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Die Wolgadeutschen von der Einwanderung bis zur Aufhebung des Kolonistenkontors

AutorPhilipp Keim
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl172 Seiten
ISBN9783638499200
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Geschichte Europa - and. Länder - Neuzeit, Absolutismus, Industrialisierung, Note: 1,0, Universität Salzburg (Institut für Geschichte), 38 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Von besonderem Interesse sind die Ausführungen über die soziale Zusammensetzung und die Herkunftsgebiete der Auswanderer, aber auch auf die staatliche und private Anwerbung der Kolonisten wird dezidiert eingegangen. Im Hinblick auf die Alltagskultur sind in erster Linie die Kapitel über die Sammelplätze, die Schiffsreise, die Weiterreise nach Saratov, die Ankunft an der Wolga, sowie jene über die ersten Einrichtungsarbeiten der Kolonisten von Bedeutung. Da dem durch Mennoniten gegründetem Sarepta eine Sonderstellung unter den Kolonien zukommt, ist der Gründungsgeschichte dieser Stadt ein eigener Abschnitt gewidmet. Was die Planung und Anlegung der Kolonien betrifft, so werden vor allem die Namensgebung derselben und die archetektonischen Besonderheiten, welche in dieser Gegend zu Tage traten, erörtert. Sehr interessant sind auch jene Abschnitte, in denen - auch unter Einbeziehung zahlreicher Einzelschicksale - das schwere Los der Siedler, welches ihnen vor allem in der Gründungszeit die zahlreichen Überfälle der Kirgisen und die Einfälle der Banden des Aufständischen Pugatschjows verursachten, behandelt wird. Großes Gewicht wird ebenfalls auf die Darstellung der wirtschaftlichen Lage der Kolonien gelegt, wobei im Konkreten auf die Lage des Handwerks, der Landwirtschaft und die Probleme, die mit der Finanzierung des wolgadeutschen Kontors verbunden waren, geschildert wird. Berücksichtigt wird weiters das sittliche Leben, die immer wieder vorkommende Beamtenwillkür und das Verwaltungssystem, welchem die Kolonien unterworfen waren. Abgerundet wird die Arbeit durch einen Ausblick, in welchem nicht nur ein Blick auf die wichtigen historischen bzw. politischen Ereignisse und die Stellung, die der Kolonist während dieser schwierigen Zeiten inne hatte, geworfen wird, sondern auch auf seine Essgewohnheiten, sein Brauchtum und Festhalten an der deutschen Sprache eingegangen wird.

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Leseprobe

Die Manifeste von 1762 und 1763


 

 

Auch die kluge und umsichtige Zarin deutschen Blutes konnte die Gefährlichkeit, die von dieser unruhigen Region ausging, nicht übersehen, zumal schon kurz nach ihrem Regierungsantritt erste kleinere Aufstände von leibeigenen Bauern an der mittleren und unteren Wolga zu verzeichnen waren. Hierbei kam ihr sicherlich auch der Umstand zugute, dass sie schon „von Haus aus“ eine begeisterte Anhängerin der auch bereits von anderen europäischen Mächten erfolgreich betriebenen Kolonisationspolitik (=„Peuplierungspolitik“ ) war, was in ihren berühmten „Anwendungen“ auch deutlich zum Ausdruck kommt: „Russland hat nicht nur nicht genügend Bewohner, sondern verfügt noch über unermessliche Landstrecken, welche weder bevölkert noch bearbeitet sind. Man könnte nicht genügend Gründe geltend machen, um zur Volksvermehrung im Staate aufzumuntern.“ [17]    

 

Bevor wir aber auf die beiden erlassenen Manifeste zu sprechen kommen, scheint es mir angebracht zu sein, kurz bei Thesen und wichtigsten Vertretern der Peuplierungspolitik zu verweilen. Der Hauptvertreter dieser Theorie, Johann Heinrich Gottlob Justi (1720-1771), vertrat die These, dass der Staat dafür zu sorgen habe, daß zuförderst die, zu der Republik gehörigen, Länder recht cultiviret und angebauet werden müssen. Die Nutzung der unbeweglichen Güther vergrößere den Nutzen des Staates, dessen Glückseligkeit auf seiner Macht und Stärke beruhe. Wesentlichste Voraussetzung dafür war nach Justi eine ausreichend hohe Bevölkerungszahl.[18]

 

Ähnlich wie Justi sah auch Joseph von Sonnenfels in der Vermehrung der Bevölkerung ein Hauptziel staatlichen Handelns. Jedoch gab es auch Stimmen, die vor dieser Art der Bevölkerungspolitik warnten.

 

In Russland stellte der Universalgelehrte Michail Wassiljewitsch Lomonossow (1711-1765), der wohl bedeutendste Vertreter der Aufklärung in Russland, diesbezügliche Überlegungen an, er schrieb in einem Brief an seinen Gönner Iwan Iwanowitsch Schuwalow vom 1. November 1761 unter anderem:

 

Den Platz der ins Ausland Geflohenen könnte man bequem durch die Aufnahme von Ausländern ausfüllen, wenn entsprechende Maßnahmen getroffen werden. Die gegenwärtigen unheilvollen Kriegszeiten in Europa zwingen nicht nur einzelne Menschen, sondern auch ganze ruinierte Familien, ihr Vaterland zu verlassen und Orte aufzusuchen, die weit entfernt vom Kriegsschauplatz und seinen Greueltaten liegen. Das weite Reich unserer großen Monarchin ist in der Lage, ganze Völker in seinen sicheren Schoß aufzunehmen und mit allem Nötigen zu versehen; es erwartet für sein Gedeihen nicht mehr als eine den menschlichen Kräften angemessene Arbeit. Die Bedingungen, unter denen man die Ausländer für eine Ansieldung in Russland gewinnen könnte, führe ich nicht an, da mir die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den kriegführenden und nichtkriegführenden Ländern nicht genügend bekannt sind.“ [20]

 

Angemerkt sei hier noch der Vollständigkeit halber, dass der Universalgelehrte zweifelsohne über die propreußischen Sympathien des Thronfolgers Großfürst Peter informiert war. Und als dieser bereits einige Wochen darauf als Peter III. zum neuen Zar gekrönt wurde, ordnete dieser auch tatsächlich an, dass die russischen Truppen von nun an nicht mehr gegen die preußischen kämpfen werden. Ob diese Gedanken Lomonossows der Zarin Katharina II. bekannt waren und inwieweit sie ihre Entscheidungen beeinflusst haben, ist nicht bekannt.

 

Bereits gut fünf Monate nach der Machtübernahme entschied sich die 1744 nach Russland gereiste Katharina zur planmäßigen Besiedlung der neu eroberten und noch unerschlossenen Gebiete im Süden des Reiches mit ruhigen und zuverlässigen Kolonisten, welche gleichzeitig auch etwas (westliche) Kultur in das noch relativ „wilde“ Land bringen würden.[21] Am 14. Oktober 1762 folgte dann auch eine entsprechende Instruktion an den Senat:

 

„Da in Rußland viele unbevölkerte Landstriche sind und viele Ausländer uns um Erlaubnis bitten, sich in diesen öden Gegenden anzusiedeln, so geben wir durch diesen Ukas Unserem Senat ein für allemal die Erlaubnis, den Gesetzen gemäß und nach Vereinbarung mit dem Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten – denn dies ist eine politische Angelegenheit – in Zukunft alle aufzunehmen, die sich in Rußland niederlassen wollen, ausgenommen Juden. Wir hoffen dadurch den Ruhm Gottes und seiner rechtgläubigen Kirche sowie die Wohlfahrt des Reiches zu mehren.“ [22]

 

Und da schon viele russische Bauern aus dem Reich geflohen sind, vor allem nach Polen, fügte sie hinzu: Dasselbe gilt für alle russischen Uebersiedler.“ [23]

 

Am 4. Dezember 1762 unterschreibt sie dann auch das Manifest „Über die Erlaubnis für Ausländer, außer Juden, hinauszugehen und in Russland zu siedeln und über die freie Rückkehr von russischen ins Ausland gelaufenen Menschen in ihr Vaterland“  

 

Auf einen beigefügten Zettel an den Generalprokuror Alexander Iwanowitsch Gljebow wies Katharina an:     

 

Dieses Manifest soll in allen Sprachen veröffentlicht und in allen ausländischen Zeitungen abgedruckt werden.“ [25]

 

Es wurde dann tatsächlich auch zu je hundert Exemplaren nicht nur in der russischen, deutschen, französischen und englischen Sprache abgedruckt, sondern auch – was weniger bekannt  ist – in der polnischen, tschechischen und arabischen. Jedoch – trotz einer entsprechenden Weisung des Innenministeriums an den russischen Diplomatenchor im Ausland – scheint dieses Schriftstück in vielen der ausländischen Zeitungen nicht veröffentlicht worden zu sein, zumal die Regierung auf einer unbedingten Veröffentlichung auch noch nicht bestand.[27] Laut den Mitteilungen der Diplomaten sei es gelungen, beide Manifeste in periodischen Auflagen in deutscher, englischer und französischer Sprache in Holland, den freien Städten Deutschlands, in Dänemark, England und einigen anderen Staaten zu veröffentlichen. Laut Schippan wurde es aber in den österreichischen und schwedischen Zeitungen abgedruckt. Aber wenn das Manifest vom 4. Dezember 1762 fast ungehindert in Europa verbreitet wurde, so sind mit der Publikation des zweiten Manifests vom 22. Juli 1763, welches auch in Schottland und Irland veröffentlicht worden sein soll, in einigen Staaten Schwierigkeiten aufgetreten.[28]

 

Außerdem ist uns bekannt, dass der russische Gesandte in Kurland Abschriften des Manifests im ganzen Herzogtum verteilen ließ und dass dessen Inhalt jeden Sonntag sogar von den Kirchenkanzeln verlesen worden ist.[29]

 

Aber noch ein zweiter und entscheidender Umstand war für das Scheitern – sofern von einem überhaupt gesprochen werden kann –  dieses ersten Manifests ausschlaggebend: Dieses Manifest war hinsichtlich seines Inhalts äußerst kurz gehalten und trug ausschließlich deklarativen Charakter, weshalb Igor Plewe als Hauptaufgabe in Bezug auf die Einladung von Ausländern nicht mehr als eine Art Programmauftrag an die Regierung und öffentliches Bekenntnis zur einer Peuplierungspolitik sah.

 

Wie auch immer, jedenfalls wurde aber bald klar, dass die russische Regierung die Anziehungskraft ihres Landes für die durch den Krieg fast zugrunde gerichteten und hungrigen Bewohner Westeuropas eindeutig überschätzt hatte. Nach Meinung des russischen Diplomatenchors war es unbedingt notwendig, genau formulierte Privilegien und bestimmte finanzielle Mittel in Aussicht zu stellen. Deshalb erließ die Zarin wegen der geringen Resonanz auf dieses Manifest im Ausland am 22. Juli 1763 ein weiteres, welches folgenden Titel trug:

 

„Über die Erlaubnis allen Ausländern, den nach Russland fahrenden, in den Gubernien zu siedeln in denen sie es wünschen und über die ihnen geschenkten Rechte“ [31]

 

Dem Manifest beigefügt war ein aus zwei Punkten bestehendes Register „der sich in Russland befindlichen freien und günstigen Ansiedlungsorte.“

 

Während im ersten Punkt lapidar von...

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