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Die Treuhand

Wie eine Behörde ein ganzes Land abschaffte

AutorKlaus Behling
VerlagEdition Berolina
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl448 Seiten
ISBN9783958415171
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Die Treuhandanstalt gehört zu den schmerzlichen Erinnerungen an die deutsche Einheit. 25 Jahre nach ihrem Ende ist das Echo der Wut noch nicht verhallt. Klaus Behling hat seit 1990 die Anstalt beobachtet, mit Managern aus dem Westen und Arbeitslosen aus dem Osten gesprochen, Betriebe besucht und Akten gewälzt. Daraus entstand eine Bilanz, die einige Erfolge beim Neustart der früheren DDR-Wirtschaft ebenso zeigt, wie die vielen Hoffnungen, die in Enttäuschungen endeten. Behling untersucht die historischen Wurzeln der Treuhand, ihre Verwandlung in eine undurchsichtige Behörde, die die Wirtschaft eines ganzen Landes abschaffte, und fand Spuren von Kriminellen, die Millionenvermögen ergaunerten. Klar wird: Auch auf kommende Generationen wird die längst verschwundene Treuhand noch Einfluss haben. Das Folgen der Treuhand in der Langzeit-Perspektive - eine historische Spurensuche der besonderen Art. Sehr aufschlussreich!

Klaus Behling, geboren 1949, ist Asienwissenschaftler und war Diplomat in Laos, Kambodscha und Rumänien. Bis zur Wendezeit arbeitete er am Institut für Internationale Beziehungen, bevor er von 1991 bis zu seiner Pensionierung als Journalist für den Springer Verlag tätig war. Er ist Autor zahlreicher Publikationen, u. a. zur DDR-Spionage und kriminellen Aktivitäten des MfS; zuletzt 111 Fragen an die DDR (2012).

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Leseprobe

2. »Profis für die DDR«

Während sich im Sommer 1990 viele DDR-Bürger im Urlaub erstmals West-Luft um die Nase wehen ließen, hatte der Münchner Personalberater Dieter Rickert viel zu tun. Per Annonce suchte er im Auftrag der Treuhand »Profis für die DDR«. Sie sollten in den Osten gehen und der »DDR-Wirtschaft zu Wettbewerbsfähigkeit nach westlichen Maßstäben verhelfen«. So war es im Anzeigentext zu lesen.

Es meldeten sich rund 4.000 Kandidaten, aber schon beim ersten Hinsehen erwiesen sich die meisten als Scharlatane, die nur aufs schnelle Geld aus waren. Schließlich blieben 40 Leute übrig. Manche von ihnen sahen die Aufgabe in der DDR als »nationale Pflicht« an und stellten sich ihr mit Überzeugung. Andere witterten einen legalen Weg zu fetter Beute.

Alle stießen in der DDR bei der gerade neu geschaffenen Treuhandanstalt auf Angehörige der früheren Funktionselite der SED. Die bis 18. März 1990 tätige Wirtschaftsministerin Christa Luft (SED-PDS) bezifferte deren Grundstock an Mitarbeitern: »Neben einer Anstaltszentrale in Berlin mit 100 Personalstellen wurden in den Hauptstädten der Bezirke Außenstellen mit jeweils 30 Mitarbeitern eingerichtet.«

Günter Münzberg, bis 1989 jahrelang Gutachter für Investitionen in verschiedenen zentralen Leitungsgremien der DDR und dann an die Treuhand-Außenstelle Leipzig abgeordnet, berichtete vom Personal seiner neuen Dienststelle: »Mit der Bildung der Außenstelle Leipzig war nach Erlass der Treuhandverordnung in Verantwortung des Rates des Bezirkes begonnen worden. Deshalb rekrutierten sich die Mitarbeiter bis Ende Mai 1990 verständlicherweise im Wesentlichen aus Mitarbeitern des Rates des Bezirkes Leipzig, die man zur Treuhandanstalt delegiert hatte. Das betraf den Direktor ebenso wie dessen Sekretärin, den Kraftfahrer und zwei Abteilungsleiter …« Hinzu kamen ein paar Leute aus dem »territorialen Staatsapparat« und aus Betrieben.

Mit der Einführung der DM am 1. Juli 1990 war in der Wirtschaft das Chaos eingezogen, dem die neue Treuhand nun recht hilflos gegenüberstand. Ein Insider erinnert sich: »Viele Betriebe produzierten weiter bisher vor sich hin, obwohl sie nicht wussten, ob überhaupt jemand ihre Erzeugnisse haben wollte. Der Inlandsmarkt war schlagartig weggebrochen, der Export in die Sowjetunion und nach Osteuropa sowieso. Die Betriebe wurden von üppigen Milliarden-Krediten aus Bonn, die über die Treuhand unkontrolliert und flächendeckend in die Unternehmen flossen, über Wasser gehalten. Schließlich sollte die Einheitsstimmung nicht getrübt werden.«

Vor diesem Hintergrund erreichten den nunmehrigen Eigentümer Treuhand abenteuerliche Angebote aus dem Westen. So schlug zum Beispiel Peter Jungen, Chef des Kölner Baukonzerns Strabag, vor, ehemalige Straßenbau-Betriebe im Osten zu übernehmen, ohne auch nur eine einzige Mark dafür zu zahlen. Unter Strabag-Leitung und mit Treuhand-Geld sollte dann eine gemeinsame Managementgesellschaft zur Sanierung der Unternehmen entstehen. Gleichzeitig wollte die Strabag sämtliche Aufträge, immerhin 500 Millionen Mark pro Jahr, abwickeln und überwachen. Erst nach zwei Jahren würde sie dann entscheiden, ob sich die Übernahme des Ost-Partners auch wirklich lohne.

Möglich wurden solche raubritterartigen Vorstöße durch die ungeheure Dimension der anstehenden Aufgaben der Treuhand. Christa Luft skizzierte sie so: »Sie sollte zum Beispiel

für rund 8.000 in Kapitalgesellschaften umgewandelte, ehemals im Register der volkseigenen Wirtschaft eingetragenen Kombinate, Betriebe und Einrichtungen mit gut 4 Millionen Beschäftigten, oder rund 46 Prozent aller Erwerbstätigen der DDR, neue, unternehmerisch aktive Eigentümer finden,

etwa 45.000 Einzelhandelsgeschäfte und Gaststätten, 14 Centrum-Warenhäuser, mehrere Tausend Buchhandlungen und Apotheken sowie Hunderte von Kinos und Hotels ›an den Mann bringen‹,

460 volkseigene Güter, 37 Großbetriebe der indus­triellen Tierproduktion, Gestüte, Rennbetriebe, Binnenfischereibetriebe, Forstwirtschaftsbetriebe und 1,5 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche verwerten,

Staatseigentum rekommunalisieren beziehungsweise reprivatisieren, Vermögen von Parteien und Massenorganisationen verwalten und die Außenhandelsbetriebe der DDR abwickeln.«

Dazu erreichte der Personalbestand der Treuhand innerhalb des ersten Jahres rund 2.700 Leute, ein Jahr später waren es bereits etwa 4.000 Mitarbeiter in der Zentrale und den Niederlassungen. Hinzu kam ein Heer von Wirtschaftsberatern und -prüfern, Anwälten und Freiberuflern. Sie alle sollten möglichst schnell von Chefs aus dem Westen geführt werden.

Die neuen Chefs kommen
aus dem Westen

Handys sahen 1989 noch so aus wie einst die Feldtelefone bei der Wehrmacht. Und wenn sich der stolze Besitzer eines solchen Apparates meldete, fehlte niemals der Hinweis: »Ich ruf über Funk an!« Das Gespräch klang dann auch oft so, als käme es direkt von der Front und nicht nur aus Ostberlin. Die Herren aus dem Westen umwehte die Aura von Eroberern, sie selbst fühlten sich im Kampfeinsatz.

Ab Juli 1990 residierten sie in den Plattenbauwaben im vormaligen »Haus der Elektroindustrie« am Alexanderplatz. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt war dort ein Machtzentrum entstanden, das weitaus gewichtiger schien als das Amt des Ministerpräsidenten Lothar de Maizière oder die Volkskammer, allein schon deshalb, weil es die DDR überleben würde. Noch bestand die Aufgabe der am 1. März 1990 gegründeten »Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums« darin, Grundlagen für die Marktwirtschaft in der DDR zu schaffen. Dazu brauchte es Leute, die sie aus eigener Erfahrung kannten. Ihr erster Präsident, der damalige Stellvertretende Vorsitzende des Ministerrates der DDR, Peter Moreth, gehörte nicht dazu.

Der gelernte Maurer und Fachverkäufer, Jahrgang 1941, machte seine Karriere in der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD). Ab 1968 arbeitete er sich vom Mitarbeiter des Bezirksverbandes Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt) über ein Zwischenspiel als stellvertretender Oberbürgermeister der Stadt, verantwortlich für Handel und Versorgung, und verschiedene Fern-Studiengänge bis zum Bezirksvorsitzenden der DDR-Liberalen in Cottbus und Magdeburg hoch. Ab 1987 saß er im Zentralvorstand der Partei in Berlin. Seit 1986 war Peter Moreth außerdem Abgeordneter der Volkskammer und Mitglied des Staatsrates der DDR. Böse Zungen nannten solche Leute damals »Blockflöten«, denn sie standen als »Blockpartei« in der »Nationalen Front der DDR« eng an der Seite der SED. Sie hatte auch das letzte Wort bei der »Kaderentwicklung« – dem DDR-Synonym für »Karriere« – der »Blockfreunde«.

Die Dissertation Peter Moreths aus dem Jahr 1977 an der Karl-Marx-Universität Leipzig trug den Titel: »Wechselbeziehungen zwischen den sozialistischen Produktionsverhältnissen und der Sozialpolitik und ihr Einfluss auf die Herausbildung der sozialistischen Lebensweise, untersucht an der weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen durch die territoriale Rationalisierung«.

Nun ging es um die kapitalistische Produktionsweise und deren Einfluss auf die kapitalistische Lebensweise, untersucht am lebenden Objekt »DDR-Bürger«. Peter Moreth lernte es offenbar in seinen wenigen Wochen an der Spitze der Treuhandanstalt, denn nach seiner Mission als deren Präsident machte er sich als Unternehmensberater selbstständig.

Signal auf Rot für einen Bahn-Manager

Reiner Maria Gohlke war ein Sanierer, der bis 1990 seine Aufgabe bei der Deutschen Bundesbahn durch das mehrfache Umdrehen jedes Pfennigs erledigte. Als er am 16. Juli 1990 von DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière zum ersten Präsidenten der Treuhandanstalt aus dem Westen berufen wurde, war das ganz anders. Es gab Geld in Hülle und Fülle aus Bonn, denn zunächst sollte es um Sanierung durch Anpassung an West-Strukturen, nicht jedoch durch Abriss, gehen. Gohlke setzte auf bedächtiges Vorgehen: »Ich wollte nicht jede halbe Stunde irgendeine Milliarde unterschreiben und dann zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen. Ich wollte genaue Analysen, genaue Prüfung, oft mehr Geld, als die Investoren zu zahlen bereit waren, und vor allem in allen Verträgen Klauseln einbauen, dass nach einer Fünfjahresfrist nachverhandelt werden müsse, falls die Geschäfte gut laufen.«

All das traute er den gewendeten DDR-Wirtschaftsführern kaum zu. Die DDR-Wirtschaft insgesamt hielt er jedoch für weitgehend überlebensfähig. Reiner Maria Gohlke plante die Errichtung von vier regional gegliederten Treuhand-Aktiengesellschaften – Schwer­industrie, Investitionsgüter, Konsumgüter und Dienstleistungen – und wäre am liebsten in allen selbst Vorsitzender des Aufsichtsrates geworden. Seine Politik führte bereits nach zehn Tagen Amtszeit zu Differenzen mit dem ebenfalls vom Ministerrat der DDR berufenen Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder. Der Hoesch-Manager hatte den Stahlriesen im Westen erfolgreich saniert und sollte nun die DDR-Wirtschaft auf Kurs bringen. Im Gegensatz zu Reiner Maria Gohlke hatte er offenbar andere Vorstellungen, wie das geschehen...

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