Zuallererst halte ich eine Definition des Sozialisationsbegriffes für notwendig. Sozialisation ist „der Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt.“[7] D.h., dass das Kind sich in einem Eingliederungs und Wahrnehmungsprozess mit seiner Umwelt befindet und die gesellschaftlichen Bedingungen verstehen lernt. . Im Mittelpunkt des Sozialisationsprozesses steht die Entwicklung und Veränderung der menschlichen Persönlichkeit, welche aus einem spezifischen Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen und Handlungskompetenzen besteht. Sozialisation darf jedoch nicht verwechselt werden mit Erziehung, denn Erziehung ist nur eine Unterstützung im Sozialisationsprozess des Kindes, sich mit kulturellen Systemen, Sprache, gesellschaftlichen Erfahrungen oder Werten auseinanderzusetzen und sich diese anzueignen.[8] Um Medien in der Sozialisation von Kindern zu betrachten, halte ich auch einen kurzen geschichtlichen Rückblick für sinnvoll, da bisher jegliches Einwirken von Medien in den kindlichen Alltag kritisch von Pädagogen betrachtet wurde.1785 schrieb Joachim Heinrich Campe noch ; „ Das unmäßige und zwecklose Lesen macht zuvörderst fremd und gleichgültig gegen alles, was keine Beziehung auf Literatur und Bücherideen hat;“[9]
Wer würde heutzutage noch auf die Idee kommen, Bücher im Kinderzimmer pädagogisch anzuzweifeln? Anfang des 20. Jahrhunderts gab es annähernd gleiche Sorgen, bei der Einführung des Kinofilms ähnliche Diskussionen. Sorgen und Ängste gab es bei Eltern und Pädagogen bei der Ausbreitung des Fernsehens, auch hier wurde eine Verdummung und zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber der Außenwelt als mögliche Folgen von Fernsehkonsum befürchtet, bis die Pädagogik selbst sich das Fernsehen als Helfer zur Vermittlung von Lerninhalten zu Nutze machte. Was soweit reichte, dass Uri Bronfenbrenner in einem Ausspruch die Familie wie folgt definierte: “Die meisten (...) Familien bestehen aus zwei Eltern, einem oder mehreren Kindern und einem Fernsehgerät"[10] Was Bronfenbrenner damit mit ironischem Unterton wohl mitteilen wollte war, dass der Fernseher inzwischen fast als Eltern bzw. als Familienteil gesehen wird, weil er beschäftigend, ablenkend, bildend und gesellig wirken kann. Eine (versteckte) Kritik ist in dem Zitat natürlich auch zu sehen, dass die Familie hat mit den Medien auch eine gefährlichen Einflussnehmer mit in ihre Mitte geholt. Dieser Einflussnehmer ist aus soziologischer Sicht sehr bedenkenswert und verdient besonderer Beachtung.
Allgemein gibt es deutlich unterschiedliche Medienvorlieben bei Jungen und Mädchen. 30% aller Mädchen lesen regelmäßig, gegenüber 11% der Jungen, dabei lesen Mädchen eher unterhaltungsorientiert, während sich Jungen auch vermehrt Sachbüchern widmen. Ähnliche Unterschiede sind beim Fernsehen vorhanden. „Mädchen schauen lieber das Kinder und Jugendprogramm, Werbung und Dokumentarfilme über fremde Länder. Knaben bevorzugen eher harte Unterhaltung, Sport, Tagesschau und Sendungen über Kultur und Wissenschaft.“[11]
Diese verschiedenen Vorlieben haben etwas mit der Identifikation der Mädchen und Jungen mit den Figuren in Büchern und Filmen zu tun. Folgend werden die typologischen Merkmale für Mädchen geltend benannt: „Die Schönheit der Frau als ein Klischee der Vorzeigefrau, welche Anerkennung über Äußerlichkeit und Attraktivität erhält; Die Ehefrau als jene Frau, die durch die Anerkennung und Zuwendung des Mannes Profil und Sicherheit gewinnt; Die Fügsame, die durch Unterordnung unter Normen und Autoritäten Sicherheit und Geborgenheit findet; Die Mütterliche als soziales Wesen, welche verantwortlich handelt.“[12] Auch für die Jungen gibt es solche Identifikationsmerkmale: „Der Einsame, der als Einzelkämpfer seine Probleme mit Gewalt, Kraft und technisch magischer Hilfe löst; Der kleine Polizist, der als ausführendes Organ berechtigt ist, Gewalt auszuüben, weil er das Gute vertritt; Das edle Phantom, welches als Verunsicherter sich nur aus der Anonymität heraus traut, Probleme zu lösen; Der gute Freund, welcher Hilfe leistet oder als Kamerad in eine schützende Gruppe mit eingebunden ist; Das erfindungsreiche Kerlchen, das durch kognitive Fähigkeiten und listige Ideen Anerkennung erhält; (...).“[13]
Ein vergleichbares Interesse ist bei der Auswahl der Software von Kindern auch zu sehen.
Da Kinder ihre Medienerfahrungen vorwiegend im Umfeld der Familie sammeln, wird die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen von der Medienausstattung und dem familiären Medienverhalten stark beeinflusst. Allgegenwart und Universalität der Medien bedingen auch eine nahezu permanente Sozialisation durch sie.
Die vorherrschende Kritik sowohl gegenüber Medien im pädagogischem Umgang mit Kindern als auch bei vorhandenen Medien im Alltag von Kindern ist nicht zu vernachlässigen. So werden gegen den Computer im Wesentlichen die gleichen Argumente ins Feld geführt, wie z.B. oben beschreiben gegen das Fernsehen, oder historisch gesehen, gegen das Buch.
So wird z.B. in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Psychologie Heute“ berichtet, dass Kinder „die häufig vor Computer oder Fernsehschirmen ihre Zeit verbringen, (...) langfristig „dick, dumm und gewalttätig““[14] werden würden. Zum einen sehe ich hier fast exakt die gleiche Argumentationsstruktur, wie oben bereits beschrieben bei Campe oder zum Vergleich bei der Mediendiskussion 1950 über das Fernsehen, zum anderen halte ich den Ansatz des Hirnforschers Manfred Spitzer, Medien gänzlich aus der Kindheit auszusperren, für nicht sinnvoll und für praktisch nicht durchführbar. So halte ich vielmehr das soziale Umfeld des Kindes für gefordert, den zeit und inhaltsgerechten Rahmen zu geben, Medien kennen und benutzen zu lernen. Eigentlich müsste es vermehrt Aufgabe von Pädagogen werden, Kindern und vor allem auch Eltern Medienkompetenz[15] anzueignen. Eltern sind die Vorbilder für Kinder, auch im Umgang mit Medien.
Ebenso ist der Contra-These, der Computer würde zur Vereinsamung führen, eine Pro-These entgegenzusetzen, denn der Computer und das Internet bieten neue Möglichkeiten der Kommunikation durch Mail, Chat und Foren.[16] Zudem steigt der Anteil an Spielen, die in Gruppen gespielt werden.
Die Nutzung von Medien, insbesondere des Computer und Internets, wird einerseits als mögliche Gefährdung für Kinder und Jugendliche gesehen, andererseits besteht angesichts ihrer stetig zunehmenden Verankerung in gesellschaftlicher Kommunikation und Arbeitswelt geradezu die Notwendigkeit, dass sich Kinder und Jugendliche frühzeitig mit diesen Technologien vertraut machen.
Meiner Meinung nach sind die oben genannten Befürchtungen auch zutreffend, sofern nicht äußere Gegebenheiten einen dosierten und reflektierten Umgang mit den Medien zulassen. Wenn der Fernseher als Mittel benutzt wird, um Ruhe ins Kinderzimmer zu bringen, oder überlastete ErzieherInnen den Computer nutzen, um die „Kleinen“ zu beschäftigen, dann ist dies der falsche Ansatz, mit Medien umzugehen und sollte jeden Sozialpädagogen zum Nachdenken über den Medienumgang anregen. Wesentliches Ziel vom Medieneinsatz bei und mit Kindern, kann doch nur neben der Vermittlung von Inhalten, eine Qualifizierung der Kinder zum richtigen Umgang mit Medien sein. Probleme im Medienumgang und in der Mediennutzung sind häufig individuell und vom sozialen Umfeld abhängig. Insofern ist es nicht richtig, verallgemeinernd von „den Medienkindern/-jugendlichen“ zu sprechen. Erst die übermäßige Nutzung kann problematische Auswirkungen auf die seelische und körperliche Entwicklung zeigen.
Der Erziehungswissenschaftler Dieter Baacke sieht Medienkompetenz als Entwicklungschance.[17] Ich sehe hier auch Chancen für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und halte den bewahrpädagogischen Ansatz für veraltet. Ein eigenverantwortlicher Umgang mit Medien bzw. eine kritische Wahrnehmungskompetenz in Bezug auf Medien fördert viel mehr die persönliche Entwicklung. Der Ausschluss vom Umgang mit den Medien würde dagegen den Kindern und Jugendlichen Entwicklungschancen verbauen.
Medien müssen zuallererst als das verstanden werden, was sie eigentlich sein sollten, Mittler menschlicher Kommunikation. Schon dieser bescheidene Anspruch lässt sich nur dann erfüllen, wenn den Menschen die Chance gegeben wird, die Potentiale der Medien jenseits des Kommerzes, und ohne Hintergedanken, zu begreifen. Und zum Begreifen gehört daher der Begriff -, dass der Kopf über den Gebrauch der Hand lernt, dass Theorie und Praxis miteinander verbunden werden.
1996 wurden anlässlich der Eröffnung der Cebit-home vom Bildungsminister für Wissenschaft, Forschung und Technologie gefordert: „Die Kinder müssen früh an...