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Die Vergiftung der Erde

Metaphern und Symbole agrarpolitischer Diskurse seit Beginn der Industrialisierung

AutorJan Grossarth
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl512 Seiten
ISBN9783593438535
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis41,99 EUR
Klingende Worte beschreiben die Zerstörung der Natur. Die Rede ist von Pestiziden, die Mensch und Tier vergiften, vom gestörten ökologischen Gleichgewicht, von erschöpften Böden. Die ökologische Krisenpublizistik hat Metaphern hervorgebracht wie Ackergift und Mutter Erde, Waldsterben und chemischer Tod, Giftwelle und Krieg gegen die Natur. Die Vergiftung der Erde ist nicht bloß ein toxikologischer Befund, sondern eine kulturelle Leitmetapher in ökologischen Diskursen. Was ist deren naturwissenschaftlicher Kern? Gründen diese politischen Metaphern gar in jahrhundertealten antijüdischen Stigmawörtern wie der Brunnenvergiftung? In einer faszinierenden Studie verbindet der Autor Aspekte der agrarischen Industrialisierung mit der Geschichte der politischen und religiösen Giftmetapher, der Naturwissenschaft vom Gift und der Geistesgeschichte organischer Erdmetaphern.

Jan Grossarth ist Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Leseprobe
1. Vom Märchen- zum Merkelgift: Thematische Hinführung Die Ökologie ist nicht reine Naturwissenschaft. Sie steht für einen ganzheitlichen Blick, der kultur- oder zivilisationskritische Aspekte umfasst. Ökologie verbindet stoffliche mit politischen, biochemische mit geistigen Elementen. Ökologische Schriften formulieren von Beginn an auch Kulturkritik im Lichte des beispiellosen Menschheitsprojekts der Industrialisierung. Damit ist die Ökologie der natürliche Gegenstand der Kulturwissenschaft. Der ökologische Blick verbindet vielfältige Perspektiven miteinander. Das sprachliche Mittel der Verbindung ist die Metapher. Die Ökologiegeschichte ist reich an Metaphern, die auch Gegenstand dieses Buches sind: Ackergift und Mutter Erde, Waldsterben und chemischer Tod, Giftwellen und Krieg gegen die Natur, der Mensch als Krebsgeschwür, der Stumme Frühling, die ökologische Zeitenwende, die Erde Gaia, der Stoffwechsel von Mensch und Umwelt, das Naturgleichgewicht, Klimagift. In den Zwischenräumen der gegenwärtigen ökologischen Diskurse, die etwa anhand der Schlagworte Postwachstum, Kapitalismus, Globalisierung, Transhumanismus, Anthropozän oder 'global warming' geführt werden, vor allem aber im Diskurs über die industrialisierte Landwirtschaft und den chemisierten Ackerbau, hat sich die Metaphorik der Vergiftung am Leben erhalten. Die folgenden Seiten führen viele Beispiele auf. Die Giftmetaphorik ist besonders geschichts- und facettenreich. Ihre Verwendung unterliegt kulturellem Wandel. Diesen aufzuzeigen, zu erhellen und zu begründen, ist die Absicht dieser Arbeit. In den vier vorangestellten Textpassagen, die die semantische und zeitspezifische Vielfalt der Giftsemantik andeuten, wird in jedem Fall eine ganz andere Sache beschrieben: Im Märchen vergiftet die eitle und gekränkte Stiefmutter das Schneewittchen, ein unschuldiges Kind, weil es schöner ist als sie selbst; das Märchen handelt von Eifersucht und ungerechter Verfolgung eines gutherzigen, naiven und vor allem schönen Wesens. Gemäß der völkischen, antisemitischen Prosa vergiftet eine Religionsgemeinschaft, die jüdische, die als ein 'Volk' beschrieben wird und der nur die bösesten Absichten unterstellt werden, das eigene, als rein und edel begriffene 'Volk'. Der märchenhaft konstruierte Vergiftungsvorwurf ('planmäßig wurde das Deutsche Volk [...] vergiftet' ) fungiert wenige Jahre später bekanntlich als Legitimation dafür, selbst hemmungslos mit Gift(gas) zu morden und gewissermaßen zurück zu vergiften. Im Autorenjournalismus der 1960er Jahre ist es das giftschuldige Volk selbst, das nun nicht mehr als rein gedacht werden kann. Vielmehr sind es die industrialisierten Nationen überhaupt, die zum Vergifter werden. Sie vergiften nun wortwörtlich alles - die Natur, die Umwelt, mithin sich selbst: 'Ganz legal [...] sind wir eifrig dabei, unsere Umwelt und uns selbst zu vergiften.' Dies allerdings tun sie - ein entscheidender Unterschied zu den Giftnarrationen des Märchens und der antisemitischen Propaganda - nun, in mancher Hinsicht, wirklich. Die folgenden Kapitel blicken zurück auf die Geschichte und Gegenwart ökotoxikologischer Katastrophen, aber auch auf im Rückblick überdramatisierte Schilderungen. In dem Hiphop-Lied der 2000er Jahre ist das All-Vergiftungswerk gewissermaßen vollendet: 'Alles ist vergiftet'. Diese Klage allerdings wird nun leidenschaftslos vorgetragen, lakonisch referiert, aber es ermangelt spezifischer Gedanken bezüglich der Frage, welcher Art das Gift genau ist und wer es gestreut, gespritzt, verteilt haben mag, wem es schadet; es ist einfach so, und man bewegt sich in dieser toxischen Welt mit einer gewissen Lethargie. Der Song geht so, als gebe es keine Schuldigen und keinen Ausweg aus der Konsumsucht, für die verschiedene Symbole stehen: RTL2, Buffalos, Tofu - zum oberflächlichen Konsumismus, dem der kulturwissenschaftliche Diskurs über die Popularkultur identitätsstiftende Funktionen in Gestalt einer 'Fiktionalisierung des Selbstverhältnisses' oder der 'Ästhetische[n] Präsentifizierung' attestiert. Diese Zusammenstellung der vergifteten Sachen wirkt willkürlich und nach mehr als zehn Jahren bezüglich der Symbole der Massenkultur längst wieder antiquiert (Buffalos, Phil Collins). Vergiftet ist hier, was aus dem Bereich der Popkultur oder Spaßkultur kommt. Die extrem negative Konnotation der Symbole der Konsumkultur jedenfalls, die sich durch die Verbindung mit dem Adjektiv vergiftet ergibt, lässt sich als Hinweis auf eine Lesart dieser Symbole als Ausdruck von hedonistischem oder sinnentleertem Dasein deuten. Paradoxerweise ist aber das Lied selbst dieser Sphäre zuzuordnen: Der Sänger Jan Delay macht Popmusik, verdankt seinen Erfolg Massenmedien, singt für Studenten, welche ganz im Gegenteil durch Popkulturkonsum gewissermaßen 'ästhetische Präsentifizierung' erlangen. Bei Jan Delay mag die Verbindung von 'alles' mit dem Gift eine Metapher für die Tristessen des Lebens und Arbeitens im Kapitalismus sein - und zwar für vermeintliche negative Ausdrucksformen wie Vereinzelung, Isolation bei gleichzeitiger globalisierter ästhetischer Monotonie. 'Alles ist vergiftet' ist, am nicht zufällig ausgewählten Beispiel gezeigt, mustergültig für das ambivalente, wenn nicht schizophrene Verhältnis des (post)modernen Menschen zum Gift: Ich selbst stecke mittendrin im Schlamassel des Vergiftetseins. Es entsteht der Eindruck, man sei gefangen im toxischen Spinnennetz. Mit Bezug auf das Essen nennt der Text von 'Alles ist vergiftet' auch das, wovon alle leben und wozu niemand nein sagen kann: das Essen. Nicht nur semantisch führen Wege von der ökologischen in die Kulturkritik. Von der Konsumkritik zu den Umweltdiskursen führt die sprichwörtliche Feststellung, all diese Billigprodukte seien in Wahrheit teuer erkauft. Durch Umweltverschmutzung, in Form von Ausbeutung von 'Sklaven', die für unser billiges Shirt von Primark, der internationalen Modekette (die in den 2010er Jahren die Billigkleidung symbolisiert wie keine andere, und die etwa Arbeiter zu Niedrigstlöhnen in Bangladesch fertigen lässt) - ganz im Sinne dieser Meldung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) aus dem Jahr 2014: 'Günstig erstanden - teuer erkauft' . Hierin heißt es: 'Unser Billigkonsum hat einen hohen Preis: Arbeiterinnen und Arbeiter in Bangladesch, China und anderen Ländern fertigen Kleidung und Konsumgüter oftmals unter unzumutbaren Bedingungen an.' Hier bietet sich ein Vorgriff auf das spätere Kapitel an, das von der Etymologie des Gift-Wortes handeln wird: Das Wort Gift kommt vom Geschenk - das traditionell auch eine negative Bedeutung im Sinne einer Abhängigkeit hat, die dadurch entsteht. Daraus leitet sich schon die Idee für die folgende Quellenforschung ab, dass es sich bei manchem Vergiftungsdiskurs um einen chiffrierten Abhängigkeits-Diskurs handeln kann. Darauf wies der Chemiker Hubert Markl hin: wir seien 'auf Gedeih und Verderb abhängig' von der Petrochemie. 1.1. Agrarchemie in der Sackgasse Im Herbst des Jahres 2016 beschuldigt eine Reihe von internationalen Nichtregierungsorganisationen den amerikanischen Saatgut- und Gentechnikkonzern Monsanto des 'Ökozids'. Auf dem Platz vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag inszenieren sie einen Prozess, die Anklage lautet auf 'Verbrechen gegen die Menschlichkeit'. Die Aktivisten schreiben den Konzern mit Dollarzeichen statt des mittleren 's' - 'Mon$anto'. Sie erklären die Aktion so: 'Monsanto betreibt und fördert ein Modell der industriellen Landwirtschaft, das weltweit zu Umweltverschmutzung, Zerstörung und Hunger führt.' Renate Künast von der Partei Bündnis 90/Die Grünen, die von 2001 bis 2005 Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz war, fordert auf ihrer Facebook-Seite zu Spenden für die Aktion auf: Monsanto werde 'vor ein von der Zivilgesellschaft organisiertes Gericht gestellt. Damit das klappt, sind wir alle gefragt. Daher heißt es: Spenden, spenden, spenden!' Auf der Internetseite der Kampagne wird der französische Journalist und Aktivist Nicolas Hulot mit den Worten zitiert: 'Die Tatsache, dass die Kleinbauern von den toxischen Produkten, die sie ohne Vorkehrungen verwenden sollen, vergiftet werden. Die Tatsache, dass die Böden verseucht werden. [....] Es ist allerhöchste Zeit, dass das internationale Recht für solche straffreien Entgleisungen, welche bisher nicht einmal als Verbrechen verstanden werden, angepasst wird.' Konstantin Wecker, der deutsche Liedermacher, kommentiert: 'Wir müssen beginnen uns zu wehren gegen die Übermacht von Konzernen und in diesem Fall gegen einen Konzern, der nachweislich mit Umweltgiften unsere Erde zerstört.' Und João Pedro Stedile, die als Koordinatorin einer brasilianischen Landarbeiterbewegung vorgestellt wird, wird mit dem Satz zitiert: 'Das wichtigste ist eine giftfreie Landwirtschaft. Demnach dient dieses Gericht gegen Monsanto nicht nur der Verurteilung ihrer Verbrechen, sondern ist auch ein Kampf für gesundes Essen, ein Kampf für eine andere Landwirtschaft.' Die ökologischen und sozialen Folgewirkungen der agrarchemischen Intensivierung werden als Verbrechen gewertet. Diese Auffassung entspricht nicht geltendem Recht, das Chemikalien und genveränderte Pflanzen dort, wo Monsanto sie den Landwirten verkauft, zulässt. Vehement fordert die Bewegung Strafe und Sühne ein. Der Vorwurf lautet: Vergiftung - von Böden, Kleinbauern, Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Gift und 'Mon$anto' werden nahezu allegorisch verwendet, das eine steht für das andere. Explizit wird vieles verhandelt: Ungerechtigkeit, globaler Hunger, Umweltzerstörung. Steht Monsanto pars pro toto, für das System, oder als Sündenbock einer Bewegung, die einen Schuldigen sucht für die materielle globale Ungleichheit, die drohende Klimakatastrophe? Dafür spricht die Pauschalität der Anklage. Gift ist im Jahr 2016 in der Bundespolitik im umweltpolitischen Diskurs präsent, auch als Etikett für den politischen Gegner. Wie bereits im Vorjahr stritten die Parteien in Deutschland und die Staaten der Europäischen Union über die Frage, ob das in der globalen Landwirtschaft weit verbreitete Pflanzenvernichtungsmittel Glyphosat wieder zugelassen werden solle. Die Vertreter der Parteien Die Grünen und Die Linke waren anfangs als einzige im Deutschen Bundestag dagegen; in einer namentlichen Abstimmung darüber, ob das Totalherbizid nicht weiter zugelassen werden solle, stimmten am 25. Februar 2016 von 566 Abgeordneten 446 mit Nein, 117 mit Ja, darunter zwei Abgeordnete der Unionsparteien und einer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Keine drei Monate später schwenkte die SPD um und verlangte einen Zulassungsstopp. Es gab, schon seit dem Vorjahr, gesundheits- und umweltpolitische Argumente dafür - und dagegen; die öffentliche Auseinandersetzung wurde vor allem entlang der Erkenntnisse über eine Krebsgefahr für die Menschen geführt: Wissenschaftler der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sahen eine wahrscheinliche Krebsgefahr für Mäuse und Menschen. Die Risikoeinschätzungsfachleute derselben WHO hingegen befanden, es gebe kein Krebsrisiko für den Menschen, betrachte man die üblichen Mengen, denen ein Bürger oder ein Landwirt ausgesetzt ist. Nicht nur die Studienlage und divergierende Gefahren- und Risikoeinschätzungen, sondern auch die politische Sprache dieser Debatte mögen über das Urteil der Medien und der Bürger, die dem Kursschwenk der SPD vorausging, entschieden haben. Ein Abgeordneter der Grünen, Harald Ebner, der Wortführer in der Kampagne seiner Partei gegen Glyphosat, nutzt eine ausgeprägt auf den Begriff Gift konzentrierte Rhetorik. Sie äußerte sich etwa in dieser Pressemitteilung vom 3. Februar 2016: 'Die Zahlen sind erschreckend: Glyphosat hat es schon jetzt zum ?meistverwendeten Unkrautkiller der Geschichte? gebracht. [...] Dass es nicht gesund und nicht gut für Umwelt und Biologische Vielfalt sein kann, immer größere und noch größere Giftmengen auf die Äcker zu sprühen, ist ohnehin offensichtlich. | Die Landwirtschaft muss schleunigst raus aus der Giftspirale von Gentechnik und Glyphosat - um Schaden von Mensch und Umwelt abzuwenden [...]' Die Meldung vermittelt einen Eindruck davon, wie sich in der Sprache eines Politikers wissenschaftsbasierter Sachbezug, intuitive und moralische Einschätzung (dass es nicht gesund und gut sein kann) in metaphorischer Sprache verdichten: Unkrautkiller, Giftspirale. Die Metapher des Killers verweist auf Mord und niedere Absicht, die Spirale auf einen Irrweg, auf dem es immer schneller geht; aus dem es kein Zurück oder Entrinnen geben mag. Ebner nutzte den Giftbegriff schließlich auch zur Etikettierung des politischen Gegners. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich weiterhin für das Glyphosat einsetzte , konfrontierte er auf der Kurznachrichtenseite Twitter persönlich mit dem Vergiftungsvorwurf, indem er den Neologismus 'Merkelgift' in die Debatte einbrachte. Er schrieb: '#Glyphosat im Kanzleramt? Frau #Merkel, Sie kennen den Bürgerwillen? Lassen Sie kein #Merkelgift zu!' Die Botschaft ist eindeutig: Wer das Herbizid nicht verbieten will, wird selbst zum Gift, verschmilzt gewissermaßen damit. Sagt Merkel nicht nein, wird das Gift ihre Sache, ein Teil von ihr: Merkel wird giftig, das Gift wird Merkel. Oder aber: Wenn Merkel nicht auf die Linie der Grünen umschwenke, könne das Gift für ihre Popularität sein; die Botschaft lässt sich auch als Drohung verstehen, dass Merkel selbst zum Kampagnenziel werden könne. Klar ist die Schlagrichtung: Wer für das Glyphosat eintritt, macht sich mit dem Gift gemein, und handelt überdies gegen den 'Bürgerwillen', als sei dieser ein homogenes und widerspruchsfreies Ganzes. Derartige politische Polemik kann an die lange Geschichte der Giftmetapher für den politischen oder weltanschaulichen Gegner erinnern. Im Mittelalter wurden Juden wegen vermeintlicher Brunnenvergiftungen beschuldigt, in der Neuzeit bezeichneten sich Reformierte und Jesuiten wechselseitig als Gift, in der Moderne benannten sich derart die Kommunisten und Bürgerlichen, wie ein späteres Kapitel dieser Arbeit ausführt. Andererseits scheint überaus fraglich, ob diese Traditionslinie - selbst mit großer Vorsicht - auf gegenwärtige Ökologiediskurse zu beziehen ist. Denn offenkundig geht es in den agrarsystemischen Fragen wie in den Debatten über einzelne Pflanzenbekämpfungsmittel nicht bloß und nicht zuvorderst um Weltanschauung, politische Ideen oder Glauben. Die Rede vom Ackergift verdeutlicht eine unübersehbare ökosystemische Problemlage, die sich noch dramatisch zuspitzt: Die Zahl der Resistenzen von Unkräutern gegen chemisch synthetisierte Pflanzenschutzmittel nimmt in manchen Regionen der Welt, auch in Deutschland, beispielsweise stetig zu; gegen den Ackerfuchsschwanz etwa hilft dann im Grenzfall kein Herbizid mehr - außer Glyphosat. Nutzpflanzenwissenschaftler und sogar die Chemieindustrie warnen vor diesem Hintergrund davor, dass die chemischen Herbizid- und Insektizidwirkstoffe knapp werden könnten; etwa diejenigen gegen Kartoffelpilze oder Insekten, die den Raps schädigen. Auch die Interessenvertreter konventioneller Landwirtschaft äußern sich selbstkritisch, ob der Weg der agrarchemischen Industrialisierung und Intensivierung der vergangenen Jahrzehnte nicht an ökosystemische Grenzen stoße. So sagte Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, das landwirtschaftliche System deswegen an vielen Orten an seine Grenzen gerate; die Landwirte betrieben einen 'gigantischen Chemieaufwand'. Auch vor diesem Hintergrund erscheinen populäre Sachbücher, die eine Abkehr von der petrochemischen Wirtschaft schlechthin fordern - eine 'Chemiewende'. Der im Zuge der Glyphosat-Debatte wieder aufkommende Gift-Diskurs ist auch einer über die Grenzen des technischen Fortschritts und des wachstumsbasierten Wirtschaftssystems, wie er einerseits nahezu seit Beginn der Industrialisierung immer wieder geführt wird und verstärkt seit dem Jahr 1972, als die 'Grenzen des Wachstums' zum sprichwörtlichen Gründungsnarrativ der Umweltbewegung wurden - dieser vielfältigen, vielseitigen und kontrovers diskutierten Geburt der siebziger Jahre. So sind politische Diskussionen über die Giftigkeit von 'Unkrautbekämpfungsmitteln' einerseits nie isoliert zu sehen, sondern in einem breiten sozialpolitischen, ideengeschichtlichen und kulturgeschichtlichen Kontext. Diese Arbeit soll primär auf sprachliche Aspekte fokussieren: Metaphern, deren Bedeutung und Funktion, deren semantischen Wandel im Wechsel der Zeiten und Ereignisse. Dabei macht es der Begriff 'Gift' es im Speziellen besonders schwer zu urteilen, ob er Metapher, Symbol oder eine toxikologisch begründete Bezeichnung ist. Chemische Herbizide sind begründet als Gifte zu bezeichnen. Dagegen lädt der Gift-Begriff dazu ein, metaphorische Sinnzusammenhänge zu konstruieren und damit explizit oder implizit auch auf tradierte Symboliken des Mordes, der Sabotage oder des Bösen zu rekurrieren. Der Begriff Gift hat auch eine kulturwissenschaftlich und politologisch relevante Dimension: Die Vergiftung ist einerseits ein tradiertes Motiv aus Märchen, Mythos und Erzählung, wie schon die vorangestellte Zitatreihe aufzeigt. Andererseits ist Gift genauso ein Stigmawort für den politischen Gegner. Der semantische Spannungsbogen im Fall Glyphosat/Monsanto reicht von der Bedeutungsebene akuter Toxizität bis hin zu grundsätzlichen Technik- und Fortschrittsdiskursen, wie im Verlauf dieser Arbeit gezeigt werden wird. Zudem weckt dieser Diskurs auch Erinnerung an frühere Lebensmittelskandale. Die jüngere Ernährungsgeschichte ist reich an Skandalen, die für die menschliche Gesundheit teils folgenreich waren, und worüber sich in den Medienarchiven viele Berichte finden: Im Jahr 1981 starben zahlreiche Menschen nach dem Verzehr von spanischem 'Olivenöl', das in Wahrheit Industrieöl war, viele Tausend erkrankten. In Österreich panschten Verarbeiter wenig später, im Jahr 1985, Frostschutzmittel in Wein. Anfang der 2000er Jahre besorgte der große BSE-Skandal die europäischen Verbraucher, und Kontrolleure fanden immer wieder sogenanntes Gammelfleisch im deutschen Döner, so etwa 2007. Es gibt fünf Jahre zuvor Nitrofen in Geflügelprodukten und immer mal wieder Dioxin: Ein Dioxinskandal in Belgien macht 1999 Schlagzeilen, der 'Spiegel' titelt: 'Giftige Fette' . Im Jahr 2011 beschäftigen Dioxinfunde in deutschen Eiern die Medien, Verbraucher und Politik, im Sommer 2017 waren es Rückstände des Insektizids Fipronil in mehreren Millionen Hühnereiern.
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