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Dietrich Bonhoeffer: christlich verantwortliches Handeln. Theorie und Praxis

Theorie und Praxis

AutorAndrea Tam
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl243 Seiten
ISBN9783638465564
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 1998 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nationalsozialismus, II. Weltkrieg, Note: 18/20 (hervorragend), Université Paris-Sorbonne (Paris IV) (Etudes Germaniques), 73 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Heute findet wohl kaum ein Theologe so weit über die theologische Fachleserschaft hinaus so viel Beachtung und Resonanz wie Dietrich Bonhoeffer. Das ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass er auf Fachjargon meistens verzichtet und seine theologischen Ausführungen Laien zugänglicher zu sein scheinen. Wohl hat sein tragisches Ende seinen Worten und Taten die machtvolle Autorität eines Märtyrers gewährt. Vielmehr kommt ihm, der sowohl sein Handeln im Kirchenkampf, als auch seine Tätigkeit im politisch genannten Widerstand als christlich verantwortliches Handeln verstand, eine große Glaubwürdigkeit zustatten aufgrund einer immer wieder betonten Einheitlichkeit von 'Leben und Verkündigung' (E.H. Robertson), ' Einheit von Denkart und Lebensakt ' (Gremmels, Pfeifer), der 'Versöhnung von Lehre und Leben' (H.J. Schultz), der konsequenten Verknüpfung von Theorie und Praxis. Ob und wie diese Wechselwirkung von Theorie und Praxis, die man Bonhoeffer zuschreibt, sich in seinem Leben bewährt, das ist die Frage, der diese Studie systematisch auf den Grund geht. Der erste meist biographische Teil skizziert Bonhoeffers Leben; der zweite rein theologische Teil zeigt die christologische Grundlage für Bonhoeffers christliches Handeln. Teil III und Teil IV befassen sich jeweils mit Bonhoeffers christlich verantwortlichem Denken und Handeln im Kirchenkampf (1933-1940) und im Widerstand (1940-1945) und setzen Theorie und Praxis systematisch einander gegenüber.

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Leseprobe

I. TEIL: Grundkenntnisse der Biographie Bonhoeffers: stationen eines lebens in gehorsam und Freiheit. Zucht, Tat, Leiden und Tod.


 

“ Verantwortung ist die in der Bindung an Gott und den Nächsten allein gegebene Freiheit des Menschen.”

 

D. Bonhoeffer: Ethik, S. 283.

 

Die Struktur des verantwortlichen Lebens ist durch ein doppeltes bestimmt: durch die Bindung des Lebens an Mensch und Gott und durch die Freiheit des eigenen Lebens. Es ist diese Bindung des Lebens an Mensch und Gott, die es in die Freiheit eigenen Lebens stellt. Ohne diese Bindung und ohne diese Freiheit gibt es keine Verantwortung.”(E 256). Ohne Vorbehandlung dieser horizontalen und vertikalen Bindung und dieser “Freiheit eigenen Lebens” gibt es keine Abhandlung über christlich verantwortliches Handeln.

 

Der Gehorsam bindet das Geschöpf an den Schöpfer” (E 288), und “wo immer (…) Mensch und Mensch einander begegnen, dort entsteht echte Verantwortlichkeit.” (E 287). Die Frage: “Wie verhält sich freie Verantwortung und Gehorsam zu-einander?” bestimmt einer Richtschnur gleich die Erstellung der angesagten Kurzbiographie, in der die Entwicklungsstufen bzw. Wendepunkte in Bonhoeffers christlichem Glauben veranschaulicht werden sollten, sowie deren Folgen in praxi, die an den mensch-menschlichen Beziehungen, die er hatte, beobachtbar sind.

 

Bonhoeffer selbst  gab seiner Entwicklung in der Bindung an Gott und Mensch und der Verwobenheit von Gehorsam und Freiheit in seinem Leben einen bündigen Ausdruck , und dies, als es nur noch am seidenen Faden hing: am Tag nach dem mißlungenen Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 verfaßte er “in ein paar Stunden” das Gedicht Stationen auf dem Wege zur Freiheit.

 

 Stationen auf dem Wege zur Freiheit

 

Zucht.

 

 Ziehst du aus, die Freiheit zu suchen, so lerne vor allem

 

Zucht der Sinne und Deiner Seele, daß Begierden

 

und deine Glieder dich nicht bald hierhin, bald dorthin führen.

 

Keusch sei dein Geist und dein Leib, gänzlich dir selbst unterworfen,

 

und gehorsam, das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist.

 

Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.

 

Tat.

 

Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen,

 

nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen,

 

nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.

 

Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens,

 

nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen,

 

und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.

 

  Leiden.

 

Wunderbare Verwandlung. Die starken Hände

 

sind dir gebunden. Ohnmächtig einsam siehst du das Ende

 

deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte

 

still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden.

 

Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit,

 

dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.

 

Tod.

 

Komm nun, höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit,

 

Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern

 

unsres vergänglichen Leibes und unsrer verblendeten Seele,

 

daß wir endlich erblicken, was hier uns zu sehen mißgönnt ist,

 

Freiheit, dich suchten wir lange in Zucht, und in Tat und in Leiden.

 

Sterbend erkennen wir dich im Angesicht Gottes dich selbst..

 

                                                                                      WE, S. 194.

 

Diesen Leitfaden laßt auch uns erfassen.

 

I. ZUCHT.


 

Ziehst du aus, die Freiheit zu suchen, so lerne vor allem

 

Zucht der Sinne und Deiner Seele, daß Begierden

 

und deine Glieder dich nicht bald hierhin, bald dorthin führen.

 

Keusch sei dein Geist und dein Leib, gänzlich dir selbst unterworfen,

 

und gehorsam, das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist.

 

Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.

 

A. Das sechste Kind einer großbürgerlichen Familie.  Kindheit und Jugend (1906-1923).


 

“ Alle Familien haben aber eine gemeinsame Funktion: sie bieten dem Kind jene Bezugsgruppe, in der es seine ersten sozialen Erfahrungen machen kann, in der es seine Grundstrukturierung erfährt.”( Wilfried Gottschalch)[32]

 

1. Das Bonhoeffersche Elternhaus. Gegebenheiten.

 

1.1 Die Eltern.

 

Karl Bonhoeffer, Professor für Psychiatrie und Neurologie an der Breslauer Universität, war bereits der Vater einer kinderreichen Familie, als am 4.Februar 1906 in seinem Hause, unweit der psychiatrischen Klinik, deren Direktor er war, als sechstes und siebtes Kind, die Zwillinge Dietrich und Sabine geboren wurden.

 

Sabine hat ihn als etwas zurückhaltend und distanziert in Erinnerung. Und Prof. Scheller sagte von ihm:

 

 “So wie ihm alles Maßlose, Übertriebene, Undisziplinierte von Grund auf zuwider war, so war an ihm selber alles Beherrschtheit, Einhalten der Form, äußerste Disziplin.”[33]

 

Diese “Beherrschung des Affektiven”, worin sich, seines Erachtens, die “Qualifika-tion zum Psychiater bekunden muß”,[34] erwartete er auch von seinen Kindern, die er durch sein Beispiel erzog.

 

“Er sprach leise und nicht sehr viel, doch was er sagte, merkte man sich…Phrasen waren ihm ein Greuel; man hatte sich sachlich, aber auch klar und möglichst kurz, ohne Ausschweife auszudrücken. Die Kinder gewannen dadurch an Urteil…”[35]

 

Aber: “ Seine Ablehnung der Phrase hat manchen von [ihnen] zu Zeiten einsilbig und unsicher gemacht.”[36]

 

Er hatte “ Respekt für warmherziges, selbstloses, selbstbeherrschtes Handeln und vertraute darauf, daß man dem Schwächeren zur Seite stand.”[37]

 

“Er hoffte vor allem, daß wir einmal Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden lernen und unsere Grenzen erkennen würden.”[38]

 

Paula Bonhoeffer (geb. Von Hase) war die Enkelin des erfolgreichen Jenaer Professors der Kirchen- und Dogmengeschichte Karl August von Hase (dessen Bücher dem Urenkel Dietrich hilfreich waren), die Tochter von Karl Alfred von Hase, dem zeitweiligen Hofprediger Wilhelm II., Konsistorialrat und Professor für praktische Theologie, (der auch die Zwillinge taufte) und von Clara von Hase (geb. Gräfin Kalckreuth), die Franz Liszt und Clara Schumann als Klavierlehrer gehabt hatte.

 

Unterricht in Klavier, Gesang, Cello oder Geige bekam jedes Kind im Haus Bonhoeffer. Dietrich soll ein vortrefflicher Klavierspieler und Begleiter gewesen sein, so daß, als er etwa vierzehn Jahre alt war, eine Ausbildung zum Pianisten in Betracht kam.

 

Die christliche Erziehung, die Paula Bonhoeffer im Theologen-Haus von Hase erhalten hatte, gab sie allerdings auf ihre eigene Art weiter:

 

 “ Frömmlerisches kam nie auf, Seelenkramerei gab es nicht.”[39] “Sie hat niemals eine pietistisch- drängerische Atmosphäre um sich geduldet.”[40]

 

 Zwar wurde dafür gesorgt, daß Bibelverse und Kirchenlieder den Kindern vertraut wurden, aber in den Kindergottesdienst wurden sie nicht geschickt.

 

Sie “ erlaubte sich ein eigenes, von der Kirche nicht zu...

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