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E-Book

Die Tyrannei der Arbeit

Wie wir die Herrschaft über unser Leben zurückgewinnen

AutorUlrich Renz
VerlagSefa Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl300 Seiten
ISBN9783945090503
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Arbeit bestimmt unser ganzes Dasein. Aber warum hat es die Arbeit so leicht, sich in unserem Leben so unverschämt breitzumachen? Warum lassen wir es zu, dass unser eigener Plan vom Glück an die Wand gedrückt wird? Warum sitzen wir der Wahnvorstellung auf, dass es Glück, Erfüllung und Anerkennung nur über Arbeit gibt? Die Glaubensgewissheiten der Leistungsgesellschaft sind inzwischen so fest in die Hirne einbetoniert, dass wir sie bedenkenlos an unsere Kinder weitergeben: Ihr Spiel soll sinnvoll sein, wir 'fördern' sie und merken gar nicht, dass wir ihnen ihre Kindheit nehmen, indem wir sie zu Hoffnungsträgern auf dem Arbeitsmarkt machen. Auf kluge, raffinierte Art hinterfragt Ulrich Renz die Ideologie der Arbeit - ein genussvoller Erkenntnisgewinn, eine leidenschaftliche Gesellschaftskritik. Aber auch ein Anstoß, das eigene Leben zu überdenken: Renz macht Mut und Lust zu einem Rendezvous mit den eigenen Träumen.

Ulrich Renz, Jahrgang 1960. Studium diverser Sprachen und Müßiggang in Paris. Medizinstudium in Lübeck, danach Tätigkeit als Arzt, Fachbuch-Autor und Leiter eines medizinischen Fachverlages. 1998 beendet Ulrich Renz seine Verlagskarriere, um sich mehr Zeit für die vielen zu kurz gekommenen Dinge des Lebens zu nehmen. Seither arbeitet er als freier Publizist, neben Sachbüchern und Wissenschafts-Reportagen schreibt er Kinder- und Jugendbücher. Ulrich Renz lebt mit seiner Familie in Lübeck. Mehr Informationen unter ulrichrenz.de.

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Leseprobe

1. Das Ende der Arbeit?


Am 21. März 1989 legt ein gewisser Ulrich Renz sein zweites medizinisches Staatsexamen an der Medizinischen Hochschule zu Lübeck ab.

Die Prüfung läuft so einigermaßen, aber richtig mit Herzblut ist der Kandidat nicht dabei. Die Uni spielt in seinem Leben mittlerweile eher die zweite Geige, und ob er überhaupt Arzt werden will, ist fraglich geworden. Denn das richtige Leben tobt gerade woanders: in einem Dachzimmer seiner Studenten-WG. Das Bett hat einem improvisierten Schreibtisch Platz gemacht, der den Raum fast vollständig einnimmt und an dem mehr oder weniger rund um die Uhr gearbeitet wird. Kommilitonen, Freunde, die Freundinnen der Freunde und neuerdings sogar eine Halbtagssekretärin bearbeiten Tatstaturen, zeichnen Abbildungen, fluchen über Computerabstürze (wir schreiben, wie gesagt, das Jahr 1989, der Arbeitsspeicher eines PC entspricht dem Hirnvolumen einer Qualle), und über nicht lesbare Floppy Disks (das sind diese rechteckigen Dinger … Sie wissen schon). Auf dem Tisch stehen tonnenschwere Monitore, daneben und auf dem Boden stapeln sich Ausdrucke und Korrekturfahnen. Leere Bierflaschen und Pizzaschachteln sorgen für eine Auflockerung der Papierturmlandschaft. Das Summen der Lüfter schafft zusammen mit der Abwärme der Geräte und dem Ozon aus dem Laserdrucker eine sinnlich-dichte Arbeitsatmosphäre.

Ach ja, fast vergessen: Der kleine Paul, zwei Jahre alt, tummelt sich gern unter dem Schreibtisch, und drückt auf alle möglichen und unmöglichen Knöpfe. Er ist so süß, aber trotzdem stellt sich große Erleichterung ein, wenn er abends endlich der von der Arbeit kommenden Mama in die Hände gedrückt werden kann. Schließlich rückt der Manuskriptabgabetermin unerbittlich näher.

Aber dann, im selben Jahr, ist es doch noch so weit. Ich halte es in den Händen, das Buch, das Buch, unser Buch! Ein Kompendium für die Kitteltasche, auf Dünndruckpapier, die Bibel für Jungärzte.

Die Party beginnt


Für die Menschheit entscheidender ist allerdings eine andere Begebenheit dieses Jahres: Am 9. November fällt in Berlin die Mauer. Das Ende einer Säkularreligion namens »Kommunismus« ist eingeläutet, die Aufteilung der Welt in zwei getrennte Sphären Geschichte. Aus Feinden sind potenzielle Kunden geworden, aus verbotenen Zonen Absatzmärkte.

Auch wenn der Mauerfall in die Geschichtsbücher als das Ereignis des Jahres eingehen sollte: Ganz im Verborgenen tut sich 1989 etwas, das sich auf Dauer als mindestens genauso bedeutsam erweisen wird: Am Forschungszentrum CERN in Genf entwickelt ein britischer Physiker namens Tim Berners-Lee sein »Hypertext-System«, das unter der Bezeichnung World Wide Web aus einem interkontinentalen Kabelsalat das Massenkommunikationsmittel macht, das wir heute unter dem Namen »Internet« kennen.

Mit dem Ende der bipolaren Welt und ihrer digitalen Vernetzung sind die Voraussetzungen für jene Kommunikations- und Transaktionsexplosion geschaffen, die wir heute als die Globalisierung bezeichnen – auch wenn diese in Wirklichkeit nur ein weiterer Schub eines Globalisierungsprozesses ist, der seinen Anfang schon gegen Ende des Mittelalters mit der Entdeckung Amerikas genommen hat und sich seither Welle um Welle beschleunigt.

Mit den 1990er Jahren wird daraus ein Globalisierungs-Tsunami. Alle sind jetzt mit allen verbunden, Gedanken, Informationen und Geschichten verbreiten sich blitzschnell um den Globus, Kunden und Produzenten finden sich auf einem riesigen Markt der Möglichkeiten wieder, in Echtzeit miteinander vernetzt. Geraunt wird von einer »New Economy«, die angeblich ganz anderen Gesetzen gehorcht als die altersschwache Analog-Wirtschaft, neuen Schwung für die stagnierenden Wachstumsraten verspricht – und traumhafte Renditen für das jetzt mobil gewordene Kapital. Keine fünf Minuten alte Garagenfirmen werden als Start-ups mit Geld überschüttet. Verbrennt es! Je schneller, desto besser! Die große Party hat begonnen, die Musik bestellen Börsianer und Investmentbanker.

Mit der Globalisierung wird das alte Europa angelsächsisch. Jetzt, wo mit dem Fall der Mauer die Rücksichtnahmen auf das Gegenmodell dort drüben entfallen, darf der Kapitalismus ruhig etwas kapitalistischer werden. Die Blaupause für das neue Wirtschaftsmodell kommt aus Thatchers Großbritannien und Reagans Amerika: Nach deren neoliberaler Doktrin geht es uns allen besser, wenn sich die Märkte selbst steuern – die Zauberworte heißen »Liberalisierung« (nichts weniger als Befreiung also!) »Deregulierung«, »Synergie-Effekte« und »Outsourcing«. Firmen werden auseinandergehauen und in anderer Form wieder zusammengebaut, Abteilungen in Tochtergesellschaften verschoben, die Produktion in Billigstandorte verlagert.

Berater tauchen in den Firmenfluren auf, smarte Jungs mit Krawatte und Köfferchen und ebenso smarte Mädchen in Powersuit, die in ihren Business Schools den Geist der neuen Heilslehre eingesogen haben und jetzt den Wandel mit ihren Charts und Tortengrafiken begleiten und moderieren.

Es sind keine brachialen Invasoren, sondern freundliche »Enabler«, die ihren »Support« anbieten, immer ein offenes Ohr auch für die Belegschaft haben, »Win-Win Situationen« für alle schaffen wollen. Die ihre Aufgabe darin sehen, mit den verkrusteten Firmenstrukturen auch alte Denkmuster aufzubrechen und durch »vernetztes Denken« das ungehobene neuronale Potenzial der Belegschaft freizusetzen. Mit der neuen Denke (meistens noch vorher) wehen ganz neue Vokabel-Wolken in die Büros: Prozessoptimierung, Turnaround, Benchmarking, Performance …

Auch ein gewisser Ulrich Renz bindet sich jetzt immer öfter die Krawatte um, auf seiner Visitenkarte prangt der »Geschäftsführer«. Er leitet jetzt einen kleinen Fachverlag, betreibt nebenher ein Satz- und Grafikbüro, man überlegt, ob man nicht in Polen setzen lassen soll. Schon bald kommt noch eine Visitenkarte dazu, auf der »Publisher« steht, weil das besser klingt als »Verleger«, der Job dahinter ist die Leitung eines altehrwürdigen Verlagshauses, das der Wind of Change in die Schieflage geblasen und das jetzt Zuflucht unter dem Dach eines Medienkonzerns gefunden hat.

Der Umbau dieses Unternehmens, das man noch mit Fug und Recht zur Old Economy zählen kann, wird bald zur Großbaustelle, auf der zwei Kulturen aufeinanderprallen: Turnschuh-Elan und Bürokraten-Trott. Digitale und analoge Welt. Junge, computeraffine Wilde, die bis spät in die Nacht an ihren Projekten puzzeln, und die alten Mitarbeiter, die sich verängstigt um ihren Betriebsrat scharen, der mit Zähnen und Klauen die gute alte Stechuhr verteidigt.

Schwierig … aber doch irgendwie, um es mit Jürgen Klopp zu sagen: geil.

Tage in Besprechungszimmern, Flugzeugen, Zügen, Nächte in Hotels, irgendwo. Ich haste von einem Termin zum nächsten, zu Konferenzen, Seminaren, von Besprechung zu Besprechung. Nicht in einer Besprechung zu sein, heißt, endlich Zeit zum Telefonieren zu haben.

Wochen und Monate rauschen vorbei, eine Runde jagt die nächste. Stress? Nein, es ist ein Aufbruch, ein großes Abenteuer. Und was für ein großartiges Gefühl, eine solche Aufgabe zu lösen, auf dem Boardmeeting die Bilanzen zu präsentieren, der große Chef aus Amerika ist offenbar zufrieden.

Ach ja – unser zweites Kind ist inzwischen geboren. Meine Freundin? Ist sauer, weil ich so viel unterwegs bin. Reden wir also lieber nicht vom Familienleben …

Shake it up!


Reden wir von den spannenden Zeiten, die jetzt angebrochen sind, der neuen Wirtschaft, den neuen Chancen, die sie bringt, und den neuen Zwängen. Wer als Unternehmen nicht von der Bildfläche verschwinden will, muss sich grundlegend verändern, und zwar ständig. Nur wenn es aggressiv und wendig wird, ist es fit für den globalen Wettbewerb. »Shareholder Value« ist das Wort der Stunde. Was zählt, ist die Story, auch wenn sie monoton immer vom Selben erzählt: dem großen Downsizing, dem Treibsatz für die Aktienkurse.

Es ist die Mauserphase des befreiten Kapitalismus, ehemalige Staatsbetriebe werden privatisiert und setzen ihre Belegschaften zu Zehntausenden frei, vulgo: schicken sie in die Arbeitslosigkeit. »Shake it up!« ist der Schlachtruf, den Jack Welch von General Electric, der bald zum Manager des Jahrhunderts gekürt werden sollte, seinen Kollegen zuschreit. Die Managerelite ist sich jetzt einig, dass ihre Unternehmen permanent auf Trab gehalten werden müssen. CEOs brüsten sich damit, ihr Unternehmen in vier Jahren viermal umgebaut zu haben2 – nur keine Ruhe einkehren lassen, keine Routine, die kreative Verunsicherung lässt Mitarbeiter ganz bestimmt zu Bestform auflaufen.

Auch in unserem Unternehmen ist der Wandel zum Normalzustand geworden. Auch wir haben einen Berater angemietet, der den Prozess »moderiert«, der versucht, Kulturen zueinanderzubringen, eine gemeinsame »Corporate Identity« zu stiften.

Mein Leben geht weiter wie bisher, von Termin zu Termin, aber immer öfter habe ich das Gefühl: dir fehlt etwas. Die Stimmung des Aufbruchs ist vorbei. Was einmal spannend war – jetzt ist es ein ganz normales, rastloses Managerdasein, das in das Zeitraster des Terminkalenders eingepresst ist, Tag für Tag, Seite um Seite. Ich ziehe das Leben durch, anstatt es zu leben.

Immer öfter geht mir die Frage durch den Kopf, was das alles mit mir zu tun hat. Mir fehlt das kreative Gestalten der Anfangszeit, das gemeinsame Brüten über Cover-Entwürfen, Layouts und Konzepten. Wie lange habe ich nicht mehr dieses Gefühl gespürt, dass man an einem Strang zieht, an einer gemeinsamen Sache...

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