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E-Book

Die UNO

Idee und Wirklichkeit

AutorGerd Hankel
VerlagHamburger Edition HIS
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl127 Seiten
ISBN9783868545210
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Von dem großen Projekt, das die UNO sein sollte, scheint nur wenig übrig geblieben zu sein. 60 Jahre nach ihrer Gründung ist Kritik die vorherrschende Reaktion, wenn die Rede auf die Aktivitäten dieser Organisation kommt. Kritik an ihrer bürokratischen Schwerfälligkeit, an der Ineffizienz ihrer Arbeit, an der fehlenden demokratischen Legitimation ihrer Entscheidungen. Weiter denn je ist die UNO heute in den Augen vieler davon entfernt, für eine von gemeinsamen Werten getragene Weltinnenpolitik zu stehen. Über dieses große Ziel wird jedoch oft vergessen, was die UNO namentlich auf dem Gebiet des Völkerrechts und der weltweiten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zusammenarbeit bereits erreicht hat. Andererseits aber schärft die Kritik den Blick für Fehler und Missstände und wirft die Frage auf, was die UNO im Spannungsfeld von Nord und Süd, von multilateraler Sicherheitspolitik und unilateralen Machtinteressen zu leisten vermag und auch leisten muss, wenn sie mehr sein will als ein Akteur am Rande, nur widerstrebend und mit Einschränkungen geduldet. Denn die Art und Weise des Umgangs mit einer sich verändernden Staatenwelt, der Grad der weltweiten Beachtung elementarer Menschenrechte, die Wahrung des Weltfriedens und der Erfolg oder Misserfolg im Kampf gegen Armut und für demokratische Mindeststandards sind die zentralen Kriterien, an denen künftig die Arbeit der UNO gemessen werden wird. Dieser Band kann und will keine Lösungen anbieten. Aber er will das Bewusstsein wecken für das, worum es derzeit und in Zukunft bei dem großen Versuch, eine Weltgemeinschaft zu gestalten, gehen wird.

Gerd Hankel, Dr. jur., Jurist und Sprachwissenschaftler, seit 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.

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Leseprobe

II


Folgt man der Charta der Vereinten Nationen, verstehen sich die UNO und ihre Mitgliedstaaten ganz offensichtlich als eine Gemeinschaft. »Wir, die Völker der Vereinten Nationen«, heißt es am Anfang der Präambel vor der Aufzählung der Ziele, die zu erreichen die Staaten, wie es dort ebenfalls heißt, »fest entschlossen« sind. »Wir, die Völker« oder »We the peoples« – wie der Originaltext der Charta in Anlehnung an die US-Verfassung lautet –, eine intensivere Beschwörung der gemeinsamen Zugehörigkeit zu derselben Gruppe ist wohl kaum vorstellbar, wenn sie nicht ins billig Pathetische abgleiten soll.

Doch wie jede Beschwörung hat auch diese ihre zwei Seiten. Die erste ist die ursprünglich gemeinte: Als Mitglieder einer großen Familie verpflichten sich die Staaten, am Aufbau einer friedlichen Welt in einer Weise mitzuwirken, die die Charta im Folgenden näher beschreibt. Es geht also um die Gestaltung der Zukunft.

Die zweite Seite ist der ersten logisch vorausgesetzt: Ohne Kenntnis der Vergangenheit, ohne die Berücksichtigung von deren Lehren ist die Gestaltung der Zukunft nicht möglich und, so wäre hinzuzufügen, schlechterdings nicht denkbar. Über die Erinnerung an den gerade erlebten Krieg und an die desolate Verfassung der Staatenwelt in den Jahren davor sollen die Entschlossenheit und Zuversicht gestärkt werden, die für einen Neubeginn erforderlich sind. Auch das erklärt den erkennbar feierlichen Duktus der Einleitungsformel und, nebenbei bemerkt, auch den Ausschluss der Feindstaaten, allen voran Deutschlands und Japans, aus diesem Projekt.1

Als gegen Ende des Ersten Weltkriegs der amerikanische Präsident Woodrow Wilson, dessen Armee sich erstmals in Europa als kriegsentscheidend gezeigt hatte, seine Vorstellungen von einer Nachkriegsordnung publik machte, tat er dies in beinahe derselben Weise, in der auf den Monat genau 25 Jahre später Franklin D. Roosevelt seinerseits die Eckpunkte der künftigen internationalen Ordnung skizzieren sollte.2 Angestrebt werde, so Wilson im Juli 1918, »[d]ie Errichtung einer Friedensorganisation, die es zur Gewissheit machen soll, daß die vereinte Macht freier Nationen jeden Angriff auf das Recht abwehren und dazu beitragen wird, Frieden und Gerechtigkeit größere Sicherheit zu verleihen durch Schaffung eines endgültigen Tribunals der Öffentlichkeit, dem sich alle unterwerfen müssen und durch dessen Vermittlung jeder internationale Vergleich seine Sanktion erhält, der nicht durch friedliche Übereinkunft der unmittelbar betroffenen Völker erreicht werden kann. Diese großen Ziele lassen sich in einem einzigen Satz zusammenfassen. Was wir suchen, ist die Herrschaft des Rechts, gegründet auf die Zustimmung der Regierten und getragen von der organisierten Meinung der Menschheit.«3

Was beide, Wilson und Roosevelt, jedoch unterschied, war die Erfahrung, auf die sie rekurrieren konnten. Roosevelt hatte den Völkerbund, dessen Schwächen und mangelnde Akzeptanz vor Augen. Wilson hatte lediglich den Glauben an seine Idee. Nicht dass sie von ihm und seinen Beratern zum ersten Mal gedacht worden wäre. Das war in der Vergangenheit schon mehrfach der Fall gewesen, so Ende des 17. Jahrhunderts mit detaillierten praktischen Überlegungen von dem Engländer William Penn (der für die Delegationen seiner »Gesellschaft der Nationen« sogar an ein rundes Sitzungszimmer mit mehreren Türen zur Vermeidung von Rangordnungsstreitigkeiten dachte) und ein Jahrhundert später mit theoretischen Überlegungen von Immanuel Kant, in denen sich zum ersten Mal der deutsche Begriff »Völkerbund« findet, gedacht als ein Schutzbündnis zur Kriegsverhinderung und gemeinsamen Verteidigung.4 Anders als Penn, Kant und die anderen Wegbereiter des Völkerbundgedankens hatte Wilson allerdings die Macht, seine Vorstellungen umzusetzen. Nicht vollständig, aber doch zum größten Teil.

Die Satzung des 1919 geschaffenen Völkerbunds5 beginnt mit der Nennung der beiden höchsten Ziele des Bundes, nämlich der »Förderung der Zusammenarbeit unter den Nationen« und der »Gewährleistung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit«. Sodann folgt eine kurze, beinahe schlagwortartige Beschreibung des Weges, der beschritten werden muss, um zu diesen Zielen zu gelangen: vertragliche Verpflichtungen, »nicht zum Kriege zu schreiten«; internationale Beziehungen ohne Geheimdiplomatie, die auf »Gerechtigkeit und Ehre« gründen; Anerkenntnis und Beachtung des internationalen Rechts »als Richtschnur für das tatsächliche Verhalten der Regierungen«; die Gerechtigkeit als allgemeines Handlungsprinzip und die Zusicherung, »alle Vertragsverpflichtungen in den gegenseitigen Beziehungen der organisierten Völker peinlich zu achten«.

In den anschließenden 26 Artikeln findet sich dann ausformuliert, wie die einzelnen Wegmarken erreicht werden sollen. Ihr Kernstück bilden ohne Zweifel die Artikel 11 bis 17, durch die ein System der kollektiven Sicherheit geschaffen wurde. Danach mussten sich Mitgliedstaaten im Falle eines Konflikts, der zu einem Friedensbruch führen konnte, einem Schlichtungsverfahren unterwerfen. Erst danach und sofern keine der Konfliktparteien den Schlichtungsvorschlag akzeptierte, durfte der Krieg erklärt werden, allerdings erst nach Ablauf einer Frist von drei Monaten. Verstieß eine Partei gegen dieses Prozedere und schritt unmittelbar zum Krieg, kam dies einer Kriegserklärung an alle Bundesmitglieder gleich. Sie waren nun nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, Sanktionen ökonomischer oder militärischer Art gegen den Aggressor anzuwenden. Selbst gegen Nichtmitglieder, von denen eine Kriegsgefahr ausging, war dieses Vorgehen zulässig.

Das freie Kriegführungsrecht der Staaten, auf das sich diese bislang qua Souveränität berufen konnten, existierte damit nicht mehr. Schon vorher, vor dem Ersten Weltkrieg, hatte es erste Risse bekommen,6 jetzt aber war es, obschon es eine Definition möglicher kriegerischer Gewalt nicht gab, deutlich beschnitten, wenn auch nicht ganz verschwunden. Und nicht weniger bedeutend ist das eigentlich Selbstverständliche bei der Gründung eines Bundes: Staaten hatten sich erstmals gemeinsame Organe gegeben. Die Bundesversammlung und der Rat sollten sich in paralleler Zuständigkeit mit den Fragen befassen, die den Weltfrieden oder sonst einen Tätigkeitsbereich des Völkerbundes betrafen. Der Bundesversammlung gehörten alle Mitgliedstaaten an. Unabhängig von ihrer Größe oder von ihrem politischen oder wirtschaftlichen Gewicht hatten sie darin jeweils eine Stimme. Der Rat hingegen setzte sich aus ständigen – den Vertretern der Großmächte – und nichtständigen Mitgliedern zusammen. Die Zahl der Mitglieder, die alle über nur eine Stimme ohne weitere Vorrechte verfügten, änderte sich infolge von Beitritt oder Austritt beziehungsweise Ausschluss mehrfach. Die Höchstzahl der ständigen Mitglieder betrug sieben, die der nichtständigen elf.7

Das Ständige Sekretariat als drittes Organ hatte im Wesentlichen Verwaltungsaufgaben. Sein Gewicht hing weitgehend von dem jeweiligen Generalsekretär ab. Je nach dessen Selbstverständnis und Charisma konnte es auf den Bereich des Administrativen beschränkt bleiben, es konnte aber auch als Impulsgeber fungieren und auf diese Weise auf die Politik des Völkerbunds einwirken.

Kein Organ des Völkerbunds war der Ständige Internationale Gerichtshof. Seine Gründung war zwar in der Völkerbundsatzung vorgesehen – und schon das stellt vor dem Hintergrund der bis dahin vergeblichen Bemühungen, eine zwischenstaatliche Streitschlichtung zu etablieren, einen beträchtlichen Fortschritt dar –, seine Gerichtsbarkeit anerkannt hatten die Staaten, Mitglieder des Völkerbunds sowie Nichtmitglieder, jedoch erst dann, wenn sie ein besonderes Beitrittsprotokoll unterzeichnet hatten.

Ein Rat, eine Versammlung, ein Sekretariat, ein Gericht – die für eine internationale Gemeinschaft formal erforderlichen Organe waren damit vorhanden. Dass aber mehr als ein lediglich formal funktionierender Zusammenschluss geplant war, machten schon die gewählten Bezeichnungen deutlich. Ein »Bund« sollte es nach dem deutschen Begriff »Völkerbund« sein, das englische »League of Nations« versprach einen ähnlich motivierten Verband, und auch das französische »Société des Nations« ließ die Assoziation an eine Gesellschaft entstehen, in der im Interesse der Staatengesamtheit dasjenige des einzelnen Staates zurückzutreten hatte.

Wenn wir annehmen, dass bei der Gründung des Völkerbunds ein hohes Maß an Pathos im Spiel war, dass der Schrecken über die zuvor für unmöglich gehaltene Gewalt des Ersten Weltkriegs in einer Art Gegenbewegung die Formulierung der Völkerbundsatzung beeinflusste und den Sinn für die politischen Realitäten trübte, selbst dann ist überraschend, wie eindeutig der Völkerbund scheiterte. Damit ist nicht nur das sichtbarste Zeichen...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titelseite2
Impressum3
I4
II13
III46
IV65
V92
VI116
Zum Autor126

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