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E-Book

Die Vermessung der Frau

Von Botox, Hormonen und anderem Irrsinn

AutorRegula Stämpfli
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl191 Seiten
ISBN9783641105242
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Tatort Körper: Warum wir alles für die Schönheit tun - und trotzdem nicht glücklicher werden
Botox, Turbo-Diäten, Schönheitsoperationen oder Schamlippen-Bleaching. Was bringt immer mehr Frauen dazu, sich willig zur Schlachtbank der Körperindustrie führen zu lassen? Scharfzüngig und faktenreich geht Regula Stämpfli der Frage nach, warum sich gerade Frauen seit Jahrhunderten vermessen, wiegen und durchbuchstabieren lassen. Ist der Schönheitswahn unserer heutigen Zeit nur eine medial angefeuerte Marketingstrategie oder schon eine neue Religion?

Mit einem philosophischen Blick auf Kunst, Literatur und Geschichte lotet Stämpfli die Untiefen einer Welt aus, in der nur noch ein optimales Kilo- und Zentimeterverhältnis zählt - und natürlich das richtige Geburtsjahr. In einer plakatierten Welt voller vom Hungertod bedrohter Size-Zero-Models geht die Autorin der Frage nach, wie wir wieder lernen können, unser eigenes Begehren und unsere eigene Schönheit zu finden.


  • Botox, Turbo-Diäten, Body-Mass - oder was macht Frauen wertvoll?
  • Eine freche und faktenreiche Abrechnung mit dem Diktat fragwürdiger Schönheits- und Gesundheitsideale


Regula Stämpfli ist Doktorin der Geschichte, Philosophin/Politologin, Autorin und Dozentin. Die Schweizerin sitzt in mehreren europäischen Gremien, unterrichtet dreisprachig an diversen Bildungsinstitutionen und hat über 15 Jahre in Brüssel gewohnt. Die Mutter dreier Kinder wirbelt den deutschsprachigen Raum als scharfsinnige Analytikerin auf und wurde deshalb von ihren Studenten auch schon als 'Lara Croft der Politologie' betitelt. Sie lebt in München.

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Leseprobe

Ob es sich um das Paarungsverhalten der Galapagos-Finken, die Kussfrequenz schwuler Männer, die durchschnittliche Größe eines Hagelkornes, den Slipeinlagentausch deutscher Frauen, die Wärmeabstrahlung einer Nacktmulle oder um die Mathematik der Liebe zwischen Menschen handelt, der Vermessungswahn nimmt immer absurdere Formen an.

 

»Bei IQ 116 hört die Liebe auf« titelte eine große Schweizer Zeitung schon im Juli 2005: »Kluge Frauen haben’s schwer. Männer heiraten auch heute lieber die Sekretärin als die Chefin.« Abgesehen davon, dass Sekretärinnen ja durchaus kluge Frauen sein können, wurde aus dem Artikel selbstredend nicht klar, wen denn eigentlich die klugen Frauen heiraten möchten. Vermutlich die dummen Männer – faute de mieux. Dass der ganze Artikel Schrott war, ist das eine. Dass die dem Artikel zugrunde liegenden Studien auch Schrott sind, das andere. Denn solch wissenschaftliches Konstruieren einer Liebe in Zeiten der Grausamkeit ist tatsächlich ernst gemeint. Spiegel Online meint: »Eine Krankheit namens Mann« – jöh, das schwache Geschlecht braucht ein Schmerzmittel! Vielleicht reicht auch ein Spritzer Oxytocin. Das ist der Liebeswundersaft der Gegenwart – ein Hormon! An Präriewühlmäusen entwickelt, stimmt bei diesen monogamen Säugetieren die Chemie. Und was Mäuschen lernt, kann Franz wohl auch. Verschreiben wir doch bindungs- und liebesgestörten Menschen am liebsten eine Nase voll Oxytocin.

Die Nase als Liebes- und Treuenirvana!

Statt zur Flasche also lieber sofort zum Spray greifen, falls die Ehefrau kuscheln will. Und Steinbecks »Von Mäusen und Menschen« ist dank Präriewühlmäusen ein Liebesroman. Dafür wird »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins« von Milan Kundera in der Abteilung »Gesundheit und Diät« entsorgt.

Wen kluge Frauen nun heiraten sollen, ist damit aber immer noch nicht klar. Meinen Liebsten geb ich sicher nicht mehr her. Was will ich damit sagen? Seit einigen Jahren schon versuchen uns Populärwissenschaftler eine Welt zu verkaufen, in der wir uns oft nicht mehr wirklich zurechtfinden, geschweige denn wiederfinden. Die Werte, an denen wir uns bis vor kurzem orientierten, scheinen sich in Windeseile zu verflüchtigen.

 

So verkündet Bestsellerautorin Nancy Etcoff frohgemut, dass es ganz normal sei, wenn jüdische Menschen ihre Nase operieren wollen und sie dies eigentlich auch tun sollten. Mit »Nur die Schönsten überleben« rechtfertigt die Harvard-Psychologin ihre populäre Schönheitsreligion. Ihr Ex-Mann Steven Pinker haut in dieselbe Kerbe, nur geht es bei ihm nicht um Schönheit, sondern um Kriege. In seinem Bestseller rechnet der in den deutschen Medien hochangesehene Psychologe aus, dass die Welt und die Menschen in den letzten Jahrzehnten immer friedlicher geworden seien. Der Hirnforscher Gerhard Roth kümmert sich weder um Schönheit noch um Kriege, benutzt aber dieselben Methoden wie Etcoff und Pinker, um zum absurden Schluss zu gelangen, dass Verbrecher nie ihre eigenen Taten verantworten sollten. Denn aufgrund seiner Berechnungen gibt es so etwas wie den freien Willen des Menschen nicht. Deshalb plädiert Roth für die Abschaffung des Strafrechts und die Einweisung von Gesetzesübertretern in Umerziehungsanstalten.

 

Wie begründen Etcoff, Pinker und Roth ihre Theorien? Richtig! Mit Statistiken, mit mathematischen Modellen, mit Durchschnitten und Korrelationen. Sie vermessen die Wirklichkeit anhand ihrer Theorien! Sie tun das übrigens so geschickt, dass sich die Wirklichkeit mit der Zeit dann auch ihren Theorien anpasst, statt umgekehrt. Sie sollten sich das so vorstellen: Ein Mann wedelt alle drei Minuten mit seinen Armen. Auf die Frage, weshalb er dies tut, kommt: »Ich verscheuche die Elefanten«. Auf die Entgegnung: »Da sind doch keine Elefanten!« meint der Mann:«Eben. Das Wedeln hilft.«

 

Je absurder sich Hirnforscher, Evolutionsbiologen, Attraktivitätsforscher, Gesundheitsmanager und vor allem auch Finanzanalysten gebärden, umso weniger wagt es irgendjemand, ihnen zu widersprechen. Denn sie tun alle so, als hätten sie die Wahrheit nicht nur mit Löffeln gefressen, sondern sie tatsächlich und objektiv auch vermessen.

Und wir gläubige Konsumentinnen der neuen Vermessungsreligion hängen an ihren Lippen wie einst die langhaarigen Hippies an denen ihrer Gurus in Goa.

 

Die Süddeutsche Zeitung berichtete über »Die Wissenschaft vom Küssen« und stellte fest: Männer tun es anders als Frauen und meistens nur, weil dahinter eine klare Absicht steckt, nämlich: Sex. Bisher meinte ich immer, jeder Kuss schmeckt anders – dies auch ohne Absicht.

 

In der US-Studie wird Küssen aber nicht als intimer Austausch zweier sich liebender Menschen erfasst, sondern nur noch in Relation eines möglichen Geschlechtsverkehrs interpretiert. Das wäre ja alles nicht so schlimm, nur: Weshalb belästigt uns mit solchem Pseudointellektuellenmüll auch die Süddeutsche? Dass Amerikaner prüde sind, aber gerne den gröbsten Porno produzieren und konsumieren, ist hinlänglich bekannt. Dass sie keine »bisous« wie die Franzosen geben, auch. Alles Gründe genug, US-amerikanischen Gesellschaftsstudien von Evolutionsbiologen nicht zu trauen und trotzdem tun wir genau das, mehr noch, wir finanzieren mit unseren Steuergeldern solchen Ballast noch zusätzlich!

 

Die Wortwahl in der Studienfragestellung sagte schon alles über das Resultat der Studie aus: »Wie lässt sich aus dem Küssen erotisch motivierte Lust ableiten?« Manchmal küssen Menschen auch, weil sie nicht einfach geradewegs Sex wollen, sondern Lust zum Küssen haben.

 

Küssen ist Ausdruck menschlicher Kommunikation – in all ihren Formen. Doch in der Wissenschaftssprache erscheint Küssen ohne Sex als ziemlich abstruse Verhaltensweise. Fast ist es so, als wollten die Naturwissenschaften uns das Küssen abgewöhnen.

 

Weshalb können viele Populärwissenschaftler nicht mit einem Menschenbild leben, das sich nicht auszählen, messen und kategorisieren lässt? Welche Motivation steckt dahinter? Könnte es sein, dass das Küssen (und damit menschliche Kommunikation) statistisch erfasst und auf reine Fortpflanzung reduziert werden soll? Cui bono? Ah, vielleicht weil Küssen von der Arbeit ablenkt. Oder beim Pornogucken, wer weiß. Küssen ersetzt auch jene Medikamente, die Endorphine stimulieren – also schlecht fürs Pharmageschäft.

 

So oder so: Solche Studien sind reine Ideologie. Sie sind Teil eines neuen Katechismus, der alle Menschen in ihrer »Ich-AG« in ein Gefängnis von Glücksuche, Konsum und Vollrausch einsperren soll. Studien, die im Körper jeden Lebenssinn verorten, haben die Wirkung, menschliche Regungen wie Mitgefühl, Humor, Leidenschaft und Leidensfähigkeit wegzurationalisieren.

 

Das Erstaunliche daran ist, dass selbst Qualitätsblätter jeden biologistischen Verortungszwang kritiklos abdrucken. Wertvolle Zeilen werden für eine neue Scheinreligion »Erkenne Deinen Körper« ausgegeben. Ich empfinde das als ungehörig. Es geht nicht an, dass diese reine Ideologie des Körpers, der Menschlichkeit, uns richtiggehend kannibalisieren soll und auch von klugen Leuten völlig unkritisch weiterverbreitet wird. Schließlich druckt die SZ ja auch keine Rede des nordkoreanischen Führers ab! Wer beispielsweise küsst, weil er sich davon Sex verspricht, wird erotische Erfüllung kaum erleben. Wer Sex ohne Küssen treibt, übrigens auch nicht.

 

Glücklicherweise sind seit der Finanzkrise diese Studien nicht mehr so flächendeckend akzeptiert wie in den zehn Jahren zuvor  – mit Ausnahme der meisten Universitäten. Denn normale, lebendige Menschen stören sich immer mehr am starren, messbaren Menschenbild, das vor allem durch Chemie, griffige Coachingstrategien und die Verfeinerung des Ichs regelrecht konstruiert werden soll. Wir brauchen keine menschlichen Bilanzen! Weshalb Zahlen suchen, wo sie nicht vorhanden sein sollen? Liebe, Gefühle, Träume lassen sich nicht berechnen.

 

Menschliches Verhalten in Häufigkeiten zu fassen, bedeutet im Kern, den Menschen aus der Kategorie Mensch heraus zu definieren. Denn was ist der Mensch? Unter vielen anderen Eigenschaften sind dabei Sprache und die damit verbundene Fähigkeit zur Imagination entscheidend. Menschen können immer mehr als die Summe ihrer Körperteile. Nun, die meisten jedenfalls. Doch derartige Studien wollen das Gegenteil beweisen. Sie stellen die Singularität der Menschen in Abrede. Wer Menschen statistisch vermisst, schafft sie im Endeffekt ab. Berechenbar sind nur Uniformen. Dass deshalb Küssen irritiert, ist nicht erstaunlich. Denn es gibt so viele Kussformen wie Menschen. Wenn immer mehr die Hormone, Gene, das Blut als »besonderer Saft« zu sprechen beginnen, verstummen die Menschen. Mögliche Gegenstrategien? Weiterküssen, sinnlich, voller Lebenslust, viel und vor allem: ohne nachzudenken, warum und wohin.

 

Apropos Küssen: Kürzlich sah ich in Karlsruhe ein schönes Paar Anfang 40. Sie verabschiedeten sich hingebungsvoll. Sie hörten nicht auf, sich zu küssen, sich zu umarmen und sich anzulächeln. Sie verzauberten mit ihrer Sinnlichkeit den ganzen Bahnsteig.

 

Dann traf es mich wie ein Blitz. Wie lange ist es her, dass Sie Menschen gesehen haben, die sich in aller Öffentlichkeit küssten, sich zart über die Gesichter strichen, sich...

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