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E-Book

DJ Culture

Diskjockeys und Popkultur

AutorUlf Poschardt
VerlagTropen
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl559 Seiten
ISBN9783608108149
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
»DJ Culture« erzählt die Geschichte der Popkultur als Geschichte der Diskjockeys - von den ersten Radio-DJs der 30er Jahre bis heute. DJs sind die Helden und geheimen Vorbilder unserer Kultur. Aus Altem schaffen sie Neues: unpathetisch, cool, revolutionär. Im Juli 1877 brüllte Thomas Edison sein erstes »Hallo« in ein Telefonmundstück und ließ den Lärm von einem Phonographen aufzeichnen. So begann die Geschichte des Plattenspielers, den der DJ zu einer Revolution in der Popmusik nutzen sollte, bis hin zum Spätkapitalisten-Phänomen des Hyper-DJs. Neil Tennant von den Pet Shop Boys ist sich ganz sicher: »Auf Dauer sind zwei Plattenspieler und ein Mischpult aufregender als fünf Gitarrensaiten.« Diese aktualisierte Ausgabe zum 20. Jahrestag der Erstveröffentlichung wurde um ein Nachwort des wichtigsten DJs unserer Zeit, DJ Westbam, ergänzt.

<p>Ulf Poschardt, geboren 1967 in Nürnberg, ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Seit September 2016 ist er Chefredakteur der »Welt-Gruppe« (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV). Er veröffentlichte unter anderem »DJ Culture« und »911«, ein Buch über den Porsche 911. <br /></p>

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Leseprobe

VORWORT ZUR NEUAUFLAGE


20 Jahre später kann sich kaum jemand vorstellen, wie neu das alles war und wie aufregend und unerklärt. Als ich 1992 die Arbeiten an »DJ Culture« aufnahm, hatte der Diskjockey seine Nischen der Subkulturen hinter sich gelassen und taumelte, dem letzten Engel der Geschichte ähnlich, rückwärts der Zukunft entgegen, die Geschichte der Popmusik und des Dancefloor im Blick, angezogen von einem magischen Sog aus Erwartung und Neugierde, an dessen Ende ein knappes Jahrzehnt später eine Art popkulturelle Weltherrschaft zu stehen schien. Der Diskjockey ist in der Gegenwartsphänomenologie der Popkultur eine klassische Erscheinung geworden. Seine Position ist gefestigt und gesichert. Gleichzeitig verschwindet er in der Form, wie er in dieser Kulturgeschichte auftaucht, als Mann mit schweren Plattenkoffern, die entweder zu muskulösen Groupies oder zu Bandscheibenvorfällen führten. Die feinziselierte Handwerkskunst im Mix kann problemlos an Apps und Softwareprogramme abgegeben werden, längst reicht ein Laptop mit monströsem Speicher, um ein durchzutanzendes Wochenende zu beschallen. Die Übergänge von der archaischen DJ-Figur, zwei Plattenteller plus Mischpult (oder im Fall des Virtuosen Jeff Mills drei Plattenteller plus Mischpult) hin zu einem Musiker und Instant Producer/Remixer sind fließend und unmerklich geworden, wie die Beat-Textur in einer durchgefeierten Nacht im Berghain.

DJs gibt es nun überall. In jeder Bank- und Joghurt-Anzeige, besonders viele in den Senator-Lounges der Flughäfen, in Kinofilmen und Comics. Die USA werden regiert von einem afroamerikanischen Präsidenten, der im Wahlkampf auch zu den Sounds der Roots slowjamte und dessen Tanzbewegungen alle Hipness-Koordinaten der schwarzen Popkultur beglücken. Es ist der erste Präsident, der ohne Hip-Hop wohl nicht denkbar wäre. Das Patchwork der Minderheiten ist auch in der Repräsentation der Macht Mainstream geworden, ein liberal-konservatives Kabinett in Deutschland hatte zuerst einen schwulen, dann einen asiatischen Vizekanzler, einen behinderten Schatzkanzler und eine Kommunistentochter als Chefin. Die Rockmusik sucht Schutz in den Armen von Remixern und Produzenten, die ihre Gitarrenklänge erträglich machen für eine Generation von jungen Hörern, die mit Hip-Hop, House und Techno geradezu selbstverständlich sozialisiert worden sind. Die DJ-Tauglichkeit ist zu einem Megakriterium für popkulturellen Erfolg und Akzeptanz geworden.

Kurzum: Aus einer kulturrevolutionären Avantgarde ist innerhalb der vergangenen 20 Jahre ein gut verdienendes, selbstbewusstes, oft genug verklärtes Establishment geworden, das bislang keine Gefährdung seiner Machtposition fürchten muss. So gesehen hat sich die Ausgangslage des Buches komplett verändert. Angelegt als ein kämpferisches Buch einer zerbrechlichen Innovationsbewegung kann es rückblickend als ein Ziegelstein zur Errichtung jener Zitadelle der Kulturhoheit sein, welche DJs und DJ-Musik über das weite Land des Pop herrschen lassen. Das Buch hat Mitte der 90er Jahre für eine Doktorarbeit viele Leser gefunden. Es erschien in einigen Auflagen, als Taschenbuch, wurde ins Englische, Französische und Japanische übersetzt.

Der Grund, es noch einmal als Buch aufzulegen, hat auch damit zu tun, dass selbst gebrauchte Exemplare im Internet erstaunlich gute Preise erzielen und der Autor weiterhin oft von Studenten angesprochen wird, die über und mit diesem Buch Magisterarbeiten, Seminartexte oder Referate vorbereiten. Zudem bleibt die Kenntnis über die Anfänge des DJ-Phänomens beschränkt. Hinzugekommen sind jede Menge aufregende, tiefschürfende, brillante Geschichten aus Teilbereichen der DJ-Musik, die Gesamtschau, so fanden Verlag und Autor, verdiene die Chance einer Neuauflage, die von Heiko Hoffmann geremixt und Maximilian Lenz (aka Westbam) mit einem wuchtigen Nachwort versehen wurde.

Während der Durchsicht des Buches spielen an den kalten Winterabenden die Techno-Pioniere von Kraftwerk in einer konzeptkünstlerischen Programmatik an sechs verschiedenen Abenden in der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe. Diese Ahnen der DJ-Musik haben ihr Werk 1990 mit dem Mix-Album beendet, um danach Kuratoren und Konservatoren ihres klassischen Œuvres zu werden. Ihre perfektoiden Auftritte an einem der magischen Orte des geläuterten Modernismus markieren jene Ankunft in den heiligen Hallen der Hochkultur, die für die DJ Culture längst selbstverständlich geworden ist.

Diese Doktorarbeit bei Doktorvater Friedrich Kittler war analog zu den Vinylbergen der DJs eine altmodische Materialschlacht. Es ist eine Dissertation vor dem Internet. Nachmittage und Wochenenden in staubigen Archiven, abgelegenen Bibliotheken und Buchläden und das gute Jahr in New York an den Quellen der DJ-Musik, in der Nähe der Zeitzeugen und im Modus endloser Plattenakquisition zum Studium der Musik, führten zu Tonnen von Papier, Vinyl, bedrucktem Papier, Dutzenden Zettelkästen, Tapes, Flyer-Ordnern, Bildern, Postern. Dass neben eigenen Schnappschüssen auch eher dokumentarisch angelegte Fotografien von Wolfgang Tillmans in das Buch gelangt sind, hat mit der Schmalbrüstigkeit des Archivmaterials zu tun, mit dem die emergierende DJ Cuture erfasst wurde.

Viel von dem, was insbesondere die ideologische Begleitung und Einordnung der Kulturgeschichte betrifft, mutet zwei Jahrzehnte später ebenso romantisch wie streng an. Die postpostmodernistische Politisierung der Popkultur ist selbst historisch geworden. Sie war Teil einer Eroberungsstrategie von Diskursapparaten, die zur Beglaubigung der historischen Notwendigkeit und Verdienste einer Kulturpraxis die Einschreibung des neuen Phänomens in existierende Geschichtsschreibungen vorstellbar werden ließ. 20 Jahre später können einige sozial(istisch)e Verpflichtungen gelockert, andere Ernsthaftigkeit im Geiste Duchamps und Ad Reinhardts bestaunt werden. Der DJ ist überall angekommen. Er benötigt die Hilfe des kleinen Parasiten längst nicht mehr, als welcher sich der Autor in die eigene Geschichte der DJ Culture zu Anfang einschrieb. Sein Unterstützer-Gestus ist überflüssig geworden, nicht aber die Liebe und Hingabe an diesen Sound und an diese Hunderte, wohl eher Tausende von Abenden in Clubs, in denen alles, was über die Welt zu verstehen und zu fühlen war, abseits der Bücherberge und Theorietorsi, unmittelbar körperlich durchlebt werden konnte. Dem Nachtleben verdanke ich fast alles. Die exzessive, unablässige, manische Clubgängerei war das wundervollste Geschenk des Forschens an den jungen Wissenschaftler. Er konnte beim Feiern vorformulieren, was dann systematisiert und zur Ordnung gebracht werden musste.

Neben Friedrich Kittlers stets ermunterndem, von der hektischen Ungeduld des jungen Mannes mit den blondierten Haaren und den weiten Hosen amüsiertem Zureden, Inspirieren, Ermutigen und Unterstützen war es ein nun verstorbener Held der neuen Zeit, dem dieses Buch viel verdankt: Willie Ninja, der Türsteher der Sound Factory Bar in New York, die ich jeden Mittwoch aufsuchte, um im Keller, wo die alten Soul-, Funk- und Disco-Platten gespielt wurden, das Wesen von Disco zu verstehen, seine Seele, sein Herz, seine tiefe Religiosität. Oben in der Sound Factory Bar wurde Garage House zur Offenbarung, gerade bei den Live-Auftritten jener Sängerinnen und Sänger, die so nichts, aber auch gar nichts von dem Glamour der Popkultur hatten, sondern nur jene aus dem Gospel geschulten Stimmen, die voller Sehnsucht und Trauer von großen Lieben und ihrem Vergehen sangen. Das Konzert von Ten City im Tunnel, Frankie Knuckles an den Freitagen in der Sound Factory Bar, als kleiner weißer Hetero zwischen schwulen Afroamerikanern und Latinos, vermittelten mir den existentiellen Kern dieser Musik: ihre organische Widerständigkeit, ihr Immunisieren gegen eine feindliche, rassistische, homophobe Umwelt. Das »Release me« war utopisches Fragment. Eigentlich war ich da stets kurz davor, ein ganz anderes, weniger strukturiertes, chronologisches Buch zu schreiben, aber ahnte doch, dass es mein Weg war, mich diesen damals noch weitgehend unberührten Urkulturen von House und Disco wie ein hüftsteifer Bildungsbürger anzunähern. Willie Ninja hat über den akribischen Einsatz im Dienste der Wissenschaft stets gelacht. »Doctor Ulfie« war absurd früh da, sah den DJs beim Auspacken ihrer Platten zu und lauschte ihren »Vorlesungen«. Jeden Mittwoch stand der junge Mann da, alleine oder mit Freunden. Und ging, wenn die Beine vom Tanzen matt geworden waren.

Das Leben des Autors und Parasiten hat sich verändert, aber die Popmusik und die Lebenswelten mit ihm. Der zeitgenössische Hedonismus ist nicht nur in seinem Medium Pop komplett clubisiert und ohne die Leitkultur der DJ Culture schwer vorstellbar. Schriftsteller wie Rainald Goetz und Künstler wie Andreas Gursky haben in der Mimikry als Fan ihre Fasziniertheit in zentralen Werken der Gegenwartskunst formuliert. Auf dem Bild »Mayday V« taucht Gursky selbst neben DJ Westbam und Rainald Goetz als Statist einer ravenden Gesellschaft auf, die in der Vorstellung der Feiernden so unendlich größer und monumentaler geworden war, als es jede realistische Zuschreibung hätte vorstellbar werden lassen. Die Westfalenhalle, in der diese Mayday stattfand, hat in dem Bild statt vier Etagen ganze 18. Gursky, der mit den Superdeejays der Gründerjahre Sven Väth und Westbam befreundet ist, hat – so Westbam – die Mayday so inszeniert, wie sie der DJ schon immer wahrgenommen hat: ein Durcheinander von Hunderten von Individuen, verstrickt in ihren Abenteuern und Biographien. »Es schlüsselt uns«, so Westbam in einer Laudatio auf...

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