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E-Book

Die Wehrmacht

Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden

AutorWolfram Wette
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783104032603
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
***Die unheilvolle Tradition der Wehrmacht und der Vernichtungskrieg im Osten*** Die Wehrmacht führte von 1941 bis 1944 in Osteuropa einen grausamen Vernichtungskrieg. Doch warum haben sich Generäle, Offiziere und Soldaten so bereitwillig am Holocaust beteiligt und zumeist ohne großes Zögern Kriegsverbrechen begangen? Der renommierte Militärhistoriker Wolfram Wette stellt als Erster dar, wie sehr langjährige Traditionen und ideologische Anschauungen die Wehrmacht geprägt hatten. Er zeigt, wie obrigkeitsstaatliches Denken sowie antisemitische und antirussische Feindbilder in den Köpfen der Offiziere und Soldaten wirkten. Ohne die Verherrlichung von Krieg und Gewalt, ohne die traditionsreiche Missachtung des Kriegsvölkerrechts hätte der Krieg im Osten so nicht geführt werden können. Selbst nach 1945 waren diese Denkweisen nicht gebrochen, sodass die Legende von der sauberen Wehrmacht über Jahrzehnte nicht in Frage gestellt wurde.

Wolfram Wette, geboren 1940, Dr. phil., Historiker und freier Autor, 1971-1995 am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) in Freiburg i.Br.; Mitbegründer der Historischen Friedensforschung; seit 1998 apl. Professor an der Universität Freiburg; Ehrenprofessur an der russischen Universität Lipezk. In der 'Schwarzen Reihe': Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941 (als Mithrsg. zus. mit G. R. Ueberschär, Bd. 4437); Stalingrad (als Mithrsg. zus. mit G.- R. Ueberschär, Bd. 11097); Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht (als Hrsg., Bd. 15221); Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS (als Hrsg., Bd. 15852); Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden (als Autor, Bd. 15645); Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur (als Autor, Bd. 18149).

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Leseprobe

1. Russlandbilder der Deutschen im 20. Jahrhundert


Über die politische Bedeutung von Fremdbildern


Haben Bilder, die sich Menschen über ein anderes Land machen, tatsächlich einen nachhaltigen Einfluss auf die Art des Zusammenlebens der betreffenden Völker? Oder kommt ihnen diese politische Bedeutung in Wirklichkeit gar nicht zu? Ganz allgemein lässt sich dazu Folgendes sagen: Die Vorstellungen, die sich Menschen von anderen Nationen machen, haben unter bestimmten Umständen sogar ein größeres politisches Gewicht als die Wirklichkeit selbst. Die realen Verhältnisse eines anderen Landes und seiner Menschen sind häufig gar nicht bekannt. So fällt dem Fremdbild die Rolle zu, die – durch eigene Anschauung nicht erfahrene – Wirklichkeit zu ersetzen. Dieses Fremdbild orientiert das eigene Denken und leitet gegebenenfalls auch das eigene Handeln an. Selbst wenn die Bilder einem Phantom gleichen, also nur einen ganz geringen Realitätsbezug haben, stellen sie einen gewichtigen politischen Faktor dar. Die Macht der Bilder liegt darin, dass sie geglaubt werden, nicht darin, wie viel Realität sie widerspiegeln. Die in der konfliktreichen Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen in diesem Jahrhundert nachweisbaren Russlandbilder sind ein anschaulicher Beleg für diesen Sachverhalt.

Damit ist naturgemäß noch nichts über die Frage ausgesagt, wie ein bestimmtes Russlandbild in die Köpfe der Menschen gekommen ist. Sie lässt sich auch gar nicht monokausal beantworten, da bei der Prägung der Vorstellungen über ein anderes Land die verschiedensten Einflüsse wirksam werden, die nur selten der Anonymität entrissen werden können. In der Entstehungsgeschichte der deutschen Russlandbilder dieses Jahrhunderts gab es allerdings Triebkräfte, die sich durchaus benennen und beschreiben lassen. Gemeint sind die politischen Eliten in Deutschland, die für jene aggressiven Zuspitzungen des Russlandbildes verantwortlich zeichneten, die dann vor und während der Kriege propagiert wurden. Dass dies im Kontext ganz bestimmter politischer und wirtschaftlicher Interessen geschah, ist eine Binsenweisheit. Die Funktion solcher Russlandbilder bestand darin, die Menschen des eigenen Landes von der Richtigkeit und Notwendigkeit der jeweiligen politischen Konzepte zu überzeugen, und zwar besonders dann, wenn ihre Durchsetzung nur mittels kriegerischer Gewalt möglich war.

In diesen historischen Situationen nahmen die Fremdbilder den Charakter von Feindbildern an, und das bedeutete in der Sache, dass es noch weniger als bislang schon auf den Realitätsgehalt ankam. Feindbilder verzerren die Wirklichkeit. Sie dienen weniger der Information über den Anderen als vielmehr der Motivation der eigenen Seite in der Vorbereitung und Begleitung eines kriegerischen Konfliktes. Das Mittel zum Transport der Feindbilder ist die Propaganda.

West-östliche Spiegelungen


Die Russlandbilder der Deutschen – und parallel dazu die Deutschlandbilder der Russen – sind der Gegenstand eines Forschungsprojekts, das in der Bundesrepublik mit dem Namen des 1997 verstorbenen russischen Schriftstellers und Germanisten Lew Kopelew verbunden ist. Das von ihm in den 80er Jahren initiierte »Wuppertaler Projekt zur Erforschung der Geschichte deutsch-russischer Fremdenbilder« verfolgt das Ziel, unter Bündelung des interdisziplinär vorhandenen wissenschaftlichen Sachverstandes den Fremdbildern von den Anfängen bis zum 20. Jahrhundert nachzuspüren. Die Ergebnisse werden seit 1985 in dem Reihenwerk »West-östliche Spiegelungen«[1] veröffentlicht. Die an diesem Forschungsprojekt beteiligten Wissenschaftler wollen nicht nur herausfinden, »was im Laufe der Jahrhunderte Deutsche und Russen voneinander wussten«, sondern auch, »wie deutsche Dichter und Wissenschaftler, Diplomaten, Handels- und Forschungsreisende sowie Publizisten über Russland und Russen und wie ihre russischen Zeitgenossen über Deutschland und Deutsche dachten und schrieben und welches Bild des fremden Anderen aus ihren Schriften entstand«.[2] Das heißt, sie wollen neben den Bildern selbst auch ihre Entstehungsbedingungen, ihre Produzenten und ihre Vermittler erforschen.

Im Hinblick auf das 20. Jahrhundert wäre ein zusätzlicher Aspekt zu bedenken: In dieser Phase waren es weniger die Schriftsteller, Wissenschaftler, Händler und Diplomaten, die das deutsche Russlandbild zeichneten. Vielmehr traten jetzt die politischen Eliten und ihre administrativen Helfer auf den Plan. Sie gingen geradezu systematisch daran, die deutsche Öffentlichkeit mit ausgesprochen politisierten Vorstellungen von Russland zu beeinflussen. In dieser Politisierung haben wir ein Charakteristikum der deutschen Russlandbilder des 20. Jahrhunderts vor uns. In der Form eines negativ eingefärbten Sowjetunion-Bildes hat es über einen längeren Zeitraum hinweg jene Russlandbilder überlagert, wenn nicht gar verdrängt, in denen sich die Russen als Volk und in denen sich die russische Kultur spiegelten. Dieses politisierte Sowjetunionbild war allerdings kein spezifisch deutsches. In ähnlicher Weise wurde es von den politischen Eliten aller westlichen Länder gezeichnet, sofern sie antikommunistisch eingestellt waren.[3]

Wesentliche neue Erkenntnisse hat die historische Detailforschung über das Russlandbild im Dritten Reich[4] erbracht. Für eine Gesamtschau ist jedoch ein breiterer Ansatz erforderlich. Daher soll im Folgenden den allgemeineren Fragen nachgegangen werden, welche Russlandbilder es in Deutschland in diesem Jahrhundert überhaupt gegeben hat, welche dieser Bilder die wirkungsmächtige Hauptlinie verkörperten und welche Nebenlinien blieben, die nicht Geschichte machten. Hinzu kommt die Frage, ob es bestimmte Kristallisationspunkte gab, in denen vorhandene Tendenzen gebündelt und auf die Spitze getrieben wurden. Hernach soll versucht werden, das Spektrum der deutschen Russlandbilder im 20. Jahrhundert systematisch zu erfassen und einige idealtypische Ausprägungen zu unterscheiden, nämlich das kulturelle, das sozialdemokratische, das kommunistische, das nationalistisch-imperialistische und das rassistische Russlandbild.

Das bürgerlich-kulturelle Russlandbild


Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Deutschland noch kein klar konturiertes Bild vom zaristischen Russland. Es galt als »fernes Land«, als rätselhaft, geheimnisvoll, »asiatisch«[5], und es gab das diffuse Gerede von der »russischen Seele«.[6] Im Konversations-Lexikon von 1866 wird über die Russen ausgesagt: »Das niedere Volk zeigt als vorherrschende Charakterzüge Frohsinn, Sorglosigkeit, Genügsamkeit, Gutmüthigkeit, aber auch Gefräßigkeit und Unmäßigkeit, sowie unter Umständen auch Grausamkeit, Arglist und Tücke. Vorherrschend ist die Neigung zum Diebstahl […].«[7] Und einem Lexikon von 1907 konnten die Zeitgenossen entnehmen, die Großrussen seien offenherzig und gastfrei, »aber auch träge, unordentlich, dem Trunk ergeben«. Weiter heißt es: »Zu den Schattenseiten des russischen Charakters gehören noch Streben nach materiellen Genüssen, Neigung zu Betrug und Diebstahl, Bestechlichkeit […].«[8] Wie ersichtlich, atmet diese Charakterisierung kaum verhüllt den Geist zivilisatorischer Überheblichkeit.

Das politische Verhältnis von Preußen-Deutschland und Russland war im 19. Jahrhundert – trotz etlicher Spannungen, die sich aus dem deutschen Nationalismus beziehungsweise dem russischen Panslawismus ergaben – eher kooperativ denn feindselig[9]. Zumal die Bismarcksche Außenpolitik (bis 1890), die auf ein Zusammengehen von Preußen-Deutschland und Russland zu Lasten Polens ausgerichtet war, begünstigte in der Tendenz die positiven Wahrnehmungsmuster. Unter diesen politischen Rahmenbedingungen konnte sich im deutschen Bildungsbürgertum ein Russlandbild herausbilden, das in erster Linie auf die Kulturleistungen abhob. Diese Sehweise war einerseits – im Gegensatz zu den geschichtsmächtigen Russlandbildern, die sich dann im 20. Jahrhundert durchsetzen sollten – geprägt von Interesse und Verständnis, andererseits war es mit dem bereits genannten zivilisatorischen Überlegenheitsgefühl verknüpft. Allerdings interessierten sich die deutschen Anhänger russischer Kultur nicht sonderlich für die politischen Herrschaftsverhältnisse in diesem Lande, auch nicht für das Elend der einfachen Menschen. Stattdessen stellten sie die russische Literatur, Philosophie und Kunst sowie die traditionsreichen Kulturbeziehungen zwischen den beiden Ländern in den Vordergrund.[10] Für diese Tradition stand ein großer Name: Gottfried Wilhelm Leibniz (16461716). Der Philosoph hatte schon im 17. Jahrhundert die Gründung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg angeregt und mit dem reformwilligen Zaren Peter dem Großen tatkräftig zusammengearbeitet.[11]

In die Reihe der großen russischen Namen, die in Deutschland Geltung hatten und noch haben, gehören unter anderem Alexander S. Puschkin, Nikolai W. Gogol, Iwan S. Turgenjew, Fjodor M. Dostojewski, Leo N. Tolstoi, Anton P. Tschechow, Maxim Gorki, Boris Pasternak und Alexander Solschenyzin. Man muss sich – mit...

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