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Die Welt ist verkehrt, nicht wir!

Katharina von Arx und Freddy Drilhon

AutorWilfried Meichtry
VerlagNagel & Kimche
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783312006816
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Eine junge Frau reist ohne Geld um die Welt - 1953 eine Sensation. Als Katharina von Arx von ihrer Reise zurückkehrt, stürzt sie sich in neue Abenteuer: Sie reist als Reporterin in die Südsee, porträtiert Eingeborene, die noch nie eine Weiße gesehen haben, und lernt ihren späteren Mann, den Fotografen Freddy Drilhon kennen - ein Rebell aus gutem Hause, der lange bei einem Stamm früherer Kannibalen lebte. 1958 kehren die beiden in die Schweiz zurück und kaufen zusammen eine Ruine. Katharina macht sich die Pflege der Anlage zur Lebensaufgabe, Freddy hält die Sesshaftigkeit nicht aus und bricht auf. Die Biografie des Paars ist ein erstaunlicher Fund - und die Geschichte einer leidenschaftlichen Liebe.

Wilfried Meichtry, geboren in Leuk-Susten im Wallis, ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Bei Nagel und Kimche erschienen u.a. »Verliebte Feinde. Iris und Peter von Roten« (2012, verfilmt 2013), »Mani Matter. Eine Biographie« (2015) und »Die Welt ist verkehrt, nicht wir. Katharina von Arx und Freddy Drilhon« (2015, verfilmt 2018). Meichtrys Werk ist vielfach mit Preisen ausgezeichnet worden.

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Leseprobe

 

 

I

 

«Katharina ist verschwunden!»

Das Kindermädchen Anna war außer Atem. Ihre Hand ließ die Klinke der Türe zum Büro nicht los. Über eine Stunde hätten sie nach ihr gesucht. Jetzt müsse man die Polizei rufen! Arthur von Arx hob die Augenbraue, lächelte leicht amüsiert ob der Schrillheit in Annas Stimme. Dann erhob er sich, streifte seine Jacke über und ging, ohne ein Wort zu sagen, am erstaunten Kindermädchen vorbei. Auf direktem Weg steuerte er die große Wiese an, die keine zweihundert Meter von der Fabrik entfernt war. Hier standen an die zwanzig Wagen auf der weiten Grasfläche verstreut, dazwischen weidende Pferde, vereinzelt ein Maultier und dann und wann ein Huhn. Erwachsene gingen ihren Beschäftigungen nach, Kinder tollten herum.

Zwei Tage war es her, dass er mit Katharina hier gestanden und die Ankunft der Zigeuner beobachtet hatte. Das Mädchen war fasziniert gewesen, hatte noch nie so etwas gesehen. Häuser auf Rädern, die von Pferden gezogen wurden! Voller Begeisterung hatte es der Mutter von seiner Entdeckung erzählt. Diese war in Panik geraten und hatte das Kindermädchen angewiesen, alle Türen abzuschließen. «Du gehst da nicht mehr hin», hatte sie Katharina mit erhobenem Zeigefinger befohlen. «Zigeuner nehmen Kinder mit!»

Nach kurzer Weile erblickte Arthur seine Tochter. Sie saß auf der Treppe eines lottrigen Zigeunerwagens und spielte mit einem Mädchen, das wohl im selben Alter sein mochte. Vorsichtig näherte er sich den beiden und beobachtete sie. Katharina sprach mit einem Holzscheit in ihrem Arm, das aufgemalte Augen hatte und Lumpenkleider trug. Das strahlende Zigeunermädchen, das in Katharinas Mäntelchen steckte, bettete die Porzellanpuppe Rosalie, die er seiner Tochter eben erst geschenkt hatte, in den Puppenwagen.

 

 

DIE DREIJÄHRIGE KATHARINA, 1931.

 

Käthe von Arx verstand nicht, warum ihr Mann es zugelassen hatte, dass Katharina dem Zigeunermädchen ihren Mantel, Rosalie und den neuen Puppenwagen schenkte. Das Bild der tief in ihr Spiel versunkenen Kinder habe ihn gerührt, versuchte Arthur seine Frau zu beschwichtigen, zudem sei Schenken doch ein edler Zug. Die verschenkten Dinge seien ja alle ersetzbar. Das kleine Abenteuer mit dem Zigeunermädchen sei ein einmaliges Erlebnis für Katharina gewesen, in das er nicht autoritär habe eingreifen wollen. Ihre selbstgehäkelte Puppenwagendecke könne nicht einfach so ersetzt werden, hielt Käthe ihrem Mann unwirsch entgegen. Katharina sei ein kaum zu bändigender Wildfang und brauche deshalb eine strengere Erziehung als ihre Brüder.

Arthur von Arx war vernarrt in seine vierjährige Tochter. Er liebte ihr strahlendes Lachen, ihr wild sprießendes Kraushaar und war öfters den Tränen nahe, wenn er abends aus der Fabrik nach Hause kam und hörte, wie sie die Treppen herunterrannte und ihm entgegenstürmte.

«Habe die Ehre, Comtessa!», rief er dann mit lauter Stimme und nahm Haltung an. Dann verneigte er sich mit einem stilvollen Knicks und sprach seiner kleinen Tochter gezierte Komplimente aus.

«Küss die Hand, Eure Durchlaucht», flötete er galant und blinzelte Katharina verwegen zu. Diese kreischte vor Lachen und sah ihren Vater mit leuchtenden Augen an. Sie liebte dieses Begrüßungsritual, und obwohl sie genau wusste, was als Nächstes kommen würde, konnte sie es kaum erwarten.

«Macht es Mademoiselle peut-être Plaisir», fuhr der Vater mit breitem Schmunzeln fort, «Blödsinn zu treiben?»

«Ja, Blödsinn, Blödsinn!», wiederholte Katharina aufgeregt und rannte mit Vati in wildem Geschrei die Treppe hoch. Kurz darauf lieferten sich die beiden im Spielzimmer einen Wettstreit um die schrecklichste Grimasse und trällerten allerlei erfundene Lieder vor sich hin.

Katharina liebte ihren Vati über alles. Er war der größte Zauberer des Universums! Mit seinen Geschichten entführte er sie in phantastische Wunderwelten, in denen Bäume sprechen und Menschen fliegen konnten. Aus dem Nichts zauberte er zierliche Puppen herbei, herrlich farbige Kinderbücher und sogar eine Katze, die Mietzi hieß und eines Morgens, als sie erwachte, vor ihr auf der Bettdecke lag.

Am Tag nach ihrem Besuch im Zigeunerlager weinte die kleine Katharina, als ihr Vater abends aus der Fabrik nach Hause kam. Sie mache sich Sorgen um Rosalie, vertraute sie ihrem Vater an, und müsse wissen, ob Mama recht habe und ob Zigeuner wirklich böse Menschen seien. Rosalie sei glücklich in ihrer neuen Familie, beruhigte Arthur seine Tochter. Wie Tante Irma reise sie jetzt durch die große weite Welt und erlebe viele Abenteuer.

Die Bewohner des auf halber Strecke zwischen Olten und Aarau liegenden Dorfes Niedergösgen hatten sich längst an die Kindervernarrtheit des Fabrikdirektors gewöhnt. Es war unglaublich, wie er Katharina und ihren zwei älteren Brüdern jeden Wunsch von den Lippen ablas. Wie Lauffeuer verbreiteten sich Gerüchte von ausgefallenem Spielzeug im Dorf. Was es nicht zu kaufen gab, ließ er extra anfertigen: einen Feuerwehrspritzenwagen für die Buben, ein exquisites dreistöckiges Puppenhaus für Katharina. An manchem Sonntagnachmittag machten sich Eltern mit ihren Kindern zur Fabrikantenvilla in der Schmiedenstrasse auf, um das Bugatti-Kinderauto, die nagelneuen Kinderhandorgeln oder den großen Rundlauf im Garten in Augenschein zu nehmen.

Arthur von Arx versuchte seinen Kindern zu ermöglichen, was er selber nicht gehabt hatte: eine unbeschwerte und sorgenfreie Kindheit. Er wollte so viel Zeit wie möglich mit Arthur junior, Rolf und Katharina verbringen. Nirgends konnte er sich besser austoben und seine eigene Kindheit nachholen, als bei den kleinen Abenteuern, die er immer wieder für seine drei Sprösslinge inszenierte. Am allerliebsten hatte er, wenn die Kinder und er heimlich das Haus verließen und ins Fabrikgebäude schlichen. Hier hievte er sie kurz darauf in das kleine Bahnwägelchen, auf das er, nachdem er es angestoßen hatte, auch selber aufsprang. Katharina, Rolf und Arthur junior kreischten vor Freude, wenn das Wägelchen aus dem Schuppen ins Freie kam, mit quietschendem Rollen über die Schienen ratterte und, vom leichten Gefälle beschleunigt, über den weiten Hof auf den unmittelbar an das Wohnhaus angebauten Lagerraum zuschoss. Arthur machte sich einen Spaß daraus, sich zu ducken, so dass das vom plötzlichen Lärm aufgescheuchte Kindermädchen jeweils heftigst zusammenzuckte und die Hände verwarf, weil es meinte, nur die drei Kinder befänden sich darin. Mit flatternder Haube und wild gestikulierend rannte Anna über den Hof, riss das breite Tor des Lagerraums auf und stellte sich in seinem Innern mutig auf die Schienen, um den drohenden Zusammenstoß der Kinder mit dem Rammbock zu verhindern. Erst im letzten Moment zog Arthur die kleine Bremse des Wägelchens, das nur knapp vor Anna zum Stehen kam. Die kribbeligen Kinder strahlten vor Glück, der Vater grinste wie ein Lausbub, und Anna brach in Tränen aus.

 

 

ARTHUR VON ARX, um 1925.

 

Käthe von Arx machte der Übermut ihres Mannes schwer zu schaffen. Seit Jahren schon versuchte sie vergeblich, ihm seine kindsköpfigen Eskapaden auszutreiben. Das schickte sich einfach nicht für einen Direktor. Die Filzfabrik war der größte Arbeitgeber der Gemeinde. Arthur hatte deshalb auch gesellschaftlich ein Vorbild zu sein. Er solle sich endlich auf eine saubere Buchhaltung konzentrieren, hielt Käthe ihrem Mann vor, der auf Kriegsfuß mit den Zahlen stand und mit seinen Jahresabschlüssen stets im Hintertreffen war. Die Kinder seien ihm wichtiger als die Fabrik, wischte Arthur die Ermahnungen seiner Frau vom Tisch. Diese holte dann öfter den Rat ihrer älteren und sehr viel robusteren Schwester Lilly ein, die nach ihrem Einsatz an der österreichisch-ungarischen Ostfront in den Jahren 1917 und 1918 nichts mehr erschüttern konnte. Arthur sei unverbesserlich, diagnostizierte die diplomierte Krankenschwester, er habe das Allotria im Blut, da könne man nichts machen. Für die Kinder aber sei es noch nicht zu spät, war Lilly überzeugt und bot ihrer Schwester an, ihr dabei zu helfen, dass sich die von-Arx-Flausen, wie sie Arthurs kindische Kapriolen nannte, nicht auf Arthur junior, Rolf und Katharina übertrugen.

Der 1898 in begüterten Zürcher Verhältnissen geborene Arthur von Arx hatte als Kind schon seinen Vater verloren und war knapp achtzehn Jahre alt, als seine Mutter an Typhus starb. Zusammen mit seiner jüngeren Schwester Irma lebte er fortan bei einer Tante in Münsingen im Kanton Bern. Hier absolvierte er eine kaufmännische Berufslehre und trat nach deren Abschluss eine Stelle bei der Schweizerischen Treuhandgesellschaft in Basel an, wo er sich eng mit Willy Zähner, dem Spross einer vermögenden Appenzeller Textilfabrikantenfamilie, befreundete. Im Basler Elternhaus seines Freundes lernte Arthur im Jahre 1921 Willys Schwester Käthe kennen. Diese war fasziniert von der quirligen und gewitzten Art des gutaussehenden Herrn von Arx, der mit seiner Fröhlichkeit ihre Schwermut spielend leicht verscheuchen konnte. Seine feinen Gesichtszüge und die neugierig verträumten Augen ließen Käthe an einen zarten und sensiblen Menschen glauben, dem noch immer die Unschuld eines Kindes anhaftete.

Die neunundzwanzigjährige Käthe Zähner, die sich nach einer großen Enttäuschung bereits auf das triste Leben eines ledigen Fräuleins einzustellen begann, konnte ihr Glück kaum fassen, als der sechs Jahre jüngere Arthur um sie zu werben begann. Die Unbeschwertheit des jungen Paars dauerte nur kurz: Nach vier Monaten Bekanntschaft wurde Käthe schwanger. Sie befürchtete einen gesellschaftlichen Skandal. Er hingegen machte ihr einen Heiratsantrag. Am 1. Oktober 1921 gab sich das Paar in...

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