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E-Book

Die Staats- und Gesellschaftsauffassung von Joseph Görres im Kontext von Revolution und Restauration

AutorUwe Daher
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl66 Seiten
ISBN9783638733489
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Geschichte Europa - and. Länder - Neuzeit, Absolutismus, Industrialisierung, Note: 1,7, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, 23 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Joseph Görres (1776-1848), der Begründer des Rheinischen Merkurs, zählt zu den frühen Demokraten der deutschen Geschichte. Voller Leidenschaft kämpfte er mit der Waffe des Wortes für Freiheit und Einheit der deutschen Nation, für ein Staatswesen, das auf einer gerechten Ordnung basiert. Das französische Terror-Regime nach der Revolution und die Expansion unter Napoleon festigten seine Überzeugung, dass eine Demokratisierung Europas nicht erfolgen könne, sofern die Menschen von ihren christlichen und nationalen Wurzeln getrennt werden. Die Rückbesinnung auf das Erbe der Vergangenheit sei notwendig, um die Zukunft zu gestalten. Aus diesem Blickwinkel gilt die Zuwendung zum Katholizismus, die Görres in der zweiten Lebenshälfte vollzog, in keiner Weise als Abkehr von den Visionen seiner Jugend. Statt dessen sollte die christlich inspirierte Publizistik die Wiederbelebung des geistigen Diskurses, auch im Zeitalter der Restauration, forcieren.

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Leseprobe

KAPITEL 6

 

DIE kirche IN POLITIK UND GESELLSCHAFT

 

Seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts vollzogen sich in den deutschen Landen tiefgreifende Bewusstseinsänderungen. Der Glaube allein war nicht länger das ausschließliche Instrument, mit dem die Ordnung der Welt wahrgenommen wurde. Man forschte den Dingen nach; wobei Meinungen und Grundsätze, die Jahrhunderte lang als unbezweifelbar galten, nicht länger ungeprüft blieben. Das Gewohnte wurde angefochten und sollte gar umgeworfen werden.[51]

 

Das Ende der alten europäischen Ordnung und das Heraufkommen der bürgerlichen Gesellschaft waren in der Welt der Ideen bereits erkennbar, schon lange bevor fundamentale Zweifel an der gesellschaftlichen Bedeutung der alten Institutionen, dem Adel und den Kirchen, allgemein artikuliert wurden.

 

Die Kirche versuchte ihren Einfluss auf das gesellschaftliche Leben zu erhalten, aber nicht nur die Regenten machten ihren Herrschaftsanspruch streitig. Die Städte gewannen als Konzentrationspunkte der gewerblichen Produktion und des Handels zunehmend Bedeutung. Sie waren frei von herrschaftlichen Bindungen, die im außerstädtischen Bereich bestanden. In den Städten entwickelte sich das moderne Finanzwesen. Man verwaltete sich selbst und unterhielt eine stadteigene Gerichtsbarkeit.

 

Der gesellschaftliche Einfluss, die Dynamik der katholischen Kirche – die nicht die Zurückgezogenheit des Privaten, sondern die Durchwachsung mit der Welt suchte – war geschwunden. Zudem verloren die Orden, die reich und mächtig waren – obschon oder aufgrund dieser Umstände – ihre geistliche Ausstrahlung und verweltlichten. In Anbetracht der Tatsache, dass Finanzmittel vorhanden waren, wurden die alten Kloster- und Kirchenbauten abgerissen und durch aufwändige Barockbauten ersetzt.[52] Glanz und Macht der Kirche manifestierten sich gerade in dem Augenblick, in dem sie kaum noch gesellschaftliche Dynamik besaß.

 

Die Durchsetzung mit den Vorstellungen der Aufklärung hatte vor allem in den nicht-geistlichen Territorien die Intention bewirkt, Klerus, Ordensleute und Kult mögen sich – dem „physiokratischen Princip“ entsprechend – für das Staatswesen nützlich erweisen. Deshalb wurde vor allem unter Joseph II. in Österreich die Zahl der Wallfahrten, Prozessionen und Feiertage begrenzt und die Klöster um ein Drittel reduziert. Nur jene durften weiterhin existieren, die gesellschaftliche Aufgaben in Schule oder Caritas wahrnahmen. Die Güter der aufgehobenen Klöster dienten zur Ausstattung neuer Bistümer; gleichzeitig versuchte der Landesherr durch Neugestaltung des Patronatswesens, die Aufsicht über kirchliches Vermögen zu erlangen und dieses an sich zu ziehen.[53] Die vorangetriebene Ausstattung von Seelsorgestellen mit Klostergut (‚Josephinismus‘) hatte auf andere Territorialherren beeindruckend gewirkt und entfaltete von daher eine Katalysatorwirkung.[54] 

 

Es lag im Interesse der nicht-geistlichen Territorialherren, dass die  Kirche keinen „Staat im Staate“ verkörpern würde. Eine schlichtere Gottesverehrung, die sich gegen den Barockkatholizismus richtete, war gewünscht. Die Kirche sollte sich – aus dem Blickwinkel des technisch-rationalen Denkens – auf ihre Seelsorgeverpflichtung konzentrieren, so dass Pastoren als aufgeklärte Seelsorger und Volkslehrer agierten, indem sie Fleiß, Gehorsam und Moral predigten.

 

Gleichwohl waren die geistlichen Territorien – vor allem in Süd- und Südwestdeutschland – kleinräumige wirtschaftliche und kulturelle Mittelpunkte. Die geistlichen Fürstenhöfe waren ebenfalls zu Zentren der Aufklärung geworden. Die Aufklärung diente einerseits der intellektuellen „Erbauung“, doch fand ihre Kraft auch hier aus machtstrategischen Erwägungen Entfaltung, da sie wirtschaftliche Besserung versprach. Folglich wurde sie wiederum aus ökonomischen Gründen, ergo als Instrument fiskalischer Herrschaftsinteressen genutzt.[55] Ihre Schulen dienten in erster Linie als Pflanzstätten für geistliche Berufe, eröffneten aber auch jenen Kindern den Zugang zu höherer Bildung, die aus nichtadligem Hause oder einer Familie stammten, die nicht übermäßig wohlhabend war. Vereinzelt besuchten gar intelligente Bauernkinder auf Fürsprache eines Pfarrers die höhere Schule. Die Kirche wurde zunehmend „entfeudalisiert“ und konnte sich dem bürgerlichen Denken öffnen.

 

Görres wollte eine vom Staat emanzipierte Kirche, die sich „aus der Sklaverei“ befreien müsse.[56] Obgleich er im Prinzip eine Nichteinmischung des Staates in religiöse Angelegenheiten befürwortete, verlangte er, dass der Staat garantiere, dass die Ideen und die Mentalität der Aufklärung in kirchlichen Einrichtungen Eingang finden würden.[57] Insofern befürwortete Görres den bereits angesprochenen Ausbau einer staatlichen Oberaufsicht im Bildungswesen. Die im „Volke entwickelte Geistigkeit“ müsse sich in der Kirche verbreiten. Auf diese Weise könne – ohne dass sich der Staat ihrer Struktur bemächtige – verhindert werden, dass sich „ein Pfaffentum begründe, das unter dem Vorwande des Heiligen bloß irdische Zwecke verfolgt, [...] verschmitzter Herrschsucht frönt, oder in feistem Wohlleben sich gefällt“.[58]

 

Die pädagogische und anleitende Funktion, die den Geistlichen im rationalisiertem Staat des ‚Aufgeklärten Absolutismus‘ zugekommen war, wurde von Görres geschätzt. Aber sie sollte von einer unabhängigen Instanz ausgehen und die Herrschenden nicht ausnehmen. Ihre Unterstützung sollte einem Staatswesen gelten, dass nach den Bedürfnissen der Menschen gestaltet war. Folglich forderte Görres, dass Geistliche, „Achtung für die Gesetzlichkeit“ und die „bürgerliche Ordnung“ predigen.[59] Unter dieser Prämisse wurde es indes selbstverständlich erachtet, dass auch „Gehorsam gegen die Obrigkeit“ gefordert werde, aber zugleich müsse die Kirche das Gewissen der Herrschenden sein und diese wirksam ermahnen „nicht länger Gott [zu] versuchen“.[60]

 

Die „kirchliche Macht“ solle sich überall „von der realen Staatsgewalt“ scheiden.[61] Die Einheit von Staat und Kirche sei ein Irrweg[62], so dass es keine Vermengung geben dürfe.[63] Joseph Görres – aufgewachsen im Fürstbistum Trier, wo geistliches und weltliches Oberhaupt in der Person des Fürstbischofs verbunden waren – scheint davon überzeugt gewesen zu sein, dass in einem System der Vermischung  die Religion instrumentalisiert und gegen die Idee der  bürgerlichen Gesellschaft gerichtet sei.  Insofern seien Genese der bürgerlichen Gesellschaft und Akzeptanz der christlichen Lehre gleichermaßen beschädigt worden. Aus diesem Grunde postulierte Görres, dass das Oberhaupt des Staates nicht zugleich Oberhaupt der Kirche sein dürfe.[64]

 

Eine Kirche aber, die nicht von den Interessen des Landesherrn bestimmt sei, würde – seiner Auffassung nach – die Freiheitsforderungen der Bürger moralisch unterstützen. Da das Wesen der Botschaft der Kirche die Befreiung sei, würde eine Identifikation eingeleitet werden. 

 

Insofern glaubte Görres, dass die Emanzipation der Kirche(n), das geistige Umfeld schaffen würde, in dem die politische Umgestaltung vollzogen werden könne. Mit der allmählichen Verfestigung dieser Überzeugung engagierte sich Görres zunehmend, um Einfluss auf das katholische Leben zu nehmen. Letztendlich habe sich Görres „theologisch [ge]kratzt, wo es ihn politisch [ge]juckt“ habe.[65]

 

Görres hatte aber nicht nur die katholische Kirche im Blick. Er war sich sicher, dass auch der protestantischen Kirche nichts anderes übrig bleiben würde, „als die Reformation in der Richtung zu beendigen, in der sie angefangen, und sie so weit fortzuführen, bis die Gewalt überall bei der Gemeinde ruht“.[66]

 

Er sah beide Konfessionen als eigenständige Teile des Ganzen, die sich kongenial ergänzen würden. Görres lobte den Protestantismus, dessen Stärke er durch die Zuweisung der Charaktereigenschaften der Demut, Frömmigkeit und Bescheidenheit beschrieb.[67] Die Reformation habe sich zu Recht ereignet, da sie ein legitimes Ziel verfolgt habe. Sie wollte „den Verfall der alten Zucht in und außer der Kirche, die Erstarrung des höheren geistigen Lebens, die Heuchelei und Selbstsucht und die Verstockung und Verdummung in entleerten Formeln [...] züchtigen.“[68] Doch die „Höfe des Nordens“ hätten sich dieser „Volksbewegung“ bemächtigt, „um das Eigentum der Kirche zu plündern.“[69]

 

Das kritische und modernisierende Potenzial dieser Konfession wurde von Görres geschätzt, derweil er an der katholischen Kirche den öffentlichen Charakter und besonders ihre kulturellen Ausdrucksformen, die ein hohes Maß an Emotionalisierung bewirken würden, schätzte.

 

Dass Görres der Institution Kirche zunächst ablehnend gegenüberstand, kann aus der Tatsache geschlossen werden, dass er im Jahr 1801 bei der Eheschließung mit Katharina von Lassaulx[70], auf eine...

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