des menschlichen Geschlechts gestempelt. In Wirklichkeit kann man wohl sagen, daß der Bewegung eine ehrliche nationale Begeisterung zugrunde lag. Grausamkeiten kommen immer vor, wo die bestialischen Triebe der Menschen durch Haß entfesselt werden. Vielleicht sind die Methoden verschieden je nach der Phantasie der einzelnen Menschen, aber Grausamkeit und Schrecken kann nur vom selbstbeherrschten, nicht vom entfesselten Menschen vermieden werden. Angesichts des Weltkrieges verblaßt das Bild der Boxerzeit zu harmloser Bedeutungslosigkeit.

Das schließt aber nicht aus, daß man damals lebhafte Angst hatte. Die fremden Gesandtschaften in Peking wurden belagert. Die schlecht angesetzten Entsatzversuche des Admirals Seymour schlugen fehl und hätten beinahe mit der vollständigen Aufreibung der Entsatztruppen geendet. Anläßlich der Märsche ereignete sich der Vorfall, der dann nachher von deutscher Seite stark aufgebauscht wurde: die verschiedenen Kontingente der Schiffsbesatzungen, die den Vormarsch auf Peking angetreten hatten, standen unter dem Kommando des englischen Admirals. Als gerade die Engländer, die an der Spitze marschierten, durch feindliche Angriffe besonders stark mitgenommen waren, ließ er sie durch die Deutschen ablösen. Darin lag nur eine ganz selbstverständliche Maßregel. Die Deutschen haben sich ebenso tapfer benommen wie die übrigen Nationen, aber es wirkte natürlich unangenehm auf ganz Europa, daß dieser Vorfall in Deutschland durch Bild und Wort so aufgebauscht wurde, als ob die Deutschen so ungefähr an die Spitze der ganzen Menschheit kommandiert worden wären. Solche Taktlosigkeiten schadeten Deutschland enorm, und sie trugen viel bei zu dem allgemeinen Haß, der uns dann im Weltkrieg zu unserer Verwunderung allseitig entgegengebracht wurde.

In der deutschen Kolonie Tsingtau herrschte in jener Zeit auch große Aufregung, zumal da der größere Teil des Seebataillons nach Tientsin abgerückt war. Der kleine Rest der Soldaten machte von Zeit zu Zeit Umzüge durch die Straßen, um sich zu zeigen. Die Bevölkerung versah sich mit Waffen bis an die Zähne. Ich glaube, unser Haus war das einzige, in dem sich tatsächlich keine Waffe befand. Daß es dabei zu mancherlei Mißverständnissen kam, liegt in der Natur der Dinge. So wurde einmal in der Frühe der Signalberg längere Zeit beschossen von einer Gesellschaft, die sich den größeren Teil...

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