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Die verborgene Wirklichkeit

Paralleluniversen und die Gesetze des Kosmos

AutorBrian Greene
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl448 Seiten
ISBN9783641082079
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Universum - dieser Begriff bezeichnet nicht nur den Weltraum, sondern umfasst die Gesamtheit aller Dinge in unserer Welt. Doch was wäre, wenn das Universum doch nicht die gesamte Welt darstellen würde? Wenn es zwei, drei, ja unendlich viele Universen gäbe? Dass die Idee des Multiversums, also mehrerer möglicher Universen, nicht nur Stoff für Science-Fiction-Romane ist, sondern ein wichtiges Forschungsfeld der Physik, das unseren Blick auf die Welt und unser Verständnis der Wirklichkeit verändert, zeigt Brian Greene in seinem Bestseller.

Brian Greene zählt zu den führenden Physikern auf dem Gebiet der Superstrings. Seit 1990 lehrt er an verschiedenen Universitäten und ist heute Professor für Physik und Mathematik an der Columbia University in New York. Seine Bücher, darunter »Das elegante Universum« (2000), »Der Stoff, aus dem der Kosmos ist« (2004), »Die verborgene Wirklichkeit: Paralleluniversen und die Gesetze des Kosmos« (2012) und »Bis zum Ende der Zeit: Die Geschichte des Kosmos« (2020), sind internationale Bestseller.

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Leseprobe

KAPITEL 1


Die Grenzen der Wirklichkeit: Über Parallelwelten


Wäre mein Kinderzimmer nur mit einem einzigen Spiegel ausgestattet gewesen, meine jugendlichen Tagträume hätten ganz anders ausgesehen. Aber es waren zwei. Jeden Morgen, wenn ich den Kleiderschrank öffnete und meine Kleidung herausholen wollte, befand sich der Spiegel in der Schranktür direkt gegenüber dem Wandspiegel, und es entstand eine scheinbar endlose Reihe von Spiegelbildern mit allem, was sich zwischen den Spiegeln befand. Es war faszinierend. Ich genoss den Anblick: Bild um Bild bevölkerte die parallel stehenden Glasflächen, und die Reihe erstreckte sich so weit, wie das Auge reichte. Alle Spiegelbilder schienen sich im Einklang zu bewegen – aber das lag, wie ich bereits wusste, nur an den Beschränkungen unserer Wahrnehmung; schon in jungen Jahren hatte ich davon gehört, dass sich das Licht nicht unendlich schnell bewegt. Vor meinem geistigen Auge betrachtete ich also das Hin und Her des Lichtes. Ein Nicken, eine ausholende Armbewegung flogen zwischen den Spiegeln hin und her, und jedes reflektierte Bild erzeugte das nächste. Manchmal stellte ich mir ein respektloses Ich vor, das sich weigerte, seinen Platz einzunehmen, so dass die gleichmäßige Abfolge unterbrochen war und eine neue Wirklichkeit entstand, die über die nachfolgenden Realitäten bestimmte. Wenn es in der Schule langweilig war, dachte ich manchmal an das Licht, das ich am Morgen ausgesandt hatte und das immer noch endlos zwischen den Spiegeln hin- und hergeworfen wurde; ich gesellte mich zu einem meiner gespiegelten Ichs und trat in eine imaginäre, aus Licht gebaute und von der Fantasie beflügelte Parallelwelt ein.

Natürlich haben Spiegelbilder keinen eigenen Willen. Aber die Höhenflüge meiner jugendlichen Fantasie mit ihren imaginären, parallelen Wirklichkeiten finden ihren Widerhall in einem immer prominenter werdenden Thema der modernen Wissenschaft: der Möglichkeit, dass es jenseits der Welt, die wir kennen, noch andere gibt. Der Frage, wie diese aussehen können, gehe ich in diesem Buch nach, das Sie auf eine Reise mitnimmt, auf der wir uns die wichtigsten wissenschaftlichen Konzepte über Paralleluniversen sorgfältig und durchaus kritisch ansehen werden.

Universum und Universen


»Universum« bedeutete früher »alles, was ist«. Alles. Mit allem Drum und Dran. Die Vorstellung von mehr als einem Universum, mehr als allem, erscheint so gesehen wie ein Widerspruch in sich. Aber durch eine ganze Reihe theoretischer Überlegungen wurde die Bedeutung des Begriffs »Universum« nach und nach eingeschränkt. Heute hängt sie vom Zusammenhang ab. Manchmal meint man mit »Universum« immer noch absolut alles. Manchmal aber auch nur diejenigen Gebiete, zu denen Sie und ich prinzipiell Zugang haben könnten. Manchmal wendet man den Begriff auf Bereiche an, die uns jeweils teilweise oder vollständig, vorübergehend oder immer unzugänglich sind; so gebraucht, macht das Wort unser Universum zu einem Element in einer großen, vielleicht sogar unendlich großen Sammlung.

Nachdem das Wort »Universum« seinen allumfassenden Gehalt verloren hatte, traten andere Begriffe an seine Stelle. Sie erfassen die größere Leinwand, auf der die Gesamtheit der Realität möglicherweise gemalt ist. Parallelwelten, Paralleluniversen, multiple Universen, Alternativuniversen oder das Metaversum, Megaversum oder Multiversum – alle diese Wörter bedeuten das Gleiche und schließen nicht nur unser Universum ein, sondern auch ein Spektrum weiterer, die es vielleicht noch gibt.

Ihnen wird auffallen, dass all diese Begriffe ein wenig vage sind. Was macht eine Welt oder ein Universum eigentlich aus? Durch welche Kriterien unterscheiden sich einzelne Regionen eines einzigen Universums von Gebilden, die wir als eigenständige Universen einstufen? Vielleicht werden unsere Kenntnisse über multiple Universen eines Tages so weit ausgereift sein, dass wir auf solche Fragen genaue Antworten geben können. Vorerst wollen wir es aber vermeiden, uns mit derart abstrakten Definitionen herumzuschlagen; stattdessen bedienen wir uns eines Verfahrens, das der Richter Potter Stewart einmal auf die Definition von Pornographie anwandte. Während der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten sich angestrengt bemühte, einen Maßstab festzulegen, was Pornographie sei und was nicht, erklärte Stewart schlicht: »Wenn ich es sehe, weiß ich es.«

Ob man diesen oder jenen Bereich als Paralleluniversum bezeichnet, ist letztlich nur eine semantische Frage. Der eigentlich bedeutsame Kern des Themas ist ein anderer: Wird unsere konventionelle Vorstellung durch die Existenz von Bereichen in Frage gestellt, die nahelegen, dass das, was wir lange Zeit für das Universum gehalten haben, letztlich nur ein Bestandteil einer viel größeren, vielleicht auch viel seltsameren und größtenteils verborgenen Wirklichkeit ist?

Allerlei Paralleluniversen


Es ist eine verblüffende Tatsache (und einer der Gründe, die mich dazu trieben, dieses Buch zu schreiben): Gleich eine ganze Reihe von wichtigen Entwicklungen in der grundlegenden theoretischen Physik – relativistische Physik, Quantenphysik, Kosmologie, vereinheitlichte Theorien, computergestützte Physik – hat dazu geführt, dass Physiker über diese oder jene Form von Paralleluniversen nachdenken. Die folgenden Kapitel schlagen einen erzählerischen Bogen über neun Variationen des Multiversum-Themas. In jeder davon entpuppt sich unser Universum als Teil eines größeren Ganzen, dessen Ausmaß unsere Erwartungen sprengt; aber was das Aussehen dieses Ganzen und das Wesen seiner Mitgliedsuniversen angeht, sind die Unterschiede enorm. In manchen Varianten sind die Paralleluniversen von unserem durch ungeheure räumliche oder zeitliche Abstände getrennt; in anderen treiben sie sich nur wenige Millimeter entfernt herum; in wieder anderen erweist sich schon die Vorstellung von einem Aufenthaltsort als zu kurz gedacht und bedeutungslos. Ein ähnliches Spektrum an Möglichkeiten kommt in den Gesetzen zum Ausdruck, denen die Paralleluniversen unterliegen. In manchen sind diese Gesetze die gleichen wie bei uns; in anderen haben sie eine andere Form, sind aber zumindest noch durch ein gemeinsames Erbe geprägt; und in wieder anderen sind Form und Struktur der Gesetze völlig anders als alles, was uns jemals begegnet ist. Sich vorzustellen, wie umfangreich die Realität sein kann, ist aufregend, hält uns aber auch zur Bescheidenheit an.

Einen der ersten Streifzüge in das Gebiet der Parallelwelten unternahmen in den fünfziger Jahren Wissenschaftler, die über bestimmte Aspekte der Quantenmechanik rätselten. Diese Theorie hatte man zur Erklärung von Phänomenen entwickelt, die sich im mikroskopisch kleinen Bereich der Atome und subatomaren Teilchen abspielen. Die Quantenmechanik brach aus dem Korsett des früheren begrifflichen Rahmens, der klassischen Mechanik, aus und zeigte, dass bestimmte grundlegende Vorhersagen der Wissenschaft notwendigerweise Wahrscheinlichkeitscharakter haben. Wir können dann zwar die Wahrscheinlichkeit, zu einem bestimmten Ergebnis zu gelangen, voraussagen, wir können die Wahrscheinlichkeit für ein anderes Ergebnis vorhersagen, aber im Allgemeinen können wir nicht voraussagen, welche der verschiedenen Möglichkeiten tatsächlich eintreten wird. Schon diese allgemein bekannte Abkehr von jahrhundertealten wissenschaftlichen Denkweisen ist überraschend genug. Die Quantentheorie hat jedoch einen noch verwirrenderen Aspekt, der weniger Aufmerksamkeit erregt hat. Obwohl die Quantenmechanik jahrzehntelang eingehend erforscht wurde und dabei eine Fülle von Daten zusammengekommen sind, welche die mit ihrer Hilfe berechneten Wahrscheinlichkeiten bestätigen, vermochte bisher niemand zu erklären, warum sich in einer bestimmten Situation nur eines der vielen möglichen Ergebnisse einstellt. Wenn wir Experimente machen, wenn wir die Welt erforschen, sind wir uns alle einig, dass wir auf eine einzige, eindeutige Wirklichkeit treffen. Aber noch heute, mehr als ein Jahrhundert nach Beginn der Quantenrevolution, besteht unter den Physikern keine Einigkeit in der Frage, wie sich diese grundlegende Tatsache mit dem mathematischen Formalismus der Theorie verträgt.

Diese beträchtliche Wissenslücke gab im Laufe der Jahre den Anlass zu vielen kreativen Vorschlägen. Der verblüffendste war gleichzeitig einer der ersten: Vielleicht, so die Aussage, ist die vertraute Vorstellung, jedes Experiment würde zu einem einzigen Ergebnis führen, ja falsch. Die mathematischen Grundlagen der Quantenmechanik – oder zumindest eine Sichtweise darauf – legen die Vermutung nahe, dass alle möglichen Ergebnisse sich auch einstellen, wobei jedes davon in einem anderen Universum zu Hause ist. Wenn eine quantentheoretische Berechnung vorhersagt, dass ein Teilchen hier oder dort sein könnte, ist es im einen Universum hier und im anderen ist es dort. Und in jedem derartigen Universum befindet sich auch ein Exemplar von uns, die wir das eine oder andere Ergebnis beobachten und – zu Unrecht – glauben, unsere Realität sei die einzige. Wenn man sich klarmacht, dass die Quantenmechanik die Basis aller physikalischen Prozesse darstellt, von der Verschmelzung der Atome in der Sonne bis zu den Nervenimpulsen, die das Substrat für unser Denken bilden, wird die Tragweite einer solchen Vorstellung deutlich. Sie besagt, dass es keine verpassten Chancen, keine nicht eingeschlagenen Wege gibt. Aber jeder derartige Weg – jede Wirklichkeit – ist vor allen anderen verborgen.

Dieser faszinierende Viele-Welten-Ansatz der Quantenmechanik hat in den letzten Jahrzehnten großes Interesse auf sich...

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