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Die Zeitung

Ein Nachruf

AutorMichael Fleischhacker
VerlagChristian Brandstätter Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783850337953
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Das Gerücht, dass die Zeitung gestorben sei, hält sich hartnäckig. 'The Economist' veröffentlichte die Todesnachricht bereits am 24. August 2006: 'Who killed the Newspaper?' fragte das renommierteste Nachrichtenmagazin der Welt auf der Titelseite. Eine Finanz- und Wirtschaftskrise später lebt sie immer noch. Aber es sind Untote, die den Markt bevölkern. Die großen Flaggschiffe der Gutenberg-Welt machen schon lange keine Gewinne mehr. Entweder verzehren sie das Vermögen ihrer Eigentümer-Stiftungen, oder sie werden zum Spielzeug russischer Oligarchen. Das Ende der Gutenberg-Galaxis ist unabwendbar, auch wenn sich die Zeitungsverleger noch mit Mark Twains berühmtem Diktum trösten, wonach die Nachrichten von seinem Tod stark übertrieben seien. Tageszeitungen verfügen über kein valides Geschäftsmodell mehr. Und sie werden keines finden, so lange ihre Eigentümer den absurden Versuch unternehmen, im Netz so weiterzumachen, wie sie es auf Papier gelernt haben. Das Prinzip Zeitung kann nur weiterleben, wenn die Medienunternehmer aufhören, sich an die gedruckte Tageszeitung zu klammern. Ihr Versuch, sie nach den Regeln des skalenorientierten Industriekapitalismus am Leben zu erhalten, wird ihren Tod nur beschleunigen. Nach der Zeitung ist vor der Zeitung. Die Rede von der 'Gutenberg-Parenthese' macht das deutlich. Was jetzt kommt, war schon da, bevor der Siegeszug des gedruckten Wortes begann: Das vielstimmige Gespräch von Menschen, die Interessantes zu erzählen haben, auf dem digitalen Marktplatz.

Michael Fleischhacker, geb. 1969, ist Journalist, bis Oktober 2012 war er Chefredakteur der Tageszeitung 'Die Presse', zuvor hatte er in den Redaktionen des 'Standard' und der 'Kleinen Zeitung' gearbeitet. Zu seinen Publikationen zählen u.a. Politikerbeschimpfung. Das Ende der 2. Republik (2008).

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ERINNERUNGEN AN DIE ZUKUNFT


Schwer zu sagen, wo man ansetzen müsste, um die frühesten Ansätze dessen zu finden, was man rückblickend das „Prinzip Zeitung“ nennen könnte. Denn Nachrichten wurden zwischen den Menschen ausgetauscht, lange bevor sie schreiben konnten. Diese Nachrichten wurden an Straßenkreuzungen weitergegeben, sodass die Reisenden sie in die entferntesten Gegenden tragen konnten, man erzählte sich Neuigkeiten an Lagerfeuern und auf Marktplätzen, man schickte Läufer von den Schlachtfeldern zurück in die Polis. Heute noch am berühmtesten ist jener, der, nachdem er die etwas mehr als 42 Kilometer von Marathon nach Athen gelaufen war, um über den Ausgang der Schlacht gegen die persischen Truppen des Dareios zu berichten, mit den Worten „Nenikekamen“ tot zusammenbrach: „Wir haben gesiegt.“1

Auch die „Marktschreier“ befinden sich noch in unserem Wortschatz, die in Vor-Schrift-Zeiten durch die Dörfer gingen, um Geburten, Todesfälle, Heiraten und Scheidungen bekannt zu machen. Ungewöhnliche Ereignisse haben sich immer schon verbreitet „wie ein Lauffeuer“. Mit der Entwicklung der Schrift wurden die Nachrichten verlässlicher. Und in fortgeschrittenen Zivilisationen wie der römischen oder der chinesischen wurden sie auch formeller. In Rom existierte ein besonders ausgeklügeltes System zur Verbreitung schriftlicher Nachrichten, die „Acta“: täglich handgeschriebene „Newsletter“, die von der Regierung von 59 v. Chr. bis zumindest 222 n. Chr. auf dem Forum Romanum ausgehängt wurden.

Das chinesische Pendant zu den „Acta“ hieß „Tipao“. Der offizielle chinesische Newsletter entstand etwas früher (202 v. Chr.) in der Han-Dynastie, wo er bis 221 n. Chr. unter Staatsbeamten kursierte, während der Tang-Dynastie (618–906) wurde er eine Zeit lang auch gedruckt. In China kannte man seit dem 8. Jahrhundert ein Holzdruckverfahren, bei dem Abzüge von eingefärbten Holzstöcken abgenommen wurden, indem ein Papier mit einer Bürste darauf abgerieben wurde. Bereits im 5. Jahrhundert hatte es erfolgreiche Versuche mit der Technik der Steinabreibung gegeben, bei denen feuchtes Papier über ein Steinrelief aufgebürstet und in trockenem Zustand mit einem Tampon und Tusche eingefärbt wurde. Die moderne Zeitung wurde in China aber erst im 19. Jahrhundert aus Europa importiert.

Parallel zu den Schriftmedien erhielten sich aber auch zwei „Menschmedien“, die nah an die Geburt der Zeitung heran eine wichtige Nachrichtenfunktion erfüllten: der „Zeitungssänger“ und der Prediger. „Nach und neben anderen Formen und Funktionen des Sängers in der Antike, dem Mittelalter und der frühen Neuzeit“, schreibt Werner Faulstich in seiner Mediengeschichte, „bildeten sich auch fahrende Sänger heraus, die den Akzent auf historische Ereignisse, auf aktuelle Geschehnisse setzten.“2 Sie waren ebenso Neuigkeitslieferanten wie die Prediger, die viele Menschen allsonntäglich als einzige mit relevanten Neuigkeiten versorgten. Zwei der vier Kriterien, die man später zur Definition der Zeitung heranziehen wird, sind hier schon angelegt: die Aktualität im Sänger, die Periodizität im Prediger.

Eine deutsche Angelegenheit


Die Entwicklung der Zeitung ist eine europäische, eine deutsche Angelegenheit. Es wird also nicht verwundern, dass auch die Debatte darüber, was eine Zeitung überhaupt und eigentlich ist, ab welchem Zeitpunkt in der Geschichte der vervielfältigten Texte und Bilder man also im heutigen Sinn von einer „Zeitung“ zu reden habe, auf gewisse Weise eine deutsche Angelegenheit war. Diese Frage stellt sich ja nicht erst, seit ihr Produktcharakter – tägliches Erscheinen auf Papier – in Frage steht. Sie stand bereits ganz am Anfang auf der Agenda der deutschsprachigen Zeitungsforschung, die – wie die Zeitungsforschung insgesamt – eine relativ junge Angelegenheit ist. Ihre erste Hochblüte hatte sie zwischen 1918 und 1933. Im Deutschen Reich war die Pressefreiheit erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum Normalfall geworden und somit auch die Zeitungsforschung nicht besonders weit fortgeschritten. Und 1933 war es mit der Freiheit schon wieder vorbei. Die Zeitungen des Nazi-Reichs wurden per Reichsschriftleitergesetz gleichgeschaltet; die Zeitungsforschung wurde dem Reichspropagandaministerium zugeordnet.

Dazwischen hatte es wohl den einen oder anderen Ansatz gegeben, irgendwo zwischen Kultur-, Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften das zeitungswissenschaftliche Fach zu etablieren. Max Weber etwa, der große Soziologe, hatte 1910 das Konzept einer wissenschaftlichen „Presseenquete“ vorgestellt. Webers Ansatz einer soziologisch-ökonomischen Analyse des Pressewesens mit empirischen Mitteln konnte sich allerdings nicht durchsetzen. Am Beginn der deutschsprachigen Zeitungswissenschaften dominierte der historisch-philologische Ansatz.

„Die Zeitungswissenschaft und die ihr nahestehenden Kreise“, schreibt 1931 Walther Heide, gemeinsam mit Karl d’Ester einer der Begründer der deutschen Zeitungswissenschaft3, „sind heute noch nicht zu einer einheitlichen, allgemein gültigen Auffassung darüber gekommen, in welche Zeit oder in welches Jahr man den Ursprung des deutschen Zeitungswesens verlegen soll.“4 Das hatte damit zu tun, dass man keine Einigung darüber erzielen konnte, was zu den Vorläufern der Zeitung zu rechnen wäre und was zu ihren direkten Anfängen.

In seiner 1931 erschienenen Schrift jedenfalls lieferte Heide – in Abgrenzung zu der damals verbreiteten These, dass man auch die ab dem Ende des 14. Jahrhunderts im Umlauf befindlichen, bis ins 16. Jahrhundert bei besonderen Anlässen erscheinenden Berichte über irgendwelche Ereignisse als „Zeitung“ zu bezeichnen habe – eine nach wie vor plausible Definition: „Der Charakter einer Zeitung“, schrieb Heide, erwachse „aus einer Publizität, d. h. einer Verbreitung an die große öffentliche Allgemeinheit, verbunden mit einer Periodizität und Aktualität ihres Erscheinens“. Klar ist für Heide mit dieser Definition auch, dass der Ursprung der Zeitung keineswegs mit der Erfindung des Buchdrucks zeitlich zusammenfällt. Ein Zeitgenosse Heides, Hans Traub, hatte einige Jahre zuvor die Ansicht vertreten, dass Gutenbergs Erfindung und ihre Träger, die Buchdrucker, ganz am Beginn des Zeitungswesen stünden, dazu kam „der neue Lebensrhythmus, wie ihn die Fülle der Ereignisse an der Wende des 15. und 16. Jahrhunderts schuf“.5

Das stimmt zweifellos, Heide aber geht es darum, auch die weiter zurückreichenden Vorläufer in den Blick zu bekommen. Er sieht den Ursprung der Zeitungen in den bis ins 13. Jahrhundert nachgewiesenen Kaufmannsbriefen, in denen von Waren und Preisen, gelegentlich von relevanten politischen Ereignissen berichtet wurde. Versendet wurden diese Briefe aus jenen See- und Handelsstädten, in denen sie zuerst eintrafen: Venedig, Antwerpen, Köln, Frankfurt/M. und Wittenberg.

Die Vorläufer


Besonders wichtig für diese Frühzeit des Zeitungswesens waren Augsburg und Nürnberg. Über Nürnberg, die reiche, zentral gelegene Kaufmannsstadt, hatte Luther nicht ohne Grund gesagt, sie sei „das Auge und Ohr Deutschlands“, das „alles siehet und höret“. Große Kaufleute, weltliche und geistliche Fürsten sowie Gelehrte unterhielten einen ziemlich ausgedehnten Briefverkehr und blieben auf diese Weise über den größeren Teil des damals bekannten Weltgeschehens konstant auf dem Laufenden.

Die frühen „Zeitungen“ waren den Briefen beigelegt und trugen auch Bezeichnungen wie Newe Zeitung, Neue Märe, Läufe, Beyzeitung, Avise, Pagellen, Zeddel oder Tidinge. Sie wurden in interessierten Kreisen weitergereicht und abgeschrieben – und es dauerte nicht lange, bis darauf ein funktionierendes Geschäftsmodell aufgebaut wurde. Einer der Pioniere auf diesem Weg war der weitgereiste Rechtsgelehrte Christoph Scheurl (1481–1542), Rat des Kaisers und mehrerer Bischöfe und Kurfürsten, dessen von den Benediktinern in Tegernsee aufbewahrte Briefzeitungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstmals veröffentlicht wurden. Der Abt des Klosters war wohl unter den Empfängern der Nachrichten gewesen, in denen es „viel seltsame Geschicht, Copei, Sprüch, Lieder und andere Mär in mancherlei Weis“ zu lesen gab.

Der neue Berufszweig des „Avisenschreibers“, „Zeitungers“ oder „Novellanten“ findet sich in den deutschen Städten ab der Mitte des 16. Jahrhunderts. Sie waren Reporter, Redakteure und Verleger in einer Person. Ihre Quellen waren Wandergelehrte, vazierende Mönche und fahrende Sänger, aus deren Nachrichten aus der politischen Welt und der Welt der Naturereignisse sie auswählten, diese vielleicht miteinander verknüpften, um sie, sauber mit der Hand geschrieben, zusammenzufassen. Die Berichte über die Arbeitsweise dieser...

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