Sie sind hier
E-Book

Die Zukunft von Sexualität, Familie, Kindheit und Jugend

Mit Implikationen für Kindertagesbetreuung und Jugendhilfe

AutorMartin R. Textor
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl72 Seiten
ISBN9783752826623
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,49 EUR
Wir leben in einer Zeit des sich ständig beschleunigenden Wandels: Wissenschaftler produzieren immer schneller neues Wissen; die Industrie stellt mehr technisch neuartige oder zumindest verbesserte Waren her; Wirtschaft und Arbeitswelt verändern sich rasant; in der Gesellschaft entstehen fortwährend weitere Subkulturen und Milieus. Wie wirken sich solche Entwicklungen auf Ehe und Familie, auf Erziehung und Bildung, auf Kitas und Schulen aus? Welche Auswirkungen haben sie auf Kindheit und Jugend? Wie verändert sich das Sexualverhalten von Erwachsenen und Jugendlichen? Wie prägt die zunehmende Verwendung neuer Medien die Entwicklung der Familienmitglieder und zwischenmenschliche Beziehungen? In diesem Buch finden Sie Antworten auf solche Fragen. Ferner werden aus den skizzierten Zukunftstrends Konsequenzen für Kindertageseinrichtungen und Jugendhilfe gezogen.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Die Zukunft der Sexualität


Während bei den frühen Menschen der Geschlechtsverkehr – wie bei Primaten – wohl an die fruchtbaren Tage der Frau und an die Jahreszeit gebunden war (Säugetiere gebären nicht in einer Jahreszeit, in der das Nahrungsangebot knapp ist), wurde im weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte die Sexualität immer mehr von der Fortpflanzung abgekoppelt und hinsichtlich der Praktiken verfeinert. Die Gefühlsebene gewann an Bedeutung (Minne, romantische Liebe...); die arrangierte Ehe wurde zunehmend durch die Heirat aus Liebe abgelöst; die gesellschaftliche Kontrolle des Sexualverhaltens (bis hin zu Eheverboten) nahm ab; kirchliche Vorschriften verloren an Bedeutung (z.B. Verbot des vorehelichen Geschlechtsverkehrs); die Entdeckung immer besserer Verhütungsmittel führte zur Entkoppelung von Sexualität und Zeugung; „neue“ Sexualpraktiken verbreiteten sich schnell, als sie von den Medien bekannt gemacht wurden; technische Hilfsmittel und Medikamente zur Steigerung des sexuellen Empfindens wurden entwickelt.

Solche Veränderungsprozesse sind noch längst nicht abgeschlossen. In diesem Kapitel werde ich einige ausgewählte Entwicklungstrends skizzieren und in die nahe Zukunft fortschreiben.

Die totale Aufklärung

In den letzten Jahren hat sich die Menge an Informationen zum Themenkreis Sexualität vervielfacht. Zeitschriften, Zeitungen und Bücher wetteifern mit dem Internet, wer noch detailliertere Texte und entsprechende Fotos (bzw. Videos) veröffentlicht. Die Bandbreite der Informationen reicht von lexikalisch-komplex über zielgruppenspezifisch-umfassend, journalistisch-korrekt und erotisch-literarisch bis hin zu aufreißerisch-vulgär. Bücher wie z.B. „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche oder die Roman-Trilogie „Fifty Shades of Grey“ von E.L. James sind zu Bestsellern geworden; entsprechende Filme haben eine weite Verbreitung gefunden.

Jeder Mensch – egal ob Kind oder Senior – kann sich inzwischen mühelos und (auch) kostenfrei Informationen über alle nur denkbaren sexuellen Fragestellungen besorgen. Dies hat eindeutig zu einer enormen Zunahme der Breite und Differenziertheit entsprechender Kenntnisse bei Menschen jeder Altersgruppe geführt – wobei sie in der Regel bei jüngeren Personen umfassender und komplexer als bei älteren sind. Kinder werden immer früher mit Informationen und Darstellungen rund um das menschliche Sexualverhalten konfrontiert. Insbesondere bei älteren Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden kann man eine „Sexualisierung“ ihrer sozialen und kulturellen Lebenswelt beobachten.

Es ist schwer vorstellbar, dass in den kommenden Jahren neue Aspekte des Sexualverhaltens „entdeckt“ werden, die noch nicht thematisiert wurden. Versuche, Kindern den Zugang zu Informationen, Bildern und Videos über Sexualität zu erschweren, dürften auch in Zukunft weitgehend erfolglos bleiben, da sie innerhalb ihrer Peergroups weit verbreitet sind. Mit der Alterung der Generationen werden die Kenntnisse zukünftiger Senior/innen über das menschliche Sexualverhalten umfassender und differenzierter sein als dies heute der Fall ist.

Die „Pornografisierung“ sexueller Skripte

Das individuelle Wissen über Sexualität wird zunehmend durch pornografische Bilder und Filme geprägt, die im Internet ohne den geringsten Aufwand von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen konsumiert werden können – auf vielen Websites anonym und kostenfrei. Im Jahr 2013 bestanden 13% aller Webseitenaufrufe in Deutschland aus Zugriffen auf pornografische Seiten (Arthur 2013); schätzungsweise 30% des gesamten Datenverkehrs umfasst Pornografie (Biermann 2012).

Derzeit sind knapp drei Viertel aller Nutzer von Internet-Pornografie männlich. Dementsprechend sind die meisten Filme an ihre „Vorlieben“ angepasst: Der Sexualakt in allen Variationen steht im Mittelpunkt, wobei sich die Frauen eher passiv verhalten. Besonders häufig wurde 2013 nach Filmen mit Teens und mit analem Geschlechtsverkehr gesucht (Brandes 2013).

Schon laut der „Dr.-Sommer Studie Liebe! Körper! Sexualität!“ aus dem Jahr 2009 hatten 69% aller Jungen und 57% aller Mädchen pornografische Bilder oder Filme gesehen (Bravo 2010). Der Konsum von Pornos nahm ab dem 13. Lebensjahr deutlich zu – bei den 17-Jährigen hatten bereits 93% der Jungen und 80% der Mädchen solche Videos genutzt. Eine aktuellere Befragung von 1.077 Personen im Alter zwischen 12 und 21 Jahren ergab, dass Pornografie für sie zu einer Alltagserscheinung geworden ist: „Das durchschnittliche Einstiegsalter liegt bei 14 Jahren. In diesem Alter lässt sich auch die häufigste Rezeption ausmachen“ (Rihl 2013, S. 57).

Da das Durchschnittsalter beim ersten Geschlechtsverkehr 16 bis 17 Jahre beträgt (s.u.), haben Jugendliche bis dahin schon zwei bis drei Jahre lang Erfahrungen mit Pornos gemacht – alleine, im Freundeskreis, mit einem Partner oder auf dem Schulhof. So ist davon auszugehen, dass solche Filme zunehmend ihre sexuellen Vorstellungen und Erwartungen prägen. „Durch sich verändernde Informations- und Kommunikationsstrukturen und die Präsenz des Sexuellen im medialen und öffentlichen Raum, aber auch durch die frühe Konfrontation mit Pornografie gehen heutige Jugendliche im Vergleich zu früheren Generationen mit viel mehr Wissen in die ersten eigenen sexuellen Begegnungen. Aufgrund dieser ‚Overscription‘ verfügen Jugendliche und Kinder schon lange vor ihrem eigenen sexuellen Handeln über viel mehr Wissen, aber auch Halbwissen zur Sexualität. ... Dieses Wissen kann das Handeln erleichtern, gefühlte Informationslücken (Anatomie, Praktiken) schließen oder entsprechendes Problembewusstsein wecken. Es kann aber auch verunsichern, zu Leistungsgedanken oder anderen überzogenen Ansprüchen an partnerschaftliche Sexualität führen“ (Kuhle/Neutze/Beier 2012, S. 26).

Beispielsweise kann Pornografiekonsum dazu führen, dass Jugendliche (und Erwachsene) die reale Häufigkeit von oralem und analem Sex überschätzen. So befürchten Mädchen häufig, dass sie entsprechende Praktiken ausüben müssen, oder fühlen sich durch ihre Partner unter Druck gesetzt, die pornografische Skripte („Drehbücher“) umsetzen wollen. Manche Jungen (und Männer) machen sich Sorgen, weil ihre Penisse nicht so groß wie die von Porno-Darstellern sind oder sie nicht dieselbe Ausdauer zeigen (Kuhle/ Neutze/Beier 2012).

Die meisten Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen sehen aber Porno-Szenen kritisch und sind sich bewusst, dass diese nicht der Realität entsprechen. Bei ihnen sind keine schädlichen Auswirkungen des Pornografiekonsums festzustellen (z.B. Schmidt/Matthiesen 2011; Starke 2010). Nur ein kleiner Teil der (jungen) Männer scheint – insbesondere bei regelmäßigem Konsum harter bzw. gewalttätiger Filme – negativ beeinflusst zu werden: Sie betrachten Frauen als Sexobjekte, akzeptieren bzw. tolerieren sexuelle Aggressivität, glauben Vergewaltigungsmythen (dass manche Frauen zum Sex gezwungen werden wollten oder bei einer Vergewaltigung Lust empfänden) und sind mit ihrem Sexualleben unzufrieden, da sie es mit Pornos vergleichen (z.B. Foubert/Brosi/Bannon 2011; Hill 2011; Krahé 2011). Auch tendieren sie dazu, den Pornografiekonsum zu steigern und immer mehr deviante Sexualpraktiken zu betrachten (z.B. Endrass/Rossegger/Borchard 2014).

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Pornografieerfahrungen Jugendlicher keinesfalls zu einer Verfrühung sexueller Aktivität oder zu einem häufigeren Partnerwechsel geführt haben. Im Vergleich zu den 1980er und 1990er Jahren findet der erste Geschlechtsverkehr sogar eher später statt (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2010). Bei einer Befragung von 15-Jährigen, die in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführt wurde, gaben nur 25% der 869 Mädchen und 20% der 670 Jungen an, Geschlechtsverkehr gehabt zu haben bzw. zu haben (Bucksch/Glücks/Kolip 2013). Laut einer repräsentativen Studie über 15- bis 17-jährige Jugendliche hatten 34% der 4.185 Befragten Koituserfahrung: 20% der 15-jährigen Mädchen und 17% der Jungen bzw. 49% der 17-jährigen Mädchen und 51% der Jungen (Wendt/Walper 2013). Der geschätzte Median beim ersten Geschlechtsverkehr betrug 17,1 Jahre. Nur 26% der Befragten berichteten von einer festen Partnerschaft, die im Durchschnitt seit 8,5 Monaten bestand. Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2010) hatten 48% der 14- bis 17-jährigen sexuell aktiven Mädchen und 40% der Jungen bisher einen Sexualpartner; 11 bzw. 21% hatten schon mehr als drei Partner. Im Gegensatz zu früheren Studien gaben mehr Befragte an, bisher nur einen Partner gehabt zu haben.

Auch bei Student/innen ist kein häufiger Partnerwechsel festzustellen. So ergab eine Befragung von 2.082 Studierenden, dass sie zu Beginn des Studiums durchschnittlich in ihrer zweiten und am Ende des Studiums in ihrer dritten festen Beziehung lebten; die aktuellen Partnerschaften bestanden im Durchschnitt seit 40 Monaten (Matthiesen/Böhm 2013). Ferner hatten sie mit...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Soziologie - Sozialwissenschaften

E-Learning

E-Book E-Learning
Einsatzkonzepte und Geschäftsmodelle Format: PDF

Der vorliegende Band ist dem Lernen und Lehren auf der Basis moderner Informations- und Kommunikationstechnologien gewidmet. Das Buch fasst die wichtigsten Ansätze zur Einführung, Umsetzung und…

E-Learning

E-Book E-Learning
Einsatzkonzepte und Geschäftsmodelle Format: PDF

Der vorliegende Band ist dem Lernen und Lehren auf der Basis moderner Informations- und Kommunikationstechnologien gewidmet. Das Buch fasst die wichtigsten Ansätze zur Einführung, Umsetzung und…

E-Learning

E-Book E-Learning
Einsatzkonzepte und Geschäftsmodelle Format: PDF

Der vorliegende Band ist dem Lernen und Lehren auf der Basis moderner Informations- und Kommunikationstechnologien gewidmet. Das Buch fasst die wichtigsten Ansätze zur Einführung, Umsetzung und…

E-Learning

E-Book E-Learning
Einsatzkonzepte und Geschäftsmodelle Format: PDF

Der vorliegende Band ist dem Lernen und Lehren auf der Basis moderner Informations- und Kommunikationstechnologien gewidmet. Das Buch fasst die wichtigsten Ansätze zur Einführung, Umsetzung und…

E-Learning

E-Book E-Learning
Einsatzkonzepte und Geschäftsmodelle Format: PDF

Der vorliegende Band ist dem Lernen und Lehren auf der Basis moderner Informations- und Kommunikationstechnologien gewidmet. Das Buch fasst die wichtigsten Ansätze zur Einführung, Umsetzung und…

E-Learning

E-Book E-Learning
Einsatzkonzepte und Geschäftsmodelle Format: PDF

Der vorliegende Band ist dem Lernen und Lehren auf der Basis moderner Informations- und Kommunikationstechnologien gewidmet. Das Buch fasst die wichtigsten Ansätze zur Einführung, Umsetzung und…

Lernen zu lernen

E-Book Lernen zu lernen
Lernstrategien wirkungsvoll einsetzen Format: PDF

Wer wirkungsvoll lernen will, findet in diesem Buch bestimmt die richtige Lernmethode für seinen Lernstoff. Jede Lerntechnik wird so beschrieben, dass man sie direkt anwenden kann. In der 7. Auflage…

Lernen zu lernen

E-Book Lernen zu lernen
Lernstrategien wirkungsvoll einsetzen Format: PDF

Wer wirkungsvoll lernen will, findet in diesem Buch bestimmt die richtige Lernmethode für seinen Lernstoff. Jede Lerntechnik wird so beschrieben, dass man sie direkt anwenden kann. In der 7. Auflage…

Lernen zu lernen

E-Book Lernen zu lernen
Lernstrategien wirkungsvoll einsetzen Format: PDF

Wer wirkungsvoll lernen will, findet in diesem Buch bestimmt die richtige Lernmethode für seinen Lernstoff. Jede Lerntechnik wird so beschrieben, dass man sie direkt anwenden kann. In der 7. Auflage…

Lernen zu lernen

E-Book Lernen zu lernen
Lernstrategien wirkungsvoll einsetzen Format: PDF

Wer wirkungsvoll lernen will, findet in diesem Buch bestimmt die richtige Lernmethode für seinen Lernstoff. Jede Lerntechnik wird so beschrieben, dass man sie direkt anwenden kann. In der 7. Auflage…

Weitere Zeitschriften

Courier

Courier

The Bayer CropScience Magazine for Modern AgriculturePflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und generell am Thema Interessierten, mit umfassender ...

DER PRAKTIKER

DER PRAKTIKER

Technische Fachzeitschrift aus der Praxis für die Praxis in allen Bereichen des Handwerks und der Industrie. “der praktiker“ ist die Fachzeitschrift für alle Bereiche der fügetechnischen ...

Die Versicherungspraxis

Die Versicherungspraxis

Behandlung versicherungsrelevanter Themen. Erfahren Sie mehr über den DVS. Der DVS Deutscher Versicherungs-Schutzverband e.V, Bonn, ist der Interessenvertreter der versicherungsnehmenden Wirtschaft. ...

building & automation

building & automation

Das Fachmagazin building & automation bietet dem Elektrohandwerker und Elektroplaner eine umfassende Übersicht über alle Produktneuheiten aus der Gebäudeautomation, der Installationstechnik, dem ...

filmdienst#de

filmdienst#de

filmdienst.de führt die Tradition der 1947 gegründeten Zeitschrift FILMDIENST im digitalen Zeitalter fort. Wir begleiten seit 1947 Filme in allen ihren Ausprägungen und Erscheinungsformen.  ...