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E-Book

Die Selbstsucht der anderen

Ein Essay über Narzissmus

AutorKristin Dombek
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783518748787
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR

Man gibt den Namen eines beliebigen Prominenten in eine Suchmaschine ein, fügt ein N und ein A hinzu, und schon hat man die Diagnose: Narzissmus! Donald Trump leidet darunter, Mark Zuckerberg auch, Cristiano Ronaldo sowieso. Der Vorwurf ist so allgegenwärtig, dass man meinen könnte, »Narzisst« sei nur noch ein Synonym für »Idiot«. Kristin Dombek nimmt diese Unschärfe zum Anlass, sich durch die expandierende »Narzisssphäre« zu klicken, Diagnosehandbücher zu wälzen, Ovid und Knausgård zu lesen. Sie dekonstruiert den Hype um die vermeintliche Selbstsuchtepidemie und fügt der Liste der Persönlichkeitsstörungen eine weitere hinzu: Wenn Sie glauben, Sie seien von Egoisten umgeben, die Sie hemmungslos ausnutzen wollen, leiden möglicherweise Sie an Narziphobie.

»Ich habe dieses Buch an einem Tag gelesen - völlig gebannt, sogar blind für mein eigenes Spiegelbild in den dunklen U-Bahn-Fenstern - und ich war dankbar dafür, dass es so fesselnd war, den ich spürte sogar schon die Ungeduld derjenigen, denen ich das Buch leihen wollte. Kristin Dombek hat ihr ganz eigenes Seelen-Abhörgerät entwickelt, ein präzises Instrument von rücksichtsvoller Neugier.« Leslie Jamison, Autorin von Die Empathie-Tests

»Wie fühlt es sich an, in unserer Zeit zu leben? Diese grundsätzliche und vielbehandelte Frage muss man Kristin Dombek stellen, einer der besonnensten und schlausten Autorinnen, die heutzutage schreiben. Ihre Werke sind scharfsinnig, bedeutungsvoll und unvergleichlich. Mit ihrem Buch über Selbstsucht hat sie uns allen etwas Gutes getan - dafür kann man ihr dankbar sein.« Elif Batuman

»Die Selbstsucht der anderen ist das eigenartigste und tollste Buch, das ich in diesem Jahr gelesen habe. Mit hellseherischer Klarheit schreibt sie von Liebe, Hass, dem Internet, Psychologie, Egoismus. Eine Tour de Force und ein Meisterstück humorvollen Intellekts.« Mark Greif



<p>Kristin Dombek schreibt f&uuml;r Magazine wie<em> n+1</em> und <em>The Paris Review</em>. Ihr Text &raquo;Letter from Williamsburg&laquo; wurde in die von John Jeremiah Sullivan herausgegebene Anthologie <em>The Best American Essays 2014</em> aufgenommen. Sie lebt in New York.</p>

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Leseprobe

Die Kälte


 

 

Die neue Selbstsucht erkennt man auf den ersten Blick. Sie steckt im Lachen des jungen Mädchens aus Atlanta, das die verkehrsreichste Straße der Stadt für ihre Geburtstagsparty sperren lassen will, obwohl gleich gegenüber ein Krankenhaus liegt. Sie zeigt sich darin, wie dieses Mädchen zu dem Partyplaner, der auf den dichten Verkehr hinweist, sagt: »Mein sechzehnter Geburtstag ist ja wohl wichtiger als das, wo die alle hinwollen.« Und darin, wie es, als der Planer das mit dem Krankenhaus zu bedenken gibt, kichernd meint, die Krankenwagen könnten doch einfach »außenrum«.1 Die neue Selbstsucht zeigt sich darin, dass diesem Mädchen Kranke und Sterbende scheißegal sind, obwohl es ihm alles andere als scheißegal ist, als es ein paar Minuten später in einem Geschäft hässliche Kleider anprobieren soll – warum sollte es denn auf die eigene Party gehen, wenn es nicht heißer aussieht als alle anderen? Sie zeigt sich nicht nur darin, dass dieses Mädchen all das so macht, sondern darin, dass sie es macht, ohne sich dafür zu schämen, direkt vor der Kamera, in der Reality-TV-Show My Super Sweet 16 auf MTV, und dass es in der Generation der Millennials, also derjenigen, die zwischen 1980 und 2000 geboren sind, genau darum geht.

Die neue Selbstsucht steckt auch im Lächeln des professionellen Bad Boyfriend – der ebenfalls in Atlanta geboren ist, was wichtig sein kann, aber nicht muss, auf dessen Website ganz oben steht »Ich bin ein Arschloch«, daneben ein Bild von ihm, den Arm um eine Frau gelegt, deren Gesicht ausgeschnitten wurde. Auf die Stelle ist »Hier dein Gesicht« gedruckt. Das Bild stammt vom Cover eines seiner Bücher übers Saufen und Sportficken, das ihm Promi-Status, ein kleines Vermögen und den Heldenstatus in einer Bewegung unter Männern eingebracht hat, die Macht über Frauen gewinnen wollen, indem sie sie beleidigen, regelmäßig auf Distanz gehen oder gleich ganz abtauchen. Die neue Selbstsucht zeigt sich auch darin, dass es immer schwieriger wird, sich an Zeiten zu erinnern, in denen man sich noch nicht damit brüstete, ein manipulatives, oberflächliches Riesenarschloch zu sein, und in denen die Menschen sich noch nicht gegenseitig als Ware behandelten, als wären die anderen nichts weiter als Accessoires ihrer jeweiligen Persönlichkeitsmarke.

Und in ihrer entsetzlichsten Ausprägung zeigt sie sich im Lächeln des Mörders. Jenem Mörder, der im Regierungsviertel eine Autobombe hochgehen ließ, die acht Menschen tötete, dann weiter zu einer Insel fuhr, auf der Jugendliche in einem Sommerzeltlager campierten, und neunundsechzig Menschen abschlachtete, während sie versuchten, wegzulaufen und wegzuschwimmen. Und der, als er bei seiner Festnahme fotografiert wurde, zufrieden grinste. Jenem Mörder, der auf die Frage, ob er Mitgefühl empfinde für seine Opfer und deren Familien, nicht von deren Leid, sondern von seinem eigenen erzählte: wie traumatisch es für ihn gewesen sei, das ganze Blut zu sehen. Der jammerte, er habe sich in den Finger geschnitten, und aussagte, er habe das alles ja nur getan, um sein über 1500 Seiten starkes Manifest gegen Frauen und Muslime zu vermarkten, ein Manifest, in dem man – wie auf seiner Facebook-Seite – Bilder von ihm findet, wie er lächelnd mit Waffen, in Militäruniformen und Tempelritterkostümen posiert. Die neue Selbstsucht steckt in den Fotos und von Verletzung kündenden Hasstiraden, die all diese Mörder mittlerweile auf Facebook posten, bevor sie mit Schusswaffen in Schulen und Kinos laufen, als ob ein kurzer Moment des Ruhms jedes Menschenleben wert ist, sogar das eigene.

In dem Lächeln, den Tiraden und der Gewalt zeigen sich eine Gleichgültigkeit und ein nicht vorhandenes Mitgefühl, die lediglich Konkurrenz bekommen von einem grauenvollen Geltungsdrang. Aus dem sich erhebenden Chor zu schließen, der den Millennials und jedem Bad Boyfriend denselben Namen gibt wie den Mördern – Narzissten nämlich –, wird die Angst vor einer derartigen Selbstsucht immer größer.

Was aber stimmt nicht mit dem Narzissten? Das lässt sich nicht so einfach sagen. Klar, wenn man einen Mörder lächeln sieht, sollte man wegrennen. Wenn man aber das Pech hat, jemanden zu lieben, der ganz plötzlich derart mit sich selbst beschäftigt zu sein scheint, dass ihm egal ist, ob und wen er damit verletzt, jemanden, der einem, kaum, dass er einen nicht direkt braucht, nicht mehr zugewendet ist, sondern schlicht weg, wenn man jemanden liebt, der so selbstverliebt oder innerlich verwundet ist, dass er auf Kritik mit Gewalt oder eisiger Wut reagiert, der sich vor deinen Augen in einen anderen Menschen verwandelt oder sich einfach abwendet, obwohl er gesagt hatte, er sei für dich da – wenn man also jemanden liebt, der diese spezifische Selbstsucht des 21. Jahrhunderts in einer subtilen oder, noch schlimmer, unsichtbaren Ausprägung zu haben scheint, dann schaut man sich höchstwahrscheinlich erstmal im Internet nach Hilfe um. Dort erfährt man dann, dass der geliebte Mensch tatsächlich dieselbe Störung hat wie die Mörder, und zwar eine neue Selbstsucht, die sich vielleicht im Umfang, aber qualitativ nicht groß unterscheidet von der Selbstsucht jener Gestalten, die das verkörpern, was wir heutzutage meinen, wenn wir »böse« sagen. In dem ziemlich großen Teilbereich des Selbsthilfe-Internets, den wir etwas unbeholfen »Narzisphäre« nennen wollen, liest man dann möglicherweise eine Geschichte, die einem zu einer gänzlich anderen Sicht auf die Dinge verhilft, eine Geschichte, die einem, sobald man anfängt, an sie zu glauben, das unheimliche, aber auch latent aufregende Gefühl verschafft, in einem Kinofilm zu leben. Dieser Film kommt einem vertraut vor, so, als ob man ihn schon mal gesehen hat. Es ist ein Gruselfilm, aber man selbst spielt die Hauptrolle darin. Man selbst ist die Heldin, der Held, und das Drehbuch geht mehr oder weniger so:

 

Am Anfang ist der Narzisst überaus charmant, sogar freundlich und liebevoll. Nach einer gewissen Zeit aber scheint er die größten Stücke nur noch auf sich selbst zu halten. »Er« könnte auch eine »Sie« sein, aber bleiben wir der Einfachheit halber beim »Er«. Kennt man jemanden, der so ist, dann denkt man irgendwann: Wow, der nimmt sich aber wichtig, der ist ja mal voller Selbstvertrauen. Doch in Wirklichkeit ist ein Narzisst innerlich leer.

Normale, gesunde Menschen nehmen sich auch wichtig, allerdings sind sie von etwas erfüllt, das man vielleicht Seele oder Persönlichkeit nennen kann und das, wenn man es denn besitzt, warm aus dem Inneren nach außen strahlt. Niemand weiß, was es genau ist, aber alle sind sich einig: Der Narzisst hat es nicht. Verstörenderweise kriegt er es jedoch oft besser hin als alle anderen, den Anschein zu erwecken, er hätte es. Denn da in seinem Inneren nur Leere herrscht, hat er andere genau beobachten müssen, um etwas zu erfinden, das wie eine eigene Identität aussieht und sich auch so anhört. Narzissten sind Nachahmer par excellence. Fast das ganze Manifest von Breivik ist zusammenkopiert, ein billiges Plagiat, doch häufig sind Narzissten so gute Nachahmer, dass es gar nicht auffällt. Und es sind nicht die kleinen, langweiligen Teile einer Persönlichkeit, die sie kopieren. Sie nehmen sich, was sie für die größten, eindrucksvollsten Merkmale anderer halten, und entwerfen ein identitäres Hologramm, das aussieht, als hätte es Superkräfte. Nennen wir dieses Superhelden-Simulakrum Selfiness. Manchmal machen Narzissten einen geisteskranken Eindruck oder sind gleich richtiggehend dämlich. Meistens aber ist die Selfiness, die Narzissten sich haben einfallen lassen, bei der ersten Begegnung qualitativ besser als die langweilige, gewöhnliche Identität normaler, gesunder Menschen – vielleicht, weil Narzissten einfach hart an ihr gearbeitet haben. Narzissten sind in der Schule immer die Beliebtesten in der Klasse. Sie sind Rockstars. Sie sind Filmstars. Nicht alle, aber sie wirken so. Wahrscheinlich erzählen sie dir, du seist der einzige Mensch auf der Welt, der sie als das sieht, was sie wirklich sind – was höchstwahrscheinlich ein Trick ist. Wenn deine Mutter oder dein Vater Narzisst ist, wird er oder sie dir sagen, dass auch du ein Rockstar bist, und das ist dann definitiv ein Trick.

Denn für einen Narzissten steht hinter diesen anerkennenden Worten ausschließlich der Gedanke, dass du ihm dabei helfen wirst, seine Selfiness zu schützen. Wenn du das nicht tust oder wenn du in der Nähe bist, wenn jemand oder etwas diese Selfiness ins Wanken bringt, dann Gott steh dir bei! Wenn sie Risse bekommt, wird die Verletzung des Narzissten ohnegleichen sein, seine Wut wird lodern bzw. von eisiger Kälte sein. Du wirst von der Facebook-Freundesliste gestrichen, du hast einen Twitter-Follower weniger, er wird nicht mehr auf deine E-Mails antworten, ja, komplett aufhören, mit dir zu sprechen. Und dabei lächeln. Er wird dich betrügen und dabei nicht den Eindruck machen, als hielte er das für eine große Sache. Oder dich sofort verlassen, obwohl er gesagt hat, er bliebe auf ewig bei dir. Er wird dich beiläufig und ohne Vorwarnung feuern. Er wird tun, was dir am meisten wehtut. Was auch immer du am dringendsten brauchst: Ein Narzisst wird es dir vorenthalten. Er kann die Gefühle anderer Menschen nicht empfinden, ist aber unheimlich gut darin, die deinen kurz und klein zu hauen. Wenn es so weit kommt, wird dein Schmerz davon handeln, dass du dem falschesten Glauben angehangen hast, dem du jemals dumm genug gewesen bist anzuhängen: dem Glauben, dass die Welt, nur weil dieses Arschloch dich geliebt hat, tatsächlich besser sein könnte,...

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