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E-Book

Die Weisheit des Misthaufens

Expeditionen in die biodynamische Landwirtschaft

AutorChristian Göldenboog
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl201 Seiten
ISBN9783406720451
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR

'Bio' und 'öko' sind in. Doch 'bio' ist nicht gleich 'bio'. Am weitreichendsten wird das Prinzip einer naturnahen Landwirtschaft mit Respekt vor den Tieren, den Pflanzen und dem Boden von den 'Biodynamikern' umgesetzt. Christian Göldenboog führt uns zu den Orten in Europa, an denen die biologisch-dynamische Landwirtschaft konsequent und mit Passion praktiziert wird. Seine süffig geschriebenen Reportagen schildern, wie die Menschen denken und handeln, die die Welt retten und unser Essen zugleich besser und schmackhafter machen wollen.In diesem Buch lernen wir sie kennen: die Landwirte des Dottenfelderhofes in der Nähe von Frankfurt, auf dem bereits 1954 der Demeter-Bund gegründet wurde, aber auch Önologen wie Jean-Baptiste Lécaillon, der das weltberühmte Champagnerhaus Louis Roederer konsequent auf Biodynamie umstellt. Gerade im Weinbau, in der aufwendigsten und teuersten Form der Landwirtschaft, in der alles auf das Geschmackserlebnis ankommt, hat die ursprünglich von Rudolf Steiner auf Goethe-Gedanken begründete Form der Landwirtschaft Einzug gehalten. Zugleich ist das Organismusprinzip, der Grundpfeiler der Biodynamie, inzwischen auch in der Wissenschaftangekommen. Anfangs selbst skeptisch, lässt sich Christian Göldenboog zusehends davon überzeugen: Die Biodynamiker haben eine Alternative zur herkömmlichen EU-Landwirtschaft, deren Vorzüge man sehen, schmecken und riechen kann.



Christian Göldenboog ist Journalist, Autor und einer der führenden Champagner-Kenner in Europa. Zuletzt erschien: Die Champagner Macher (2013).

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Leseprobe

EXPEDITION 2

Warum haben Kühe Hörner?
Das Rätsel Rudolf Steiner


«Ein aus den Werken Wilhelm Buschs entlaufener Jesuit»


Es ist eigenartig: Ausgerechnet ein Mann, der in keiner einzigen Geschichte der Philosophie an prominenter Stelle erwähnt wird, hat etwas verwirklicht, wovon so viele Denker seit Pythagoras und Plato nur träumen durften: Schon zu Lebzeiten war es Rudolf Steiner gelungen, eine, wie es Friedrich Nietzsche vorschwebte, Vereinigung «gleichgestimmter Seelen» zu gründen, also eine eigene Schule. Sicherlich, Steiners Anthroposophische Gesellschaft war oder ist weder Platons Akademie noch Aristoteles’ Peripatos; schon gar nicht hat sie sich den fröhlichen Garten Epikurs als Vorbild genommen. Dagegen böten sich Vergleiche mit jenem griechischen Geheimbund an, deren Mitglieder auf Gehorsam, Verschwiegenheit und seltsame Bräuche getrimmt wurden. Pythagoräern war es strikt verboten, Bohnen zu essen, auf Landstraßen herumzuspazieren, weiße Hähne anzurühren oder in einen Bronzespiegel zu blicken, wenn daneben eine Kerze brannte. Pythagoras war ganz nach Steiners Geschmack: Dieser Meister der Zahlen habe «als Quellen die Mysterienweisheit und hat diese in Begriffe umgewandelt; er ist Hellseher, nur hat er das, was er als Seher erfahren, in philosophische Form gebracht».

Und so sehen viele in den Anthroposophen eine okkulte, esoterische Bruderschaft, die die Mistel als Wunderwaffe gegen den Krebs propagiert und ansonsten verzweifelt Erkenntnisse irgendwelcher höherer Welten erlangen möchte. Als «Christus des kleinen Mannes» charakterisierte Kurt Tucholsky Steiner, als dieser 1924 in Paris einen Vortrag über das Seelisch-Geistige hielt. Der Mann sehe aus wie ein aus den Werken Wilhelm Buschs entlaufener Jesuit: «Bauernschädel, gefalteter Komödiantenmund, Augen, die sich beim Sprechen nervös schließen und nur manchmal – in ff. Dämonie – die Zuschauer ansehen.» Den Inhalt des Vortrags beschrieb Tucholsky kurz und bündig: «Je größer der Begriff, desto kleiner bekanntlich sein Inhalt – und er hantierte mit Riesenbegriffen.»

Ähnlich erging es Albert Einstein: Dieser besuchte um 1910 einen Vortrag Steiners in Prag und verließ lachend den Saal. Später schrieb Einstein: «Der mystische Zug unserer Zeit, welcher sich besonders in dem Wuchern von Theosophie und Spiritismus zeigt, ist für mich nur ein Symptom von Schwäche und Zerfahrenheit.»

Was für die einen mit öder Metaphysik garnierter Unsinn ist, gilt bei anderen als tiefsinnig und bedeutsam. Und so sind Steiners Gedanken in viele Sprachen übersetzt worden, die Titel seiner Bücher lesen sich wie ein Konglomerat aus philosophischen Lehrstücken und mystischem Spuk. Steiner rätselt über die Philosophie, die Menschen und die Seelen, er analysiert Wahrheit und Wissenschaft, er beschreibt Nietzsche als Kämpfer gegen seine Zeit sowie Das Christentum als mystische Tatsache. Auf insgesamt 365 Bände kommt Steiners Werk aber nur, weil praktisch jeder seiner Vorträge mitstenographiert wurde. Und Reden war Steiners Spezialität, ein Schnellzug ohne Rückfahrschein. Steiner redete und redete und soll es so auf 5965 Vorträge gebracht haben. Während seiner Reden schauten ihn seine Zuhörer oft an, als sei er ein unbesetztes Taxi. Er redete vor Arbeitern, Politikern, Wissenschaftlern und Philosophen, mal öffentlich, mal nichtöffentlich. Er thematisierte Architektur, Politik, Naturwissenschaften, Medizin, Landwirtschaft, Pädagogik, Reinkarnation und Karma. Steiner redete über einen Zeitbegriff, bei dem die Zeit rückwärts vorgestellt werden muss, zu guter Letzt vor allem aber über die Anthroposophie als die Wissenschaft vom Geiste: «Anthroposophie», behauptet Steiner, «ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen möchte.»

«Rudolf Steiner ist ein Rätsel. Kein Zweifel. Und dieses Rätsel lässt sich nur lösen, indem man es aufmerksam studiert», sagt Manfred Klett zu all diesen Merkwürdigkeiten. Dann fügt er hinzu: «Für die Öffentlichkeit existierte das Rätsel Steiner ja nicht, solange er als Philosoph aktiv war. Er hat ja Naturwissenschaften studiert, aber davor schon Kant gelesen. Dieses unglaubliche Wissen, das ist für mich das Erstaunlichste überhaupt. Ein Mann, der die komplette Weltliteratur und Philosophie studiert hat. Später hat er in Weimar die kompletten naturwissenschaftlichen Schriften von Goethe aufgearbeitet. Um zu begreifen, wer Rudolf Steiner ist, müssen Sie diese erst einmal gelesen haben. Steiner versucht, Goethe für den erkennenden Menschen verstehbar zu machen. Goethe ist ja nicht verstanden worden. Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, mit besonderer Rücksicht auf Schiller – dieses Buch Steiners ist für mich persönlich der Einstieg in die Grundlagen seiner Erkenntnistheorie gewesen.»

Geboren wird das Rätsel am 27. Februar 1861 in Kraljevec, einem Dorf in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, später Jugoslawien, heute Kroatien. Sein Vater Johann ist Beamter der österreichischen Südbahn, die Familie, zu ihr gehören neben der Mutter noch zwei Schwestern, zieht mehrmals um, 1868 nach Neudörfl. Dort leitet der Vater die örtliche Bahnstation, während der Sohn mit dem Lieblingsfach geometrisches Zeichnen die Oberrealschule im drei Kilometer entfernten Wiener Neustadt besucht. Mit 17 Jahren wird Rudolf von seinen Mitschülern zum A-priori-Mann gekürt. Er hat innerhalb kürzester Zeit die wichtigsten Schriften Immanuel Kants gelesen und daraufhin diesen Ausdruck zu seinem Lieblingswort erkürt.

Ab 1879 studiert A-priori-Rudolf an der Technischen Hochschule in Wien Naturwissenschaften, er belegt die Fächer Chemie, Biologie, Physik, Mathematik, hört aber auch Literatur, Philosophie und Geschichte. Besonders beeindruckt ihn die idealistische deutsche Naturphilosophie. Dabei handelt es sich um eine Denkströmung, deren Vertreter von Spöttern gerne als Menschen charakterisiert werden, die einmal im Monat morgens mit dem brennenden Wunsch aufgewacht sind, ein neues philosophisches System zu kreieren, und diesen Wunsch auch prompt am Schreibtisch in die Tat umsetzten. Die Dunkelheit des Ausdrucks ist ein Indiz für die Tiefe der Gedanken.

Gleichzeitig bekommt Steiner von seinem Professor Karl Julius Schroer einen intensiven Geschmack für Goethe, dessen Faust und die Farbenlehre verpasst. Auch macht Steiner, wie er sich später erinnert, Bekanntschaft mit jenen eigenartigen Strömungen, «die durch die okkulte Welt gehen, die man nur erkennen kann, wenn man eine aufwärts- und eine abwärtsgehende Doppelströmung ins Auge faßt».

So kunterbunt, wie es einmal begonnen hat, geht es mit dem A-priori-Mann weiter: Während er Goethes naturwissenschaftliche Schriften ediert, lernt er als Privatlehrer sogenannte Problemkinder kennen. Diese Erfahrungen sollen sich entscheidend auf seine späteren sozialen und pädagogischen Ideen auswirken. Im Juni 1886 besucht er erstmals auf Einladung der ein Jahr zuvor von der Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar zum Zweck der Nachlassverwaltung gegründeten Goethe-Gesellschaft Weimar: Dorthin übersiedelt Steiner im Herbst 1890. Müßiggang oder ein Leben als Bohemien kann ihm dort, wie überhaupt in seinem ganzen Leben, nicht unterstellt werden: Sein wortgewaltiges Hauptwerk Die Philosophie der Freiheit erscheint 1894, es öffnet ihm endgültig den Weg in die bekannten literarischen Zirkel.

In Die Philosophie der Freiheit präsentiert sich Steiner als radikaler, antiautoritärer und atheistischer Individualist, geprägt von Max Stirner und Nietzsche. Dessen Gedanke vom Tod Gottes greift Steiner mit den Worten auf: «An Gottes Stelle den freien Menschen!» An Max Stirner, einem journalistischen Freigeist, fasziniert ihn ein Gedanke aus dessen Hauptwerk Der Einzige und sein Eigentum (1844): «Alle Wahrheiten unter mir sind mir lieb; eine Wahrheit über mir, eine Wahrheit, nach der ich mich richten müßte, kenne ich nicht.»

In der Cotta’schen Buchhandlung arbeitet er an der Herausgabe der Werke Arthur Schopenhauers, Jean Pauls, Ludwig Uhlands und Christoph Martin Wielands. Er lernt die verwitwete Anna Eunike kennen, zieht bei ihr zu Hause ein und wird sie später, 1899, in Berlin heiraten.

Besonders angetan von Steiner ist eine gewisse Elisabeth Förster-Nietzsche (1846–1935), jene Frau also, die Jahrzehnte später den Spazierstock ihres Bruders Friedrich an Adolf Hitler (1889–1945) verschenken sollte, um somit die Mär der geistigen Verwandtschaft dieser beiden so unterschiedlichen Männer in die Welt zu setzen. 1894 lädt die sowohl ehrgeizige als...

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