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DOING GENDER als Dimension sozialer Interaktion unter Gleichaltrigen in der Grundschule

AutorChristine Stock
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl108 Seiten
ISBN9783638849791
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Didaktik - Allgemeine Didaktik, Erziehungsziele, Methoden, Note: 1.0, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, 59 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Aussehen, Kleidung, Körpersprache, Auftreten und Sprachstil sind offensichtliche Kriterien, auf deren Grundlage wir Menschen, die uns entgegentreten, als männlich oder weiblich einstufen. Die Existenz zweier verschiedener Geschlechter ist nicht nur leicht auszumachen, längst hat sich die Gesellschaft ganz selbstverständlich darauf eingestellt, um unterschiedlichen Bedürfnissen von Männern und Frauen zu entsprechen. Die erste Frage nach der Geburt oder oft auch bereits während der Schwangerschaft ist die nach dem Geschlecht des Neugeborenen. Auch die elterlichen Entscheidungen sind davon abhängig: der Name, die Einrichtung des Kinderzimmers, die Kleidung sowie die Spielsachen. Mädchen werden mit hübschem Aussehen, niedlichen Gesten und freundlichem Gemüt assoziiert, wobei Jungen als frech, übermütig, unordentlich und laut gelten. Diese Aussagen gehen konform mit den Vorstellungen über SchülerInnen an koedukativen Schulen. Die Differenzen von Mädchen und Jungen werden als natürlich und genetisch bestimmt gewertet und durch Haltungen und Handlungen dramatisiert. Anliegen dieser Arbeit ist es, ,doing gender' als eine Dimension sozialer Interaktionen unter Gleichaltrigen in der Grundschule darzustellen. ,Doing gender' meint das Herstellen von Geschlecht in Interaktionen. Dieser Konstruktionsprozess soll über ein Verständnis von Sozialisation, Sozialisationstheorien, konstruktivistischen Ansätzen sowie der Betrachtung von Kinderwelten wie Schule und Gleichaltrigengruppe erschlossen werden.

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Leseprobe

1. Einleitung


 

Aussehen, Kleidung, Körpersprache, Auftreten und Sprachstil sind offensichtliche Kriterien, auf deren Grundlage wir Menschen, die uns entgegentreten, als männlich oder weiblich einstufen. Die Existenz zweier verschiedener Geschlechter ist nicht nur leicht auszumachen, längst hat sich die Gesellschaft ganz selbstverständlich darauf eingestellt, um unterschiedlichen Bedürfnissen von Männern und Frauen zu entsprechen. Beide Geschlechter werden unterschiedlich wahrgenommen und jeweils anders behandelt. Jan Morris- als Mann geboren und später zur Frau geworden- schreibt:

 

„We are told that the social gap between the sexes is narrowing, but I can only report that having, in the second half of the twentieth century, experienced life in both roles [male and female], there seems to me no aspect of existence, no moment of the day, no contact, no arrangement, no response, which is not different for men and for women. The very tone of voice in which I was addressed, the very posture of the person next in [line], the very feel in the air when I entered a room or sat at a restaurant table, constantly emphasized my change of status. And if others’ responses shifted, so did my own. The more I was treated as a woman, the more woman I became. I adapted willy-nilly. If I was assumed to be incompetent at reversing cars, or opening bottles, oddly incompetent I found myself becoming. If a case was thought too heavy for me, inexplicably I found it so myself” (Morris 1997, S. 140).

 

Das Zitat zeigt, wie sehr unsere Geschlechtszugehörigkeit unseren Alltag bestimmt. Der Mensch stellt sich als Mann oder Frau dar, handelt dem Rollenverständnis entsprechend und wird daher auch als Mann oder Frau wahrgenommen. An Männer und Frauen werden unterschiedliche Erwartungen gestellt, denen es zu entsprechen gilt, um von der Gesellschaft Anerkennung zu erfahren. Bücher wie „Why men can only do one thing at a time and women never stop talking“ von Alan and Barbara Pease dokumentieren mit ihrer Popularität das große gesellschaftliche Interesse an der Thematik. Die meisten Menschen gehen offenbar davon aus, dass Männer und Frauen grundverschieden sind und in zwei Welten leben. Dabei stützen sie die vermeintliche Erkenntnis allzu gerne auf dem unstrittigen Vorhandensein biologischer Unterschiede: Für die geschlechtliche Zugehörigkeit wie auch das spezifische Rollenverständnis werden die Gene verantwortlich gemacht. Dieses Verständnis ist bequem, es befreit den Einzelnen von der Notwendigkeit, die Richtigkeit seines Handelns zu hinterfragen, da er sich doch als - unabwendbar - genetisch gesteuert empfindet. Es stellt sich die Frage, ob ein solches Modell vermeintlicher biologischer Erkenntnis nicht doch eher für viele ein – eben bequemes – Wunschmodell ist, das mehr oder weniger bewusst gepflegt oder gar konstruiert wird. Die Versuchung ist ohne Frage groß, denn indem wir mit Menschen interagieren, arbeiten wir mit Vorurteilen und Erwartungen, mit denen wir uns präsentieren und andere einschätzen. Menschen fühlen sich außerdem bestimmten Gruppen zugehörig, in denen sie sich akzeptiert sehen und die einen Teil der Identität darstellen. Die Gruppenbildung ermöglicht ein Zugehörigkeitsgefühl und ein Definieren des Selbst in Abgrenzung zu dem Anderen. Mit der Bindung an bestimmte Gruppen sind allerdings auch bestimmte Stereotype verbunden, die es zu erfüllen gilt, um den Charakter der Gruppe eindeutig darzustellen, der dann wieder auf seine Mitglieder strahlt. Das Geschlecht ist besonders geeignet, Gruppen zu prägen, indem es die Gesellschaft in Frauen und Männer aufteilt. Die Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen führt dazu, dass sich die Mitglieder mit dieser identifizieren und von der anderen abgrenzen. Auf diese Weise bietet das Geschlecht eine Möglichkeit zur Orientierung im gesellschaftlichen Leben und stellt eine wichtige Ordnungskategorie dar.

 

Die erste Frage nach der Geburt oder oft auch bereits während der Schwangerschaft ist die nach dem Geschlecht des Neugeborenen. Auch die elterlichen Entscheidungen sind davon abhängig: der Name, die Einrichtung des Kinderzimmers, die Kleidung sowie die Spielsachen. Mädchen werden mit hübschem Aussehen, niedlichen Gesten und freundlichem Gemüt assoziiert, wobei Jungen als frech, übermütig, unordentlich und laut gelten. Diese Aussagen gehen konform mit den Vorstellungen über SchülerInnen[1] an koedukativen Schulen. Die Differenzen von Mädchen und Jungen werden als natürlich und genetisch bestimmt gewertet und durch Haltungen und Handlungen dramatisiert. Gut erinnere ich mich noch an meine eigene Grundschulzeit und die Jungen, die uns Mädchen immer geärgert haben. Sie provozierten uns und wir reagierten genervt. Der Schulalltag war von diesen Geschlechterspielen bestimmt. In meiner Arbeit möchte ich die Frage aufwerfen und aufzeigen, ob das Geschlecht wirklich immer bedeutsam im alltäglichen Umgang miteinander ist und in welchen Situationen die Kinder Geschlechtergrenzen aufbauen.

 

Die Idee zu dieser Arbeit entstand während meiner Tätigkeit an einem britischen Mädcheninternat. Ich hatte mich davor noch nicht mit dieser Thematik beschäftigt und war gespannt, zu sehen, wie in einer solchen Schule gelehrt und gelebt wird. Sie zählt zu den besten Schulen Englands und ich hatte mir vorgenommen, zu beobachten, woran das liegt. Warum erzielen die Mädchen so gute Ergebnisse und warum werden typische ,Jungenfächer´ wie Mathematik, Physik und Informatik gern als Leistungskurs gewählt? Alle Mädchen gehen nach dem Absolvieren ihrer A-Levels[2] auf eine Universität. Ist ihr Selbstbewusstsein tatsächlich stärker, da sie ohne die Anwesenheit von Jungen unterrichtet werden?

 

Im Laufe der Zeit wurde ich immer sensibler, wenn es um die Rollenerwartungen von Mädchen und Jungen ging. Mit Erstaunen beobachtete ich, dass den Mädchen ein sehr tradiertes Geschlechterbild suggeriert wurde. Sie sahen immer ordentlich aus und arbeiteten alle hart und fleißig, weil es von ihnen erwartet wurde. Probleme mit der Disziplin gab es selten, denn „es passt nicht zu einem Mädchen, sich gegen die Schulregeln zu stellen- nur Jungen machen so etwas“. Ich sammelte einige Lehrerreaktionen, die ich im täglichen Umgang mit den SchülerInnen vernahm:

 

- „Lass das sein, du bist doch ein ordentliches Mädchen, so etwas machen Mädchen nicht!“

 

- Seid froh, dass hier keine Jungen im Unterricht sind. Sie würden euer Lernen stark behindern!“

 

- „Hier könnt ihr eure Weiblichkeit frei entfalten und werdet nicht eingeschüchtert und unterdrückt.“

 

- „Ihr würdet euch auch schminken, wenn Jungen anwesend wären, da ihr schön aussehen wollt! Mädchen müssen nämlich immer ordentlich und hübsch aussehen!“

 

Mir wurde von Tag zu Tag bewusster, in welch eingeschränktem Rahmen sich die Mädchen bewegten, da ihnen die reale Erfahrung mit Jungen fehlte. An dieser Stelle möchte ich kurz anmerken, dass sich nicht nur das Geschlecht, sondern auch weitere Faktoren, wie Ethnie und sozialer Status auf den Lebensraum der Mädchen auswirkt. Besonders interessant fand ich allerdings die Frage nach dem Geschlechterbild, denn ein Umgang mit Jungen blieb den Mädchen verwehrt. Es gab zwar männliche Lehrkräfte, Hausmeister und Gärtner, aber sonst wurden sie nicht mit dem anderen Geschlecht konfrontiert. Dieses kennen sie hauptsächlich aus den Medien, womit sie nur das stereotypische Männerbild kennen lernen. In den Gesprächen mit den Mädchen stellte sich heraus, dass ,Jungen‘ dennoch sehr häufig thematisiert wurden. Die Mehrzahl der Mädchen war verliebt oder schwärmte für jemanden. Mir fiel dabei auf, dass Jungen jedoch immer nur als potentielle Partner und nicht als ganz normale Freunde gesehen wurden. Die Mädchen hatten sehr oberflächliche Vorstellungen von ihrem Traummann: „Sie müssen gut aussehen und viel Geld haben, um später die Einkaufsbummel mit Freundinnen finanzieren zu können.“ Das Männerbild fiel an dieser Schule eher negativ aus. Sie wurden als ‚Roboter‘ bezeichnet, die gefühlskalt und wortkarg sind. Kamen sie diesen Vorstellungen nicht nach, wurden sie mit ,schwul‘ etikettiert. Immer bewusster habe ich die existierenden Rollenerwartungen von Jungen und Mädchen wahrgenommen und auch für mich erkannt, dass ich bestimmte Klischees verinnerlicht habe. Diese Erkenntnis erstaunt nicht, denn die stereotypen Geschlechter- Muster tauchen überall auf: in den Medien, im alltäglichen Leben, auf der Straße, in Schulbüchern sowie in Gesprächen mit anderen Menschen. Mir ist klar geworden, dass vieles auf geschlechterspezifischen Erfahrungen beruht, die unser Handeln und Denken mit prägen. Es gibt überlieferte Verhaltensweisen, die nach wie vor unsere Entwicklung beeinflussen. Ein geschlechterbewusstes Handeln in der Grundschule setzt voraus, dass wir uns die Stereotype bewusst machen und ablehnen. Es darf nicht sein, dass von Mädchen in Mathematik nichts erwartet wird, denn dies führt dazu, dass sie wie Jan Morris‘ Erfahrungen zeigen auch nur weniger gute Ergebnisse erzielen. Es ist sicherlich eine schwierige Aufgabe, sich von den tradierten Vorstellungen zu lösen, dennoch ist es notwendig, um Jungen und Mädchen alle Türen zu öffnen.

 

Anliegen dieser Arbeit ist es, ,doing gender‘ als eine Dimension sozialer Interaktionen unter Gleichaltrigen in der Grundschule darzustellen. ,Doing gender‘ meint das Herstellen von Geschlecht in Interaktionen.

 

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