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E-Book

Unter drei Augen

AutorBritta Redweik
VerlagBookRix
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl179 Seiten
ISBN9783743882225
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,00 EUR
'Ich bin all das. Ich bin all meine Krankheiten. Die leichten und die schweren. Die, die nur in ganz bestimmten Situationen eine winzige Rolle spielen, und die, die mir jeden Tag die Luft zum Atmen nehmen - teilweise wortwörtlich. Ich schreibe dies hier nun einmal in erster Linie nicht, um es euch recht zu machen oder euch zu unterhalten, sondern für mich. Um jemandem meine Geschichte zu erzählen. Einen Einblick in meine Welt zu liefern. Ich möchte eine Stimme haben. Denn das ist nicht leicht für Menschen mit Beinderung. Aber es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, wie die Welt für Leute wie mich aussieht.' Biografisches aus dem Leben einer Schwerbehinderten in Deutschland. Anekdoten, Zahlen und Fakten.

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Leseprobe

Dann geh doch auf die Sonderschule, da gehören Behinderte doch hin


- Krankheit der Stunde: Asthma, Skoliose, Glasauge ; Triggerwarnung: Mobbing -

 

 

Aber nicht nur körperlich wurde ich damals attackiert. Auch anderweitig wurde mir schnell klar, dass ich ein Außenseiter bin. Beim Sport.

Als kleines Kind war ich noch gern draußen herumgerannt und hatte mich bewegt. Wenn wir mal ganz ehrlich sind, ist die Schule, in ihrem Bestreben, die Kinder zu mehr Bewegung anzuhalten, eigentlich genau das, was den Bewegungsdrang abtötet. Man darf nicht mehr herumtollen, sondern muss ganz bestimmte Sportarten nach ganz bestimmten Regeln ausüben, um Noten zu erhalten. Spaß wird hier durch einen Wettbewerbsgedanken ausgetauscht, der eigentlich eines heißt: Ein Einziger ist der Beste, und allen anderen Kindern sagt man, sie seien nicht gut genug. Sie sind eben nicht der Beste. Und das soll gesund sein? Wenn man etwa 95% der Teilnehmer sagt, sie wären eben nicht gut genug? Immer und immer wieder? Das soll einen motivieren? Liebe Pädagogen: An dieser Stelle seid ihr Idioten. Natürlich kommt man im Erwachsenenleben nicht ohne etwas Wettbewerb über die Runden, aber Kindern bei dem, was sie gesund halten und die überschüssige Schokolade wieder verbrennen soll, mit so etwas zu kommen, ist ein Grund, warum Kinder wie Erwachsene in Deutschland noch immer keine Freude an Sport haben und so immer mehr Krankheiten auftreten.

Aber gut, ich schreibe ja hier, um meine eigene Geschichte zu erzählen und nicht, um im Alleingang einen Krieg gegen die ganze Welt zu beginnen.

Also, ich bin immer noch in der fünften oder sechsten Klasse, im Sportunterricht.

Beim Turnen darf ich vieles nicht. Sprünge könnten meine Wirbelsäule zu sehr belasten, Rad schlagen kann ich schlicht nicht, wobei ich nicht weiß, ob das an meinem Rücken liegt. Da ich aber auch mit Schleifen an Schuhen schon Probleme habe, wenn ich beide Arme gleichzeitig so nach vorn und unten halten muss, schließe ich es nicht aus. Und auf dem Schwebebalken habe ich nicht nur wegen meines gestörten Gleichgewichtssinns Probleme - wie soll man denn Gleichgewicht halten, wenn der Körper nicht halbwegs symmetrisch aufgebaut ist? -, sondern auch schlicht Höhenangst. Ja, auch schon bei diesen 20 Zentimetern, die man uns Zehnjährigen zutraut.

Und dann kommt Leichtathletik. Die Bundesjugendspiele. Ich vertrage die Bewegung im Sommer nicht, weil mein Asthma mit den hohen Ozonwerten nicht umgehen kann. Im schlimmsten Fall, kippe ich einfach um, breche ich einfach zusammen. Und ich muss trotzdem mitmachen. Das ist schon in Ordnung, das verstehe ich. Man wird nur fitter, wenn man überhaupt erstmal anfängt. Aber meine Leistung ist natürlich unterirdisch und seit die Teilnehmerurkunde in meiner zweiten Klasse abgeschafft wurde, kündigt nichts mehr davon, dass ich mich wenigstens bemüht habe. Keiner lobt mich dafür. Und es gibt leider auch keine Tabellen, mit der die Leistung von jemandem mit Asthma und nur einer halben Lunge in Relation zu der gesunder Kinder gesetzt wird.

Aber all diese Demütigung ist in Ordnung. Sie geht nur vom System aus. Niemand quält mich hier bewusst. Und Sport ist nun wirklich nicht wichtig. Ist jemals jemand nur wegen Sport sitzen geblieben? Ich denke nicht.

Also wäre es zu ertragen, wären da nicht die anderen Kinder.

Wir spielen einen Mannschaftssport. Handball, Fußball, Hockey, ich weiß es nicht mehr. Natürlich will mich keiner in der Mannschaft haben, sie lehnen sich sogar offen gegen den Lehrer auf.

“Die kann doch nichts. Wenn Sie uns die aufzwingen, verlieren wir doch gleich.”

“Ich muss sie aber auch bewerten können. Ihr nehmt sie, keine Widerrede.”

“Dann kriegen wir aber zwei Punkte Vorsprung.”

Das findet sogar die andere Mannschaft fair. Denn mich zu haben, das will doch keiner. In dem Moment nicht einmal ich selbst.

Also komme ich aufs Feld. Man muss mich ja erst spielen sehen, um mich benoten zu können. Ich gebe alles. Ich will ihnen beweisen, dass ich gut genug bin. Meine Lunge brennt wie Feuer, ich bekomme Seitenstiche und Übelkeit, aber ich will nicht aufgeben. Ich spüre die Blicke der anderen auf mir, ihre Abschätzung. Sie warten nur auf den nächsten Wechsel, um mich wieder loswerden zu können. Um mich auf die Ersatzbank zu schicken. Ich ehrlich gesagt auch, denn ich würde gerne mal wieder einatmen. Langsam wird das doch ein wenig schwer, ohne Luft auf den Beinen zu bleiben. Und dennoch tu ich alles, was ich kann. Aber wenn man Entfernungen nicht abschätzen kann, weil man nur ein Auge hat, verfehlt man schon mal den Puk oder Ball. Am Ende verliert man wegen mir. Wie immer.

Und dann will ich schon in die Umkleidekabine gehen, fertig mit mir und der Welt. Ich will mich einfach nur noch umziehen, nach Hause gehen und meine Ruhe haben. Da höre ich sie. Meine Klassenkameraden stehen fast vollständig bei meinem Sportlehrer, und bitten ihn, sich dafür einzusetzen, dass ich auf die Sonderschule geschickt werde. Das würde man doch mit denen machen, die im Unterricht nicht mithalten können. Und es sei doch nicht gerecht, dass ich mit meinen miserablen Leistungen in Sport immer noch eine vier bekäme.

Aus ihrer Sicht kann ich den letzten Satz verstehen. Auch mein Sechstklässler-Ich kann das schon. Es gibt welche, die so viel mehr im Sportunterricht leisten konnten als ich, und dennoch die gleiche Note bekommen. Sie haben bessere Voraussetzungen, ja. Mehr Lunge als ich mit meinem kaum gewachsenen rechten Lungenflügel, und einen stabilen Rücken. Sie verfehlen auch keine Bälle, die von rechts kommen, nur, weil sie dort schlicht nichts sehen. Aus ihrer Sicht ist meine Note unfair.

Was mich aber am meisten erschüttert, sind nicht meine Klassenkameraden. Dass sie kein Verständnis für Behinderung haben, nie gelernt haben, Rücksicht zu nehmen, das weiß ich ja. Nicht umsonst gibt es den Spruch, dass Kinder grausam sind. Sie verstehen es halt noch nicht. Wie auch, wenn keiner mit Ihnen darüber redet?

Nein, was mich in dem Moment trifft, ist die Antwort meines Sportlehrers: „Ihr habt ja Recht, aber ich kann da leider nichts machen.“

Er bedauert es, mich nicht loswerden zu können? Er bedauert es, mich trotz sehr guter Noten und späterer Gymnasialempfehlung nicht wegen meiner mangelnden Sportlichkeit auf eine Sonderschule abschieben zu können?

Das kann mein Sechstklässler-Ich nicht verstehen. Und mein heutiges Ich auch noch nicht.

Denn dieser Position bin ich damals zwar zum ersten, aber nicht zum letzten Mal begegnet.

Beim bisher letzten Mal bin ich 22 Jahre alt. Ich studiere Sozialwissenschaften und sitze gerade im Kurs „Gender und Diversity“. Nein, ich sitze nicht, ich stehe. Denn ich halte heute mein Referat über Behinderung in Deutschland. Ich zittere, wie immer bei einem Referat. Ich habe zehn Jahre Theater-AG hinter mir, und doch kann ich schlicht nicht vor Menschen reden. Nicht als ich selbst. Aber heute ist es besonders schlimm. Heute bin ich nackt, seelisch, emotional. Meine Lebensgeschichte ist Teil des Referats. Zwar versteckt hinter Zahlen und Fakten, aber ich rede da auch über mich. Stelle mich selbst am Ende zur obligatorisch Diskussion. Und erneut werde ich abgewertet.

Das Seminar ist eigentlich für uns Sozialwissenschaftler, aber auch offen für andere Fächer, deren Studenten eben Pflichtkurse in der Soziologie oder Politologie belegen müssen. Sie gehen lieber in solch eher praktisch nutzbare Kurse als in die Theorieseminare. Verständlich.

Hier sind wir jedenfalls sogar in der Unterzahl. Die Masse bilden die Lehramtsstudenten.

Und bei der Diskussion, ob Deutschland das Thema Inklusion von Behinderten verschlafen hat, melden sie sich zu Wort. Man solle doch Behinderte bitte von anderen Menschen fern halten. Gerade in der Schule würden die Schwächeren doch den ganzen Rest der Klasse im Lerntempo zurückhalten. Die Behinderten würden zu einer Behinderung aller anderen werden, das könne man doch nicht zulassen. Das schade ja auf lange Sicht der Gesellschaft.

Eine Freundin legt mir die Hand auf die Schulter, will mich zurückhalten. Aber ich bin zu fassungslos, um mich wirklich aufzuregen.

„Ich bin schwerbehindert“, erkläre ich. „Und manch einer wollte mich in der OS auf die Sonderschule schicken, dabei war ich in allen Fächern außer Sport gut. Ich habe ein gutes Abi gemacht und gehöre auch im Studium nicht zu den Schlechtesten. Hätte man mich damals auf die Sonderschule geschickt, hätte ich vielleicht trotz meiner Fähigkeiten nicht einmal einen Hauptschulabschluss bekommen. Nur, weil ich schlecht in Sport war.“

Die angehende Lehrerin, die gerade vehement für das Aussortieren von Behinderten gekämpft hat, schaut mich lange an und nickt dann. „Ja, trotzdem. Du hast dann ja dennoch die anderen blockiert. Meine Meinung. Sowas gehört nicht an normale Schulen.“

Die Dozentin beendet nach dem Satz die Sitzung. Gut so, denn ich weiß nicht, ob ich heulen, hysterisch lachen oder jemanden mit bloßen Händen töten soll. Ich bin sprachlos. Was bei mir selten vorkommt. Deutschland, das sind deine angehenden Lehrer. Sozialdarwinisten ohne jegliches Mitgefühl, ohne Menschlichkeit. Wenn die unsere Kinder unterrichten, wie können wir uns dann wundern, dass sich in der Gesellschaft nichts...

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