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Die Welträtsel

Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie

AutorErnst Haeckel
VerlagHenricus - Edition Deutsche Klassik
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl421 Seiten
ISBN9783847809968
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Ernst Haeckel: Gemeinverständliche Werke. Herausgegeben von Heinrich Schmidt-Jena, Leipzig und Berlin: Alfred Kröner, Carl Henschel, o. J. Erstdruck: Bonn 1899. Der Text folgt der 11. Auflage, Leipzig 1919.

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Zweites Kapitel

Unser Körperbau

Monistische Studien über menschliche und vergleichende Anatomie.

Übereinstimmung in der gröberen und feineren Organisation des Menschen und der Säugetiere.

 

Alle biologischen Untersuchungen, alle Forschungen über die Gestaltung und Lebenstätigkeit der Organismen haben zunächst den sichtbaren Körper ins Auge zu fassen, an welchem uns die betreffenden morphologischen und physiologischen Erscheinungen entgegentreten. Dieser Grundsatz gilt ebenso für den Menschen wie für alle anderen belebten Naturkörper. Dabei darf sich die Untersuchung nicht mit der Betrachtung der äußeren Gestalt begnügen, sondern sie muß in das Innere derselben eindringen und ihre Zusammensetzung aus den gröberen und feineren Bestandteilen erforschen. Die Wissenschaft, welche diese grundlegende Untersuchung im weitesten Umfange auszuführen hat, ist die Anatomie.

Die erste Anregung zur Erkenntnis des menschlichen Körperbaues ging naturgemäß von der Heilkunde aus. Da diese bei den ältesten Kulturvölkern gewöhnlich von den Priestern ausgeübt wurde, dürfen wir annehmen, daß diese höchsten Vertreter der damaligen Bildung schon im zweiten Jahrtausend vor Christus und früher über ein gewisses Maß von anatomischen Kenntnissen verfügten. Aber genauere Erfahrungen, gewonnen durch die Zergliederung von Säugetieren und von diesen übertragen auf den Menschen, finden wir erst bei den griechischen Naturphilosophen des sechsten und fünften Jahrhunderts v. Chr., bei Empedokles (von Agrigent) und Demokritos (von Abdera); vor allen aber bei. dem berühmtesten Arzte des klassischen Altertums, bei Hippokrates (von Kos). Aus ihren und anderen Schriften schöpfte auch (im vierten Jahrh. v. Chr.) der große Aristoteles, der hochberühmte »Vater der Naturgeschichte«, gleich umfassend als Naturforscher wie als Philosoph. Nach ihm erscheint nur noch ein bedeutender Anatom im Altertum, der griechische Arzt Claudius Galenus (von Pergamus); er entfaltete im zweiten Jahrhundert n. Chr. in Rom unter Kaiser Marcus Aurelius eine reiche Praxis. Alle diese älteren Anatomen erwarben ihre Kenntnisse zum größten Teile nicht durch die Untersuchung des menschlichen Körpers selbst – die damals noch streng verboten war! –, sondern durch diejenige der menschenähnlichsten Säugetiere, besonders der Affen; sie waren also alle eigentlich schon »vergleichende Anatomen«.

Das Emporblühen des Christentums und der damit verknüpften mystischen Weltanschauung bereitete der Anatomie, wie allen anderen Naturwissenschaften, den Niedergang. Die römischen Päpste waren vor allem bestrebt, die Menschheit in Unwissenheit zu erhalten und hielten die Kenntnis des menschlichen Organismus mit Recht für ein gefährliches Mittel der Aufklärung über unser wahres Wesen. Während des langen Zeitraums von dreizehn Jahrhunderten blieben die Schriften des Galenus fast die einzige Quelle für die menschliche Anatomie, ebenso wie diejenigen des Aristoteles für die gesamte Naturgeschichte. Erst als im sechzehnten Jahrhundert n. Chr. durch die Reformation die geistige Weltherrschaft des Papismus gebrochen und durch das neue Weltsystem des Kopernikus (1543) die damit verknüpfte geozentrische Weltanschauung zerstört wurde, begann auch für die Erkenntnis des menschlichen Körpers eine neue Periode des Aufschwungs. Die großen Anatomen Vesalius (aus Brüssel), Eustachius und Fallopius (aus Modena) förderten durch eigene gründliche Untersuchungen die genaue Kenntnis unseres Körperbaues so sehr, daß ihren zahlreichen Nachfolgern bezüglich der gröberen Verhältnisse hauptsächlich nur Einzelheiten festzustellen übrig blieben. Der ebenso kühne als geistreiche und unermüdliche Andreas Vesalius (dessen Familie, wie der Name sagt, aus Wesel stammte) ging bahnbrechend allen voran; er vollendete schon in seinem 28. Lebensjahre das große, einheitlich durchgeführte Werk »De humani corporis fabrica«, 1543?; gab der ganzen menschlichen Anatomie eine neue, selbständige Richtung und sichere Grundlage. Dafür wurde Vesalius später in Madrid – wo er Leibarzt Karls V. und Philipps II. war – von der Inquisition als Zauberer zum Tode verurteilt. Er rettete sich nur dadurch, daß er eine Reise nach Jerusalem antrat; auf der Rückreise erlitt er bei der Insel Zante Schiffbruch und starb hier im Elend, krank und aller Mittel beraubt.

Die Verdienste, welche unser neunzehntes Jahrhundert sich um die Erkenntnis des menschlichen Körperbaues erworben hat, bestehen vor allem in dem Ausbau von zwei neuen, überaus wichtigen Forschungsrichtungen, der »vergleichenden Anatomie« und der »Gewebelehre« oder der »mikroskopischen Anatomie«. Was zunächst die erstere betrifft, so war sie allerdings schon von Anfang an mit der menschlichen Anatomie eng verknüpft gewesen; ja, die letztere wurde sogar so lange durch die erstere ersetzt, als die Sektion menschlicher Leichen für ein todeswürdiges Verbrechen galt – und das war sogar noch im fünfzehnten Jahrhundert der Fall! Aber die zahlreichen Anatomen der folgenden drei Jahrhunderte beschränkten sich größtenteils auf die genaue Untersuchung des menschlichen Organismus. Diejenige hochentwickelte Disziplin, die wir heute vergleichende Anatomie nennen, wurde erst im Jahre 1803 geboren, als der große französische Zoologe George Cuvier (aus Mömpelgard im Elsaß stammend) seine grundlegenden »Leçons sur l'Anatomie comparée« herausgab und darin zum erstenmal bestimmte Gesetze über den Körperbau des Menschen und der Tiere festzustellen suchte. Während seine Vorläufer – unter ihnen auch Goethe 1784 – – hauptsächlich nur das Knochengerüst des Menschen mit demjenigen der übrigen Säugetiere eingehend verglichen hatten, umfaßte Cuviers weiter Blick die Gesamtheit der tierischen Organisation; er unterschied in derselben vier große, voneinander unabhängige Hauptformen oder Typen: Wirbeltiere (Vertebrata), Gliedertiere (Articulata), Weichtiere (Mollusca) und Strahltiere (Radiata). Für die »Frage aller Fragen.« war dieser Fortschritt insofern epochemachend, als damit klar die Zugehörigkeit des Menschen zum Typus der Wirbeltiere – sowie seine Grundverschiedenheit von allen anderen Typen – ausgesprochen war. Allerdings hatte schon der scharfblickende Linné in seinem ersten »Systema naturae« (1735) einen bedeutungsvollen Fortschritt damit getan, daß er dem Menschen definitiv seinen Platz in der Klasse der Säugetiere (Mammalia) anwies; ja, er vereinigte sogar in der Ordnung der Herrentiere (Primates) die drei Gruppen der Halbaffen, Affen und Menschen (Lemur, Simia, Homo). Aber es fehlte diesem kühnen, systematischen Griffe noch jene tiefere empirische Begründung durch die vergleichende Anatomie, die erst Cuvier herbeiführte. Diese fand ihre weitere Ausführung durch die großen vergleichenden Anatomen des neunzehnten Jahrhunderts, durch Friedrich Meckel (in Halle), Johannes Müller (in Berlin), Richard Owen und Thomas Huxley (in England), Carl Gegenbaur (in Jena, später in Heidelberg). Indem dieser letztere in seinen Grundzügen der vergleichenden Anatomie (1870) zum erstenmal die durch Darwin neu begründete Abstammungslehre auf jene Wissenschaft anwendete, erhob er sie zum ersten Range unter den biologischen Disziplinen. Die zahlreichen vergleichend-anatomischen Arbeiten von Gegenbaur sind, ebenso wie sein allgemein verbreitetes »Lehrbuch der Anatomie des Menschen«, gleich ausgezeichnet durch die gründliche empirische Kenntnis eines ungeheueren Tatsachenmaterials wie durch die umfassende Beherrschung desselben und seine philosophische Verwertung im Sinne der Entwicklungslehre. Seine vergleichende Anatomie der Wirbeltiere (1898) legt den unerschütterlichen Grund fest, auf welchem sich unsere Überzeugung von der Wirbeltiernatur des Menschen nach allen Richtungen hin klar und bestimmt beweisen läßt.

In ganz anderer Richtung als die vergleichende entwickelte sich im Laufe unseres Jahrhunderts die mikroskopische Anatomie. Schon im Anfange desselben (1802) unternahm ein französischer Arzt, Bichat, den Versuch, mittelst des Mikroskopes die Organe des menschlichen Körpers in ihre einzelnen feineren Bestandteile zu zerlegen und die Beziehungen dieser verschiedenen Gewebe (Hista oder Tela) festzustellen. Aber dieser erste Versuch führte nicht weit, da ihm das gemeinsame Element für die zahlreichen, verschiedenen Gewebe unbekannt blieb. Dies wurde erst 1838 für die Pflanzen in der Zelle von Matthias Schieiden (in Jena) entdeckt und gleich darauf auch für die Tiere von Theodor Schwann nachgewiesen, dem Schüler und Assistenten von Johannes Müller in Berlin. Zwei andere berühmte Schüler dieses großen und bahnbrechenden Meisters, Albert Kölliker und Rudolf Virchow, führten dann im sechsten Dezennium des neunzehnten Jahrhunderts (in Würzburg) die Zellentheorie und die darauf gegründete Gewebelehre für den gesunden und kranken Organismus des Menschen im einzelnen durch; sie wiesen nach, daß auch im Menschen, wie in allen anderen Tieren, alle Gewebe sich aus den gleichen mikroskopischen Formbestandteilen, den Zellen, zusammensetzen, und daß diese »Elementarorganismen« die wahren, selbsttätigen Staatsbürger sind, die, zu Milliarden vereinigt, unseren Körper, den »Zellenstaat«, aufbauen. Alle diese Zellen entstehen durch oft wiederholte Teilung aus einer einzigen, einfachen Zelle, aus der »Stammzelle« oder »befruchteten Eizelle« (Cytula). Die allgemeine Struktur und Zusammensetzung der Gewebe ist beim Menschen dieselbe wie bei den übrigen Wirbeltieren. Unter diesen zeichnen sich die Säugetiere, die jüngste und höchst entwickelte Klasse, durch gewisse besondere, spät erworbene Eigentümlichkeiten aus. So ist z.B. die mikroskopische Bildung der Haare, der Hautdrüsen,...

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